Gerhard Robbers: Landesgericht musste Daschner schuldig sprechen

Gerhard Robbers im Gespräch mit Susanne Führer · 25.09.2012
Vor zehn Jahren wurde der Bankierssohn Jakob von Metzler gekidnappt. Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner ließ dem bereits verhafteten Entführer Folter androhen, um den Aufenthaltsort des Jungen zu erfahren. Dass Daschner dafür verurteilt wurde, sei "zwangsläufig" gewesen, sagt der Jurist Gerhard Robbers, wenngleich sich der Beamte in einer tragischen Situation befunden habe.
Susanne Führer: Zehn Jahre ist es her, dass Jakob von Metzler entführt und ermordet wurde. Die Frankfurter Polizei versuchte damals alles, um das Leben des Jungen zu retten. Grit Lieder mit einer Chronologie:

"Am 27. September 2002 entführt der Jura-Student Magnus Gäfgen den elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler. Anschließend erstickt er den Jungen, versteckt die Leiche unter einem Steg an einem See bei Schlüchtern. Trotzdem schickt Gäfgen einen Erpresserbrief mit einer Lösegeldforderung an die Eltern.

Zwei Tage später erhält er ein Lösegeld von einer Million Euro, wird jedoch von der Polizei bei der Geldübergabe beobachtet. Am nächsten Tag wird Gäfgen verhaftet.
Im Verhör verrät er den Aufenthaltsort des Jungen nicht. Aus Sorge, Jakob von Metzler könne verdursten, lässt der Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner Gäfgen Schmerzen androhen: Gäfgen gibt das Versteck preis. Polizeivizepräsident Daschner setzt die Staatsanwaltschaft über sein Vorgehen in Kenntnis.

Im Januar 2003 startet die Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen gegen Daschner wegen des Verdachts auf Aussageerpressung. Daschner wird von seinen polizeilichen Aufgaben entbunden. Gäfgen wird am 28. Juli 2003 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 20. Dezember 2004 wird am Frankfurter Landgericht zwar ein Schuldspruch gegen Daschner verhängt, die über 10.800 Euro hohe Geldstrafe für ein Jahr zur Bewährung ausgesetzt. Ein Disziplinarverfahren wird eingestellt."

Führer: Soweit der Bericht von Grit Lieder, und am Telefon ist nun Professor Gerhard Robbers. Er lehrte Verfassungsrecht an der Universität Trier und er ist der Präsident des Evangelischen Kirchentages 2013 in Hamburg. Guten Morgen, Herr Robbers!

Gerhard Robbers: Guten Morgen, Frau Führer!

Führer: Ja, der Fall Jakob von Metzler, beziehungsweise auch der Fall Wolfgang Daschner bewegt ja die Menschen bis heute. Fast alle haben Verständnis für die Handlungsweise Wolfgang Daschners, mit Gewalt zu drohen, um das Leben des Kindes zu retten. Hat er richtig gehandelt?

Robbers: Es wird jeder Mensch, der ein Herz hat, Verständnis für Herrn Daschner haben, und trotzdem hat er nicht richtig gehandelt.

Führer: Im juristischen oder im moralischen Sinne?

Robbers: Nein, durchaus auch im moralischen, in beiden Dimensionen, weil die Androhung von Folter, die Androhung unangemessenen Verhaltens verfehlt ist und nicht sein darf.

Führer: Und wenn das Leben des Kindes dadurch hätte gerettet werden können?

Robbers: Das ist eine jetzt zunächst theoretische Frage – in diesem konkreten Fall, so schrecklich es war und so schrecklich es bleibt, ist der arme Junge ja schon tot gewesen, also es hätte auch alles gar nichts genutzt. Man kann die Dinge natürlich auch theoretisch aufarbeiten und fragen, was wäre wenn. Und dann muss man unabhängig von dem konkreten Fall des armen Kindes und der armen Eltern dann auch sehr theoretisch fragen und antworten.

Führer: Lassen Sie uns erst noch mal bei dem juristischen Teil bleiben, Herr Robbers. Wolfgang Daschner berief sich ja damals auf einen übergesetzlichen Notstand, also auf Gefahrenabwehr, und er meinte, er sei durch das Nothilfegesetz abgesichert. Kann man das juristisch begründen?

Robbers: Ja, es sprechen durchaus einige Gesichtspunkte dafür. Wir sind hier auf einer Gratwanderung zwischen richtig und falsch. Das ist wirklich immer ganz schwierig zu entscheiden, aber die Gesetze sehen eben vor, dass übergesetzlicher Notstand in einem solchen Fall nicht eingreift, weil er nur dann eingreift, wenn nahe Angehörige etwa bedroht sind.

Führer: Das heißt, das Frankfurter Landgericht musste ihn schuldig sprechen?

Robbers: Soweit ich den Fall kenne, war das zwangsläufig der Fall, ja.

Führer: Und jetzt kommen wir doch noch mal wieder zu der moralischen Frage, Herr Robbers: Sie haben vorhin gesagt, menschlich … also der, der ein Herz hat, hat dafür Verständnis, aber moralisch lässt sich Ihrer Ansicht nach offenbar das Handeln trotzdem nicht begründen, denn nur Verständnis haben ist ja etwas anderes.

Robbers: Also es gibt ja Situationen im Leben von Menschen, die früher so als Tragik bezeichnet worden sind. Wenn man in Situationen ist, wo man, egal wie man sich verhält, sich schuldig macht, Schuld auf sich lädt, ob man dies tut oder jenes, immer wird man schuldig. Und ich fürchte, wir sind hier in einem solchen Fall: Das Kind sterben zu lassen, theoretischerweise, ist natürlich das Aufladen von Schuld, keine Frage, aber auch das Androhen und das Zufügen von Folter lädt Schuld auf Menschen. Und das Recht hält dafür durchaus auch Lösungsmöglichkeiten bereit. Man muss ja auch sehen, dass Herr Daschner nun mit der allermildesten Konsequenz und Sanktion belegt worden ist, er ist unter Strafvorbehalt schuldig gesprochen. Das Recht sieht hier vor, dass das Recht schon sagt, dass Herr Daschner insofern schuldig geworden ist, dass die Schuld aber doch nicht sehr schwer wiegt, und man hat die Sanktion zur Bewährung ausgesetzt, also das Allermildeste, was man tun kann.

Führer: Ja, und er gilt nicht als vorbestraft, und das Disziplinarverfahren wurde eingestellt. Der Verfassungsjurist und Kirchentagspräsident Gerhard Robbers ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Herr Robbers, Sie haben gerade von der Tragödie gesprochen, also die griechische Tragödie, wo es sich ja darum dreht, dass man eben schuldlos schuldig wird. Das heißt, es gab im Grunde genommen für Herrn Daschner in dieser Situation, gab es gar kein richtiges Handeln?

Robbers: Es gab immer nur Situationen, in denen er sich in Schuld verwickeln kann und musste, so ist diese Situation gewesen. Es ist natürlich immer sehr viel verlangt von Menschen, eine solche Situation auch anzunehmen. Aber ich glaube, man muss darauf beharren und noch einmal sagen, dass die Schuld von Herrn Daschner nun wirklich gering wiegt und nicht wirklich schwer ist.

Führer: Ich meine, ich weiß, man darf nun nicht spekulieren, aber trotzdem nehmen wir mal an, das Leben des Jungen wäre gerettet worden, und man hätte dann Herrn Daschner verurteilt trotzdem, weil natürlich das Folterverbot absolut gilt. Aber gibt es nicht Situationen, Herr Robbers, wo sich der Rechtsstaat sozusagen darauf verlassen muss, dass es manchmal auch jemand – ja, wie soll man sagen – geradezu auf sich nimmt, die Gesetze zu brechen?

Robbers: Man hofft, dass das nie der Fall sein wird, und das Recht muss auch durchaus Vorsorge dafür treffen, solche Ausnahmesituationen bewältigen zu können. Man muss solche Situationen, die ganz extrem währen, tunlichst vermeiden. Es wäre aber, glaube ich, auch verkehrt zu sagen, dass so etwas nie, unter keinen Umständen, eintreten könnte. Aber man muss solche Situationen zu vermeiden suchen.

Führer: Ich frage Sie auch als Christ, ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Pastor, der mal zu mir gesagt hat, natürlich müssen die Gesetze respektiert werden, aber wenn ein illegaler Flüchtling an meine Kirchentür klopft, dann nehme ich ihn natürlich auf.

Robbers: Das ist ja kein Rechtsbruch.

Führer: Das ist kein Rechtsbruch?

Robbers: Nein.

Führer: Ach so. Schade, da hatte ich jetzt zu viel Respekt vor dem Pastor.

Robbers: Das ist eine zutiefst menschliche Handlung.

Führer: Gut, aber muss man denn nicht – ein illegaler Flüchtling ist doch ein Rechtsbrecher, muss ich ihn nicht den Behörden zur Kenntnis bringen?

Robbers: Nein, das muss der Pfarrer nicht tun, er ist dazu nicht verpflichtet.

Führer: Gut, aber zurück zu der Frage, liegen bei Ihnen vielleicht manchmal auch der Christ und der Jurist im Widerstreit?

Robbers: Wenn man die Dinge ganz durchdenkt und auch durchfühlt, dann darf es keinen Widerspruch geben zwischen dem Recht und der Menschlichkeit. Das Recht muss die Menschlichkeit aufnehmen. Dass manchmal es auch falsche Gesetze gibt, das ist auch keine Frage, auch Gesetze können fehlsam sein, aber dann muss man die Gesetze ändern. Das Ziel ist, die Aufgabe ist, dass das Recht das richtige Leben abbildet und möglich macht, und nicht etwa im Gegensatz tritt zu Moral, sondern das Recht ist nur dann wirklich recht, wenn es auch moralisch konsistent ist.

Führer: Ja, so sollte das Recht sein, aber vielleicht auch selbst das beste Recht schafft es nicht immer, oder?

Robbers: Solche Situationen, wie gesagt, kann es geben, dann muss man das Recht ändern, dann wäre aber eben das Recht auch falsch, und man muss zum richtigen Recht kommen. Man lernt in solchen Extremsituationen natürlich auch, welche Lösungen es geben kann und welche Lösungen es nicht geben kann.

Führer: Das heißt, bei Ihnen gibt es da keinen inneren Konflikt?

Robbers: Es darf keinen geben. Es gibt, faktisch gibt es solche Konflikte, weil das Recht eben durchaus eben auch nur ein menschliches Recht ist, ein fehlsames Recht, aber wenn es richtiges Recht ist, dann gibt es solche Konflikte nicht wirklich.

Führer: Das sagt der Verfassungsjurist und Kirchentagspräsident Gerhard Robbers. Ich danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Robbers!

Robbers: Danke, Frau Führer!


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