Gerd Langguth: Angela Merkel

Rezensiert von Dieter Jepsen-Föge · 24.06.2005
Frau, aus dem Osten, evangelisch. So viel ist gesicherter Kenntnisstand über Angela Merkel, die erste deutsche Kanzlerkandidatin. Mit gutem Gespür für den richtigen Zeitpunkt und ein bisschen Glück hat nun der Politikwissenschaftler Professor Gerd Langguth seine sorgfältig recherchierte Biografie über eine mächtige, aber immer noch nicht sehr bekannte Politikerin vorgelegt.
Je näher der wahrscheinliche Zeitpunkt der vorgezogenen Bundestagswahl rückt und damit die Wahrscheinlichkeit, dass das vereinte Deutschland erstmals von einer Frau, aus dem Osten, evangelisch, regiert wird, desto drängender werden die Fragen nach ihrer Persönlichkeit, ihrem Charakter, ihren politischen Zielen und Methoden gestellt. Wer also ist Angela Merkel und wofür steht sie?

Gerd Langguth hat nicht, um dies vorweg klarzustellen, eine offizielle Biografie zur Nominierung der Kanzlerkandidatin vorgelegt. Angela Merkel hat diese weder initiiert, noch daran mitgewirkt, abgesehen von einem Interview, das sie dem Autor gegeben hat und das abgesetzt vom eigenen Text als Anhang veröffentlicht wird. Es ist die Darstellung einer außergewöhnlichen Karriere, aber gewiss kein Heldenepos. Langguth analysiert nüchtern auf der Grundlage von Fakten, die entweder bekannt waren oder von ihm recherchiert wurden. Wenn sich die schnörkellose Darstellung in vielen Passagen spannend liest, so deshalb, weil der Kampf um die Macht selbst spannend ist.

"Das Innenleben der Macht - Krise und Zukunft der CDU" lautete der Titel eines Buches, das Langguth vor vier Jahren veröffentlicht hatte. Damals hatte er Angela Merkel als Sphinx beschrieben, als in vielen Bereichen Unbekannte, aber in ihrem Machtinstinkt mit ihrem Förderer Helmut Kohl vergleichbar. So wie Helmut Kohl strebte auch sie die Führung der CDU und gleichzeitig der CDU/CSU Bundestagsfraktion als Plattform für die Bewerbung um die Kanzlerkandidatur der Union an. Sie hat dieses Ziel nun erreicht, als sie gemeinsam mit dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber nach einer Sitzung im Konrad-Adenauer-Haus vor die Presse trat und so auf den Wahlkampf einstimmte:

Merkel: "Meine Damen und Herren, dabei geht es nicht um Parteien, es geht nicht um Karrieren, um "er oder ich" oder "er oder sie", es geht um etwas anderes: Wir wollen Deutschland dienen, ich will Deutschland dienen."

Beim Versuch einer Deutung ihrer Karriere in Form von zehn Thesen nennt Gerd Langguth zunächst den "unbedingten Willen zur Macht". Hierin durchaus vergleichbar mit Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Ja, es wird deutlich, wie sehr sie von Helmut Kohl gelernt hat. Und so wie sich dieser seinerzeit gegen Franz-Josef Strauss durchgesetzt hatte, ist Angela Merkel dies gegen Edmund Stoiber gelungen:

Langguth: "Merkel hat sich in jedem Punkt gegen Stoiber durchgesetzt. Sie musste zwar bei dem berühmten Frühstück von Wolfrathshausen zustimmen, dass Stoiber Kanzlerkandidat 2002 wurde, aber mit der dort errungenen Zusage, dass sie neben ihrem Parteivorsitz auch den Fraktionsvorsitz übernehmen würde, hatte sie dann die volle Macht praktisch in der Gesamtunion übernommen. Stoiber hat Schäuble geopfert als Präsidentschaftskandidat; Stoiber hat sogar seinen Vize Seehofer geopfert, der nicht mehr dem Fraktionsvorstand angehörte, als es zu Konflikten mit Frau Merkel kam. Also ich denke, dass Stoiber in jederlei Beziehung in diesen ganz wichtigen machtpolitischen Entscheidungen Frau Merkel unterlegen ist."

Zu den spannendsten Kapiteln gehört sicher ihr Aufstieg von der Generalsekretärin der CDU unter dem Parteivorsitzenden Schäuble zu dessen Nachfolgerin während der Parteispendenaffäre. Mit einem Namensartikel in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hatte sie zugleich die CDU von Helmut Kohl abgenabelt und sich durch einen inszenierten Konflikt zwischen Kohl und Schäuble selber an die Spitze der CDU befördert. Für Gerd Langguth war dieser FAZ-Artikel der entscheidende Coup:

Langguth: "Sie wurde immer unterschätzt, sie wusste immer um den nächsten Schritt und den ist sie dann konsequent gegangen. Denken Sie an den Scheidebrief an Helmut Kohl vom 22. Dezember 1999 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Sie hat im Wissen, dass Schäuble das Parlament belogen hat, hier einen Artikel geschrieben, der Schäuble und Kohl gegeneinander aufbrachte. Beide Herren haben sich so bekämpft, dass dann, der eine den Ehrenvorsitz der CDU, der andere den Fraktions- und Parteivorsitz der CDU losgeworden ist. Weil sie wusste, dass Schäuble irgendwann scheitern musste, deswegen hat sie diesen Artikel geschrieben. Das heißt: Sie entscheidet schon hart und konsequent, wenn es sein muss."

Der Autor erklärt den Durchsetzungswillen und das strategische Denken auch mit ihrem Aufwachsen in der DDR als Tochter eines evangelischen Pfarrers. Sie suche als Lebenserfüllung die Selbstbestätigung in der von anderen anerkannten Leistung.

Langguth: "Sie musste in der Schule immer die Beste sein, um keine Benachteiligung beispielsweise beim Studium zu bekommen."

Angela Merkels Leben wird, so beschreibt es nachvollziehbar der Autor, sehr stark vom Verhältnis zu ihrem Vater, sprich, der Auseinandersetzung mit ihm, bestimmt. Wörtlich: "Das heutige Leben Angela Merkels ist eine politische Emanzipation von ihrem in das DDR-System tief verstrickten Vater."

Angela Merkel strebt nach Macht, bekennt sich dazu, lässt aber die Frage: "Macht, wozu?" unbeantwortet. Auch für diese Zurückhaltung, sich festzulegen, klar Position zu beziehen, findet Langguth Erklärungen in ihrer Biografie. Sie habe als Teil der Gefahrenabwehr in einer Diktatur gelernt, nie zu offenbaren, was sie wirklich denkt. Sie könne daran allerdings auch scheitern, wenn es ihr nicht gelinge, sich ein tragfähiges Netzwerk an guten Freunden oder Vertrauten zu schaffen.

Mehrfach nennt Langguth Angela Merkel unideologisch. Ihre Überzeugungen seien Gegenbilder, die sich aus dem real existierenden Sozialismus und seiner Rhetorik speisten. So sei zum Beispiel das Gegenbild zur Mangelwirtschaft der DDR die effiziente Marktwirtschaft. In einer Grundsatzrede formulierte sie die Ziele einmal präziser als die Wege zum Ziel:

Merkel: "Deutschland soll bei wirtschaftlichem Wachstum, öffentlichen und privaten Investitionen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und bei der Qualität bei Bildung und Ausbildung in zehn Jahren wieder auf einem der ersten drei Plätze in Europa stehen."

Und an anderer Stelle:

"Deutschland steht an einer Wegmarke, mehr noch: Ich bin überzeugt, Deutschland steht am Scheideweg. Entweder Resignation und Kapitulation oder Aufbruch und Aufstieg. Wir haben die Wahl."

In wieweit Angela Merkel das Christdemokratische oder Konservative in der CDU verkörpere, beantwortet Gerd Langguth so:

Langguth: "Dies ist eine generelle Frage: Was ist eigentlich heute in einer Zeit der Säkularisierung noch typisch christdemokratisch oder typisch sozialdemokratisch. Sie entspricht in ihren politischen Grundüberzeugungen eigentlich sogar sehr viel stärker dem normalen Typus des Wechselwählers, der auch in vielen Punkten gar nicht so sehr festgelegt ist. Sie kann sehr schnell, wenn es sein muss, inhaltlich die Positionen wechseln. Sie ist unideologisch und sie ist pragmatisch. Das ist ein Vorteil, aber auch ein Nachteil zugleich. Denn natürlich muss sie auch als Parteivorsitzende einer christlich-demokratischen Partei dieser ein prägnantes christlich-demokratisches Profil geben."

Am Schluss des Buches wird der Leser sehr viel über Angela Merkel wissen. Dennoch - jeden früheren Bundeskanzler werden die Wahlbürger besser gekannt haben als die heutige Kandidatin, die Frau aus dem Osten, evangelisch.

Gerd Langguth: Angela Merkel
Deutscher Taschenbuchverlag, München 2005