Geprägt von Holocaust und Stalinismus

23.07.2007
Mit Romanen wie "Garten, Asche" oder "Sanduhr" hat sich Danilo Kiš (1935-1989) großen Ruhm erschrieben. Auch in seinen vier Theaterstücken, im Band "Die mechanischen Löwen" zusammengestellt, sind die Schrecknisse des 20. Jahrhunderts die wesentlichen Themen. Auch dort trifft man auf einen mit viel Sinn für die Vielschichtigkeit der inneren und äußeren Konflikte der Individuen schreibenden Autor.
Wie in seiner herausragenden Prosa sind die Schrecknisse des 20. Jahrhunderts auch die wesentlichen Themen der vier Theaterstücke des Schriftstellers Danilo Kiš (1935-1989). Der Sohn eines ungarischen Juden und einer montenegrinischen Mutter, der seine Kindheit in Ungarn verbrachte, dann in Jugoslawien lebte und von Belgrad aus 1976 ins Exil nach Paris getrieben wurde, weil seine Abrechnung mit dem Stalinismus - es war der Roman "Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch" - zum wohl größten kulturpolitischen Skandal (Gerichtsverfahren eingeschlossen) Jugoslawiens avanciert war, hat die beiden größten Schrecken dieses Jahrhunderts sehr unmittelbar in die eigene Biographie geschrieben bekommen. Den Holocaust durch den jüdischen Vater, den Stalinismus durch eigene Erfahrung.

Wie eine Überschneidung beider Traumata liest sich das Drama "Nacht und Nebel" (1967). Ein Mann Anfang Dreißig fährt - zwanzig Jahre nachdem er diesen Ort seiner Kindheit verlassen hat - in eine Kleinstadt in Ungarn, um seine alte Lehrerin aufzusuchen. Auf den ersten Blick eine rein nostalgische Reise, aber im Verlauf der Gespräche des jungen Mannes mit seiner ehemaligen Lehrerin und deren Mann, auch er ehedem Lehrer und inzwischen offenbar kommunistischer Funktionär, wird deutlich, dass dieser Andreas Sam (alter ego des Autors) mehr sucht als eine sentimentale Rückkehr zu den Orten einer verklärten Kindheit.

Er will jenen Leuten in die Augen sehen, die Zeugen waren, als sein Vater von den Nazis bzw. ihren ungarischen Schergen abgeholt wurde. Die selbst solche Schergen (Pfeilkreuzler) waren und inzwischen eine rote Krawatte tragen als Zeichen ihrer kommunistischen Gesinnung. Und die sich in erster Linie als Opfer der enormen Widrigkeiten sehen, wenn die Rede auf ihre Teilnahme (auf deutscher Seite) am Russland-Feldzug kommt.

Man könnte das für eine Art Abrechnungsdrama halten, aber es charakterisiert das Schreiben dieses Autors, dass er sein eigentliches Thema um (mindestens) eine weitere Dimension erweitert. In diesem Fall ist es die Diskussion über Erinnerung und Erinnerungsvermögen. Aus der unbestreitbaren Tatsache, dass sich die Wirklichkeit im Gedächtnis der Beteiligten auf höchst unterschiedliche Weise ablagern kann, erwächst die Frage, wie weit man die damit einhergehenden Relativierungen treiben kann: stand jener Baum dort oder woanders, hatte die erste Liebe dunkle oder blonde Haare, war der Hund ein Bernhardiner oder doch von anderer Rasse, hat es die Szenen mit einem zusammengeschlagenen Vater wirklich gegeben?

Das titelgebende Stück "Die mechanischen Löwen" (1980) ist die Theaterfassung jenes Romans, der 1976 für den erwähnten Skandal gesorgt hat, "Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch". Diese Geschichte eines russischen Revolutionärs, begabter Naturwissenschaftler und Ingenieur, aber auch geheimnisvoller Salonlöwe, der unter Stalin in Ungnade gefallen ist und in der Haft gefoltert wird, um irrwitzige Spionage-Geständnisse zu unterzeichnen, entwickelt sich zum "mechanischen" Kampf zweier Optionen, die jener Sozialismus gehabt hätte: eine, die das Individuum respektiert und einbindet, und eine weitere, in der die Doktrin alles, das Individuum nichts ist. Man weiß inzwischen, welche Option den "Sieg" davongetragen hat, und auch Boris Dawidowitsch springt auf der Flucht vor seinen Verfolgern am Ende in ein Becken mit geschmolzenem Stahl.

Im dritten Stück, "Die Holztruhe des Thomas Wolfe" geht es um die merkwürdige Beziehung zweier Männer: beide sind offenkundig Holocaust-Überlebende, allerdings sehr unterschiedlichen Alters. Der alte nimmt den jungen Mann bei sich auf, weil der ein Buch schreiben will, das die Erfahrung des Grauens in einen Text bringen soll. Aber das Buch entsteht nicht, das Drama der beiden Überlebenden wandelt sich zu einem Alltag, der immer profaner wird.

Während der eine zunehmend hinfälliger wird, wartet der andere - Bier trinkend - auf die entscheidende Inspiration (die nicht kommen will). Das nachwirkende Leiden an der Erfahrung, aber auch die daraus resultierende Selbstisolierung der traumatisierten Opfer mischen sich mit der unausweichlichen Banalität des Alltagslebens, und es braucht ein Schockerlebnis - im Stück ist es der Tod des alten Mannes -, damit das befreiende Schmerzensbuch offenbar doch noch entstehen kann.

Das letzte Stück, "Der Papagei" (1970) ist eine Reaktion des Autors auf die Studentenunruhen in Belgrad 1968, die sich gegen die Verbürgerlichung und das Bonzentum der "roten Bourgeoisie" richteten. Mit Mitteln des absurden Theaters wird hier vor allem die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen zum Thema.

In Danilo Kiš´ Theatertexten trifft man auf einen ähnlich sensibel und mit viel Sinn für die Vielschichtigkeit der inneren und äußeren Konflikte der Individuen schreibenden Autor wie in seiner Prosa. Aus naheliegenden Gründen erreichen diese Texte freilich nicht ganz die innere Dichte dieser Prosa. Zugleich gibt es nicht wirklich ein Mehr an theatertauglicher Aktion, was sie als Spielvorlagen gewiss problematisch macht. Dennoch ist diese Publikation aus zwei Gründen zu begrüßen: Von einem modernen Klassiker wie Danilo Kiš muss geradezu auch die "kleinere" Produktion greifbar sein. Und diese "kleinere" Produktion ist hervorragend geeignet als "Einstieg" in die literarische Welt dieses großen Erzählers.


Rezensiert von Gregor Ziolkowski

Danilo Kiš: Die mechanischen Löwen
Aus dem Serbokroatischen von Ilma Rakusa und Peter Urban.
Carl Hanser Verlag, München und Wien 2007, 240 Seiten, 19,90 Euro