Georgien vor der Präsidentenwahl

Clubkultur als ein Zeichen des Aufbruchs

Ein Graffiti mit dem Titel "Verrückte Oma" zeigt an einer Hauswand eine alte Frau, davor stehen mehrere Motorroller.
Graffiti in Tiflis: Was bewegt die junge Generation? © picture alliance / Arco Images / D.Bopp
Von Sabine Stöhr · 25.10.2018
Am Sonntag wird der Präsident Georgiens gewählt – doch die Jungen lässt das kalt. Sie wollen zwar Veränderungen für ihr Land. Diesen Wunsch artikulieren sie aber abseits der Politbühne, indem sie zum Beispiel zu Elektro und Techno feiern.
Musiker stehen an Brücken und unterhalten die vielen Touristen, die flanieren und das weiche Licht genießen. Die georgische Hauptstadt hat viel zu bieten. Sie ist voller grüner Alleen, Hinterhöfe mit fast dörflichem Leben und Straßen aus Kopfsteinpflaster. Die führen vorbei an der besonderen Architektur von Tiflis: Verwinkelte Häuser im Jugendstil, vornedran oft mit Schnitzereien verzierte weiße Balkone, verschnörkelte schmiedeeiserne Tore.
Blick auf Gebäudefassaden von zwei Häusern des 19. Jahrhunderts in der Altstadt von Tiflis
Architektur mit besonderem Charme: Gebäudefassaden in der Altstadt von Tiflis.© picture alliance / Therin-Weise
Überall in der Stadt weht die blaue Europafahne. Die Stadt ist hügelig. Und auf dem höchsten Hügel - die Festung Narikala, die abends in warmem Braungelb leuchtet.

Rauchverbot – Zeichen für Veränderung

Maria lebt gerne in ihrer Stadt. Sie ist 21 Jahre alt und Soziologiestudentin. Wie viele junge Georgier ihres Alters findet auch sie, dass sich Georgien und seine Hauptstadt verändert. Schnell. Das macht sie an Details wie dem Rauchverbot fest:
"Die Stadt entwickelt sich gut, seit einem Jahr oder sogar weniger gibt es für geschlossene Räume ein Rauchverbot. Früher wurde in allen Bars und Cafés immer geraucht. Ich betrachte das als sehr positiv, ein gutes Beispiel dafür, in welche Richtung wir uns bewegen müssen. Natürlich haben diese kleinen Sachen keine große Bedeutung, aber sie sind ein Fortschritt und zeigen die Richtung an."
Und dass ihrer Generation auf Dinge wie "Gleiche Chancen für alle" Wert legt. Das beobachtet Maria auch. Obwohl das wohl noch ein langer Weg ist.
"Für mich ist es sehr wichtig, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, dass alle die gleiche Möglichkeiten haben. Damit jemand, der in einer reichen Familie geboren wurde, keine besonderen Vorteile hat. Meine Generation sieht da schon besser aus im Vergleich mit der davor. Insgesamt sind die Menschen meiner Generation toleranter geworden."

Hungrig auf Neues und auf den Westen

Die 21-jährige Maria glaubt wie viele ihrer Altersgenossen daran, dass die Zeiten besser werden. Und dass ihre Zukunft in Europa liegt. Sie alle sind hungrig auf Neues und wollen die Zeit des Krieges mit Russland und der Entbehrungen hinter sich lassen. In der Hoffnung auf ein stabileres Leben in Georgien.

Was uns jungen Georgiern wichtig ist - Margarete Wohlan spricht mit der 23-jährigen Journalistin Nata Kuchaidze aus Tiflis über ihre Heimat und die anstehenden Präsidentenwahlen - und darüber, was die jungen Georgier eigentlich bewegt und beschäftigt.
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© Deutschlandradio
Das Kaukasus-Land galt schon immer als Brücke zwischen Asien und Europa. Das in seiner schwierigen Geschichte mal unter persische, mal unter russische Herrschaft geriet. Nach der Rosenrevolution im Jahr 2003 war bis vor fünf Jahren Micheil Saakaschwili Staatspräsident. Sein Name ist mit der Abschaffung der Korruption im Land verbunden. Während seiner Regierungszeit hat er die Verwaltung reformiert. Besonders sichtbar war das bei der Polizei, deren Beamte er komplett ausgetauscht hat. Außerdem hat er wichtige politische und wirtschaftliche Reformen durchgeführt. Auf der anderen Seite wurde er immer autoritärer, begann, die Medien zu kontrollieren, Demonstrationen niederzuschlagen und Oppositionelle zu erpressen, erklärt der georgische Politologe Pedr Mamradze:
"Wann auch immer ein Unternehmen erfolgreich war, haben sie versucht, es an sich zu reißen. In Zeiten Saakaschwilis war das recht einfach. Die Unternehmer wurden ins Gefängnis gesteckt, die meisten der Spionage für die Russen angeklagt. Die armen Kerle haben unter Folter, auch sexueller Folter, im Gefängnis spät in der Nacht alles unterschrieben, zum Beispiel dass sie ihr Business, ihr Eigentum, dem geliebten Staat überschreiben als Geschenk."

Geschäftsleute brauchen Schutzherren aus der Elite

Die Alltagskorruption ist jetzt bekämpft, erklärt der Politologe. Aber die Abhängigkeit vieler zum Beispiel Geschäftsleute von Schutzherren aus der Elite, die bestehe weiter. Ein wirksames Gegenmittel wären unabhängige Gerichte, und Rechtsstaatlichkeit konsequent durchzuziehen, fordert Mamradze:
"Die Abhängigkeit von Schutzherren verhindert die wirtschaftliche Entwicklung. Das ist das Hauptthema hier in Georgien. Diese Abhängigkeit bedeutet: Du kannst durch die richtigen Beziehungen eine hohe Position in der Regierung bekommen oder, wenn du ein Unternehmen startest, und ein Familienmitglied, oder ein naher Freund ist stark genug, dich zu beschützen – dann geht es dir gut. Aber in Georgien muss Rechtsstaatlichkeit vorherrschen. Erst dann kann die wirtschaftliche Entwicklung Fahrt aufnehmen. Für einen freien Markt.
Noch aber kommt die Wirtschaft nicht so richtig auf die Beine. In der Landwirtschaft erreicht Georgien die europäischen Standards nur schwer. Außerdem sind viele Frauen im Ausland, als Babysitter oder in der Altenpflege. Auf das Geld, das sie schicken, verlassen sich die Männer, ohne selbst aktiv zu werden, erklärt der Politologe Mamradze.

Die Jungen haben andere Prioritäten

Trotz aller Schwierigkeiten ist Georgien aber das Vorzeigeland im Kaukasus. Es konnte sich vom politischen Einfluss Russlands weitgehend befreien. Anders als Armenien zum Beispiel. Aber natürlich wird das Land im Norden des Südkaukasus durch die Konflikte um Südossetien und Abchasien geschwächt. Zwei Gebiete, die seit zehn Jahren unter russischem Einfluss stehen.
Junge Menschen gehen in Tiflis über die futuristisch gestaltete Friedensbrücke
Junge Menschen auf Friedensbrücke - einem modernen Wahrzeichen von Tiflis© imago / EST&OST
Für die jungen Georgier ist das oder auch die georgische Rosen-Revolution, Demonstrationen, bei denen geschossen wurde, Vergangenheit, erklärt der Schriftsteller Zurab Karumidze. Sein Buch "Dagny oder ein Fest der Liebe" wurde im vergangenen Jahr auch auf Deutsch veröffentlicht. Zurab Karumidze sagt:
"Die Jugendlichen haben jetzt andere Prioritäten. Sie wollen mehr Freiheit. Vor 25 Jahren gab es die Demo für die Unabhängigkeit Georgiens, die am 9. April 1989 aufgelöst wurde. Dabei starben Menschen. Nun haben dort junge Leute Rave getanzt und in Begleitung von dieser elektronischen Musik nach der absoluten Freiheit verlangt. So was war früher unvorstellbar."
Der Schriftsteller bezieht sich auf die Demonstrationen im Mai, als Sondereinheiten in der Technoszene von Tiflis Razzien durchführten. Auf der Suche nach Drogendealern. In Georgien ist Drogenkonsum und Drogenhandel im Gesetz nicht voneinander getrennt. Es gab drakonische Strafen. Beobachter aber vermuten, dass die Razzien eine politische Motivation hatten. Es gehe um eine Richtungsentscheidung zwischen den Traditionellen der Gesellschaft – auch in der Regierung. Außerdem ist die orthodoxe Kirche im Land sehr stark. Und auf der anderen Seite einer liberalen Zukunft. Erklärt auch Michail Stangl, Deutschlandchef der größten Onlineplattform für Undergroundmusik "Boilerroom" und DJ, der eine besondere Verbindung zu Georgien hat:
"Die Umstände, die Art wie die Razzien umgesetzt worden sind, haben darauf verwiesen, dass es um viel mehr ging. Nämlich tatsächlich gezielt und organisiert die Clubszene Georgiens anzugreifen. Dementsprechend war auch die Reaktion der Raver sehr stark, weil man sofort verstanden hat, hier geht es um viel mehr als um ein paar Drogenhändler, die Gras oder Pillen puschen, sondern es geht tatsächlich um die hart erkämpfte Freiheit der Jugend."

Clubs als Treffpunkte für Gleichgesinnte

Die sucht nachts Räume der musikalischen und vor allem der politischen Gleichgesinnung, sagt Michail Stangl: Wo die jungen Leute Themen ansprechen können, die in der Gesellschaft noch keinen Platz gefunden haben. Wie Transsexualität, zum Beispiel, oder in Georgien eben auch Politisches.
"Clubs sind ja nicht nur Orte des Feierns. Clubs sind vor allem soziale Begegnungsstätten. Da sind gerade Clubs die einzigen wenigen sicheren Orte, in denen sich junge Leute, die tatsächlich in die Zukunft blicken, die auch weltoffen, liberal, zum Teil auch europanah sind. Die auch Veränderungen für ihr Land wollen, zusammenkommen können. Das bedeutet: Clubs sind Sammelstätten einer neuen Jugend Georgiens."
Bevor die Clubs am Wochenende in Tiflis öffnen, glühen die jungen Georgier zum Beispiel in der "Fabrika" vor. Ein Kulturzentrum auf dem Gelände einer alten Fabrik in der Stadt, mit Graffiti an Backsteinwänden, Bars und Restaurants im Innenhof. Alles gut bezahlbar.

Angesagte Clubszene hilft auf dem Weg nach Europa

Tako, eine junge BWL-Studentin aus Tiflis, beschreibt die Stimmung nachts in der Hauptstadt so:
"Vor wenigen Jahren konnte ich mir dieses Nachtleben hier so noch gar nicht vorstellen. Es hat sich total entwickelt, wir haben weltbekannte Nachtclubs wie das Bassiani. Ich treffe dort immer Ausländer, die mir sagen, sie kommen extra seinetwegen. Und das hilft uns schon auf unserem Weg nach Europa."
Georgien verändert sich gerade sehr. Vieles ist noch im rohen Zustand. Das hat aber auch Charme. Den Charme von Berlin in den 90ern. Nicht umsonst wird Tiflis oft damit verglichen. Und die jungen Leute hier sind mitreißend international. Sie können viele Fremdsprachen, darunter sehr gut Englisch. Langsam auch wieder Russisch, weil das nicht nur wegen des boomenden Tourismus Verkehrssprache im Land geblieben ist. Junge, auch nicht so ausgebildete Georgier finden Jobs in den vielen Hostels, die wie Pilze aus dem Boden schießen, oder in Cafés. Andere gehen raus aus ihrem Land, studieren in Westeuropa oder reisen zumindest in die großen Städte dort. Sally, ebenfalls BWL-Studentin, findet die Annäherung an Europa sehr wichtig und fasst das so zusammen:
"Ich mag die europäische Kultur und den Lebensstil. Und ich will unsere Werte teilen, weil ich das Gefühl habe, dass wir uns sehr nahe sind. Kulturell."

Aus Angst vor Konsequenzen - Wir haben eine georgische Journalistin gebeten, den Schatten-Mann und Oligarchen Bidsina Iwanischwili, der inoffiziell das Land zu regieren scheint, zu porträtieren. Sie lehnte ab, weil sie Konsequenzen befürchtete. Hier der Brief mit ihrer Begründung – um sie zu schützen, nennen wir nicht ihren Namen, es liest unsere Sprecherin Birgit Paul.
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