Georges Simenon: "Maigret im Haus der Unruhe"

Wie der Pariser Kommissar zum Leben erweckt wurde

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Buchcover zu "Maigret im Haus der Unruhe"
In "Maigret im Haus der Unruhe" gibt es eine Leiche in einem Haus in Montreuil und Maigret begibt sich auf Mörderjagd. © Kampa Verlag
Von Thomas Wörtche · 12.07.2019
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Fans von Kommissar Maigret werden sich freuen: "Maigret im Haus der Unruhe" ist nun als deutsche Erstausgabe erschienen. Ein philologisch interessanter Roman, in dem man viel über die Genese der Maigret-Figur lernt, meint unser Kritiker.
Erfreulicherweise liegt jetzt als deutsche Erstausgabe Georges Simenons "Maigret im Haus der Unruhe" vor. Eigentlich ein Proto-Maigret von 1932, damals noch unter Simenons Nom de Plume George Sim erschienen, aber doch eben der erste "Maigret", noch vor dem bisher als initial geltenden "Pietr der Lette".

Die Genese der Maigret-Figur

In einem gelehrten Nachwort geht der Verleger Daniel Kampa der Genese der Maigret-Figur nach, die hier schon alle ihre Grundelemente hat – Name, Statur, Gepflogenheiten, die Ermittlungsmethode. Maigret hat Nachtdienst am Quai des Orfèvres, draußen wallt der November-Nebel, auf dem Tisch leere Biergläser, eine ruhige Nacht von Samstag auf Sonntag. Bis eine junge vor Kälte zitternde junge Frau vorstellig wird und sich bezichtigt, "gerade einen Mann umgebracht" zu haben. Und dann verschwindet sie wieder in die Dunkelheit. Eine zeitlose Maigret-Standard-Situation, wie wir sie später zigmal zu lesen bekommen.
Maigret-Standard auch, was dann kommt: Der Kommissar ist neugierig geworden und beginnt seinen Job zu machen. Seine Ermittlungen führen ihn zum titelgebenden Haus der Unruhe und damit zu einem von Simenons zukünftigen Lieblingssujets: Ein kleines, begrenztes Soziotop mit dem literarischen Skalpell möglichst feinteilig zu sezieren.
Eine Leiche findet sich in dem Haus in Montreuil, damals eine eher unspektakuläre Gegend, wie sie Simenon immer wieder für seine Exerzitien benutzte, tatsächlich. Und eine anscheinend bunt zusammengewürfelte Schar von Verdächtigen: Eine ätherische junge Frau (die Mörderin?), ein mürrischer Witwer mit aggressivem Temperament, eine undurchsichtige Concierge, ein junger Tunichtgut, eine Art Doppelgängerin, das Opfer ein pensionierter Kapitän und andere petite bourgeoise, wie sie fortan das Universum von Maigret/Simenon zahlreich bevölkern sollten.

Ein konstruierter Plot

Auffällig deutlich vorhanden ist auch schon die Dominanz des Sozial-Psychologischen über den Plot, der, sagen wir, sehr konstruiert ist. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit, die am Anfang mit einem großen Aufwand an Fotografen, Erkennungsdienst und Gerichtsmediziner eher behauptet als ernstgenommen wird, weicht bald der Intuition und dem Genie Maigrets. Und blockiert damit schon von Anfang an die Rezeption der Maigret-Romane als romans policiers, ein Dauermissverständnis bei der Einschätzung von Simenons Kriminalromanen, das sich bis heute hartnäckig hält.
Die Physiologie des Kommissars, ein massiger Mann mit dicken Fingern, die Pfeife, die Vorliebe für Bistros – alles ist schon vorhanden, nur Madame Maigret, die spätere gute Seele im Hintergrund, wird noch eine entscheidende Wende bekommen. Hier, bei seinem vermutlich ersten Auftritt, hat Maigret noch Angst vor ihr. Ein potentieller Konfliktherd, den Simenon später entschärft hat.
"Maigret im Haus der Unruhe" ist ein philologisch interessanter und werkhistorisch wichtiger Roman. Als Maigret-Roman ist er ein Maigret-Roman und das ist schließlich ein Qualitätssiegel.

Georges Simenon: "Maigret im Haus der Unruhe"
übersetzt von Thomas Bodmer
Kampa Verlag, Zürich 2019
219 Seiten, 16,90 Euro

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