George Saunders: "Fuchs 8"
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Luchterhand Literaturverlag, München 2019
56 Seiten, 12 Euro
Wir dürfen das Wilde nicht verdrängen
05:07 Minuten
Der Fuchs, den George Saunders in seiner hinreißenden Erzählung zu uns Menschen sprechen lässt, hadert zwar mit der Rechtschreibung. Aber wie weise er ist! Ein nur äußerlich kleines Buch über große Themen.
Dieses Büchlein ist eigentlich ein Brief, und es ist höchste Zeit, dass uns dieser Brief erreicht. Geschrieben hat ihn ein Fuchs, klar, wir befinden uns schließlich in der Literatur, und hier sind Metamorphosen aller Art möglich. Götter können sich in Stiere und Menschen in Käfer verwandeln, das ist die klassische Verwandlungsrichtung in der Sage und Fabel.
In George Saunders' herrlicher Erzählung "Fuchs 8" wird das Verfahren umgedreht. Ein Fuchs verwandelt sich, nun, nicht gerade in einen Menschen, aber in ein sprechendes Wesen. Wie gelingt dieser Spracherwerb? Das titelgebende Tier hat sich in den Büschen vor den Häusern versteckt und zugehört, wenn die Menschen ihren Kindern Gute-Nacht-Geschichten vorlasen. Irgendwann konnte der Fuchs dann "zimlich gut Mänschisch verstehen", nur "buchstabiren" kann er "nich perfekk".
Korrektur der Folklore
Am so genannten Geschichtenfenster hat er dann auch die eine oder andere Story aufgeschnappt, mit dem traditionellen Rollenprofil des Reineke Fuchs (schlau, gerissen, fies). Das muss korrigiert werden: "Wir legen keine Hüner rein! Wir sind sehr offen und erlich mit Hünern. Mit Hünern haben wir einen super fairen Dil, der get so: Sie machen di Aja, wir nehmen die Aja, sie machen noie Aja. Und manchmal essen wir sogar ein leemdes Hun, falls dises Hun seine Zustimmung zeigt, von uns gegessen zu werden, indem es nich wekloift, wenn wir neer komm."
Aha, so funktioniert das also, es ist wie gesagt wichtig, dass wir, die Menschen diesen Brief jetzt erhalten. Denn es geht in diesem Schreiben nicht nur um die Korrektur der Folklore, es geht um die ganz großen Themen: um Tod und Zerstörung, um politische Verantwortung und die Möglichkeiten des Verzeihens über alle Grenzen, auch die der Spezies hinweg.
Fuchs 8, der Menschenversteher, ist gemeinsam mit seinem Rudel in einer dramatischen Situation. Die Menschen roden seinen Wald, weil sie Platz für ein Einkaufszentrum und einen Parkplatz brauchen. "So weit wir seen können, is alles platt, keine Boime. Wi wir zu unserm Flus trabten, war der auch gans kaputt, aufgrund weil so vil Drekk reingeschwemmt. Genauso kaputt waren di Fische, rürten keine Flosse, kukkten uns nur ler an, so: "Wau, was is da grat pasirt, wir kapirn null."
Linguistisch verwegenes Schreiben
Dieses Unverständnis, eine Mischung aus naivem Staunen und wachsender Skepsis, bestimmt den Grundton der exzellent von Frank Heibert übertragenen Erzählung. Fuchs 8 macht sich gemeinsam mit seinem Freund, Fuchs 7, auf in die Menschensiedlung, um Nahrung zu holen. So kommt ein Entwicklungsroman en miniature in Gang: die Helden erkunden die abenteuerliche Welt der Zweibeiner und zahlen für ihren Forscherdrang einen katastrophal hohen Preis.
Man darf nicht zu viel verraten, nur dies: Fuchs 8 wird sich am Ende alleine durchschlagen, schwer ernüchtert, was das zivilisatorische Potential des Menschen angeht. Dass er darüber nicht zum Fatalisten wird, sondern uns dieses linguistisch verwegene Schreiben vorlegt, als Mahnung, die Umwelt zu schützen und das Fremde und Wilde nicht zu verdrängen, das macht Fuchs 8 zu einem moralisch vorbildlichen Erzähler. Wie schön, dass er in George Saunders, dem berühmten Short-Story-Autor und Man-Booker-Preisträger, ein Sprachrohr gefunden hat.