George Condo: One Hundred Woman
Der US-Künstler George Condo ist mittlerweile seit 20 Jahren ein Begriff in der Kunstszene. Die Kunsthalle Bielefeld zeigt nun seine grotesken, traditionsbewussten, altmeisterlich wie surrealistischen Gemälde.
Aus einem unförmigen Körper mit dekorativer Halskrause wächst ein überlanger, extrem dünner Hals - auf dem sitzt ein viel zu kleiner Kopf mit langer Nase. Ein Frauenporträt? George Condo hat auf seinen Bildern noch sehr viel mehr zu bieten: Glubschaugen, Raubvogel-Physiognomien und aufgequollene, hamsterartige Gesichter. Von einem Gemälde mit furiosem Pinselstrich und fein abgestuften Tönen blickt uns eine Frau mit Nagezähnen entgegen. Die Bielefelder Schau stellt zweifellos die Geschmacksnerven auf eine harte Probe. In den achtziger Jahren verstieg sich Condo sogar zu grellbunten Clownsvisagen auf luftballonförmigen Köpfen. Immer wieder hat er seinen Stil geändert:
"Ich will die psychische Verfassung dieser Frauen aufzeigen, das ist mein Hauptanliegen. Deshalb muss ich auf jeden nur erdenklichen Stil zurückgreifen - die Porträtierten verlangen förmlich danach, sie passen nicht in ein einziges Format. Die Betrachter lachen meist über diese Bilder - und sind zugleich in einem guten Sinne schockiert. Sie sagen: so eben sehen Menschen manchmal aus - nicht unbedingt in ihrer körperlichen Erscheinung, aber in ihrer Mentalität. Ich jedenfalls habe diese Figuren so wahrgenommen - hoffe aber, dass niemand mich auf diese Weise malt."
In den zurückliegenden Jahren gelangen Condo Frauenporträts, die vergleichsweise schön anmuten: beruhigte Kompositionen mit klar fixierten Körpern. Fast erinnern sie an die "Neue Sachlichkeit", aber auch diese Porträts sind ein Stück weit ins Groteske abgerutscht: die Proportionen wirken verzerrt, die Perspektive ist gebrochen, die Augen scheinen von unterschiedlichen Personen zu stammen. Gerade diese Gemälde aber zeigen das malerische Handwerk Condos - denn ein Scharlatan, der einen gutgläubigen Kunstmarkt mit des "Kaisers neuen Kleidern" versorgt, ist der amerikanische Künstler sicher nicht.
Dass Condo auch mit den jüngeren Porträts keinen letztgültigen Stil gefunden hat, belegen andere, zur selben Zeit entstandene Sittenbilder - Sexorgien mit unübersehbaren "Höhepunkten". Condo bleibt eine postmoderne Spielernatur und damit ein Kind seiner Zeit.
Gleich scharenweise sind Interpreten damit beschäftigt, die kunstgeschichtlichen Einflüsse auf seinen Werken nachzuweisen: Entdecken hier eine Anregung von Velazquez und fühlen sich dort an eine Frauenfigur Manets erinnert. Am deutlichsten erscheint das Erbe, wenn Condo Frauengesichter aufspaltet und aus mehreren Perspektiven zeigt. Von Picasso auch ließ er sich zu seinen frühen Skulpturen inspirieren: es sind in Bronze gegossene Assemblagen von Alltagsobjekten. Doch der stilistische Bezugsrahmen Condos ist denkbar weit, reicht von Alten Meistern bis zu Bugs Bunny. An Francis Bacon könnte man bei zwei Gemälden mit aufschreienden Figuren denken. Diese mit Farbsprenkeln überzogenen Werke sind den Opfern des 11. September gewidmet:
"Der 11. September war ein absoluter Schock, weil alles aus dem Nichts kam, ich malte gerade und war wie üblich mit Skulpturen befasst. Aber ich wusste sofort, dass das Klima in Amerika nie mehr so sein würde wie zuvor. Die Landschaft hat sich grundlegend verändert. Ich glaube, fast jeder auf der Erde hat in seinem Kopf eine Explosion gespürt. Als Maler habe ich den Augenblick aufgegriffen und auf die Leinwand gebracht. Dabei ging mein eigenes Entsetzen auf die dargestellten Figuren über, die mit ihren Gesichtern auf das Geschehen reagieren. Für mich als Künstler ist es selbstverständlich, in einer solchen Situation zu handeln."
Auch Köpfe in Goldbronze entstanden nach dem Terroranschlag, darunter eine schreiende Frau. Doch diese Arbeiten wirken fast schon konventionell. Gut zwei Jahrzehnte umfasst die Schau und bezieht sogar Großformate ein mit vielen Figuren und surrealer Erzählung. Durch die Präsentation von Werkgruppen erhält der Besucher einen guten Überblick - spürbar werden zugleich die stilistischen Wechsel. Der Rundgang bietet so harte Schnitte, Kontraste und Schocks.
Condo ist längst ein international gefragter Künstler, der in vielen Sammlungen vertreten ist. Dass er derart erfolgreich sein würde, ahnte er nicht einmal, als er sich einst in der Factory von Andy Warhol seine Tantiemen verdiente.
"Als ich das erste Mal nach New York kam, war ich glücklich, in der Factory arbeiten zu dürfen, wusste von Andy Warhol aber noch nicht soviel. Doch im Laufe der Zeit, als ich dort tätig war, begann ich zu begreifen, wie bewusst und zielstrebig er vorging. Selbst wenn er nicht selber Hand anlegte, konnte er seine Wünsche doch genau darstellen. Und es ging ja nicht bloß um ein einzelnes Werk, sondern immer um Tausende von Arbeiten. Er überschaute riesige Quantitäten und hielt diese Projekte am Leben. Seine Mutter hatte ihm mal gesagt: male doch, was Du möchtest - und er beschäftigte sich mit Campbell-Suppendosen. Das war und ist die für mich wichtigste Erkenntnis: man muss malen, was man wirklich liebt. Sonst hat man seinen Auftrag verfehlt."
Condo tritt ganz unprätentiös auf, geht locker durch die Räume, plaudert und lacht. Es ist wohl die richtige Haltung. Wenn man diese Kunst von übermächtigen Interpretationsgerüsten befreit und auch nicht den Anspruch erhebt, dass mit jeder Ausstellung die Kunstgeschichte neu definiert werden muss, kann die Bielefelder Präsentation bei aller Irritation sogar Spaß machen. Und man schaut den monströsen Frauen entspannt in die Augen.
Service: Die Ausstellung ist vom 19.6. bis zum 14.8.2005 zu sehen.
"Ich will die psychische Verfassung dieser Frauen aufzeigen, das ist mein Hauptanliegen. Deshalb muss ich auf jeden nur erdenklichen Stil zurückgreifen - die Porträtierten verlangen förmlich danach, sie passen nicht in ein einziges Format. Die Betrachter lachen meist über diese Bilder - und sind zugleich in einem guten Sinne schockiert. Sie sagen: so eben sehen Menschen manchmal aus - nicht unbedingt in ihrer körperlichen Erscheinung, aber in ihrer Mentalität. Ich jedenfalls habe diese Figuren so wahrgenommen - hoffe aber, dass niemand mich auf diese Weise malt."
In den zurückliegenden Jahren gelangen Condo Frauenporträts, die vergleichsweise schön anmuten: beruhigte Kompositionen mit klar fixierten Körpern. Fast erinnern sie an die "Neue Sachlichkeit", aber auch diese Porträts sind ein Stück weit ins Groteske abgerutscht: die Proportionen wirken verzerrt, die Perspektive ist gebrochen, die Augen scheinen von unterschiedlichen Personen zu stammen. Gerade diese Gemälde aber zeigen das malerische Handwerk Condos - denn ein Scharlatan, der einen gutgläubigen Kunstmarkt mit des "Kaisers neuen Kleidern" versorgt, ist der amerikanische Künstler sicher nicht.
Dass Condo auch mit den jüngeren Porträts keinen letztgültigen Stil gefunden hat, belegen andere, zur selben Zeit entstandene Sittenbilder - Sexorgien mit unübersehbaren "Höhepunkten". Condo bleibt eine postmoderne Spielernatur und damit ein Kind seiner Zeit.
Gleich scharenweise sind Interpreten damit beschäftigt, die kunstgeschichtlichen Einflüsse auf seinen Werken nachzuweisen: Entdecken hier eine Anregung von Velazquez und fühlen sich dort an eine Frauenfigur Manets erinnert. Am deutlichsten erscheint das Erbe, wenn Condo Frauengesichter aufspaltet und aus mehreren Perspektiven zeigt. Von Picasso auch ließ er sich zu seinen frühen Skulpturen inspirieren: es sind in Bronze gegossene Assemblagen von Alltagsobjekten. Doch der stilistische Bezugsrahmen Condos ist denkbar weit, reicht von Alten Meistern bis zu Bugs Bunny. An Francis Bacon könnte man bei zwei Gemälden mit aufschreienden Figuren denken. Diese mit Farbsprenkeln überzogenen Werke sind den Opfern des 11. September gewidmet:
"Der 11. September war ein absoluter Schock, weil alles aus dem Nichts kam, ich malte gerade und war wie üblich mit Skulpturen befasst. Aber ich wusste sofort, dass das Klima in Amerika nie mehr so sein würde wie zuvor. Die Landschaft hat sich grundlegend verändert. Ich glaube, fast jeder auf der Erde hat in seinem Kopf eine Explosion gespürt. Als Maler habe ich den Augenblick aufgegriffen und auf die Leinwand gebracht. Dabei ging mein eigenes Entsetzen auf die dargestellten Figuren über, die mit ihren Gesichtern auf das Geschehen reagieren. Für mich als Künstler ist es selbstverständlich, in einer solchen Situation zu handeln."
Auch Köpfe in Goldbronze entstanden nach dem Terroranschlag, darunter eine schreiende Frau. Doch diese Arbeiten wirken fast schon konventionell. Gut zwei Jahrzehnte umfasst die Schau und bezieht sogar Großformate ein mit vielen Figuren und surrealer Erzählung. Durch die Präsentation von Werkgruppen erhält der Besucher einen guten Überblick - spürbar werden zugleich die stilistischen Wechsel. Der Rundgang bietet so harte Schnitte, Kontraste und Schocks.
Condo ist längst ein international gefragter Künstler, der in vielen Sammlungen vertreten ist. Dass er derart erfolgreich sein würde, ahnte er nicht einmal, als er sich einst in der Factory von Andy Warhol seine Tantiemen verdiente.
"Als ich das erste Mal nach New York kam, war ich glücklich, in der Factory arbeiten zu dürfen, wusste von Andy Warhol aber noch nicht soviel. Doch im Laufe der Zeit, als ich dort tätig war, begann ich zu begreifen, wie bewusst und zielstrebig er vorging. Selbst wenn er nicht selber Hand anlegte, konnte er seine Wünsche doch genau darstellen. Und es ging ja nicht bloß um ein einzelnes Werk, sondern immer um Tausende von Arbeiten. Er überschaute riesige Quantitäten und hielt diese Projekte am Leben. Seine Mutter hatte ihm mal gesagt: male doch, was Du möchtest - und er beschäftigte sich mit Campbell-Suppendosen. Das war und ist die für mich wichtigste Erkenntnis: man muss malen, was man wirklich liebt. Sonst hat man seinen Auftrag verfehlt."
Condo tritt ganz unprätentiös auf, geht locker durch die Räume, plaudert und lacht. Es ist wohl die richtige Haltung. Wenn man diese Kunst von übermächtigen Interpretationsgerüsten befreit und auch nicht den Anspruch erhebt, dass mit jeder Ausstellung die Kunstgeschichte neu definiert werden muss, kann die Bielefelder Präsentation bei aller Irritation sogar Spaß machen. Und man schaut den monströsen Frauen entspannt in die Augen.
Service: Die Ausstellung ist vom 19.6. bis zum 14.8.2005 zu sehen.