Georg Schramm: SPD hat vergessen, wo sie herkommt

Moderation: Kathrin Heise · 14.07.2008
Der Kabarettist Georg Schramm sieht den aktuellen Niedergang der SPD als Ergebnis ihrer Neuausrichtung auf die Mitte der Gesellschaft. Die SPD habe es allen Recht machen wollen und dabei vergessen, wo sie herkomme, sagte Schramm: "Die SPD weiß im Moment wirklich nicht, wo sie ihr Standbein hat und wo das Spielbein ist."
Katrin Heise: Die SPD verliert Monat für Monat rund 1600 Mitglieder, vielleicht auch demnächst einen ihrer prominentesten Genossen: Wolfgang Clement. Der wird aber nicht ganz freiwillig sein Parteibuch zurückgeben. Am Wochenende begann das parteiinterne Schiedsverfahren gegen den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister. Ein Bochumer Ortsverein will nicht länger einen wie Clement in seinen Reihen haben, einen, der für die Agenda 2010 steht, einen, den sie inzwischen einen bezahlten Lobbyisten der Energie-Industrie nennen. Er solle sich doch eine neoliberale Partei suchen als neue politische Heimat, schrieben sie ihm in einem offenen Brief. Über eine in sich zerrissene SPD, die sich vom Milieu entfernt hat, spreche ich gleich. Er hat Mitleid mit der SPD, sagt der Kabarettist Georg Schramm.
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Der Fall Wolfgang Clement, er zeigt auch, dass die Nerven vieler Genossen blank liegen, das schreibt die "Westdeutsche Zeitung". Die Abrechnung mit der Schröder-Ära und dessen Agenda-Politik sei noch immer nicht abgeschlossen. Hinzu käme der Dauerzoff um Parteichef Beck. Man sehnt sich nach einem klaren Kurs. Jemand, wie der ehemalige Wirtschaftsminister Clement, der sich einmischt ständig und gegenbürstet, der stört da natürlich.

Wie viel Widerspruch kann eine in sich zerrissene SPD noch aushalten? Über das Dilemma der Modernisierung einer Partei spreche ich mit dem vielfach ausgezeichneten Kabarettisten Georg Schramm. Man kennt ihn aus "Neues aus der Anstalt". Man hat über seinen nörgelnden Rentner Dombrowski schon gelacht oder über seinen August, den alten Sozialdemokraten. Herr Schramm, ich grüße Sie recht herzlich!

Georg Schramm: Guten Morgen!

Heise: Haben Sie Mitleid mit der SPD?

Schramm: Ja, tiefes Mitleid. Leider. Soweit ist es gekommen mit der Partei, dass man mit ihr Mitleid hat. Selbst die "Bild"-Zeitung hat jetzt schon Mitleid. Der Niedergang ist in den freien Fall übergegangen.

Heise: Mit wem haben Sie mehr Mitleid, mit Herrn Beck oder mit dem kleinen Ortsvereinsmitglied?

Schramm: Ich habe mit den kleinen Ortsvereinsmitgliedern größeres Mitleid, weil Kurt Beck hat, glaube ich, gewusst, auf was er sich einlässt. Er wollte nicht Parteivorsitzender werden. Er wollte eigentlich aus der Pfalz nicht raus. Er muss geahnt haben, als er damals Platzeck den Vortritt gelassen hat, dass er nicht der Richtige dafür ist. Und, ich glaube, er weiß das. Er hat sich in die Pflicht nehmen lassen, er ist ein braver, tapferer Parteisoldat, das ist ja eine große Auszeichnung in der SPD. Und er ist an seiner Aufgabe groß gescheitert. Man sorgt auch dafür, dass er scheitert, aber er hat auch selber viel dafür getan.

Heise: Das heißt, Sie, Georg Schramm, leiden eigentlich unter der SPD wie ihre Figur August?

Schramm: Ich leide mit, mit der SPD. Ich bin in meinem Inneren ein kleiner hasenherziger ängstlicher Sozialdemokrat. Ich will es zwar nicht wahrhaben, und argumentiere immer gegen an. Aber in meinem tiefsten Inneren leide ich wie ein Hund mit der SPD.

Heise: Wie würden Sie sich denn eine SPD wünschen, oder wie ist die SPD, mit der Sie nicht mitleiden müssen?

Schramm: Ja, wenn sie selbstbewusster und stolzer für sich einen Weg gefunden hätte und nicht ständig versucht hätte, es allen recht zu machen, was nicht geht. Weil dieser tiefe Konflikt, der in unserer Gesellschaft aufreißt jetzt, der aber schon seit 20 Jahren diskutiert wurde, vor 20 Jahren hat man schon gesagt, wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu einer Zwei-Drittel-Gesellschaft werden, bei der ein Drittel einfach fallen gelassen wird, dieser common sense, dass man alle gemeinsam mitnimmt, und dass dieser Konsens aufgekündigt ist, der geht mitten durch die SPD.

Heise: Wie kann man aber alle mitnehmen, in einer Zeit, wo Flexibilität gefragt ist, in einer Zeit, wo jeder in Fünf-Jahres-Rhythmen denken muss?

Schramm: Ja, sagen wir mal so, die denken ja gar nicht im Fünf-Jahres-Rhythmen. Manche denken in Wahlperioden-Rhythmen. Die DAX-Konzerne werden genötigt, in Vierteljahresrhythmen zu denken. Das ist ja geradezu ein Markenzeichen geworden, kurzfristig den schnellen Erfolg zu denken, die ganze Sprache ist kommerzialisiert bei uns, bis hinein ins Liebesleben, wo die Leute nicht mehr Gefühle investieren wollen. So reden ja Leute miteinander. Diese Verwirtschaftlichung und Ökonomisierung unseres ganzen Lebens, dem konnte die SPD alleine sicher nicht standhalten. Und sie wollte nicht abseits stehen und altbacken wirken. Und dann hat sie halt ein Stückchen mitgespielt, was eigentlich nicht übermäßig gut gehen konnte.

Wobei ich damit nicht meine, so Sachen wie demographische Faktoren, dass man das Rentneralter verlängern muss. Dem muss man sich auf jeden Fall stellen. Man kann ja nicht 10 oder 20 Jahre lang immer dazu erzählen, dass die Misere unserer Rentenkasse ausgelöst wurde dadurch, dass Helmut Kohl die ganze deutsche Einheit aus der Rentenkasse bezahlt hat, was ja stimmt. Das hat vier Prozent Rentenbeiträge gekostet, aber das ist nun mal nicht alles.

Ich weiß es nicht. Wenn ich Politiker wäre, wüsste ich es vielleicht. Aber ich sehe eben nur, dass die SPD mithalten wollte und hat vergessen, wo sie herkommt und hat gedacht, dass man die Mitte erobert und dass die kleinen Leute einfach bei der SPD aus Gewohnheit bleiben, das tun sie aber nicht. Und ich glaube, die SPD hat auch nicht erwartet, dass die Schattenseiten der Globalisierung so schnell und so hart erkennbar werden.

Heise: Kann denn eine moderne Partei noch Nestwärme bieten oder ein soziales Netzwerk sein oder es auch nur anbieten, wie die SPD das mal gemacht hat?

Schramm: Ja, das ist eine gute Frage. Die sogenannten Politologen oder Parteienforscher, wie die sich nennen, die sagen ja, das geht gar nicht mehr. Das ist möglich, dass das nicht mehr geht, weil eine Gruppe, die Kerngruppe der Sozialdemokratie, der Arbeiter, zerfällt ja auch. Von daher ist das eine logische Konsequenz. Aber die SPD weiß im Moment, habe ich so das Gefühl, wirklich nicht, wo sie ihr Standbein hat und wo das Spielbein ist.

Heise: Das Schicksal der SPD im "Radiofeuilleton", dazu der Kabarettist Georg Schramm. So Namen wie Hubertus Heil, Andrea Nahles, Nils Annen, Björn Böhning, die jungen Genossen und Genossinnen. Ist das für Sie SPD?

Schramm: Das ist sicher auch SPD. Aber, ich meine, wenn man Hubertus Heil sieht, welchen Esprit der versprüht, das ist erschütternd. Wobei das ja eine Tradition hat, gucken Sie sich den Benneter an, der Generalsekretär, Generalsekretäre von Parteien, man hat immer so das Gefühl, das will keiner machen und dann wird einer genommen, der gerade nicht da ist. Und dem sagt man, du machst das mal. Hubertus Heil, der kann ja niemanden beflügeln. Und Andrea Nahles kann auch niemanden beflügeln, die kann ja nichts für ihre Stimme. Obwohl man ja sagt, ab 40 ist man für sich selber und seine Sprache verantwortlich. Für die Außenwirkung der SPD sind solche Leute verheerend.

Heise: Wobei es ja nicht nur im Esprit geht, sondern vor allem doch auch um die Seele, die offenbar nicht mehr bedient wird?

Schramm: Ja, ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich kann bei Andrea Nahles die Seele nicht so spüren. Der Letzte, bei dem ich das wirklich gespürt habe, ist Franz Müntefering gewesen, bei dem war das spürbar. Und sagen wir mal, ich kenne ja niemanden von denen persönlich. Bei Franz Müntefering war das in den Medien transportabel, sagen wir mal so. Es wird sicher eine Menge Sozialdemokraten geben, die eine Seele haben und die auch noch einen Kern dessen ausmachen, was schützenswert wäre, aber die unter Umständen das über die Medien nicht rüberbringen können. Und man muss auch noch ganz nüchtern betrachten, dass die klassische deutsche Medienlandschaft ja beherrscht ist von Nichtsozialdemokraten und von Leuten, für die Kurt Beck ein gefundenes Fressen ist.

Heise: Wenn Sie in einer Improvisation so einen jungen Sozialdemokraten mimen sollten, wie wäre der denn?

Schramm: Kann ich nicht. Dann hätte ich es schon gemacht. Ich kann das nicht. Wissen Sie, sonst hätte ich es schon längst probiert. Ich lande bei der Sozialdemokratie immer bei einem Charakter wie der meines Vaters, ein alter Sozialdemokrat, der die Welt nicht mehr richtig versteht, weil sie sich verändert hat und ein Arbeiter versteht das nicht mehr, was da passiert.

Heise: Ja, aber der eben auch von gestern ist.

Schramm: Nein, nein, entschuldigen Sie, der lebt noch. Das ist so, das darf man nicht außer Acht lassen. Im Fernsehen gilt in der offiziellen Sprache die Gruppe der Fernsehzuschauer unter 50 Jahren als marktrelevante Zielgruppe. Und die über 50 sind nicht mehr marktrelevant, was erst mal sachlich falsch ist, weil die Alten haben für ein paar Jahre noch ordentlich Geld, um den Markt zu bedienen, das wird nicht kapiert. Aber für die allgemeine Stimmung sind sie nicht mehr relevant, die Alten, da zählen sie nicht mehr, da sind sie schon aussortiert. Insofern gebe ich Ihnen recht. Aber die leben ja alle noch. Bedenken Sie, die dürfen sogar noch wählen. Die dürfen ja sogar noch Auto fahren. Da sorgt der ADAC dafür. Die sind aber für das Wirtschaftsleben nicht mehr relevant. Da haben Sie recht.

Heise: Wir haben darüber gesprochen, dass Strukturen eben so nicht mehr vorhanden sind, wie die, auf die die SPD mal gebaut hat, das ist, Nestwärme zu vermitteln oder ein soziales Netzwerk zu knüpfen, dass das irgendwie im Moment alles gar nicht mehr geht. Gleichzeitig sucht der moderne Mensch, der Mensch in Zeiten des allgemeinen Wettbewerbs natürlich genauso nach Solidarität und Strukturen. Wer kann ihm das denn bieten?

Schramm: Im Moment niemand. Im Moment gehen die Leute als Protestwähler und wählen die Linke, die überhaupt kein Programm hat, keins, dass den Namen verdient hätte und sie wählen aus Protest. Wie die SPD die wieder kriegen kann, ist mir ein Rätsel. Ich weiß es nicht, ich kann es Ihnen absolut nicht sagen.

Heise: Man organisiert sich vielleicht in kleinen Stadteilgruppen, man organisiert sich gegen etwas als Protestgruppe, wie Sie es auch gesagt haben.

Schramm: Und hört dann wieder auf nach ein paar Wochen.

Heise: Genau. Bei diesen flexiblen Engagements, wo bleibt da die große umfassende Idee?

Schramm: Ich sehe sie nicht. Ich glaube, die große umfassende Idee ist im Moment bei vielen Leuten spürbar, aber nur als Negatives, als etwas Fehlendes. Und Solidarität ist ein Begriff, da verzieht jeder in der FDP sofort das Gesicht. Das ist ja völlig kontaminiert. Solidarität, das ist was aus dem 20. Jahrhundert. Das haben wir im 21. Jahrhundert nicht mehr. Das gilt als veraltet. Ich sehe nur, dass die Leute spüren, es fehlt etwas, es kommt etwas ab. Es geht etwas weg und es ist etwas abhanden gekommen.

Heise: Kann man sich bei solchen Widersprüchen in der Gesellschaft, bei solchen Widersprüchen im Leben dann nur noch kabarettistisch dem gegenüber äußern, oder engagieren Sie sich zum Beispiel?

Schramm: Ich engagiere mich nebenbei, wobei ich bin ja früher auch gewerkschaftlich aktiv gewesen, als ich noch einen normalen Beruf hatte, habe ich im Betriebsrat und in der ÖTV aktiv mitgearbeitet, gemerkt habe, dass mir da oft der Atem ausgeht, die Puste verliere und keine Lust mehr hatte. Als Kabarettist ist man auf der ironischen Seite, und da ist es leichter. Ich denke, dass die Leute, die jeden Tag an Ort und Stelle sitzen und manche Sachbearbeiter in der Job-Agentur oder in der Arbeitsagentur, dass die einen harten Job haben und selbst wenn sie guten Willens sind, manchmal verzweifeln an dem, was sie als eigentliche Aufgabe und als Vorgabe kriegen. Da ist so ein langer Atem angesagt, und ich glaube, vor dem habe ich mich in meinem Leben das eine oder andere Mal schon ein bisschen gedrückt.
Der Kabarettist Georg Schramm
Der Kabarettist Georg Schramm© AP Archiv