Buch über Yad Vashem

Ein Ort der Konfrontation und des Verstehens

10:39 Minuten
Die Halle der Namen in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem, in der unzählige schwarz-weiß Fotos und Daten von Holocaust-Opfern dicht and dicht an der Wand befestigt sind
Die Halle der Namen in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem. © picture alliance/dpa/Fabian Sommer
Von Brigitte Jünger · 12.08.2022
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Georg Rössler ist Reiseleiter in Israel. Deutsche Touristen zeigen beim Besuch von Yad Vashem oft Abwehr, so seine Erfahrung. In dem Buch "Nicht für Deutsche...? Yad Vashem als Ort und Wirklichkeit" erklärt er, worum es bei der Gedenkstätte geht.
Ein Buch mit dem Titel "Nicht für Deutsche...?"  – und dann geht es um Yad Vashem, die weltweit größte Holocaust-Gedenk- und Forschungsstätte in Jerusalem. Da ist Deutschland doch immer automatisch mit im Spiel, ohne dass es extra genannt werden müsste! Genau diesen Ansatz greift der Reiseleiter Georg Rössler aus Jerusalem auf.
"Wir Deutschen, da begreife ich mich absolut selber auch als
Deutscher, kommen jetzt zu dieser nationalen Gedenkstätte Yad Vashem mit diesem leichten inneren Vorbehalt oder auch Verdacht, dass diese nachtragenden Juden dieses monströse, große Gebäude, diese große Einrichtung eigentlich extra für die Deutschen haben entstehen lassen, damit diese deutschen Besucher sich dann auch endlich mal ordentlich schlecht fühlen", sagt Rössler.
Das jedenfalls sei das Ergebnis vieler Gespräche mit deutschen Touristen in Israel gewesen. Diese würden mit wenigen Ausnahmen immer mit einem doch etwas mulmigen Gefühl nach Yad Vashem gehen. "Jetzt wird Ihnen noch mal ordentlich die Geschichte aufs Brot geschmiert."
Georg Rössler kennt diese Besucher gut, denn er hat schon Hunderte von ihnen in den vergangenen 30 Jahren durch Israel und auch nach Yad Vashem geführt. Als Student der jüdischen Wissenschaften ist er 1988 nach Israel gekommen, hat seine Frau kennengelernt und ist geblieben.

Die deutsche Schuld

Schon ziemlich bald hat er sich nicht nur mit Konfliktforschung befasst, sondern auch als Reiseführer gearbeitet. Wenn er mit Reisegruppen unterwegs ist, bereitet er sie immer in besonderer Weise auf den Besuch in Yad Vashem vor.
"Vor einer Führung frage ich die Leute einfach: Was glauben Sie denn, was jetzt auf Sie zukommt? In unterschiedlichen Nuancierungen sagen dann fast alle das Gleiche, egal ob jung oder alt. 'Jetzt begegnen wir der deutschen Geschichte und erleben noch einmal, was da passiert ist. Wir freuen uns eigentlich nicht auf das, was uns da jetzt angeboten wird.'
"Als Deutsche hat man diese historische Verantwortung hinter sich, auf sich, in sich", sagt die Besucherin Hilde Naurath, obwohl sie, in den späten 1960er-Jahren geboren, ein Schuldgefühl eigentlich nicht haben müsste. Als Deutscher entkommt man der eigenen Geschichte nicht. Wie man damit umgehen soll, das muss jeder selbst herausfinden.

Sich selbst nicht so wichtig nehmen

Wer nach Yad Vashem kommt, sollte sich erst einmal selbst nicht so wichtig nehmen, empfiehlt Georg Rössler. Die Holocaust-Gedenkstätte ist 1953 gerade nicht gegründet worden, um die Deutschen an den Pranger zu stellen.
"Yad Vashem möchte ja die Erinnerung an die Opfer wachhalten. Es geht ja auch um die Familien, dass die einen Ort haben, wo sie ihre Trauergebete sprechen können und wo sie ihrer Familien gedenken können. Yad Vashem ist nicht der Ort für deutsche Schuld", sagt Karin Dengler. Sie arbeitet seit Anfang der 1990er-Jahre im Referenzbereich von Yad Vashem und unterstützt Besucher, Material über ihre Familienangehörigen im Archiv zu finden. Auch auf der israelischen Seite gebe es diese Schuldfrage, sagt Karin Dengler.
"Weil sich die Familien immer schuldig fühlen, dass sie überlebt haben und andere Familienangehörige nicht. Auf der israelischen Seite würde man auch versuchen, nicht auf diese Schuldschiene zu kommen."

Für Juden aus aller Welt

Yad Vashem sei eben nicht für Deutsche, auch nicht für Schweizer, auch nicht für Thailänder, betont Reiseleiter Georg Rössler. "Sondern es ist ein Ort, wo Juden aus aller Welt und dann stellvertretend für Juden aus aller Welt, jüdische Menschen im Staat Israel erst einmal die Gelegenheit bekommen, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Was dann uns als deutsche Besucher zu ganz normalen Besuchern macht, die erst einmal nachvollziehen wollen, wie die Mentalität in diesem Land Israel auf der jüdischen Seite funktioniert."
Früher seien die Holocaust-Überlebenden noch präsent gewesen, sagt Karin Dengler, "und haben versucht, mit ihrer Trauer umzugehen". Im letzten Jahrzehnt gehe es mehr und mehr um Familienforschung. "Das ist ja im jüdischen Kontext viel prominenter als in Deutschland, dass man so eine Familienzusammengehörigkeit hat."

Die jüdische Geschichte besser verstehen

Jüdische Geschichte, jüdisches Denken und den jüdischen Staat besser zu verstehen, dazu liefert das Buch von Georg Rössler enorm gute Hilfestellungen, und zwar gerade für Deutsche. Ohne zu belehren oder mit Informationen zu überfrachten, thematisiert der Autor in 42 kurzen Kapiteln eine ganze Bandbreite von historischen, religions- und sozialgeschichtlichen Aspekten. Die Geschichte der Judenfeindschaft seit der Antike hat darin ebenso einen Platz, wie der biblische Hiob oder die große Frage nach dem Warum. Denn diese Frage stelle sich allen, so Georg Rössler. "Auch die Hilflosigkeit gegenüber unerklärlichem, übermäßigen Leiden stellt sich für junge Leute natürlich ganz genauso."
Geschickt und auch hier wieder provokativ benutzt Rössler in seinen Kapitelüberschriften Vorurteile und kurzsichtige Blicke auf Israel und den jüdischen Staat, um anschließend deutlich zu machen, worauf solche Äußerungen basieren. Warum zum Beispiel spielen das Sicherheitsdenken und die Armee – die Deutsche regelmäßig irritieren – in Israel eine so große Rolle? "Für junge Deutsche, aber für Deutsche allgemein, ist es eine Staatsräson geworden, zu sagen: Wir sind Kinder und Erben des Dritten Reiches, übrigens auch staatsrechtlich geworden. Und als solche wollen wir nie wieder Krieg, nie wieder Deutschland und deutsche Menschen als Aggressoren", sagt Georg Rössler.

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"Und wenn jetzt Juden und stellvertretend hier der jüdische Staat sagt: Nie wieder. Dann sagen sie eben: Nie wieder Opfer und gebrauchen die Erfahrung der Shoah als abschließenden Beweis dafür, dass nur ein eigener souveräner, autonomer jüdischer Staat in der Lage ist, jüdische Menschen im Lande selber, aber auch in der ganzen Welt schützen und schützend aufnehmen zu können. Nie wieder Täter, nie wieder Opfer. Das geht natürlich nur ganz schwer zusammen, weswegen die beiden Seiten im Dialog erst einmal sehr viel Empathie aufbringen müssen, um die jeweils andere Seite in ihrer Herkunft zu begreifen."
Rösslers Buch leistet auf dem Weg zu diesem Verständnis einen wertvollen Beitrag. Auf 245 Seiten konzentriert er seine Fragen an die Geschichte und die Gegenwart, spart auch den unendlichen Konflikt im Nahen Osten nicht aus und wirbt dafür, sich der eigenen Vorbehalte bewusst zu werden, sie aber auf die hinteren Plätze zu verweisen.

Empathie für die Andersartigkeit des Anderen

Als Friedensaktivist, der seit den 1990er-Jahren deutsch-israelische Austauschprojekte geleitet und Anfang 2000 die Organisation "SOS Gewalt – Zentrum für Friedenspädagogik" gegründet hat, ist Georg Rössler mit den Mechanismen von Gewalt und ihrer Überwindung bestens vertraut.
In seinem Buch wirbt er um Empathie für die Andersartigkeit des Anderen, und zeigt uns Yad Vashem als einen Ort, an dem man den manchmal irritierenden Besonderheiten und Befindlichkeiten Israels näherkommen kann.

Georg Rössler: "Nicht für Deutsche? Yad Vashem als Ort und
Wirklichkeit"
Aphorisma Verlag, 245 Seiten, 30 Euro

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