Genuss

Eat, don't talk!

Auf dem Teller ist Hummer auf grünem Apfelgelee mit Kaviar angerichtet. Im Restaurant St. Hubertus in St. Kassian zaubert Sternekoch Norbert Niederkofler diese und andere Köstlichkeiten für seine Gäste. Undatierte Aufnahme.
Im New Yorker Restaurant "Eat" wird gegessen - und geschwiegen. © dpa / Udo Bernhart
Von Alexandra Wrann · 17.01.2014
Ohne Handyklingeln, ohne Gequatsche, ohne Musikberieselung - beim "silent dinner" in einem New Yorker Restaurant widmen sich die Gäste schweigend und in aller Ruhe ihrem Essen.
In schwarzer Schürze, auf dem Kopf eine neongrüne Wollmütze, steht Köchin Eva Schmidt vor dem großen elektrischen Mixer und schmeckt die Vorspeise für das heutige Menü ab.
Sie nickt zufrieden. Die Kürbiscremesuppe ist perfekt gelungen. Es ist 18:30 Uhr. Noch eine halbe Stunde hat sie Zeit, um zu mixen, zu schnippeln und zu brutzeln, dann kommen die ersten Gäste. Und dann heißt es: Ruhe bitte! Denn am heutigen Sonntagabend serviert die 30-Jährige den Gästen im New Yorker Restaurant "Eat", in Brooklyns Stadtteil Greenpoint, ein "silent dinner". Genießen und schweigen lautet dabei die Devise.
"Meiner Meinung nach sehen wir Essen schlichtweg nicht als das, was es sein kann, nämlich eine tiefgründige Sinneserfahrung. Ich denke daher, wenn wir uns erst einmal zwingen still zu sein, anstatt am laufenden Band zu reden, dann sind wir auch offen für eine neue Art der Wahrnehmung."
Der junge Mann im grauen Leinenhemd und mit verwuschelten Haaren ist der Chef des Restaurants mit ungefähr 30 Plätzen. Nicholas Naumann ist erst 28 Jahre alt, Essen ist seine Leidenschaft. Als Vegetarier hat er früh gelernt, selbst zu kochen und Lebensmittel wertzuschätzen.
Fastfood-Ketten sind für ihn ein Übel. Ein Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster, wo regelmäßig schweigend gefrühstückt wird, hat ihn letztlich im Herbst letzten Jahres zum "silent dinner" inspiriert. Ohne Handyklingeln, ohne Gequatsche, ohne Musikberieselung.
Der Raum füllt sich, die Gäste nehmen an der langen Tafel aus dunklem, unbehandeltem Holz Platz. 40 Dollar, etwa 30 Euro, kostet das Vier-Gang-Menü. Chef Naumann erklärt, was es heute Abend gibt.
"Auf die Kürbiscremesuppe folgt ein Rohkostsalat, als Hauptgang gibt es wahlweise einen Flunder-Eintopf oder ein vegetarisches Gericht aus geschmorten roten Bohnen, Rosenkohl und einem Kohlrabi-Kartoffel-Püree mit Zimt. Die Gäste haben gewählt."
Naumann bittet alle, ihre Handys auszuschalten. Ab jetzt wird geschwiegen.
Hausgemachtes Brot landet auf dem Tisch, Tonkrüge mit Leitungswasser werden herumgereicht, man schenkt sich gegenseitig ein. Wortlos, nur per Augenkontakt, Kopfnicken und Handzeichen verständigen sich die Gäste.
Auch in der Küche herrscht Stille
Auch in der Küche herrscht nun Schweigen. Der kleine, enge Kochbereich schließt direkt an den Gastraum an. Lautes Geschirr-Geklapper oder Kommando-Zurufe wie sonst in Restaurant-Küchen üblich, würden stören. Nicholas Naumann und seine Kollegin sind ein eingespieltes Team, wenige Blicke und Gesten genügen und Köchin Eva weiß, wie sie die Teller anrichten, die Speisen portionieren soll.
Chef Naumann serviert Vorspeise, Zwischengang, Hauptspeise. Mit geschlossenen Augen lehnt sich eine ältere Frau im beigefarbenen Wollpullover zurück und kaut genüsslich. Neben ihr am Tisch tauschen ein junger Mann mit Hut und seine Begleitung Zettelchen aus, sie glucksen und kichern, das Lachen können sich die beiden nur schwer verkneifen.
Einen Gang später, nach der Apfel-Tarte zum Dessert, werden sie erlöst. Chef Naumann räumt die Teller ab. Zweieinhalb Stunden Schweigen sind vorbei. Es darf wieder gesprochen werden.
Libby Reid, die Frau im Wollpulli, lächelt noch immer selig. Das Essen in völliger Stille war für die 61-Jährige aus New Jersey eine neue Erfahrung.
"Ich hab es sehr genossen, einfach nur dazusitzen und mich auf das Essen zu konzentrieren. Ich lebe alleine, und esse oft allein. Dabei läuft entweder das Radio oder ich lese etwas, beschäftige mich immer mit anderen Dingen während ich esse. Von daher war es spannend, mal nichts anderes zu tun als dazusitzen und zu essen."
Dass nicht alle so andächtig genießen, das ist für Gastronom Naumann kein Problem:
"Die Gäste sind jede Woche anders. Es gibt welche, die nehmen die Sache sehr ernst, verziehen keine Miene während sie essen. Dann gibt es wieder welche, die albern die ganze Zeit herum, und versuchen um jeden Preis die Grenzen auszutesten. So richtig gestört hat aber noch niemand."
Am anderen Ende der Tafel sitzt Molly Byrnes. Die 30-Jährige mit den langen, kastanienbraunen Haaren ist nur durch Zufall hier gelandet, vom "silent dinner" wusste sie nichts, als sie zur Tür hereinkam. Auch sie hat das Essen heute viel intensiver wahrgenommen:
"Es war einfach toll, in mir kamen so viele Erinnerungen hoch, zum Beispiel als ich die roten Bohnen probierte. Ein guter Freund hat mir die auch immer gekocht, im Sommer vor zwei Jahren, und mir stolz serviert, daran musste ich denken, an meinen Freund und seine roten Bohnen. All diese Erinnerungen, das war wirklich super."
In der Küche wird unterdessen weiter gearbeitet: Teller, Besteck, Tassen, Töpfe und Pfannen wollen gespült werden - per Hand, einen Geschirrspüler gibt es in dem kleinen Restaurant nicht. Das laute Geklapper stört nun niemanden mehr.
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