Genug Schwarz-Rot-Gold
Ich bitte um Nachsicht. Lassen Sie endlich die deutschen Fahnen in den Schubladen verschwinden. Ich leide an einer Überdosis Schwarz-Rot-Gold. Und hören Sie damit auf, jenes ein wenig platte sentimentale Gefühl zu nähren, das uns glauben machen möchte, die Fußball-Weltmeisterschaft habe quasi über Nacht ein Volk guter und völlig entspannter Patrioten geschaffen.
Schluss mit dem chronischen Selbsthass, Schluss mit den Selbstzweifeln und der zwanghaften Erforschung des eigenen Innern, Ende mit dem Mangel an Selbstvertrauen und dem systematischen Verdacht gegenüber allem, das auch nur im entferntesten an das Gefühl von Nationalstolz erinnert. Die Deutschen, so möchte man uns glauben machen bei allen den Jahresrückblicken, die gerade liefen, sind binnen eines Sommers von der Leichtigkeit des Seins gepackt worden – sind sie es wirklich?
Gewiss, die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder das neue, normalisierte Gesicht Deutschlands auf der internationalen Bühne präsentiert: Deutschland schickt seine Soldaten im Rahmen von friedensschaffenden Maßnahmen in die Welt hinaus, es verlangt einen Sitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen, ein selbstsicheres Deutschland entscheidet, dem amerikanischen Freund nicht in den Irak-Krieg zu folgen. Das Land emanzipiert sich, es entwickelt Selbstvertrauen. Heute tun sich die jungen Deutschen, das ist wahr, mit ihrer Identität leichter. Sie sind stolz darauf, Deutsche zu sein und wagen dies laut zu sagen. Die neuste SHELL-Jugendstudie bestätigt dies im übrigen: Zitat: "Die jungen Deutschen haben eine entwickelte Kritikfähigkeit. Sie werden weder zur Beute eines Hurra-Patriotismus noch sind sie durch einen Komplex gestört. Sie geraten durch nationalistische Ideologien nicht in Versuchung". Wie oft bemalen dagegen die Briten ihre Wangen mit dem Union Jack für die letzte Nacht der Proms. Und wer würde es den Franzosen versuchen, auszureden mit ihren kleinen Tricolore-Fähnchen am 14. Juli auf den Champs Elysées zu wedeln? Alles was als normal und sympathisch für die anderen Europäer galt, sollte für die Deutschen nicht gelten. Und natürlich hatten die Deutschen Recht, als sie im letzten Sommer revoltierten und ihrerseits die Fahnen hervorholten.
Das In-Sich-Selbst-Verliebtsein ist in Mode. Plötzlich entdecken die Deutschen mit Erstaunen die Bedeutung der Pünktlichkeit und den Respekt für Ordnung, jene typischen deutschen Tugenden, die man noch vor kurzem für überholt und kleinbürgerlich hielt. "Das Beste an Deutschland", ein Buchtitel, den Florian Langenscheidt im letzten Frühling herausbrachte, zählt "250 Gründe auf, unser Land heute zu lieben". Die Aufzählung reicht von der kleinen blauen Dose Nivea-Creme über die Brezel bis hin zu den Anzügen von Hugo Boss und Boris Becker, Mercedes-Benz, die Autobahnen und die getrennte Müllbeseitigung. Linke Journalisten, die über jedem Verdacht stehen, nationalbewusst zu sein, geben Liebeserklärungen an ihr wiederentdecktes Land ab und sagen, sie seien gern Deutsche. Und dann gibt es schließlich diese enorme Kampagne "Deutschland, Land der Ideen", lanciert von der Bundesregierung und deutschen Unternehmen, um Investoren anzuziehen.
Dennoch kann man sich bislang des Eindrucks nicht erwehren, dass die Deutschen ein wenig zuviel des Guten getan haben. Zu viele Anstrengungen, zu überzeugen, zu viele Versuche der Verführung zu viele Fahnen in Schwarz-Rot-Gold... Diese gewaltige Orgie des Patriotismus ist mir am Ende suspekt. Stellen Sie sich vor, die britische Regierung startet eine Kampagne der Selbst-Promotion nach dem Motto "Großbritannien, das Land der Ideen", um die großen Konzerne weltweit an die herausragenden Qualitäten des grünen Albion zu erinnern? Stellen Sie sich einen französischen Verleger vor, der einen Katalog der 250 guten Gründe entwickelt, Frankreich zu lieben: die Reifen von Michelin, den Senf von Dijon, die Kostüme von Coco Chanel, die Autos von Peugeot und die Rotwein-Karaffe auf dem Tresen des Café du Commerce? Nein, das führt zu nichts. Briten und Franzosen, zu Recht oder zu Unrecht, mögen sich selbst. Ihr Patriotismus ist augenscheinlich. Sie haben es nicht nötig, irgendetwas in dieser Richtung ihren Nachbarn zu beweisen. Daher ist eines sicher: die Art, in der die neuen deutschen Patrioten der gesamten Welt ihre Selbstliebe zeigen wollen, ist das ziemliche Gegenteil von Entspanntsein. Ein Patriotismus, der derartig inbrünstig proklamiert wird, kommt nicht aus sich selbst. Die Niveacreme, die getrennte Müllbeseitigung, und das Lob der Pünktlichkeit können nur wenig daran ändern: die Deutschen werden nur dann wirklich "normal" und glücklich sein, Deutsche zu sein, wenn sie damit aufhören, sich den Kopf über sich selbst zu zerbrechen.
Pascale Hugues, gebürtige Elsässerin, war von 1986 bis 1989 Korrespondentin der Tageszeitung "Libération" in Großbritannien, danach bis 1995 in Deutschland. Sie lebt seit 1995 in Berlin und schreibt regelmäßig für das Wochenmagazin "Le Point" sowie die "taz" und den Tagesspiegel.
Gewiss, die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder das neue, normalisierte Gesicht Deutschlands auf der internationalen Bühne präsentiert: Deutschland schickt seine Soldaten im Rahmen von friedensschaffenden Maßnahmen in die Welt hinaus, es verlangt einen Sitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen, ein selbstsicheres Deutschland entscheidet, dem amerikanischen Freund nicht in den Irak-Krieg zu folgen. Das Land emanzipiert sich, es entwickelt Selbstvertrauen. Heute tun sich die jungen Deutschen, das ist wahr, mit ihrer Identität leichter. Sie sind stolz darauf, Deutsche zu sein und wagen dies laut zu sagen. Die neuste SHELL-Jugendstudie bestätigt dies im übrigen: Zitat: "Die jungen Deutschen haben eine entwickelte Kritikfähigkeit. Sie werden weder zur Beute eines Hurra-Patriotismus noch sind sie durch einen Komplex gestört. Sie geraten durch nationalistische Ideologien nicht in Versuchung". Wie oft bemalen dagegen die Briten ihre Wangen mit dem Union Jack für die letzte Nacht der Proms. Und wer würde es den Franzosen versuchen, auszureden mit ihren kleinen Tricolore-Fähnchen am 14. Juli auf den Champs Elysées zu wedeln? Alles was als normal und sympathisch für die anderen Europäer galt, sollte für die Deutschen nicht gelten. Und natürlich hatten die Deutschen Recht, als sie im letzten Sommer revoltierten und ihrerseits die Fahnen hervorholten.
Das In-Sich-Selbst-Verliebtsein ist in Mode. Plötzlich entdecken die Deutschen mit Erstaunen die Bedeutung der Pünktlichkeit und den Respekt für Ordnung, jene typischen deutschen Tugenden, die man noch vor kurzem für überholt und kleinbürgerlich hielt. "Das Beste an Deutschland", ein Buchtitel, den Florian Langenscheidt im letzten Frühling herausbrachte, zählt "250 Gründe auf, unser Land heute zu lieben". Die Aufzählung reicht von der kleinen blauen Dose Nivea-Creme über die Brezel bis hin zu den Anzügen von Hugo Boss und Boris Becker, Mercedes-Benz, die Autobahnen und die getrennte Müllbeseitigung. Linke Journalisten, die über jedem Verdacht stehen, nationalbewusst zu sein, geben Liebeserklärungen an ihr wiederentdecktes Land ab und sagen, sie seien gern Deutsche. Und dann gibt es schließlich diese enorme Kampagne "Deutschland, Land der Ideen", lanciert von der Bundesregierung und deutschen Unternehmen, um Investoren anzuziehen.
Dennoch kann man sich bislang des Eindrucks nicht erwehren, dass die Deutschen ein wenig zuviel des Guten getan haben. Zu viele Anstrengungen, zu überzeugen, zu viele Versuche der Verführung zu viele Fahnen in Schwarz-Rot-Gold... Diese gewaltige Orgie des Patriotismus ist mir am Ende suspekt. Stellen Sie sich vor, die britische Regierung startet eine Kampagne der Selbst-Promotion nach dem Motto "Großbritannien, das Land der Ideen", um die großen Konzerne weltweit an die herausragenden Qualitäten des grünen Albion zu erinnern? Stellen Sie sich einen französischen Verleger vor, der einen Katalog der 250 guten Gründe entwickelt, Frankreich zu lieben: die Reifen von Michelin, den Senf von Dijon, die Kostüme von Coco Chanel, die Autos von Peugeot und die Rotwein-Karaffe auf dem Tresen des Café du Commerce? Nein, das führt zu nichts. Briten und Franzosen, zu Recht oder zu Unrecht, mögen sich selbst. Ihr Patriotismus ist augenscheinlich. Sie haben es nicht nötig, irgendetwas in dieser Richtung ihren Nachbarn zu beweisen. Daher ist eines sicher: die Art, in der die neuen deutschen Patrioten der gesamten Welt ihre Selbstliebe zeigen wollen, ist das ziemliche Gegenteil von Entspanntsein. Ein Patriotismus, der derartig inbrünstig proklamiert wird, kommt nicht aus sich selbst. Die Niveacreme, die getrennte Müllbeseitigung, und das Lob der Pünktlichkeit können nur wenig daran ändern: die Deutschen werden nur dann wirklich "normal" und glücklich sein, Deutsche zu sein, wenn sie damit aufhören, sich den Kopf über sich selbst zu zerbrechen.
Pascale Hugues, gebürtige Elsässerin, war von 1986 bis 1989 Korrespondentin der Tageszeitung "Libération" in Großbritannien, danach bis 1995 in Deutschland. Sie lebt seit 1995 in Berlin und schreibt regelmäßig für das Wochenmagazin "Le Point" sowie die "taz" und den Tagesspiegel.