Gentherapie, Hirnschrittmacher und Roboter

Kann Würde technisch veredelt werden?

Der verbesserte Hirnschrittmacher, mit dem das rheinische Forschungszentrum Jülich am Wettbewerb um den Deutschen Zukunftspreis 2006 teilnimmt (undatiertes Handout). Anders als herkömmliche Geräte sprechen die eingepflanzten Elektroden im Gehirn Nervenzellenverbände nicht mit einem konstanten Dauerreiz an. Sie traktieren das Gewebe vielmehr im unregelmäßigen Rhythmus an mehreren Punkten. Dadurch soll nicht nur das Zucken der Parkinson-Patienten wirksamer unterdrückt werden, langfristig erhoffen sich die Forscher auch, dass die Nervenzellen durch die neue Technik "lernen", wieder normal zu funktionieren.
Hirnschrittmacher - ist das Nutzen der neuen Technologien gegen unsere Natur und unsere Würde? © picture alliance / dpa / Db Ansgar Pudenz
Von Jennifer Rieger · 01.07.2018
Was passiert mit der menschlichen Würde, wenn neue Technologien entwickelt werden, die das menschliche Selbstverständnis herausfordern? Wenn wir etwa das Erbgut verändern, ins Gehirn eingreifen und Künstliche Intelligenzen entwickeln.
Wer die letzten Jahre nicht in einer Höhle verbracht hat, wird vermutlich von CRISPR-Cas9 gehört haben – einem besonders präzisen Instrument, das es Genforschern erlaubt, DNA an definierten Stellen zu zerschneiden und zu verändern. Für Michael Wiles, technischer Direktor der Jackson Research Laboratories in den USA, eine kaum zu überschätzende Technologie.
"Ich glaube, diese Entdeckung belebt das ganze Forschungsfeld. CRISPR-Cas9 ist Teil einer größeren Familie von Werkzeugen, die ständig wächst."
Gentherapien für einige schwere Krankheiten werden getestet oder sind schon zugelassen. Zum Beispiel für eine spezielle Form der Bluterkrankheit, Hämophilie A. Bei dieser Krankheit ist ein defektes Gen dafür verantwortlich, dass ein wichtiger Blutgerinnungsfaktor nicht oder in zu kleinen Mengen gebildet wird. Mit CRISPR-Cas9 lässt sich das Gen durch eine funktionale Kopie austauschen.
"Wir stellen uns das menschliche Genom oft als einfache Maschine vor. Ein Zahnrädchen, ein Gen verursacht x und y und das war's. So ist es aber meistens nicht. Das Gen tut vielleicht x und y, es gibt aber Wechselwirkungen mit anderen Genen. Die meisten Krankheiten werden von vielen Genen ausgelöst, man hat also eher ein erhöhtes Risiko an etwas zu erkranken", sagt Wiles.

Reparatur funktioniert nicht perfekt

Selbst bei Krankheiten wie Hämophilie A funktioniert die Reparatur nicht perfekt. Daher werden Gentherapien nur in Fällen eingesetzt, in denen der Gewinn das Risiko überwiegt – zum Beispiel bei Patienten mit einer sehr geringen Lebenserwartung. Erlaubt sind nur somatische Gentherapien. Dabei wird das genetische Material der Körperzellen manipuliert, nicht das der Keimbahn, Veränderungen können also nicht an die nächste Generation weitergegeben werden. Zum Teil wurde auch schon mit menschlichen Embryonen experimentiert – unter anderem in China – doch solche Embryonen müssen nach wenigen Tagen zerstört werden.
In Deutschland werden jedes Jahr etwa 400 Hirnschrittmacher implantiert.
"Es gibt verschiedene Arten von Hirnimplantaten, der Klassiker wird im Nucleus subthalamicus implantiert, für Parkinson zum Beispiel", sagt Frédéric Gilbert von der Universität Tasmanien. Er ist verantwortlich für die ethische Bewertung solcher Geräte. "Das Implantat gibt dauerhaft elektrische Impulse ab, man kann die Stimulation an- und abschalten, wenn man den Stromfluss verändert." Der Effekt dieser Tiefen Hirnstimulation ist bei Parkinson-Patienten sofort sichtbar: Wird der Hirnschrittmacher ausgeschaltet, fangen die Hände an zu zittern, den Betroffenen fällt das Sprechen sichtlich schwer. Ähnliche Geräte können auch neurologische Signale im Gehirn messen und ihre Träger darüber informieren. An Gilberts Institut in Australien werden zum Beispiel Hirnimplantate getestet, die Spannungsveränderungen im Gehirn von Epilepsie-Patienten messen und sie warnen, wenn ein Anfall bevorsteht.
Zusätzlich könnten Eingriffe ins Gehirn auch bei psychischen Erkrankungen zum Einsatz kommen, teilweise werden sie dafür schon getestet, zum Beispiel bei Aggressionsstörungen, Pädophilie oder starken Depressionen. In diesen Fällen geht es nicht mehr nur um klinische Symptome, sondern auch um das persönliche Empfinden der Patienten.

Rasant entwickelt sich die Künstliche Intelligenz

Die Entwicklungen im Feld der Künstlichen Intelligenz sind rasant und zahlreich. Doch eine Technologie, die im Mai auf der Google-Entwicklerkonferenz vorgestellt wurde, fasst vieles zusammen.
Auf der Konferenz stellte CEO Sundar Pichai Google Duplex vor, eine Technologie, die automatisch Anrufe erledigen kann, um zum Beispiel einen Friseurtermin zu buchen. Google Duplex baut sogar besonders menschlich klingende Laute ein.
Die Demonstration wird deswegen mit so viel Applaus bedacht, weil natürliche Sprache zu verstehen und zu simulieren für Programmierer eine harte Nuss ist. Mit Google Duplex ist ein großer Schritt getan – in Richtung Maschinen, die sich überzeugend für Menschen ausgeben können. Nach harscher Kritik sah Google sich kurz nach der Präsentation genötigt, zu erklären, dass ein digitaler Assistent sich bei Anrufen natürlich immer als solcher zu erkennen geben müsse.
Neuronale Netzwerke können auch zum Beispiel lernen, Bilder zu erkennen, oder Fotos automatisch verschlagworten. Für Bilderkennung gibt es viele mögliche Anwendungsgebiete, auch in der Medizin: Algorithmen können beispielsweise Radiologen unter die Arme greifen, indem sie Röntgenbilder auswerten. Und eine weitere große und viel diskutierte Stärke der Künstlichen Intelligenz liegt darin, große Datenmengen auszuwerten und Muster zu erkennen – zum Beispiel in den Daten der Nutzer sozialer Netzwerke. Dabei gibt es das Problem: Garbage in, garbage out. Das heißt: Unterliegen die die Datensätze versteckten Vorurteilen, wird auch die künstliche Intelligenz, die mit diesen Daten trainiert wird, Vorurteile entwickeln.
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