Gentechnik

Warum die Grünen umdenken sollten

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Fahrsilo mit Mais-Silage
Grüne Gentechnik sollte man nicht den Konzernen überlassen, meint Christian Schwägerl. Sondern in den Dienst des Gemeinwohls stellen. © imago / allOverMEV
Überlegungen von Christian Schwägerl · 05.08.2019
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Gentechnik in der Landwirtschaft abzulehnen, gehört zu den unverrückbaren Dogmen der Grünen. Doch von Dogmen wird keiner satt, meint Journalist Christian Schwägerl. Er plädiert angesichts von Bevölkerungsexplosion und Klimawandel für ein Umdenken.
Die Grünen verlangen uns einiges ab. Wir sollen weniger Fleisch essen, weniger Autofahren, weniger fliegen. Das ist aber keine politische Ideologie. Es hat eine solide wissenschaftliche Basis. Klimaforscher zeichnen ein sehr genaues Bild davon, was Schreckliches passiert, wenn wir so weiter machen. Auf diese Forschungsergebnisse berufen sich die Grünen und auch die Bewegung "Fridays for Future" zu Recht.
Doch wenn die Wissenschaft wirklich der Maßstab ist, dann sollten die Grünen bei einem weiteren wichtigen Zukunftsthema, der Gentechnologie, möglichst bald umdenken und umsteuern.

Nahrungsproduktion steht vor gigantischen Herausforderungen

Selbst wenn es gelänge, die Erderhitzung abzubremsen, ist schon jetzt sicher: In Zukunft wird es weltweit mehr Dürren und Überschwemmungen geben. Und Trockenheit. Sie wird dazu führen, dass Landschaften versalzen. Pflanzenkrankheiten werden sich ausbreiten. Zugleich steigt die Zahl der Menschen auf der Erde an, schon in wenigen Jahren auf 8 Milliarden. All das bedeutet: Landwirtschaft und Nahrungsproduktion stehen vor gigantischen Herausforderungen.
Es gibt für die Welternährung keine Patentlösungen. Aber klar ist auch: Es muss gelingen, die Pflanzen, von denen wir leben – ob Weizen, Mais, Soja, Bananen, Kartoffeln oder Reis – an die Welt von morgen anzupassen. Es braucht Pflanzensorten, die den Wetterextremen der Zukunft gewachsen sind. Pflanzen, die Dürren, Salz und Überschwemmungen besser standhalten und die zugleich produktiver sind als die heutigen, die also auf gleicher Fläche mehr Nahrung erzeugen. Schon heute leiden 850 Millionen Menschen an Unterernährung.

Neues Weltklima erfordert angepasste Pflanzensorten

Aber es dauert Jahre und Jahrzehnte, an das neue Weltklima angepasste Pflanzensorten zu entwickeln. Deshalb befinden sich Wissenschaftler, die daran arbeiten, in einem Wettlauf mit der Zeit. Den kann man nur gewinnen, wenn man die modernsten und besten Methoden dafür nutzt, Pflanzen neue Merkmale und Fähigkeiten zu geben. Dazu gehören auch bio- und gentechnische Methoden, sagen namhafte und seriöse Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisationen.
Doch die Grünen treten seit jeher dafür ein, den Wissenschaftlern Fußfesseln anzulegen. Sie haben in Europa auch Erfolg damit. Die pauschale Ablehnung der sogenannten Grünen Gentechnik gehört zu den Dogmen, an denen die Öko-Partei nicht rütteln will. Sie setzen dabei Horrorszenarien mit zweifelhafter Basis in die Welt. Weil konservative Politiker diesen populistischen Kurs übernommen haben, ist in Deutschland die Grüne Gentechnik fast zum Erliegen gekommen.

Gentechnik im Dienst des Gemeinwohls

Deshalb war es für mich spannend, kürzlich mit zwei jungen Grünen-Mitgliedern zu sprechen, die das ändern wollen. Die beiden sind in der Grünen Jugend in Sachsen-Anhalt und Berlin aktiv. Und sie sagen: Wenn wir beim Klimawandel auf die Wissenschaft pochen, dann müssen wir das auch bei der Grünen Gentechnik tun.
Die junge Frau, mit der ich sprach, erzählte, sie sei früher ganz selbstverständlich gegen jede Form der Gentechnik gewesen. Dann habe sie sich über den Stand der Wissenschaft informiert und ihre Meinung grundlegend geändert. Ihr Mitstreiter erzählte, welche Reaktionen es aus den Reihen älterer Grüner gab: Ihnen wird vorgeworfen, die Interessen der Chemielobby zu vertreten. Dabei liegt den beiden nichts ferner. Die jungen Grünen treten im Gegenteil dafür ein, die Nutzung der Gentechnik nicht den Großkonzernen zu überlassen. Sie wollen den Konzernen die Kontrolle über die Grüne Gentechnik entreißen und die Pflanzenzucht ganz in den Dienst des Gemeinwohls stellen.
Die beiden politisch engagierten jungen Menschen tun genau das, was die Grünen beim Klimawandel verlangen: Sie hören auf die Wissenschaft und verlangen ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen. Die Partei und die Umweltbewegung sollten sich daran ein Vorbild nehmen. Denn von Dogmen werden sich die Menschen, die in der Zukunft auf einer heißeren und volleren Erde leben werden, nicht ernähren können.

Christian Schwägerl ist Journalist, Buchautor und Mitgründer von "RiffReporter". Nach der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule und dem Biologiestudium hat er als Politikkorrespondent bei der Berliner Zeitung (1997-2001), als Feuilletonkorrespondent der FAZ (2001-2008) und als Politikkorrespondent im Bundesbüro des SPIEGEL (2008-2012) gearbeitet. Seit 2012 ist er freier Journalist und schreibt für GEO, ZEIT Wissen, FAZ, Yale E360 und andere Medien.

Porträtaufnahme des Journalisten und Biologen Christian Schwägerl.
© Merkau/Raiffeisenverein
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