Genscher wirbt für Wolfgang Gerhardt als Außenminister
Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat sich für den Anspruch seiner Partei auf das Außenministeramt im Falle einer schwarz-gelben Koalition im Herbst ausgesprochen. Mit Wolfgang Gerhardt habe die FDP auch eine "vorzügliche Persönlichkeit" für das Amt. Genscher stellte sich hinter den von Bundeskanzler Schröder gewählten Weg der Vertrauensfrage.
Degenhardt: Herr Genscher, was 1982 übrigens auch über eine Stimmenthaltung oder Stimmenthaltungen funktionierte, kann das auch am 1. Juli 2005 gelingen?
Genscher: Nun, dass diese Abstimmung so stattfindet, das wird sicher gelingen. Die Frage ist ja, wie der Bundespräsident reagiert. Ich möchte mich nicht in den Kreis derjenigen einreihen, die dem Bundespräsidenten sagen, wie er zu reagieren hat, aber ich kann sagen, was die Verfassung uns dazu sagt und was das Bundesverfassungsgericht sagt. Danach ist es so, dass es nicht darauf ankommt, ob der Bundeskanzler eine formale Mehrheit hat, also eine Koalition aus zwei Parteien mit einer bestimmten Zahl. Darauf stellt die Verfassung nicht ab und auch nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern das Bundesverfassungsgericht sagt, es kommt darauf an, dass die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers so beeinträchtigen oder lähmen, dass er nach seiner Einschätzung eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag. Dann sagt das Gericht, hier werde dem Bundeskanzler das Recht verliehen, die Einschätzungskompetenz, die Beurteilungskompetenz zu haben. Das heißt, es kommt darauf an, wie der Bundeskanzler die Lage einschätzt, und das muss er begründen, und von der Art dieser Begründung, die die Grundlage schafft auch für die Entscheidung des Bundespräsidenten, hängt sehr viel ab.
Degenhardt: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, der Bundespräsident hat heute weniger Möglichkeiten als zu Ihrer Zeit Herr Carstens?
Genscher: Nein, das Grundgesetz ist ja nicht geändert worden. Nur sagt das Bundesverfassungsgericht, dass der Bundespräsident die Einschätzungskompetenz und Bewertungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten habe. Natürlich kann er auch anders entscheiden, aber dann müssen schwerwiegende Gründe vorliegen. Also es ist ja offenkundig, wenn Sie heute sehen, wie die Distanz zwischen Sozialdemokraten und Grünen immer größer wird, wenn Sie sehen, wie Wahlprogramme vorgelegt werden, die eigentlich mit der Politik, wie der Bundeskanzler sie angekündigt hat, in wichtigen Punkten doch wenig zu tun haben, dann ist offenkundig, dass der Bundeskanzler wohl Recht hat, wenn er die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Verfassungsartikels sieht.
Degenhardt: Aber wäre nicht der klarste Weg in der jetzigen Situation, der Kanzler würde zurücktreten?
Genscher: Diese Möglichkeit gibt es auch. Nun kommt es darauf an, wie der Bundeskanzler auf eine solche Situation reagieren will. Will er resignieren, also die Flinte ins Korn werfen, dann tritt er zurück. Will er aber kämpfen für seine Politik – und das ist offensichtlich die Absicht von Bundeskanzler Schröder –, dann kann er diesen Weg gehen. Ob er das tut, und wie er sich verhält, das ist nach der Verfassung seine Entscheidung. Hier sind wichtige Rechte des Bundeskanzlers als Teil des Verfassungsorgans Bundesregierung im Grundgesetz festgelegt, die ja niemand nehmen kann.
Degenhardt: Was lehrt denn möglicherweise der aktuelle Fall, den wir gerade erleben? Muss die Verfassung nicht doch geändert werden? Das Grundgesetz will ja Stabilität, aber die wird doch erst durch Neuwahlen wiederhergestellt.
Genscher: Wenn die Neuwahlen nicht stattfinden würden, würde die Instabilität, wie sie jetzt vorhanden ist - es ist ja offenkundig, dass die Gegensätze, Meinungsverschiedenheiten auch innerhalb der SPD sehr groß sind -, noch anhalten bis zum Herbst des nächsten Jahres. Ich glaube, das ist angesichts der Dringlichkeit der Lösung der Probleme, die unser Land im Moment so sehr belasten, nicht wünschenswert. Aus diesem Grunde, glaube ich, ist es auch respektabel, dass der Bundeskanzler sagt, ich gehe in das Parlament, ich beantrage die Parlamentsauflösung, wenn das Vertrauen verweigert wird, damit wir Neuwahlen bekommen. Das heißt, er stellt sich in einer schwierigen Lage dem Urteil der Wähler. Wer wollte hier sagen, nein, wir wollen diesen Zustand des mindestens Stillstandes noch um ein Jahr länger aufrechterhalten? Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt, den man, wenn man die Haltung des Bundeskanzlers beurteilt, mit berücksichtigen muss.
Degenhardt: Lassen Sie uns noch kurz vorausschauen. Muss die FDP, also Ihre Partei, nach einem schwarz-gelben Wahlsieg - und er scheint sehr wahrscheinlich nach den jetzigen Umfragen - wieder den Außenminister stellen?
Genscher: Ich denke, dass es eine gute Tradition ist, wenn zwei Parteien und vor allen Dingen zwei Fraktionen eine Regierung bilden, wenn der eine den Bundeskanzler oder im konkreten Fall die Bundeskanzlerin, was ich für eine wirklich sehr gute Entscheidung halte, denn es zeigt sich, welche Veränderungen in unserer Gesellschaft vorgenommen worden sind, dass völlig ohne Diskussion akzeptiert wird, dass Frau Merkel Kanzlerkandidatin ist, noch dazu eine Frau, die in der damaligen DDR aufgewachsen ist, auch ein Stück innere Vereinigung, wenn das so ist, dann spricht vieles dafür, dass der Bundesaußenminister vom Koalitionspartner gestellt wird. Ähnliches gilt für andere große Bereiche wie Wirtschaft, Finanzen, Justiz, Innen. Das ist für das Funktionieren einer Koalition ganz entscheidend, und da die FDP in Wolfgang Gerhardt eine vorzügliche Persönlichkeit für dieses Amt benennen kann, spricht vieles dafür. Aber erst muss einmal die Bundestagswahl gewonnen sein.
Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch.
Genscher: Nun, dass diese Abstimmung so stattfindet, das wird sicher gelingen. Die Frage ist ja, wie der Bundespräsident reagiert. Ich möchte mich nicht in den Kreis derjenigen einreihen, die dem Bundespräsidenten sagen, wie er zu reagieren hat, aber ich kann sagen, was die Verfassung uns dazu sagt und was das Bundesverfassungsgericht sagt. Danach ist es so, dass es nicht darauf ankommt, ob der Bundeskanzler eine formale Mehrheit hat, also eine Koalition aus zwei Parteien mit einer bestimmten Zahl. Darauf stellt die Verfassung nicht ab und auch nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern das Bundesverfassungsgericht sagt, es kommt darauf an, dass die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers so beeinträchtigen oder lähmen, dass er nach seiner Einschätzung eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag. Dann sagt das Gericht, hier werde dem Bundeskanzler das Recht verliehen, die Einschätzungskompetenz, die Beurteilungskompetenz zu haben. Das heißt, es kommt darauf an, wie der Bundeskanzler die Lage einschätzt, und das muss er begründen, und von der Art dieser Begründung, die die Grundlage schafft auch für die Entscheidung des Bundespräsidenten, hängt sehr viel ab.
Degenhardt: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, der Bundespräsident hat heute weniger Möglichkeiten als zu Ihrer Zeit Herr Carstens?
Genscher: Nein, das Grundgesetz ist ja nicht geändert worden. Nur sagt das Bundesverfassungsgericht, dass der Bundespräsident die Einschätzungskompetenz und Bewertungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten habe. Natürlich kann er auch anders entscheiden, aber dann müssen schwerwiegende Gründe vorliegen. Also es ist ja offenkundig, wenn Sie heute sehen, wie die Distanz zwischen Sozialdemokraten und Grünen immer größer wird, wenn Sie sehen, wie Wahlprogramme vorgelegt werden, die eigentlich mit der Politik, wie der Bundeskanzler sie angekündigt hat, in wichtigen Punkten doch wenig zu tun haben, dann ist offenkundig, dass der Bundeskanzler wohl Recht hat, wenn er die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Verfassungsartikels sieht.
Degenhardt: Aber wäre nicht der klarste Weg in der jetzigen Situation, der Kanzler würde zurücktreten?
Genscher: Diese Möglichkeit gibt es auch. Nun kommt es darauf an, wie der Bundeskanzler auf eine solche Situation reagieren will. Will er resignieren, also die Flinte ins Korn werfen, dann tritt er zurück. Will er aber kämpfen für seine Politik – und das ist offensichtlich die Absicht von Bundeskanzler Schröder –, dann kann er diesen Weg gehen. Ob er das tut, und wie er sich verhält, das ist nach der Verfassung seine Entscheidung. Hier sind wichtige Rechte des Bundeskanzlers als Teil des Verfassungsorgans Bundesregierung im Grundgesetz festgelegt, die ja niemand nehmen kann.
Degenhardt: Was lehrt denn möglicherweise der aktuelle Fall, den wir gerade erleben? Muss die Verfassung nicht doch geändert werden? Das Grundgesetz will ja Stabilität, aber die wird doch erst durch Neuwahlen wiederhergestellt.
Genscher: Wenn die Neuwahlen nicht stattfinden würden, würde die Instabilität, wie sie jetzt vorhanden ist - es ist ja offenkundig, dass die Gegensätze, Meinungsverschiedenheiten auch innerhalb der SPD sehr groß sind -, noch anhalten bis zum Herbst des nächsten Jahres. Ich glaube, das ist angesichts der Dringlichkeit der Lösung der Probleme, die unser Land im Moment so sehr belasten, nicht wünschenswert. Aus diesem Grunde, glaube ich, ist es auch respektabel, dass der Bundeskanzler sagt, ich gehe in das Parlament, ich beantrage die Parlamentsauflösung, wenn das Vertrauen verweigert wird, damit wir Neuwahlen bekommen. Das heißt, er stellt sich in einer schwierigen Lage dem Urteil der Wähler. Wer wollte hier sagen, nein, wir wollen diesen Zustand des mindestens Stillstandes noch um ein Jahr länger aufrechterhalten? Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt, den man, wenn man die Haltung des Bundeskanzlers beurteilt, mit berücksichtigen muss.
Degenhardt: Lassen Sie uns noch kurz vorausschauen. Muss die FDP, also Ihre Partei, nach einem schwarz-gelben Wahlsieg - und er scheint sehr wahrscheinlich nach den jetzigen Umfragen - wieder den Außenminister stellen?
Genscher: Ich denke, dass es eine gute Tradition ist, wenn zwei Parteien und vor allen Dingen zwei Fraktionen eine Regierung bilden, wenn der eine den Bundeskanzler oder im konkreten Fall die Bundeskanzlerin, was ich für eine wirklich sehr gute Entscheidung halte, denn es zeigt sich, welche Veränderungen in unserer Gesellschaft vorgenommen worden sind, dass völlig ohne Diskussion akzeptiert wird, dass Frau Merkel Kanzlerkandidatin ist, noch dazu eine Frau, die in der damaligen DDR aufgewachsen ist, auch ein Stück innere Vereinigung, wenn das so ist, dann spricht vieles dafür, dass der Bundesaußenminister vom Koalitionspartner gestellt wird. Ähnliches gilt für andere große Bereiche wie Wirtschaft, Finanzen, Justiz, Innen. Das ist für das Funktionieren einer Koalition ganz entscheidend, und da die FDP in Wolfgang Gerhardt eine vorzügliche Persönlichkeit für dieses Amt benennen kann, spricht vieles dafür. Aber erst muss einmal die Bundestagswahl gewonnen sein.
Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch.