Genial lakonisch, ätzend zynisch

13.08.2010
"Am Beispiel des Hummers" ist eigentlich eine Reportage über ein touristisches Fress-Event. Der Text ist aber auch eine Metapher für David Foster Wallace' Tod, der sich 2008 das Leben nahm. Jetzt ist der Essay als Hörbuch erschienen.
Ein Superstar der amerikanischen Literaturszene war David Foster Wallace, bis er sich 2008 das Leben nahm. Sein Essay "Am Beispiel des Hummers", gelesen von Christian Ulmen, ist als Hörbuch erschienen. Eine launige Rede, die das Jahrhunderttalent Wallace vor Collegestudenten hielt, wird als Zugabe mitgeliefert.

"Zwei junge Fische treffen einen alten Fisch. Der sagt: 'Morgen Jungs, wie ist das Wasser?'"

Aus einer Rede von Wallace vor Collegestudenten 2005, - einer der beiden Texte dieses Hörbuches. Die Rede, allerdings nicht übersetzt, aber dafür im Original nachlesbar im Hörbuch-Booklet.

"Sagt der eine junge Fisch zum anderen: 'Was, zum Teufel, ist Wasser?'”"

Wahrnehmung, das große Lebensthema von David Foster Wallace. Der andere Teil des Hörbuches hat ebenfalls etwas mit Wasser zu tun: eine Reportage von Wallace für ein Gourmetmagazin über ein alljährliches touristisches Fress-Event an der Küste. Gegenstand der Begierde: Hummer.

Und so heißt der Essay denn auch: "Am Beispiel des Hummers", gelesen von Christian Ulmen, unauffällig, praktisch, gut.

""Ist es denkbar, dass künftige Generationen nicht nur unsere gegenwärtige Lebensmittelindustrie verurteilen, sondern unsere Esskultur gleich mit, sie gar in eine Reihe stellen mit dem Entertainmentprogramm eines Nero, den Experimenten eines Dr. Mengele? Meine eigene Reaktion auf den Vergleich: Erst einmal empörte Ablehnung – er ist hysterisch und extrem. Wobei sich die Empörung aus meiner tief verwurzelten Überzeugung speist, dass Tiere nie so wichtig sein können wie Menschen."

Und Wallace fügt hinzu, dass er selbst gerne Fleisch esse und sich nicht gern den Appetit verderben lasse. Das ist es, was Wallace auszeichnete: E war nie der bornierte Revoluzzer, er wollte immer beide Seiten sehen und auch verstehen, also wahrnehmen! Und vielleicht stimmt es ja auch, was all die wissenschaftlichen Expertentexte sagen, durch die sich Wallace für diesen Essay - wie immer "hardcore"-akribisch - durchgequält hat: Vielleicht empfinden ja Hummer wirklich keinen Schmerz, wenn sie in heißem Wasser sterben. Probieren Sie es doch einmal selber aus:

"Man kommt vom Supermarkt nach Hause und trifft seine Vorbereitungen, setzt also das Wasser auf und was sonst noch zu tun ist. Dann holt man den Hummer aus der Tüte oder aus welcher praktischen Endkundenverpackung auch immer … Doch in diesem Moment geschieht es, das Grauenhafte. Egal wie benommen der Hummer von seiner langen Reise sein mag, bei Kontakt mit dem heißen Wasser erwacht er jedenfalls - alarmierend - zum Leben.

Will man ihn aus der Verpackung direkt in den Topf schütten, kriegt man ihn häufig gar nicht heraus, so heftig klammert er sich daran fest. Auch versucht er mitunter, sich am Rand des Topfs aus der Gefahr zu ziehen, wie ein Mensch, der an einer Dachrinne hängt."

"Am Beispiel des Hummers" ist eines von jenen genial lakonischen, ätzend zynischen, höchst unterhaltsamen, federleicht geschriebenen, journalistischen Meisterstücken, die Wallace uns hinterlassen hat.

"Aber auch nachdem der Hummer im Wasser untergegangen ist, ja selbst bei geschlossenem Deckel, hört man, wie er sich dagegen wehrt und aus seiner Not entkommen will. Dieses Kratzen der Scheren an der Topfwand, die Stöße gegen den Deckel, wenn der ganze Körper hin und her peitscht!

Noch deutlicher ausgedrückt müsste man sagen, der Hummer verhält sich so, als litte er entsetzliche Qualen. Manche Köche finden diesen Akt so unerträglich, dass sie aus der Küche flüchten und erst zurückkehren, wenn ihnen die Eieruhr sagt, dass es vorbei ist."

David Foster Wallace, "Am Beispiel des Hummers": Als er sich im September 2008 erhängte, tat er das genauso wenig freiwillig, wie ein Hummer freiwillig in einen Topf mit kochendem Wasser springen würde. Wallace wurde, so scheint es, das Opfer der Spätfolgen eines Psychopharmakons. "Am Beispiel des Hummers" ist nicht nur ein brillanter Essay und ein tiefer Einblick in die Psyche eines hochsensiblen Autors, sondern eine Metapher für Wallace' Tod.

Den anderen Teil dieses Hörbuches, Wallace' Rede vor Collegestudenten, betrachte man als bewegendes Testament. Hier sagt Wallace, worum es ihm immer ging: Wahrnehmung der Welt und ihre gesellschaftliche Manipulation.

""In den letzten 20 Jahren ist mir eins klar geworden: Unsere Schulen und Universitäten wollen uns nicht zu nachdenkenden, mündigen Bürgern machen, sondern sie wollen Kontrolle über unser Denken ausüben und uns zu Marionetten machen. Wer sich erschießt, schießt sich nicht zufällig in den Kopf.''"

Besprochen von Lutz Bunk

David Foster Wallace: Am Beispiel des Hummers
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Marcus Ingendaay
Sprecher: Christian Ulmen und David Foster Wallace
ROOF Music, Bochum 2010,
1 CD, 14,95 Euro