Genese und Realität einer Idee

Von Barbara Leitner · 18.11.2009
Nach der Idee von Ella Key sollte das 20. Jahrhundert das Jahrhundert des Kindes werden. Die schwedischen Menschenrechtlerin und Pädagogin wollte die noch bestehende Ungleichheit zwischen den Generationen durchbrechen. An diese Vision knüpfte die UNO 1978 an, als sie das Internationale Jahr des Kindes ausrief.
Polen schlug damals vor, eine internationale Übereinkunft über die Rechte des Kindes zu beschließen. Im Wettlauf zwischen den beiden Systemen übertrafen sich Ost und West in ihren maximalistischen Forderungen für Kinder. 1989 wurde ein Dokument verabschiedet, in dem sich die Staaten verpflichten, den Rechten der Kinder "unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel" Geltung zu verschaffen. Die DDR trat mit einer letzten staatlichen Amthandlung der Kinderrechtskonvention 1990 bei, die Bundesrepublik zwei Jahre später. Bis heute gilt ein Vorbehalt und die Idee, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, trifft auf großen Widerstand. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint das Jahrhundert des Kindes noch nicht angebrochen zu sein.

"Dass Kinder nicht arbeiten müssen. Dass sie in die Schule gehen müssen, dürfen, Zeit zum Lernen haben."
"Dass Kinder ein gewaltfreies Leben haben."
"Kinder haben Rechte, dass sie auch mal lustige Sachen machen können. Zu entscheiden, was sie später werden wollen."
"Dass es eine Mama und einen Papa hat."
"Bei Eltern, wenn die sich da mal streiten, dass die da auch mitbestimmen können."
"Kinder können auch sagen, jetzt mach ich mal was anderes./ Die können antworten, ob es ihnen gefällt oder nicht."

"Bevor nicht Vater und Mutter ihre Stirn vor der Hoheit des Kindes in den Staub beugen,… bevor sie nicht fühlen, dass es die Zukunft ist, die in Gestalt des Kindes in ihren Armen schlummert, die Geschichte, die zu ihren Füßen spielt – werden sie auch nicht begreifen, daß sie ebenso wenig die Macht und das Recht haben, diesem neuen Wesen Gesetze vorzuschreiben, wie sie die Macht oder das Recht besitzen, sie den Bahnen der Sterne aufzuerlegen","

schreibt die schwedische Journalistin und Pädagogin Ella Key in ihrem 1902 erschienenen Buch "Das Jahrhundert des Kindes""Sie hat ja zum Anfang des 20. Jahrhunderts dieses Buch geschrieben, um eine Vision zu formulieren, die sich auf das 20. Jahrhundert dann beziehen soll, dass es hoffentlich das Jahrhundert des Kindes würde.""

Die Erziehungswissenschaftlerin Waltraut Kerber-Ganse, emeritierte Professorin an der Technischen Universität Berlin. Im "Jahrhundert des Kindes" sollte nicht nur das Verhältnis der Geschlechter, sondern auch das der Generationen gerade gerückt werden. Wie den Frauen Rechte zugebilligt wurden, sollten auch Kinder sie erhalten und als eigenständige Subjekte akzeptiert werden.

Für dieses Ziel waren eherne Regeln zu überwinden.

Bis ins 18. Jahrhundert hinein galten die Mädchen und Jungen als Eigentum ihrer Eltern. Sie dürfen sie prügeln, missbrauchen, aussetzen, verkaufen, wie Erwachsene arbeiten lassen. In Deutschland mussten Eltern erst ab 1896 mit Strafen rechnen, wenn sie sich nicht ausreichend um ihren Nachwuchs kümmerten. Ab 1919 untersagt die Internationale Arbeitskommission, dass Kinder unter 14 Jahren arbeiten.

Krappmann: "Es war klar, wenn Eltern sagten, es ist ein Mädchen, für die reicht die Volksschule. Das ist meine Zeit gewesen – da hätte man gesagt, die Eltern sehen das schon richtig. Die wird ja doch bald heiraten. Beim Verprügeln von Kindern hätten noch viele gesagt, manchmal muss es sein, damit sie hören. Da müssen sie fühlen. Körperliche Integrität wurde den Kindern einfach nicht zugestanden."

Allmählich aber wandelte sich das Bild vom Kind. Reformpädagogen entwickeln neue Ideen und Konzepte, wie Kinder in Kindergarten und Schule am besten zu fördern sind.

Nach den schockierenden Erfahrungen des Ersten Weltkrieges suchten Menschenrechtler nach Wegen, wie der nachwachsenden Generation künftig ausreichend Schutz in ihrer Entwicklung gewährt werden könne, unter ihnen die britische Lehrerin Eglantyne Jebb

Kerber-Ganse: "Sie ist an den damaligen Papst herangetreten, um ihn zu Spenden aufzufordern und da hat er ihr den Rat erteilt, sie sollte erst einmal einen internationalen Verband gründen, das hat sie dann sofort getant und dieser Verband, das ist 'Safe the Children International Union', der seinen Sitz in Genf hat."

Für diese noch heute existierende Kinderhilfsorganisation schrieb Eglantyne Jebb fünf Grundsätze für den Umgang mit Kindern auf:

"1)Jedem Kind müssen die hauptsächlichen Mittel, materiell und geistig, gegeben werden, die zu einer normalen Entwicklung nötig sind.
2) Das hungrige Kind muss gesättigt, das kranke betreut, dem zurückgebliebenen Kind muss geholfen, das Kind mit sozial abweichendem Verhalten muss gebessert und dem Waisen und Heimatlosen muss Unterkunft und Beistand gegeben werden.
3) In Notlagen muss zuerst dem Kind geholfen werden.
4) Dem Kind muss ermöglicht werden, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und es muss gegen jede Form der Ausbeutung geschützt werden.
5) Das Kind muss in dem Bewusstsein erzogen werden, dass es seine Fähigkeiten im Dienste seines Nächsten zu gebrauchen hat."

Diese Grundsätze ließ sie in 37 Sprachen übersetzen und reichte sie im Völkerbund als Grundlage für eine Erklärung der Kinderrechte ein. Dort wurde darüber abgestimmt.

Kerber-Ganse: "Es war schon eine gewaltige Provokation, plötzlich eine Gegenbewegung gegen die tatsächlich Position des Kindes in der Gesellschaft zu machen."

Am 24. September 1924 votierten die 50 im Völkerbund versammelten Staaten einstimmig für diese Erklärung. Das daraufhin neu eingerichtete Komitee zum Schutz der Kinder begann mit zwei Mitarbeitern zu analysieren, welche Bedingungen die Kinder- und Jugendwohlfahrt in den einzelnen Ländern bietet. Doch Regeln für die Dokumentation und dafür, wie die Erklärung umgesetzt wird, gab es nicht. Das sollte sich auch so schnell nicht ändern. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs brachen alle klassischen Menschenrechtskonzeptionen zusammen.

Kerber-Ganse: "Der Nachfolgeverband der noch von Eglantyne Jepp gegründeten Verbandes hat sofort 1946 in der UNO Druck gemacht, dass sich die UNO auch dieser Genfer Deklaration anschließen sollte. Dagegen wurden dann allerdings Stimmen laut, die überlegten, es ist irgendwie doch ne Menge geschehen. Und vielleicht brauchen wir eine neue Deklaration"."

Gestritten wurde vor allem, ob Kinder wirklich eigener Rechte bedürfen oder ob ihre Interessen nicht in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 mit berücksichtig seien.

Am 20. November 1959 verabschiedeten die Vereinten Nationen ihre Erklärung der Rechte des Kindes.

Kerber-Ganse: ""Da heißt es… das Kind. (blättert): Das Kind genießt alle in der Erklärung aufgeführten Rechte. Das Kind genießt besonderen Schutz. Das Kind hat den Anspruch auf…"

"Einen Anspruch auf einen Namen und eine Nationalität von Geburt an. Auf Freiheit und Würde, Liebe und Verständnis, ein Recht auf eine angemessene Ernährung, medizinische Versorgung, Unterricht und Bildung, auf Spiel und Erholung, auf Schutz vor Ausbeutung und Diskriminierung"."

Aber auch jetzt hatte die Erklärung keine Wirkung auf die Politik der Länder. Es war nicht vorgesehen, dass die Parlamente darüber beraten und entscheiden, was geschehen müsse, damit Kinder tatsächlich in den Genuss ihrer Rechte kommen könnten. Auf Initiative Polens fand im Jahr 1979 ein UN-Jahr des Kindes statt.

Jörg Maiwald: ""Ich erinnere mich, dass wir auch in Deutschland eine Diskussion hatten und wir kurze Zeit später, nämlich 1980, im BGB der Begriff elterliche Gewalt weggefallen ist und daraus elterliche Sorge wurde. Und darin drückt sich auch ein inhaltlicher Wandel aus, dass Kinder nicht mehr der Gewalt der Erwachsenen unterstellt wurden und auch Gewalt erleiden müssen sehr häufig, sondern dass es ein Sorgeverhältnis geworden ist."

Jörg Maiwald, Geschäftsführer der deutschen Liga für das Kind.

Das UNO-Jahr erweiterte seit der Erklärung von 1959 noch einmal die Wahrnehmung von Kindern in der Gesellschaft. Erstmals wurde damals beispielsweise offenbar, dass Kinder durch Armut anders getroffen sind als Erwachsene, der Begriff Kinderarmut wurde geprägt. Auch die UNO selbst hatte sich verändert. Zu ihr zählten nun ehemalige Kolonien, die als unabhängige Staaten mit entschieden.

Kerber-Ganse: "Das war einer der Gründe, warum eine neue Beteiligung dieser Staaten an der Formulierung der Kinderrechtskonvention als so wesentlich angesehen wurde. Aber es waren diese Ostblockstaaten, die sehr schnell ein anderes Interesse hatten, (...) zu zeigen, dass sie sich für die Menschenrechte stark macht und gerade des Kindes, aber mit einem Akzent, der nicht liegen sollte auf den bürgerlichen Rechten des Kindes, sondern auf den ökonomischen, sozialen, kulturellen Rechten des Kindes."

Dagegen setzten sich die Staaten des Westens zur Wehr. Zehn Jahre arbeiteten Vertreter von später mehr als 30 UN-Mitgliedsstaaten in einer offenen Arbeitsgruppe der Menschenrechtskommission zunächst jährlich eine, später zwei Wochen lang an einem neuen internationalen Dokument. Sie stritten über verschiedene Auffassungen und deren Übersetzungen. Den USA beispielsweise war die freie Wahl der Religion für ein Kind wichtig, wogegen islamische Staaten votierten. Die sozialistischen Länder plädierten für umfassende soziale Rechte für die Kinder, freien Gesundheitsschutz beispielsweise. Norwegen wollte einen Minderheitenschutz und die eigene Sprache für jedes Kind sichern.

Kerber-Ganse: "Es hat aber auch so etwas wie notwendige Kompromisse gegeben; von dem Vorsitzenden dieses Ausschusses die Menschen mit ihren unterschiedlichen Formulierungswünschen zu zwingen, sich zu einigen. Er hat von seinem Recht Gebrauch gemacht, zu sagen, ihr habt eine viertel Stunde Zeit und ihr müsst euch verständigen, ihr müsst euch einigen."

Am 20. November 1989 beschloss die 44. Vollversammlung der Vereinten Nationen die Konvention über die Rechte des Kindes. In 54 Artikeln sind darin zum ersten Mal die persönlichen, politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte der Heranwachsenden zusammengefasst und wird Kindheit ein eigener Wert beigemessen. Völkerrechtlich verbindlich sind damit Mindeststandards festgelegt, die die Würde, das Überleben und die Entwicklung von Mädchen und Jungen bis 18 Jahren sicherstellen - immerhin für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.
Darin heißt es im Artikel 3:

"Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzesorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist."

Und im Artikel 6 anerkennen die Vertragsstaaten kurz und unmissverständlich:

"dass jedes Kind ein angeborenes Recht auf Leben hat, und sie gewährleisten in größtmöglichem Umfang das Überleben und die Entwicklung des Kindes."

Kinder: "Das hat mir mein Vater mal gesagt. .. dass jedes Kind in Deutschland sein eigenes Recht hat"."
""Einmal hat mir meine Mama ganz viel erzählt und einmal meine Lehrerin… Und auf einer Seite im Buch ist was über Kinderrechte und dass die Kinder auch selbst bestimmen dürfen."
"Von der Schule in Religion habe ich das gehört"."

Kerber-Ganse: ""Die DDR ist einer der ganz frühen Signaturstaaten. (…) Nur, das Dilemma, wenn ich das so sagen darf, ist, dass sie es am 2. Oktober 1990 ratifiziert hat und am 3. Oktober 1990 hörte die DDR auf zu existieren."

Die Erziehungswissenschafterin Waltraud Kerber-Ganse, die für ihr Buch "Die Menschenrechte des Kindes" im Archiv des UN-Menschenrechtsausschusses in Genf auch diesen Teil der deutsch-deutschen Geschichte recherchierte.

Ruth Priese: "Da kann ich mich auch noch gut an diese Enttäuschung erinnern, dass ich dachte, ach schade, jetzt waren sie so weit und da ging es in der Bundesrepublik erst neu wieder los mit der Diskussion um die Ratifizierung."

Die Theologin Ruth Priese war in der DDR als Familienfürsorgerin tätig. Gerade für sozial schwache und bedürftige Familien mühte sie sich ein soziales Umfeld zu organisieren, um auch deren Töchtern und Söhnen eine optimale Entwicklung zu ermöglichen. Sie kümmerte sich um Patenschaften von Kollegen aus dem Betrieb und bezog Kindergarten und Schule in die Fürsorge für die Kinder mit ein.

"Ich weiß noch genau, dass ich mich bis dahin noch nie mit dem Grundgesetz beschäftigt hatte und dann, als ich es dann zur Kenntnis genommen hatte, es nicht fassen konnte, dass im Artikel 6 nur Elternrechte und nicht Kinderrechte vorkommen. In der DDR gab’s – das weiß ich einfach aus meiner Erfahrung mit der eigenen Familie und aus der Berufserfahrung – es gab einfach ein gesellschaftliches Bewusstsein der Verantwortung für Kinder und Jugendliche und das hat mein Erschrecken so groß gemacht, dass da die gesamte Gesellschaft so ausgespart wird, als ob die Kinder Eigentum der Eltern sind und der Gesellschaft das völlig egal ist, was mit den Kindern passiert. So wirkte auf mich der Artikel 6."

In der Wendezeit hatte sich die Familientherapeutin einer Kinderrechtsgruppe angeschlossen, die dafür eintrat, dass eine neue Verfassung für das wiedervereinte Deutschland entsteht, in der Kinder mit ihrer eigenen Kompetenz wahrgenommen werden. Auch sämtliche Jugendminister und Senatoren der bundesdeutschen Länder formulierten 1992 einen neuen Artikel 6 für das Grundgesetz.

"Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Sie schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt für kindgerechte Lebensbedingungen Sorge."

Priese: "Lange hatte die Hoffnung bestanden, dass der Verfassungsentwurf vom zentralen runden Tisch wenigstens mit einfließt ins Grundgesetz. (…) Ich erinnere mich, dass wir vor irgendwelchen Debatten zu Abgeordneten nach Bonn persönlich gefahren sind, um mit denen bestimmte Gesetzentwürfe und diese Verfassungsdebatte anzuschieben und wie diese Damen da …, an die kann ich mich besonders erinnern bei Gesprächen in Bonn, die taten, als sei das das Absurdeste von der Welt, was wir da wollten."

Krappmann: "Ich weiß noch, wie die Konvention erst in der UN verabschiedet wurde und man sich in Deutschland erst überlegt hat, ob man beitreten sollte. Da gab es durchaus Stimmen, die sagen, müssen wir doch nicht unbedingt. Bei uns ist doch alles in Ordnung und dann wurde der Beschluss gefasst, der Bundestag ratifizierte."

Der Bildungs- und Kindheitsforscher Professor Lothar Krappmann.

1992 ratifizierte die Bundesregierung die UN-Kinderresolution. Sie behält sich allerdings bis heute vor, insbesondere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach deutschem Ausländerrecht und nicht entsprechend der Konvention zu behandeln.
Krappmann: "Viele Stimmen, gerade aus den Regierungsparteien damals, sagten, das ist eine Konvention für die Entwicklungsländer. Wir wollen dabei sein, auch internationale Zusammenarbeit in diesem Punkte angemahnt wird, aber bei uns und so steht es übrigens auch in der Denkschrift, die die Regierung damals für den Bundestag gemacht hat, bei uns gelten diese Standards, wir haben sie erfüllt. Und es hat einige Zeit gedauert, bis klar wurde, dass es nicht nur einzelne Fälle gibt, in denen Kinder misshandelt oder ausgebeutet werden, sondern dass es da ein Problem in der Gesellschaft gibt, Kinder als junge Menschen in der Gesellschaft zu achten, mit ihren Rechten."

Kinder: "Ich glaub, die sind erfüllt."
"In anderen Ländern ist es nicht so, dass die Kinderrechte erfüllt sind."
"Zum Beispiel die Kinder in Afrika können sich keine Schuhe kaufen, keine Schulsachen kaufen, (…) die können nicht sagen, ich habe Hunger Mama, koch mir mal was."
"Zu Hause ist es auch ganz schön gemein. Die Eltern sagen, mach das und mach das. Aber manchmal will man das nicht und die Eltern schreien einen richtig an."
"Bei uns in der Klasse hat es Julian schlecht, weil er sehr viel rumhippelt und sich sehr schlecht konzentriert, und da meckert ihn die Lehrerin immer an und also hat der nicht so richtige Kraft, sich zu entfalten."

Durch die UN-Kinderrechtskonvention wurde auch in Deutschland die Position von Kindern in vielerlei Hinsicht gestärkt.

"Bereits in dem 1990 verabschiedeten neue Kinder- und Jugendhilfegesetz heißt es im Geiste der UN- Kinderrechtskonvention, dass Kinder und Jugendliche in allen sie betreffenden Fragen einzubeziehen sind."

Die Benachteiligung von außerhalb der Ehe geborenen Kindern wurde aufgehoben.

Seit 1998 gibt es mit dem Anwalt des Kindes eine Vertretung von Kindern vor Gericht und seitdem haben Kinder auch nach der Trennung und Scheidung der Eltern ein Recht auf Umgang mit beiden. Seit 2000 ist das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert.

1996 wurde das Recht auf einen Kindergartenplatz als ein Recht des Kindes auf Bildung, Erziehung und Betreuung im Kinder- und Jugendgesetz festgeschrieben, wie ab 2013 auch bereits Einjährige den Anspruch auf beste Förderung in der Tagesbetreuung haben werden.

Noch gibt es nicht - wie bei anderen Menschenrechtsabkommen - ein Individualbeschwerderecht, um die Rechte für Einzelne einzuklagen. Dennoch fordert die UN-Kinderrechtskonvention erstmalig von den Unterzeichnerstaaten, regelmäßig zu berichten, welche Schritte zur Erfüllung der mit der Konvention eingegangenen Verpflichtungen unternommen wurden.

Krappmann: "Die Staaten, da schließe ich auch Deutschland mit ein, erinnern sich spätestens, wenn sie wieder nach Genf müssen, dass ihnen da etwas mit auf den Weg gegeben wurden und tun auch etwas."

Lothar Krappmann gehört seit 2003 als eines von 13 Mitgliedern dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes an, der in Genf tagt. Der Ausschuss unterbreitet den Staaten Empfehlungen, welche politischen Schritte in ihrem Land geboten sind, um die UN-Kinderrechtskonvention zu erfüllen. Diese Einschätzungen werden beim UNO-Generalssekretär hinterlegt und spielen eine Rolle, wenn es um das internationale Ansehen eines Staates oder die Gewährung von Hilfen geht.

Dabei stützt sich der Ausschuss für die Rechte des Kindes nicht nur auf die Berichte der Regierungen. Vor allem Nichtregierungsorganisationen treiben weltweit die Wahrnehmung der Rechte des Kindes voran. Auch in Deutschland gründete sich 1995 die sogenannte National Coalition. In ihr sind heute über 100 bundesweit tätige Organisationen zusammengeschlossen. Sie benennen konkret die Handlungsfelder, in denen Deutschland bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention Nachholbedarf hat. Kritisiert wird die Bundesregierung, weil Kinder in Deutschland zunehmend ungleich behandelt werden. Jedes sechste Kind ist arm und Kinder mit Behinderung und mit Migrationshintergrund beispielsweise haben nicht den gleichen Zugang zu Bildung, erklärt Jörg Maiwald, Sprecher der National Coalition.

Maiwald: "Themen, mit denen sich die National Coalition beschäftigt, sind, dass in Deutschland, einem so reichen Land, es immer noch eine kleine Gruppe von Kindern gibt, die nicht mal die Schulpflicht haben, nämlich Flüchtlingskinder, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In einigen Bundesländern – Bildung ist ja Ländersache – gibt es nicht einmal die Schulpflicht. Und das ist eklatanter Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention."

Viele der bis zu 300.000 Flüchtlingskinder leben in Deutschland mit der Angst, abgeschoben zu werden. Obwohl oft traumatisiert, werden sie nicht ausreichend medizinisch und psychosozial betreut, und Jugendhilfe wird ihnen höchstens bis zum 16. Lebensjahr gewährt. In diesem Punkt verpflichtet sich die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag, den Vorbehalt aufzuheben, mit dem sie die UN-Konvention 1992 ratifizierte. Gleichzeitig verspricht sie, die Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu fördern.

Krappmann: "Und dieser Punkt: können Kinder eigentlich mitreden bei Dingen, die sie berühren, da sagt der Ausschuss, hier ist noch nicht alles geschehen, was geschehen muss. Das, was Kinder sagen und beitragen, wird noch oft überhört oder sie haben überhaupt keine Chance etwas dazu zu sagen."

Zwar sind Kinderrechte inzwischen in einige kommunalen Verfassungen eingeflossen, sind die Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein beispielsweise verpflichtet, Kinder zu fragen, wenn es um die Spielplatzgestaltung oder Ähnliche geht und wird in Rheinland-Pfalz alljährlich mit Schulprojekten ein Kinderrechtstag begangen. Kindeswohl allerdings hat in Deutschland noch lange nicht Vorrang in der Gesetzgebung, Rechtssprechung und Verwaltung.

Maiwald: "Wir haben noch immer nicht Kinderrechte in unserem Grundgesetz, in unserer Verfassung. Das heißt Deutschland misst den Kinderrechten hier nicht Verfassungsrang zu, im Gegensatz zu Elternrechten, die dort verankert sind."

Krappmann: "Es würde hoffentlich die Gesellschaft als Ganzes verändern, weil ja gesellschaftliche Gruppen Gewichte haben in den politischen Auseinandersetzungen. Also man denkt daran, was sagen die Gewerkschaften dazu. Was werden die Eltern dazu sagen. Und das kommt geradezu automatisch ins Bewusstsein von Politikern. Halt, hier die Frauen. Oder hier die älteren Menschen. Und wir möchten, dass genauso die Kinder ins Bewusstsein treten, wenn es um Dinge geht, die Kinder berühren und das würde damit unterstrichen."

Auch die National Coalition und die ihr angeschlossenen 90 bundesweit tätigen Organisationen und Initiativen setzen sich dafür ein, die in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegten Rechte der Kinder auf Schutz, Förderung und Beteiligung auch in das deutsche Grundgesetz aufzunehmen. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung fehlt ein entsprechendes Vorhaben.
Maiwald: "Ich glaube, hier liegt auch ein großes Missverständnis vor, weil viele Eltern, viele Fachkräfte häufig denken, wenn wir Kindern Rechte einräumen, dann tanzen uns Kinder auf dem Kopf herum. Die UN-Konvention sieht ausdrücklich vor, dass Eltern für die Kinder die wichtigsten Bezugspersonen in aller Regel sind und auch, dass Eltern eine Leitungs- und Führungsaufgabe den Kindern gegenüber zukommt. Also aus unserer Sicht stärken Kinderrechte im Grundgesetz die Elternverantwortung."

Priese: "Ich kann es mir nur so erklären, dass viele viele Erwachsene selber so traumatisiert sind mit ihrer eigenen Kindheit, dass sie dieses Thema tabuisieren, um nicht an die eigenen Kindheitsschmerzen erinnert zu werden."

Maiwald: "Wenn wir Kinderrechte im Grundgesetz hätten, ginge es nicht nur um Schutzrechte, sondern Förderrechte auch. Nehmen wir mal an, wir hätten endlich ein Recht auf Bildung und bestmögliche Förderung eines Kindes, dann hätte das enorme finanzielle Konsequenzen. Eltern könnten sagen, wie sieht es denn bei meinem Kind im Kindergarten aus oder in der Schule und was haben wir denn an bestmöglicher Förderung zu bieten. Das heißt es würde zu einem Umdenken kommen müssen, sowohl bei den kommunalen Entscheidungsträgern. Letztlich aber kann das auch, wenn es zu Konflikten kommt, zu Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes führen, denen zu Folge dann die Belange von Kindern doch einen höheren Stellenwert einnehmen müssten, als das jetzt bei uns der Fall ist."

Kinder: "Ich finde bei Kinderechten eigentlich, dass man den Kindern viel zutrauen kann"."
""Also auch zu Hause, wenn ich was nicht machen möchte, dann soll ich es auch begründen und wenn meine Mutter es okay findet, die Begründung, dann muss ich das auch nicht machen."
"So wie die Schule jetzt hier aussieht, ist es nicht so gut."

Maiwald: "Ich denke, Kinder könnten viel mehr und da hindert doch vieles, was auch an Nichtbeteiligung, an Übergehen kindlicher Äußerungen angeht."

Jörg Maiwald, der Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland.

Maiwald: "Das betrifft die Familien, das betrifft aber auch ganz stark die Bereiche Kindergarten und Schule und insbesondere die Schule. Ich würde sogar sagen, Schule in Deutschland ist ein vordemokratischer Bereich. Es gibt zwar Schülermitverwaltung. Aber was Schüler viel mehr interessiert, ist die unmittelbare Beteiligung in Konflikten, im Unterricht, auch was die Gestaltung des Unterrichts anbetrifft, und da meine ich, könnte Schule gewinnen und die Kinder könnten auch viel mehr Potenzial entwickeln, wenn sie die Meinung von Kindern ernst nehmen und auch in der Gestaltung berücksichtigen. Das setzt aber ganz andere Unterrichtsformen voraus, dass nämlich auch der Begriff Bildung so verstanden wird, wie er in der UN-Konvention verstanden wird. Im Artikel 29 heißt es nämlich, dass das wichtigste Bildungsziel die Persönlichkeitsbildung ist."

Gerade in dieser Dimension beginnt die UN-Kinderrechtskonvention auch in Deutschland erst ihre Wirkung zu entfalten – die Recht der Kinder auf Schutz, Förderung und Beteiligung gerade auf die Bereiche zu beziehen, wo viele Kinder zusammen kommen, auf Schulen und auch Heime. Das Kind von Anfang als Mensch mit eigen Rechten wahrzunehmen und sie doch nicht als kleine Erwachsene zu behandeln, verlangt dabei, nicht nur aus Sicht der Erwachsenen Lehrpläne zu schreiben und Bildungsziele festzulegen. Vielmehr müssen Kinder angehört werden, um dann – im Interesse der Kinder – erwachsen und reif zu entscheiden.

"Es ist zwingend erforderlich, dass die Jugendlichen aus allen Teilen der Welt auf allen für sie relevanten Ebenen aktiv an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden, weil dies ihr heutiges Leben beeinflusst und Auswirkungen auf die Zukunft hat. Zusätzlich zu ihrem intellektuellen Beitrag und ihrer Fähigkeit, unterstützende Kräfte zu mobilisieren, bringen sie einzigartige Ansichten ein, die in Betracht gezogen werden müssen","

forderten Kinder und Jugendliche auf dem Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro. So zu denken, würde vollkommen neue Perspektiven eröffnen: Bei der Ausgestaltung der Kindertagesbetreuung wäre die Frage, wie viel Ansprache kleine Kinder brauchen. Schulen würden so gebaut, dass sie den Kindern Bewegung ermöglichen und Themen verhandelt werden, für die die Kinder brennen. Das Tempo des Autos wäre nicht der Maßstab bei der Stadtentwicklung. Beim Klimaschutz ginge es um die Luft zum Atmen, bei der Finanzpolitik um die Entwicklungsmöglichkeiten der nächsten Generation …

Krappmann: ""Wir müssen dahin kommen, dass Kinder respektierte Mitglieder der Gesellschaft sind, dass ein Kind ebenso wenig übergangen, angerempelt, außer Acht gelassen wird, wie andere Menschen. (…) Und das hätte auch Auswirkungen auf andere gesellschaftlichen Gruppen, weil Gleichberechtigung für die einen strahlt immer aus auf die Gleichberechtigung anderer. Also alle würden sehr profitieren."