Generationswechsel in Karlsruhe

Stephan Detjen im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
Mit Andreas Voßkuhle wurde heute der bisher jüngste Präsident des Bundesverfassungsgerichts in sein Amt eingeführt. Obwohl er von der SPD vorgeschlagen wurde, sei die Unabhängigkeit des BVG nicht in Zweifel zu ziehen, sagt Deutschlandfunk-Chefredakteur Stephan Detjen. Dies habe die bald 60-jährige Geschichte des Gerichts deutlich gezeigt.
Klaus Pokatzky: Protokollarisch ist der Präsident des Bundesverfassungsgerichts der fünfte Mann im Staate. Er folgt gleich nach dem Bundespräsidenten und dem Bundestagspräsidenten, der Kanzlerin und dem Präsidenten des Bundesrates. Heute wurde in Karlruhe mit Andreas Voßkuhle der mittlerweile neunte und der bisher jüngste Präsident des Bundesverfassungsgerichts in sein Amt eingeführt. Dabei war Stephan Detjen, der Chefredakteur des Deutschlandfunks, den ich nun im Ü-Wagen in Karlsruhe begrüße, guten Tag, Herr Detjen!

Stephan Detjen: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Wie geht denn so ein Wechsel im Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts von Hans-Jürgen Papier zu Andreas Voßkuhle über die Bühne? Mit Streichquartett oder mit dem Stabsmusikkorps der Bundeswehr?

Detjen: Mit Streichquartett, Herr Pokatzky. Es gab einen ganz klassischen Festakt, das heißt Streichquartett, Reden, die Nationalhymne wurde gesungen, alles im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, das ist ein sehr schöner, heller Sitzungssaal mit Fenstern, die hinausgehen in den Karlsruher Schlosspark. Also die Sonne hat nicht geschienen, es war draußen ein bisschen trüb, aber es war doch eine sehr klassisch festliche Stimmung.

Pokatzky: Und in dieser klassisch festlichen Stimmung hat Bundespräsident Horst Köhler eine Rede gehalten?

Detjen: Der Bundespräsident war hier, er hat eine Rede gehalten und er hat eine für diesen Anlass durchaus bemerkenswert politische Rede gehalten. Es lohnt sich, darauf einen näheren Blick zu werfen und das vielleicht am Anfang unseres Gesprächs auch noch mal zusammenzufassen, denn Horst Köhler hat sich hier sehr pointiert und konkret zur aktuellen Krise des Euros und zu den jüngsten Beschlüssen der Politik vom Wochenende, also dem Aufspannen eines neuen 750 Milliarden schweren Rettungsschirms über Europa und zur Entscheidung über die EZB, also der Aufforderung an die EZB, Schuldtitel überschuldeter Eurostaaten zu kaufen, geäußert. Und Köhler hat das in einer sehr dezidierten Weise in Schutz genommen. Köhler sagte, diese Entscheidung gebiete Respekt, es sei eine extreme Ausnahmesituation, aber er hat auch sehr deutlich gemacht, dass er diese ja umstrittene Entscheidung der Politik für richtig hält.

Horst Köhler: "Ja, diese Entscheidung war unorthodox und birgt Risiken. Sie birgt Risiken, aber von einer Zwangsläufigkeit, einer Weichwährung dann schon zu reden, kann keine Rede sein. Ich bin überzeugt davon, dass die Europäische Zentralbank und ihr Präsident auch weiter in voller Unabhängigkeit ihrem Stabilitätsauftrag folgen."

Detjen: Also der Bundespräsident stellt sich deutlich hinter die Europäische Zentralbank und ausdrücklich auch hinter ihren Präsidenten Jean-Claude Trichet, den er als Garanten für die Stabilität des Euros, unserer Währung bezeichnete, und Herr Köhler begründete das ausdrücklich mit der langjährigen persönlichen Kenntnis Trichets und der Zusammenarbeit in den früheren Funktionen, die Köhler ja auch hatte.

Es gab zwei weitere interessante Punkte in dieser Rede: Zum einen hat Köhler in deutlichen Worten die Politik für die Ursachen der jetzigen Krise und auch der jetzt umstrittenen Maßnahmen in die Verantwortung genommen. Das ist deswegen ja bemerkenswert, weil der Bundespräsident ja der war, der zuletzt den Begriff des Finanzmarktes als Monster erfunden hat und damit eigentlich so etwas wie die Vorlage für die jetzige ja sehr kriegerische Rhetorik der Politik geliefert hat, die zur Begründung ihrer jetzigen Entscheidung ja den Finger immer wieder auf die Spekulanten gezeigt hat und gesagt hat, das seien die eigentlich Verantwortlichen für die jetzige Situation und die Notwendigkeit der jetzigen Hilfsmaßnahmen. Köhler also hat den Blick jetzt noch einmal zurückgerichtet auf die Verantwortung der Politik.

Horst Köhler: "Dass auf einseitige Gewinnmaximierung gepolte Finanzakteure jetzt das Wohl und Weh ganzer Völker bestimmen können, liegt eindeutig auch und sogar zuerst an politischen Versäumnissen."

Detjen: Und daraus hat der Bundespräsident dann eine Konsequenz gezogen, nämlich die Konsequenz, die Integration Europas voranzubringen. Und das ist natürlich gerade hier in Karlsruhe ein interessantes, vielleicht auch heikles Thema, wenn der Bundespräsident sagt, und auch das hören wir uns noch mal an:

Horst Köhler: "Dafür brauchen wir für bestimmte Fragen mehr Europa, nicht weniger. Ich sage das auch hier ganz bewusst in Karlsruhe."

Detjen: Also Herr Pokatzky, jetzt wird ja zurzeit darüber diskutiert und es liegen Vorschläge auf dem Tisch, die Haushaltspolitik und die Finanzpolitiken der Euromitgliedstaaten stärker zu koordinieren, der Kommission stärkere Kontroll- und möglicherweise auch Durchgriffsrechte in die nationalen Politiken zu geben.

Da drängt sich natürlich gerade heute auch die Frage auf, wie wird sich denn dazu das Bundesverfassungsgericht stellen, dass ja zuletzt in seinem Lissabon-Urteil eigentlich gesagt hat, Integration bis zu dem Grad, der im Lissabonvertrag erreicht worden ist, aber eben auch nicht weiter. Und dieses Urteil ist unter der Ägide des damaligen Vorsitzenden des Zweiten Senats und jetzt Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, entstanden, mit dem jetzt, Sie haben es erwähnt, eine neue Ära am Bundesverfassungsgericht beginnt heute.

Pokatzky: Es ist ein Generationenwechsel von Hans-Jürgen Papier, Jahrgang 1943, zu Andreas Voßkuhle, Jahrgang 1963. Gab es denn, wenn wir jetzt über den alten, in Rente gegangenen Präsidenten sprechen, gab es auch so etwas wie eine Ära Papier? Wofür stand der?

Detjen: Also man muss natürlich eines sehen: Die Richter des Bundesverfassungsgerichts arbeiten bei ihrer Urteilsfindung auf einer vollkommen gleichen Ebene. Das heißt, der Präsident und der Vizepräsident als die Vorsitzenden der beiden Senate sind bei der Urteilsfindung allenfalls ein Primus inter Pares, also sie haben keine Stichentscheidsrechte, sie haben auch in den Verfahren wenige Möglichkeiten, qua Amt bestimmte leitende oder den Ausgang eines Verfahrens beeinflussende Entscheidungen zu treffen. Von daher wäre es falsch zu sagen, ein solcher Amtswechsel leitet eine neue Ära ein.

Aber es findet in der Tat am Bundesverfassungsgericht ein Generationenwechsel statt. Sie haben das erwähnt, Andreas Voßkuhle ist mit 46 Jahren der jüngste Präsident des Bundesverfassungsgerichts und er hat heute gesagt, dass er dennoch mit diesem Wechsel, der jetzt vollzogen wurde (übrigens nicht mit dem heutigen Tag, dieser Amtswechsel hat formell schon im März stattgefunden), aber dass mit diesem Amtswechsel ja auch ein weiterer Richter, neuer Richter ans Bundesverfassungsgericht gekommen ist, Andreas Paulus. Das ist ein 41-jähriger Völkerrechtler, der das Mindestalter für die Ernennung zum Bundesverfassungsgericht gerade mal um ein Jahr übertrifft.

Und Andreas Paulus hat ganz ausdrücklich, ganz deutlich erklärt, ja wir stehen hier für einen Generationenwechsel, wir sind eine neue Richtergeneration, wir sind in unseren Biografien sehr international, Andreas Paulus hat im persönlichen Gespräch auch gesagt, er ist ein Mensch, der sehr affin mit den Themen des Internets ist – genau so wie parallel dazu mir der scheidende Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, vor einiger Zeit sagte, ja das ist auch notwendig, dass dieser Generationenwechsel stattfindet, wir sind mit neuen Themen (und auch Papier wies da auf das Internet und damit verbundene Probleme hin), wir sind mit neuen Themen verbunden, die eine neue Generation von Richtern möglicherweise viel besser kennt.

Aber noch mal: Das wichtigste, das historische Thema, mit dem die Verfassungsrechtsprechung auch in den nächsten Jahren konfrontiert sein wird, das ist Europa und der europäische Integrationsprozess.

Pokatzky: Hans-Jürgen Papier war ja CSU-Mitglied, seine Mitgliedschaft hat geruht in seiner Zeit als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Andreas Voßkuhle ist auf SPD-Vorschlag in das Amt gekommen. Wie bedeutend ist das für den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, dass ihm parteipolitische Zugehörigkeiten zumindest unterstellt werden oder Sympathien?

Detjen: Das spielt bei der Wahl von Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts immer eine Rolle. Sie werden gewählt von einem Richterwahlausschuss des Bundestages, da finden hinter verschlossenen Türen Verhandlungen statt, die eine politische Ausgewogenheit in den beiden Senaten garantieren sollen.

Aber eines hat die bald 60-jährige Geschichte dieses Gerichts deutlich gezeigt: Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts haben in der Vergangenheit eigentlich immer mögliche politische Abhängigkeiten abgelegt und sind durch dieses, spätestens durch dieses Amt des Richters hier in Karlsruhe, vielleicht auch durch die Tradition, vielleicht auch durch die Atmosphäre, die an diesem Gericht herrscht, zu wirklich unabhängigen Richtern geworden, die häufig genug auch diejenigen überrascht haben (häufig auch enttäuscht haben), die sie vielleicht mit ganz bestimmten, gezielten Erwartungen hier an dieses Bundesverfassungsgericht geschickt haben. Und ich denke, das wird auch in Zukunft so bleiben.

Pokatzky: Kommt mit Andreas Voßkuhle ein neuer Stil? Die "Süddeutsche Zeitung" hat über ihn als Vorsitzenden des Zweiten Senats geschrieben, wenn er mit einem Kollegen sprechen will, geht der Senatsvorsitzende selbst die paar Schritte über den Flur, anstatt ihn einzubestellen.

Detjen: Natürlich gibt es immer wieder Stilwechsel, das war auch vorher so. Gerade, während wir hier sprechen, geht außen an dem Ü-Wagen, in dem ich sitze, Jutta Limbach vorbei und winkt den Polizisten zu, die hier stehen als Wachpersonal. Also das sind immer Stilwechsel gewesen von Roman Herzog zu Jutta Limbach, dann zu Hans-Jürgen Papier, das war ein in seiner Rhetorik manchmal etwas hölzern wirkender Mann, es ist heute immer wieder auf seinen trockenen Humor angespielt worden.

Andreas Voßkuhle ist ein, das hat sich auch in seiner bisherigen Amtsführung als Vorsitzender des Zweiten Senats immer wieder gezeigt, ein sehr eloquenter Verfassungsrichter, er hat verschiedene Interviews gegeben, in denen er sich durchaus auch politisch immer wieder geäußert hat. Also insofern steht er auch in der Tradition seiner Vorgänger.

Ich glaube, das sind häufig persönliche Noten, die da solche Stilfragen bestimmen, und wahrscheinlich weniger Brüche in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Pokatzky: Danke, Stephan Detjen in Karlsruhe! Und am Ort des Bundesverfassungsgerichts hören Sie das Deutschlandradio Kultur übrigens über die Frequenz 96,6.