Generationswechsel in Israel

02.06.2009
Die Männer und Frauen, die am Aufbau Israels vor 61 Jahren beteiligt waren, sind inzwischen hochbetagt. Die neue Generation, die nun das Land prägt, hat mit der Gründergeneration nicht mehr viel gemeinsam. Zionistische Ideale sind passé - so jedenfalls stellt es die israelische Autorin Michal Zamir in ihrem Roman "Die Siedlung" dar.
Ihr erster Roman war ein Porno, der zweite ein Skandal. Nun liegt der dritte Roman der israelischen Autorin Michal Zamir in deutscher Übersetzung vor: "Die Siedlung". Keineswegs geht es dabei um einen zionistischen Außenposten im Westjordanland, sondern um eine besondere Vorstadtsiedlung Tel Avivs. Im Roman heißt sie Newe Chanit, Oase des Speers. Die Autorin, Tochter eines hohen Militärs, wuchs selbst in einer solchen Siedlung auf - gegründet für verdiente Offiziere der israelischen Streitkräfte.

Im Roman ist die Siedlung, wie die erste Generation ihrer Bewohner, in die Jahre gekommen. Noch Anfang der 1970er Jahre bildeten alteingesessene Kriegshelden den Rat der Wohnsiedlung, waren unter sich, teilten Werte und Erfahrungen. Doch mehr als zwanzig Jahre später hat sich die Bevölkerungsstruktur geändert, können die verdienten Stützen der einstigen Gesellschaft Veränderungen nur noch wahrnehmen, kaum noch bewirken. Den Alten wird der Boden unter den Füßen weggezogen; auch ganz praktisch: ihre bescheidenen Häuser sind zu Spekulationsobjekten geworden. Der Immobilienmakler Gabi Chayek verkörpert in Michal Zamirs Roman die neue Generation: unsentimental, egoistisch, geschäftstüchtig, stark testosterongesteuert - bestens geeignet, dem Selbstbild der Israelis jegliches Pathos zu entziehen.

Zionistische Ideale interessieren Gabi Chayek keinen Deut, menschliches Miteinander nur insofern es ihm erlaubt, seine - auch sexuellen - Machtfantasien auszuleben. Mit der Innenarchitektin Hilali beginnt der Familienvater eine Sado-Maso-Affäre zum beiderseitigen Nutzen.

Wäre Tschechow Israeli, er hätte diesen Roman schreiben können. Sicherlich nicht in der krassen und sexuell aufgeladenen Sprache Michal Zamirs, die stärker dem Sarkasmus als der Ironie zuneigt. Aber Melancholie grundiert die gut zweihundert Seiten, auch Figurenkonstellation und Handlungsverlauf erinnern thematisch stark an die Theaterstücke des russischen Autors. Man sehnt sich nach einem neuen Leben im alten, gibt sich Leidenschaften hin und weiß, sie werden vorübergehen. Man macht Geschäfte und fürchtet den, der noch skrupelloser sein wird. Man erschießt sich, aber nichts daran ist heroisch.

Wie schon in "Das Mädchenschiff" seziert die 45-jährige Autorin auch in ihrem neuen Roman menschliches Miteinander, verfolgt die Suche ihrer Figuren nach Glück - und platziert sie dazu in einem begrenzten, fast hermetischen Raum. Männer und Frauen, Junge und Alte treffen als Antagonisten aufeinander. Sie geben sich tough, wirken aber verstört und verloren. Michal Zamir kritisiert das Handeln ihrer Figuren nicht. Doch der Leser spürt die Wut der Autorin über die von Menschen geschaffenen Verhältnisse. Beispielhaft schildert sie Wertewandel, Sittenverfall und das keineswegs berückende Antlitz des modernen, kapitalistischen, konsumorientierten Israel.

Besprochen von Carsten Hueck

Michal Zamir: Die Siedlung
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Atrium Verlag, Zürich 2009
220 Seiten, 19,90 Euro