Studio 9 - Der Tag mit Sharon Dodua Otoo

"Für mich zählt Kindererziehung auch als Arbeit"

Die in Berlin lebende Autorin Sharon Otoo posiert am 05.07.2016 in Berlin. Mit der doppelbödigen Geschichte über ein Ei, das nicht hart werden will, hat die in Berlin lebende Autorin den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Foto: Paul Zinken/dpa | Verwendung weltweit
Die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo wünscht sich mehr Anerkennung für Familienarbeit © dpa
Moderation: Korbinian Frenzel  · 14.07.2017
Die CDU/CSU will im Falle eines Wahlsiegs Arbeitszeitkonten für Familien einführen. Die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo, Bachmannpreis-Gewinnerin 2016, wünscht sich andere Modelle, die das Familienleben erleichtern. Sie zieht selbst vier Söhne groß.
Die Union will die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit Hilfe von Arbeitszeitkonten verbesserrn. Darauf soll Arbeitszeit angespart und bei Bedarf abgebucht werden können. Die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo zeigt sich im Deutschlandfunk Kultur skeptisch, ob diese Pläne tatsächlich vielen Familien helfen können, ihr Leben besser zu organisieren.
2. Teil des Gesprächs (5:50 min.):
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Das sei vielleicht für Festangestellte mit geregelten Arbeitszeiten eine gute Idee, aber Menschen, die prekär arbeiteten oder Sorgearbeit leisteten, hätten vermutlich wenig davon. "Für mich zählt natürlich Kindererziehung auch als Arbeit", sagt die Mutter von vier Söhnen. Viele der klassischen Tätigkeiten, die häufig Frauen übernähmen und nicht bezahlt würden, seien in diesem Modell der Union nicht als Arbeit berücksichtigt. "Das finde ich ein bisschen schwierig." Da gebe es andere Modelle, zum Beispiel die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, was vielleicht gerechter sei, meint die Autorin. Es werde zu viel von der klassischen Mittelschichtarbeit gesprochen, statt auch an Putzfrauen oder an Erzieherinnen zu denken. "Ich glaube nicht, dass sie so viel von diesem Vorschlag haben würden", ergänzt Otoo zu den Arbeitszeitkonten. Sie hoffe, dass die Politik in Zukunft mehr Leute danach frage, was sie benötigten.

Leben in der erweiterten Familie

Otoo bezeichnet sich selbst als "sozusagen alleinerziehend". Denn das Wort passe nicht wirklich zu ihrer Familie, da sie in einer "größeren Wahlfamilie" lebe, so die Autorin. Sie habe mehrere Freunde und Freundinnen, die sich für die Erziehung ihrer Söhne mitverantwortlich fühlten und sie unterstützten. "Ich finde meine Kinder haben viele Ansprechpartner, die Väter sind sehr präsent in ihrem Leben." Sie habe das Gefühl, dass es andere Menschen gebe, die klassisch monogam verheiratet seien und weniger Unterstützung bei der Kindererziehung hätten als sie.

Risiko auf dem Papier

Wenn sie als alleinerziehende Mutter von vier Kindern ihren Lebenslauf irgendwo einreiche, klingelten häufig alle Alarmglocken bei den Arbeitgebern. Sie sei aus deren Sicht erst einmal ein Risiko, weil sie zunächst nicht wüssten, wie ihre Arbeitsmoral sei und als wie flexibel und kreativ sie sich erweise. "Wenn man das alles nicht einschätzen kann, dann sieht es auf dem Papier erst einmal wie ein Risiko aus." Sie fände es wichtig, Modelle zu erleben, die es möglich machten, bezahlte Arbeit und Familie zu kombinieren. Für sie sei es beispielsweise sehr wichtig, von zu Hause zu arbeiten, wenn sie das benötige, also beispielsweise weil ein Kind krank sei. "Ich habe das Gefühl, das wird nicht so anerkannt und nicht so gern gesehen von den meisten Arbeitgebern."

Die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo wurde 1972 in London geboren und lebt in Berlin. Sie ist Mutter von vier Kindern und versteht sich als Aktivistin. Die Autorin ist Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe "Witnessed" in der edition assemblage . Ihre erste Novelle "Die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle" erschien 2012 auf Englisch und 2013 auf Deutsch, es folgte "Synchronicity", 2014 in deutscher Übersetzung, 2015 als "The original story" auf Englisch. Mit ihrem Text "Herr Gröttrup setzt sich hin" gewann die Schriftstellerin 2016 den Ingeborg-Bachmann-Preis.

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