Generation "Silver Sex"

Von Norbert Bolz |
Seit einiger Zeit zeigen uns Fernsehen und Werbeplakate alte Leute, die stolz auf ihren Körper sind, ja darauf bestehen, schön zu sein. Und von Trendbüros kann man unter dem Titel Silver Sex erfahren, dass die Alten im Viagra-Zeitalter auch sexuell noch aktiv sein wollen. Diese Mobilmachung der Alten in der Welt des Konsums hat natürlich eine ganz einfache ökonomische Erklärung: das große Geld sitzt bei der Gruppe "50 plus". Aber es lohnt sich, hier etwas tiefer zu schürfen.
Massenweises Altwerden ist nämlich etwas spektakulär Neues. Die Älteren verdrängen die Eltern und damit die Jungen. Wenn aber die Alten in der Mehrheit sind, dann verwandelt sich die Demokratie in eine Gerontokratie. Damit diese Herrschaft der Alten den Jungen keine Angst macht, wird sie marketingtechnisch veredelt. Sehen wir näher zu.

Dass wir sterblich sind, ist heute der peinliche Skandal schlechthin. Deshalb arbeiten die Alten gegen die eigene Endlichkeit an. Doch wie kann man am Nicht-alt-sein im Alter konkret arbeiten? Hier setzen alle Techniken an, die darauf zielen, den Körper zu überlisten - also Face-Lifting, Schönheitschirurgie, Prothesen. Die Zeichen des Alters werden getilgt oder verdeckt, medizinische Hochtechnologien halten die Hinfälligkeit des Körpers in Schach. Das sind verzweifelte Anstrengungen, mit dem kulturellen Problem zurande zu kommen, dass das Altern des Menschen heute vom Veralten seines Körpers überholt wird.

Das Ärgernis der Endlichkeitserfahrung liegt darin, dass sie uns mit einer ganz entscheidenden Unmöglichkeit konfrontiert. Im Gegensatz zu anderen ökonomischen Ressourcen kann man Zeit nicht akkumulieren. Und die einzige Einheit, die es gibt, ist die des einen Lebens, das man hat. Deshalb wollen viele Leute nicht erwachsen werden, forever young bleiben, oder das Altsein wenigstens umbenennen. Wer ihnen etwas verkaufen will, spricht sie deshalb als Senioren, ja besser noch als Silver Surfer oder Best Ager an.

Attraktive Alte - das ist der neueste Mythos der Werbung. Schönheit ist aber die Ungerechtigkeit der Natur. Mit anderen Worten, Schönheit ist undemokratisch verteilt - und man kann sie nicht umverteilen. Nun sorgen die Massenmedien dafür, dass uns dieses Ärgernis täglich quält; die Schönen in den Medien machen uns unzufrieden. Und da die Älteren heute nicht mehr in Würde alt werden sondern ewig jung bleiben sollen, sind sie besonders empfänglich für die Propaganda der gereiften Schönheit.

Natürlich verkauft sich die Botschaft, dass die alten Menschen auch im Alter schön sind, an alte Menschen glänzend. Aber nicht nur die Anthropologie, auch die eigene alltägliche Erfahrung belehrt uns eines Besseren. Keine Political Correctness kann etwas daran ändern, dass wir nur die Jungen schön und sexy finden. Wer das nicht wahrhaben will, muss dann schon zu Plattheiten wie der Grundschulforderung greifen, dass man Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen solle.

Die Political Correctness kann es natürlich nicht dulden, dass Alte sexuell weniger attraktiv sind als Junge, und hält den Vorzug, den wir den Jungen und Schönen geben, für ein Resultat massenmedialer Gehirnwäsche. Die einfachsten Lektionen Darwins sollten aber genügen, um zu begreifen, warum sexuelle Attraktivität und Schönheit mit Jugend verknüpft sind. Der evolutionäre Sinn des sexuellen Begehrens liegt in der Fortpflanzung der Gattung. Und umgekehrt macht es keinen evolutionären Sinn, sexuelle Attraktivität gegenüber Partnern zu entwickeln, die ihre fruchtbaren Jahre schon hinter sich haben.

Die Predigt gegen die Idole von Schönheit und Jugend hat also die gesamte Evolution des menschlichen Begehrens gegen sich. Schönheit ist ein Signal für reproduktive Fitness - daran orientieren wir uns, obwohl Sex in den meisten Fällen gar nicht mehr der Fortpflanzung dienen soll. Und hier gibt es eine krasse Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Frauen sieht man die Fruchtbarkeit an, Männern nicht. Was Frauen attraktiv macht, nimmt mit der Zeit ab: Schönheit, Jugend, Sex-appeal. Was Männer attraktiv macht, kann mit der Zeit wachsen: Macht, Einkommen, Prestige.

Die Folgelasten dieser Ungleichheit tragen allein die Frauen. Ihr Fruchtbarkeits- und Reproduktionswert fällt mit fortschreitendem Alter sehr stark ab. Deshalb arbeiten Frauen am eigenen Selbst nicht mehr nur mit den Mitteln der Psychoanalyse und kosmetischer Psychopharmaka wie Prozac, sondern zunehmend mit Schönheitsoperationen.

Doch der intellektuelle Spott über den Designer-Body als Statussymbol ist billig. Denn für uns alle bleibt der Dreiklang schön - jung - sexy betörend.

Norbert Bolz, Professor für Kommunikationstheorie, wurde 1953 in Ludwigshafen geboren. Er studierte in Mannheim, Heidelberg und Berlin Philosophie, Germanistik, Anglistik und Religionswissenschaften. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Ästhetik Adornos, in der Habilitationsschrift mit dem "Philosophischen Extremismus zwischen den Weltkriegen". Seit 1992 ist Bolz Professor für Kommunikationstheorie am Institut für Kunst- und Designwissenschaften der Universität Essen. Sein neuestes Buch trägt den Titel "Die Konformisten des Andersseins" (München 1999).