"Generation Käfer"

Rezensiert von Maximilian Preisler · 15.03.2005
Zwischen der Kriegsgeneration und der Generation Golf gab es die "Generation Käfer". Jürgen Brater erinnert in seinem Buch über "Unsere besten Jahre" präzise und prall gefüllt an die 50er und 60er Jahre, an die Gerüche, Farben und Töne dieser Zeit.
Preisfrage: Wie gefährlich war ein Leukoplastbomber? Oder: wohin rannte ein Mittelläufer. Und letzte Frage: Wofür war ein TEE gut?

Wenn Sie nun, wie aus der Pistole geschossen, die Antworten parat haben: Der TEE war ein Schnellzug, der Trans-Europa Express, ein Vorläufer des ICE; ein Mittelläufer hielt sich vorwiegend am Mittelkreis eines Fußballfeldes auf, und zwar vor der Erfindung der 4er Kette in der Abwehr; und wenn Sie auch auf Anhieb wussten, dass ein Leukoplastbomber die liebevolle Bezeichnung für ein Auto war, Marke Lloyd, Drei-Gang Getriebe, mit Seilbremse und einem 10 PS Motor ausgerüstet, dann gehören Sie auch zu jenen, die Wolfgang Brater meint, wenn er von der "Generation Käfer" spricht und damit natürlich den in den 50ern allgegenwärtigen Volkswagen-Käfer meint.

Für Brater, geboren 1948, Zahnarzt, Fachschullehrer und Autor, gehören all jene Kinder zu dieser speziellen Generation, die in der Zeit zwischen 1940 und 1950 geboren wurden. Einerseits haben sie vom Krieg bewusst nichts mehr mitbekommen, andererseits war ihre Kindheit durch die Reaktion der Eltern auf Krieg, auf Nazi-Herrschaft geprägt. Abgelöst wurde die "Generation Käfer" durch die "Generation Golf", die vor wenigen Jahren von Florian Illies so getauften Kinder der 70er Jahre. Braters Buch ist keine Abrechnung mit der nachfolgenden Generation, es ist auch keine Streitschrift gegen die Generation davor, die mitverantwortlich war für Krieg und Genozid. Sein doppeltes Anliegen könnte so formuliert werden: Eine wehmütige Rückerinnerung an die eigene Kindheit, und ein kritischer Vergleich seiner Generation mit den beiden anderen Generationen.

Am besten gelingt ihm der Blick zurück. Die Fülle der verschütteten Alltagserinnerungen, die er an die Oberfläche holt, ist wirklich beeindruckend. Das reicht von den Kosten für eine Fahrstunde in jenen Tagen – sage und schreibe 12,-- Mark - über die selbst gebastelten Weihnachtsgeschenke – unweigerlich Schlüsselbretter, mit der Laubsäge aus Sperrholz geschnitten, den von der Mutter flehentlich ersehnten "echten" Teppich, die beim Kolonialwarenladen mit Rabattmärkchen erstandene "gute" Butter bis zu den vorm Radio gemeinsam verbrachten Stunden, in denen der Geschichte des Unterweltganoven Dickie Dick Dickens gelauscht wurde und den Heftchen, die alle, alle Jungs, verschlangen: Akim, Sigurd und Prinz Eisenherz.

Manchmal verdünnt sich Braters Durchdringung der 50er zu einer bloßen Aufzählung, von Filmen, von Büchern und von Schlagern, doch meist ist sein Erinnerungsvermögen präzise und prall gefüllt mit Gerüchen, Farben, Geschmack und Tönen dieser Zeit, und manchmal braucht es auch nur ein Wort und sei es der Titel eines beliebigen Schlagers und beim Lesen setzt ein unfreiwilliges Kichern ein. Wie wäre es mit dem "Wumba-Tumba Schokoladeneisverkäufer"?

Aber Jürgen Brater will ja mehr – er will ein Essay schreiben, also auch die intellektuelle Reflektion über die Phänomene. Brater behauptet, das waren "unsere" besten Jahre, und dieses "unsere" soll umfassend gemeint sein, jetzt sieht er sich nicht nur als Sprecher seiner Generation, sondern er hat zumindest drei Generationen von Deutschen im Blick. Jedoch sein Vergleich bleibt zu oberflächlich. Es reicht nicht aus, das gute alte Telephon zu preisen, womöglich noch jenes, das seine Eltern besaßen, als einzige im Mehrfamilienhaus, und diesen Quell der Nachbarschaftshilfe den nervtötenden Handys von heute gegenüberzustellen.

Die Fußballer waren damals versierter, so der Autor, weil sie von Kindheit an mit Ersatz-Bällen jonglieren mussten, Lederbälle waren ja unerschwinglich; Hygiene wurde kleingeschrieben, doch "wir" waren gesünder als die Jugendlichen heute; die Generation Käfer brauchte auch keine teuren "Seminare in kreativer Problemlösung", sie eignete sich alles spielend an und von abgeschürften Knien ist es nach Brater ein kurzer Weg zur "Hervorbringung überragender Wissenschaftler, Künstler und Denker".

Der peinlichste Faux pas allerdings unterläuft dem Verlag auf dem Waschzettel des Buches, wo von der gelungenen Atmosphäre und dem Anekdotischen die Rede ist und von den "frühen Jahren unserer Republik" gesprochen wird. Gab es da nicht noch einen zweiten deutschen Staat? Nur wenn Brater über Erziehung spricht, leuchtet auf, was eine analytische Untersuchung ergeben könnte. Die Generation Käfer genoss viele Freiheiten, doch die Jugendlichen wurden für Nichtigkeiten streng bestraft. Die Reaktion darauf war das Ideal der Kumpelhaftigkeit bei der Erziehung der eigenen Kinder. Darüber wiederum hat die Generation Golf einiges zu sagen.

Jürgen Brater
Generation Käfer – Unsere besten Jahre
Eichborn Verlag, Frankfut/Main: 2005