Generalstreik in Frankreich

Auch der Kulturbetrieb ist erlahmt

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Foyer der Oper Garnier in Paris, hier finden vor allem die Ballett-Aufführungen statt.
An der Pariser Oper Garnier streiken die Tänzerinnen und Tänzer, weil sie um ihr Privileg fürchten, mit 42 in Rente gehen zu können. © epa/Sipa Alfred/dpa
Jürgen Ritte im Gespräch mit Johannes Nichelmann · 14.12.2019
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Auch Frankreichs Kulturanstalten sind vom Generalstreik betroffen: Angestellte der Häuser selbst streiken und der öffentliche Nahverkehr steht still. Dabei handle es sich um einen "Streik auf Verdacht" - vermeintlich im Namen der Égalité, meint Jürgen Ritte.
Seit Tagen herrscht in Frankreich ein Generalstreik. Auslöser sind die Rentenreformpläne von Präsident Emmanuel Macron. Dabei geht es vor allem um die Vereinheitlichung eines Rentensystems, in dem es 42 Sonderregelungen gibt. Die Gewerkschaften wollen diese Pläne ohne Wenn und Aber stoppen.
Nicht nur Züge und Behörden stehen still, auch der Kulturbetrieb ist gestört: Die Ballett-Tänzer der Pariser Oper streiken beispielsweise, weil sie um ihr Privileg, mit 42 Jahren in Rente gehen zu können, fürchten. Dieses wurde ihnen schon von Ludwig XIV. zugestanden.

Viel Platz in leeren Museen

Der Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte lebt seit über 30 Jahren in Paris und berichtet von einem erlahmten Kulturbetrieb. Steht man normalerweise lange Schlange, um in ein überfülltes Pariser Museum zu gelangen, kann man sich die Ausstellungen nun relativ alleine anschauen, sofern die Häuser geöffnet sind.

Die vom Architekten Jean Nouvel entworfene Philharmonie de Paris.
In der vom Architekten Jean Nouvel entworfenen Philharmonie de Paris finden seit Beginn des Generalstreiks Konzerte vor kleinerem Publikum statt.© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/ZB
Bisher hielten sich Kulturschaffende und prominente Intellektuelle bei Solidaritätsbekundungen mit den streikenden Eisenbahnern und Metrofahrern zurück, sieht man von einem Aufruf von 180 – größtenteils unbekannten – Intellektuellen einmal ab.

Streik auf Verdacht

Diese Zurückhaltung liege vor allem an der Komplexität und Undurchsichtigkeit einer Rentenreform, deren Details noch nicht bekannt seien. Es handle sich also einerseits um einen Streik auf Verdacht, andererseits sei es kurios, dass 42 Sonderregime, von denen einige ungerecht seien, im Namen der Égalité, also der "sakralen französischen Gleichheit", verteidigt würden, erklärt Ritte. Deswegen hätten sich viele Prominente bisher gar nicht oder wenn, dann eben sehr zurückhaltend geäußert, bis auf die "üblichen Verdächtigen" um Didier Eribon und Édouard Louis herum.
Dabei gehe es bei dieser Rentenreform nicht um Kürzungen im Kulturbetrieb, sondern nur um die einzelnen Sonderregelungen für die Rente, erklärt Ritte. Nur diese seien auf dem Prüfstand.

Kein Ende vor Weihnachten

Der Kollateralschaden für die Kultureinrichtungen durch den Streik der Eisenbahner, Metro- und Busfahrer sei schon jetzt beträchtlich, berichtet Ritte. Für die privaten Häuser werde der bereits mit zwischen 30 und 70 Prozent beziffert. Der Streik werde auf jeden Fall bis Weihnachten, wahrscheinlich noch bis darüber hinaus andauern, ist sich Ritte sicher.
"Was ich jetzt sage, hört sich kritisch den Streikenden gegenüber an, das soll es auch sein, aber die Regierung ist auch nicht sehr deutlich in der Kommunikation dessen, was sie genau will." Einige Berufszweige wie Lehrer und Professoren seien beispielsweise von den Plänen betroffen, wüssten aber nicht, wie diese Reform sich auf sie auswirken werde. Es gebe vor allem Versprechungen, aber nichts Konkretes.
(ckr)
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