Generaldirektor Roth: Albertinum in Dresden vermittelt "Identität"

Martin Roth im Gespräch mit Ulrike Timm |
Nach sechsjähriger Bauzeit eröffnet in Dresden das Albertinum als Museum für Moderne und Gegenwart. Im Albertinum sei eine Ausstellung zu sehen, die wichtige Werke der Kunstgeschichte miteinander in einen Dialog setze, sagt dazu Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Ulrike Timm: Wir haben aber jetzt trotzdem ein ganz positives Thema: Dresden freut sich nämlich. Nach acht Jahren wird morgen das Albertinum als das Dresdner Museum für die Kunst der Romantik bis zur Gegenwart wiedereröffnet. Das Elbhochwasser 2002 hatte nicht nur das Gebäude als Ausstellungsort unbrauchbar gemacht, die braune Brühe hätte der Stadt beinahe auch noch eine kulturelle Katastrophe zugefügt - die Kunst wäre um ein Haar schlicht abgesoffen. Die Menschen holten die Werke teilweise mit bloßen Händen und in letzter Minute heraus. Oberster Hausherr und heute wahrscheinlich ein sehr glücklicher Mann, ist Martin Roth von den Kunstsammlungen Dresden. Ich grüße Sie!

Martin Roth: Tag, Frau Timm, sehr glücklich, trotz des Rückstands.

Timm: Herr Roth, ich nehme mal an, das ist für Sie ein Doppelfilm: die Elbe, die alles unter Wasser setzte, und der heutige Zustand, gut verstaut, entstaubt und restauriert.

Roth: Ja, das ist so eine Geschichte. Ich glaube, dass so ein Trauma – und das war es damals, was uns alle irgendwie lang verfolgt hat –, dass das nun ja nie so richtig verschwindet. Das trägt man mit sich rum. Also wenn Sie nächtelang wirklich Kunst schleppen und Angst haben, dass irgendwie ein Gebäude zusammenbricht und was weiß ich was alles, Angst haben um die Kollegen und die Mitarbeiter, manchmal auch selbst Angst haben – und so ging es uns allen –, dann setzt sich das so fest, dass Sie wirklich solche Befreiungserlebnisse brauchen.

Und eines dieser Befreiungserlebnisse war relativ kurz nach der Flut schon die Option, die mithilfe von Helge Achenbach und vielen anderen zustande kam und die damals uns ordentlich viel Geld gebracht hat, weil Gerhard Richter, Baselitz, Gursky viele andere Werke gespendet hatten. Und mit diesem (…), wie man neudeutsch sagt, mit diesem Geld, das wir dann in der Hand hatten, war es möglich, sowohl auf den Bund als auch auf das Land zuzugehen. Und die politischen Entscheider damals haben nach manchen Diskussionen uns tatsächlich unterstützt. Und das Ergebnis eröffnen wir heute.

Timm: Jetzt haben Sie einen wunderschön restauriertes, historisches Gebäude, ein sicheres Depot, Sie haben mehr Platz, Sie haben erweiterte Räumlichkeiten und können praktisch noch mal einen Neuanfang starten mit dem Albertinum. Klingt vielleicht ketzerisch, aber wenn Sie heute durch die Räume gehen, müssen Sie der Flut ja fast dankbar sein. 51 Millionen hätte man sonst für ein Museum so schnell nicht locker gemacht.

Roth: Na ja, also zwei Antworten dazu: Die erste ist, sie heißt, Sie haben recht, also wie man einer Flut, einer Katastrophe dankbar sein kann, das weiß ich nicht so richtig, aber ich glaube, dass jeder aus seinem privaten Leben das Gefühl kennt, dass in jeder Katastrophe, in jeder Niederlage, in jedem Einsteckenmüssen auch immer so was wie ein Neuanfang steckt. Das weiß jeder, der eine Scheidung hinter sich hat oder eine füchterliche Auseinandersetzung oder wie auch immer, egal was.

Also das heißt, da ist immer so ein bisschen was Befreiendes. Und Katharsis ist dabei, auch wenn sich das schrecklich anhört, es ist halt so, menschlich. Und das gilt auch für so eine Situation und so eine Institution. Wobei man dazu sagen muss – und ich glaube, das freut mich am meisten –, wir leben in einer Zeit, die so viel von Vertrauen redet.

Also die Politik möchte haben, dass wir in sie vertrauen, die Wirtschaft möchte haben, dass wir in sie vertrauen, die Kanzlerin redet davon, dass die Welt über ihre Verhältnisse gelebt hat, was immer das bedeutet. Und ich glaube, dass die wenigsten Menschen tatsächlich noch wirklich Vertrauen haben.

Was Sie mit so einer Institution wie dem Albertinum haben, ist das, dass es tatsächlich Identität vermittelt, weil hier ganz viele zusammen geholfen haben, und in kürzester Zeit ist tatsächlich was ganz Wunderbares entstanden. Heißt, die Künstler, die Geld gegeben haben, die Politiker, die mitgemacht haben, andere Unternehmen, Privatleute, Freundeskreise, Galeristen, Julia Lübke hat uns geholfen, viele andere mehr.

Ich erwähne noch mal Achenbach, die Sammlung der Dresdner Bank, die zur Commerzbank gekommen ist, sitzt in Teilen bei uns als Dauerleihgabe. All dieses Zusammenwirken, und zwar nicht, indem der eine auf den anderen gezeigt hat und sagt, du musst machen, sondern indem jeder für sich Verantwortung übernommen hat und was gemacht hat, also auch meine Kollegen. Dazu kommt noch der Entwurf von Volker Staab – ich habe so eine Architektur noch nie gesehen –, weil das kein Architekt ist, der sich selbst verwirklicht, sondern der hat sein Gebäude regelrecht verschwinden lassen, es ist unsichtbar.

Timm: Kommen wir mal zur Kunst, die drin ist. Dieses Albertinum beherbergt die Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart, das ist ein Riesenpensum. Martin Roth, seien Sie mal in aller Kürze unser Fremdenführer: Spaziert man in Dresden durch die Kunstgeschichte chronologisch einmal quer durch?

Roth: Nein, das ist aber tatsächlich ein bisschen sozusagen immer noch das Dilemma von Dresden, weil wir im Prinzip hier die Gemäldesammlung haben, diese wahnsinnig schöne, reiche Weltgemäldesammlung, die ist 1958 wahrscheinlich aus politischen Gründen künstlich getrennt worden, vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Und mit dieser Situation leben wir bis heute. Mal sehen, wie wir das in Zukunft machen werden. Das heißt, wir haben tatsächlich die Spanne von Caspar David Friedrich bis Gerhard Richter. Das lässt sich, wenn man das so formuliert, wunderbar vermitteln, weil es ist immer sozusagen dieser Bezug auf Dresden, diese vielen, vielen namhaften Künstler, die von Dresden ausgegangen sind.

Und bereits erwähnt Baselitz, Penck, auch von den ganz Jungen, Havekost, Scheibitzer, auch wenn er immer seine Dresdner Herkunft leugnet, also das heißt, da ist, da ist ein Potenzial da. Das ist immer so diese selbe Freude, die ich hier erlebe. Die hat ja im Prinzip mal in Dresden angefangen, wenn sie etwas bekannter werden, gehen sie zur Leipziger Schule, und zum Schluss enden sie in Berlin.

Also das ist sozusagen die Stärke, die wir in der Gegenwart, und dann ist es wahnsinnig reich im 19. Jahrhundert. Und zwischendrin wird es halt schwierig, weil die Arisierung, die Eingriffe des Dritten Reiches, uns diesen Bestand an Moderne sehr stark genommen hat. Dresden war die Stadt der Sammler in den 20er-Jahren, das ist extrem dezimiert worden.

Und die Position, die wir zur DDR-Kunst haben, ist natürlich auch sozusagen bis heute eine umstrittene, aber das macht das Ganze nur interessanter. Also das heißt, das ist keine Chronologie, sondern das sind Positionen, bloß die Darstellung von einzelnen Räumen einzelner Künstler – Gerhard Richter hat einen eigenen Raum eingerichtet, Baselitz hat einen eigenen Raum eingerichtet, wir haben einen ganz großen Bestand an wunderschöner DDR-Kunst, diskussionswürdig. Dieser große Überblick macht es aus, und dann natürlich viele Highlights darunter von Dix bis Schleevoigt und viele andere mehr.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit Martin Roth, dem Direktor der Kunstsammlungen Dresden, aus Anlass der Wiedereröffnung des Albertinums. Herr Roth, Sie haben es gesagt, es gibt Extraräume für Penck, es gibt einen für Baselitz, es gibt gleich zwei für Gerhard Richter.

Alle diese berühmten Künstler sind Dresden schwer verbunden. Sie haben aber allein 29.000 Werke, die die Kunstgeschichte Ost- und Westdeutschlands über 40 Jahre abbilden. Sie hätten das vielleicht doch stärker in Widerstreit setzen können mit mehr Räumen, als Sie es getan haben. Stattdessen hat man sich lieber auf die großen Dresdner, Dresden verbundenen Meister konzentriert. Schade, sagen eine ganze Menge Leute, Chance verpasst. Was sagen Sie dazu?

Roth: Na ja, das ist ja gar nicht schlecht, wenn das manche sagen, weil man dann auch so was wie einen Diskurs weiterführen kann oder vielleicht sogar zum Teil erst beginnen kann. Aber wissen Sie, mir fällt jetzt nicht so das richtige Beispiel ein, ohne despektierlich sein zu wollen, aber wir machen ja Ausstellungen, die die wichtigen Werke der Kunstgeschichte miteinander in Dialog setzen, davon haben wir Gott sei Dank viele. Wir machen keine politische Ausstellung, die versucht, 20 Jahre nach der politischen Wende die kommunistischen Herangehensweisen an die damalige Gegenwartskunst mit heutigen Standards zu vergleichen.

Timm: Aber wäre doch spannend gewesen, ost- und westdeutsche Bilder einander gegenüber zu hängen ...

Roth: (…)

Timm: ... sodass sie sich kommentieren.

Roth: Das ist doch nicht mehr spannend, 20 Jahre danach, ich bitte Sie. Das ist dann Politikgeschichte, aber nicht mehr Kunstgeschichte. Was man machen muss – und da, finde ich, haben wir in der Tat noch einen gewissen Nachholbedarf –, ist die Frage, wie sammeln wir zum Beispiel diese Zeit.

Was ist mit den Künstlern, die in den 60er-, 70er-Jahren sich nicht zu Wort melden durften, wie es zum Beispiel heute in den baltischen Staaten ist, dass so mancher Künstler der Avantgarde dieser Zeit jetzt erst seinen Einzug ins Museum findet. Da haben wir Nachholbedarf, da gebe ich Ihnen recht.

Aber dieses Auseinandersetzen immer noch mit der kommunistischen Zeit, die für die jüngere Generation überhaupt gar keine Rolle mehr spielt, das gehört ins Deutsche Historische Museum nach Berlin oder nach Bonn ins Haus der Geschichte, da ist das wunderbar aufgehoben. Aber wir sind ein Kunstmuseum, was sich mit Positionen auseinandersetzt, aber bitte nicht mit Politikgeschichte zu verwechseln.

Timm: Steht denn das, was Sie uns eben beschrieben haben, noch verstärkt auf der To-do-Liste um die eben 29.000 Werke, die dann noch im Depot auch vorrätig sind, um die vielleicht mal ja entweder schlummernde Schätze zu heben oder eben zu sagen, ja, das ist die Geschichte, die spiegelt das wider, und das haben wir bewusst auch bislang etwas unterbelichtet.

Roth: Ich weiß nicht, wie Sie auf die 29.000 Werke kommen, die haben wir nicht.

Timm: Ich habe nicht gezählt, ich gebe zu, die Zahl habe ich schlicht aus dem Schriftverkehr, den wir haben.

Roth: Die kommt nicht von uns, sondern was wir haben, ist ein hochinteressanter Bestand im sogenannten Kunstfonds, eine Abteilung, die zu uns gehört, die aus DDR-Zeiten stammt, die man im Prinzip jedem anderen Bundesland auch wünschen mag, weil seit mindestens 30 Jahren in bescheidenem Maße immer Gegenwartskunst gesammelt werden konnte.

Und das ist für uns ein unglaublich reicher Fundus, da ist 95 Prozent so, dass es nicht ausstellungswürdig ist, aber 5 Prozent, würde ich sagen, ist hochinteressant, anderes dürfte ja manchmal auch politische Belegstücke sein und, wie gesagt, dann eher ins Historische Museum gehören.

Aber die, die sozusagen mit viel Kenntnisreichtum und mit viel Gespür gesammelt haben, von denen profitieren wir heute. Wir haben den ganz jungen Neo Rauch gesammelt und viele andere mehr. Die haben wir heute in unseren Museen, in Zeiten, in denen man sich das noch leisten konnte, gekauft. Aber das ist bitte nicht zu verwechseln mit einer Präsentation in der Galerie Alte Meister oder Galerie Neue Meister. Das ist eine andere Herangehensweise.

Timm: Jetzt wird erst mal großartig gefeiert und mit einer Menge Grund, Sie haben, glaube ich, eine ganze Festwoche und viele Veranstaltungen. Ich frage mich, die Leute, die damals alle mitgeholfen haben, die Kunst vor dem Wasser zu retten und die wirklich Unglaubliches geleistet haben damals, durchaus auch mit Gefahr für Leib und Leben. Haben die denn das ganze Wochenende freien Eintritt?

Roth: Also wir versuchen – ja, ja – wir versuchen, so viel wie möglich natürlich hier mitzunehmen in diesem Dankesfest, wobei wir feiern nicht so großartig, wie Sie es gerade darstellen. Das ist schon auch eine gewisse Bescheidenheit, die uns, glaube ich, eher zu Gesicht steht und nicht zuletzt wegen diesen aktuellen Zeiten, aber auch generell freuen wir uns über das, was wir haben, und nicht, indem wir prunkvolle Partys feiern müssen.

Und in der Tat ist es ein großer Dank, ein Dank an diejenigen, die uns die Kunst gestiftet haben, Dank an diejenigen, die uns geholfen haben damals, und vor allen Dingen in großem Maße die einzelnen Mitarbeiter des Hauses, aber auch viele andere mehr. Und es gab diese ganze Woche über schon immer wieder sozusagen Empfänge für einzelne Gruppen, aber es ist wirklich ein Dankesfest für diejenigen, die uns in vielerlei Hinsicht geholfen haben.

Timm: Martin Roth, Chef der Kunstsammlungen in Dresden, zur Wiedereröffnung des Albertinums. Toi, toi, toi!

Roth: Vielen Dank!