Generalbundesanwalt verteidigt Ermittlungsübernahme bei rechten Einzeltätern
Der scheidende Generalbundesanwalt Kay Nehm hat die Übernahme von Ermittlungen bei Einzeltätern mit rechtsextremem Hintergrund verteidigt. Gerade in den neuen Bundesländern seien "Situationen entstanden, dass besonders brutale Übergriffe möglicherweise dazu führen, dass bestimmte Bevölkerungsteile in diesen Gegenden nicht mehr zu leben wagen", sagte Nehm.
Deutschlandradio Kultur: Herr Generalbundesanwalt, wer es in den vergangenen zwölf Jahren Ihrer Amtszeit versäumt hat, Kai Nehm kennen zu lernen, der hatte in den letzten Wochen noch mal Gelegenheit dazu. Da sind Sie noch mal richtig in die Öffentlichkeit getreten. Da gab es den Angriff auf einen dunkelhäutigen Mann in Potsdam. Sie haben da wegen des Verdachts eines ausländerfeindlichen rassistischen Hintergrundes die Ermittlungen an sich gezogen. Das Ergebnis war eine politische Auseinandersetzung mit dem Brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm. Ich glaube, der Streit ist beigelegt, aber noch mal rückblickend auf diese Auseinandersetzung: War das jetzt ein finales Scharmützel, wie das immer wieder vorkommt? Oder steckt da doch etwas Symptomatisches dahinter, das uns etwas erklärt über das Spannungsverhältnis zwischen Politik, einer unabhängigen Justiz und der Öffentlichkeit, die da auch eine Rolle spielte?
Kai Nehm: Ich hätte mir natürlich meinen Abgang aus dem Amt nach zwölf Jahren und drei Monaten etwas ruhiger vorgestellt. Man kann sich das nicht aussuchen. Die Fälle kommen so wie sie kommen. So ist es auch in diesem Fall gewesen. Es ist ja keine einsame Entscheidung des Generalbundesanwalts, wenn man sich entschließt einen Fall zu übernehmen, sondern das ist eine sehr sorgfältige Vorbereitung. Es fährt ein Kollege zur ermittelnden Polizei und informiert sich sehr intensiv darüber, wie der Staatsschutzhintergrund aussieht. Das haben wir in diesem Fall selbstverständlich auch getan. Dann haben wir im Kreise der zuständigen Kollegen darüber beraten und haben uns dann auch sehr schnell entschlossen, dass wir den Staatsschutzhintergrund aufklären. Es ist natürlich ein bisschen symptomatisch, weil in der Bevölkerung und auch in weiten Teilen der Presse, diese sehr komplizierten Zuständigkeitsregelungen nicht so gegenwärtig sind, dass man sich immer so in der Presse und in der Öffentlichkeit vertreten fühlt. Es ist schwer zu vermitteln. Wenn Sie heute sehen, wie viele Menschen Eingaben an die Behörde leisten und sagen: "Warum den Fall nicht übernommen und da gibt es auch den Fall"... Dass das alles in einem ganz strengen Korsett des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgezeichnet ist, wird der Bevölkerung weitgehend nicht erklärt. Und das ist unsere Schwierigkeit.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben sich ja gerade in dem Fall auch auf die Öffentlichkeit berufen. Sie haben gesagt, auch die öffentliche Aufmerksamkeit in diesem Fall war mit ein Argument dafür, diese Ermittlungen an sich zu ziehen.
Nehm: Es gibt ja ein rechtliches Korsett nicht nur durch das Gerichtsverfassungsgesetz, sondern auch durch die Vorgaben des Bundesgerichtshofs. Wir haben da einige Vorgängerentscheidungen gehabt. Ob es einem gefällt oder nicht, das Argument, ob eine Konstellation in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt hat, indem es in überregionalen Blättern erwähnt und kommentiert worden ist, ist ein Bestandteil der Zuständigkeitsregelung nach Meinung des Bundesgerichtshofs. Und das war für uns auch ein Maßstab. Wenn das nur in der Potsdamer Zeitung erwähnt worden wäre, hätten wir möglicherweise gar nicht einsteigen dürfen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Gefällt es Ihnen?
Nehm: Das ist sehr schwer zu beurteilen. Ich sehe das auch immer aus der Sicht eines Beschuldigten, der sich natürlich fragt: Warum kommt jetzt der Generalbundesanwalt, möglicherweise sogar mit dem Bundeskriminalamt. Der wird ja sagen, das hat doch mit der möglichen Tat, die mir zur Last gelegt wird, überhaupt nichts zu tun, ob die Süddeutsche oder eine andere Zeitung darüber berichtet. Der wird sich mit Recht fragen, was das mit der Kompetenz des Generalbundesanwalts zu tun hat. Aber so ist es nun mal. Der Gesetzgeber hat das mit den Ausdrücken bestimmt und geeignet vorgegeben und das musste die Rechtsprechung mit Leben ausfüllen.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt haben Sie gesagt, das war keine einsame Entscheidung. Es gibt ein Korsett, wann Sie zuständig sind. Andererseits ist es ja schon so, dass diese Ermittlungen gegen rechte Einzeltäter gerade Sie erstmals wahrgenommen haben, anders als Ihr Vorgänger. War das ein Versäumnis Ihres Vorgängers? Oder hatten wir da so eine neue Bedrohungslage, gerade als sie Generalbundesanwalt wurden?
Nehm: Ich werde natürlich meinen Vorgängern und den Kollegen, die früher im Hause gearbeitet haben, jetzt keine Zensuren ausstellen. Das Gesetz hat sich geändert. Das "bestimmt und geeignet" hat es ja früher in der Form nicht gegeben. Da war die Kompetenz weitgehend an den Organisationsdelikten festgemacht. Dann hat sich etwas geändert und wir haben festgestellt, dass Situationen gerade in den neuen Bundesländern entstanden sind, dass besonders brutale Übergriffe möglicherweise dazu führen, dass bestimmte Bevölkerungsteile in diesen Gegenden nicht mehr zu leben wagen. Ich meine, das ist nun wirklich ein Staatsschutzinteresse. Wir haben ja in der deutschen Geschichte nicht direkt vergleichbare Fälle, aber doch Ansätze dazu gehabt. Und ich sehe unsere Aufgabe auch immer ein bisschen als das seismographische Gewissen einer Gesellschaft. Wenn man merkt, hier ist eine Entwicklung, die läuft den staatlichen Interessen diametral entgegen, dann sind wir aufgerufen was zu tun. Und wir haben das Recht ausgelotet, haben dabei auch bis zu einer gewissen Grenze Erfolg gehabt. Der Bundesgerichtshof hat uns ja dann in einem Fall zurückgepfiffen. Aber ich denke, das ist unsere Aufgabe, auch wenn darin ein gewisses Risiko liegt.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben gesagt, Sie haben das Recht ausgelotet. Wie weit ist das ohnehin Ihre Aufgabe, auch noch mal zu gucken, ob man Anstöße geben kann für eine Veränderung der Rechtspraxis?
Nehm: Wir sind ja keine Rechtspolitiker, sondern wir versuchen den Wandel der Gesellschaft, den Wandel der Taten, den Wandel der Beschuldigten mit dem geltenden Recht aufzufangen. Das Recht ist ja nicht statisch, sondern das entwickelt sich immer an den Gegebenheiten. Und unsere Aufgabe, gerade im Staatsschutz, ist es nun auszuloten, wie weit das geschriebene Recht diese Fälle noch umfasst. Damit geht man ein Risiko ein. Der Bundesgerichtshof wird dann in unserem Fall darüber entscheiden müssen, ob dieses Risiko zu Recht eingegangen worden ist. Wenn nicht, ist der Gesetzgeber aufgerufen und die Rechtspolitik muss das bewerten, ob möglicherweise Änderungen vorgenommen werden sollen oder ob man mit dieser Rechtslage leben kann.
Deutschlandradio Kultur: Wie unabhängig sollten Staatsanwälte bei solchen Schritten sein oder wie unabhängig sind sie? Es geht mir um die Frage der politischen Beamten. Ist es richtig, dass das bei Generalstaatsanwälten der Fall ist?
Nehm: Es gibt noch einige Generalstaatsanwälte der Bundesrepublik Deutschland, die so genannte politische Beamte sind. Der Generalbundesanwalt ist auch ein politischer Beamter. Das hat aber – glaube ich - mit dem Thema, das Sie angesprochen haben, nicht direkt etwas zu tun. Politischer Beamter heißt ja nicht, dass man selber politische Entscheidungen trifft oder gegängelt wird von der Politik, sondern es ist ein Faktum, dass man sich unter Umständen voneinander trennen kann, wenn die Ansichten diametral entgegenstehen. Dann kann man gerade in diesem schwierigen Geschäft des Staatsschutzstrafrechts nicht miteinander arbeiten, wenn die Ansichten so diametral sind. Dann muss man die Konsequenzen ziehen. Und die werden gezogen, ob man nun politischer Beamter ist oder nicht. Dann wird man eben versetzt als normaler Beamter. Ich habe immer gesagt, dann ist es mir lieber, die Politik übernimmt die Verantwortung und sagt, den wollen wir jetzt nicht mehr. Dann muss sich die Politik mit dieser Entscheidung gegenüber der Öffentlichkeit auseinandersetzen. Aber mir ist es lieber, als dass ich irgendwo als Protokollchef in einem Ministerium lande. Da finde ich die Grenzen schon klarer gezogen.
Deutschlandradio Kultur: Deutschland Kultur "Tacheles", wir sprechen mit dem Generalbundesanwalt Kai Nehm, der Ende das Monats nach zwölf Jahren auf dem Amt scheidet. Herr Nehm, eine wichtige Zäsur in Ihrer Amtszeit und nicht nur für Sie in Ihrer Tätigkeit, sondern wirklich eine weltgeschichtliche Zäsur war der 11. September 2001, die Terrorangriffe in Amerika. Da konnte man plötzlich in der Zeitung den Satz von Ihnen lesen, ich weiß nicht, ob er so stimmt: Das sei – sinngemäß – nicht ganz überraschend gekommen. Wie muss man sich – mal ganz persönlich gefragt, diesen Tag, diesen 11. September 2001, im Leben des Generalbundesanwalts vorstellen? Wie haben Sie das erfahren und wie haben Sie reagiert? Anders als die meisten, die ja doch überrascht, entsetzt waren?
Nehm: Das Ganze hat natürlich auch hier eine Vorgeschichte. Ich sprach ja von der seismographischen Sorgfalt eines Generalbundesanwalts. Wir haben es schon grummeln gefühlt. Wir haben ja seit Mitte der 90er Jahre gegen Islamisten ermittelt. Wir hatten den sehr spektakulären Fall Ende 2000, den versuchten Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg. Das waren eigentlich deutliche Hinweise dafür, dass es in der Szene grummelt. Dass der 11. September dann in dieser wirklich grausamen Form über uns kam, hat in dem Ausmaß schon etwas überrascht. Aber dass es dazu kommen würde, daran konnte man nach Nairobi und Daressalam eigentlich keine großen Zweifel haben. Was die Ereignisse an diesem Tage anging: Ich kam vom Mittagessen und ging in mein Zimmer. Frau Scheuten, meine Pressesprecherin sagt, ich soll den Fernseher anmachen. Und ich sah den brennenden Turm Nr.1 und habe dann auch gesehen, wie das zweite Flugzeug in den zweiten Turm hinein flog. Da war mir schon klar, dass das natürlich nie und nimmer ein Unfall sein würde, dass das eine konzertierte Aktion sein würde. Was wir damals nicht ahnten, war natürlich der Grund, dass die Dinge von Hamburg aus ihren Ausgang genommen haben. Das hat uns schon ein wenig überrascht. Aber auch da gibt es Anzeichen im Verfassungsschutz. Der frühere Verfassungsschutzpräsident hat ja – ähnlich wie wir im Strafverfahren – immer schon vor einer Entwicklung gewarnt, die sich dann auch in der Tat gezeigt hat.
Deutschlandradio Kultur: Es gab kurz darauf noch einen weiteren entscheidenden Tag für Sie, den 3. Oktober, wo es auch – wieder Presseberichten zufolge – wieder relativ heftig und relativ laut gewesen sein soll. Können Sie das noch mal schildern?
Nehm: Ja, das war der Tag der Einheit, der 3. Oktober. Es ist eine grundlegende Schwierigkeit, dass in Fällen, in denen die Nachrichtendienste die Informationen einliefern, entschieden werden muss, wer nimmt sich der weiteren Bearbeitung dieser Fälle an? Die Nachrichtendienste unterliegen dem Trennungsgebot. Das heißt, sie dürfen exekutiv nicht tätig werden. Und jetzt versucht man dieses Defizit aufzufangen, indem man möglichst den Generalbundesanwalt einschaltet, weil der auf einer Basis eines sehr niedrigen Anfangsverdachts, der ist ja nach der Strafprozessordnung deshalb so niedrig, weil wir sowohl zugunsten als auch zulasten des Beschuldigten ermitteln sollen. Und hier entsteht immer eine gewisse Drucksituation, dass man möchte, dass der Generalbundesanwalt exekutiv in diesen Fällen tätig wird. Da hat es Differenzen in einem Fall gegeben, die in der Diskussion ausgetragen werden mussten. Ich denke, dass ich mich da in dieser Diskussion durchgesetzt habe. Dass wir nachher das Verfahren trotzdem eingeleitet haben, hat Gründe, die mit einer weiteren Information zusammenhängen, aber nicht mit diesem Grundstreit.
Deutschlandradio Kultur: Um diesen Tag noch mal zu illustrieren: Da ging es um eine Konferenz im Bundeskanzleramt mit Vertretern der Regierung, der Verfassungsschutzorgane und Ihnen als oberstem Chef der obersten Strafverfolgungsbehörde. Es wird geschildert, dies sei eine Situation gewesen, wo die Exekutive von Ihnen massiv verlangt habe, sich einer politischen Antiterrorstrategie unterzuordnen. Ohne noch mal zu insistieren und Sie nach Details einer vertraulichen Besprechung zu fragen: Aber wenn man die Geschichte, wie sie zum Beispiel der Stern geschrieben hat, liest, stehen Sie fast als ein Held der Rechtstaatlichkeit da, der – zugespitzt gesagt – außer Rand und Band geratenen Verfassungsschutzorganen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit entgegenhält. Ist das – allgemein gesagt – eine Rolle gewesen, die Sie da eingenommen haben und ist das ein Zwiespalt gewesen? Denn Sie waren ja in einer doppelten Rolle, einerseits Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit einzuhalten, andererseits aber auch sehr bald dann die Strafverfolgung gegen die deutschen Beteiligten, gegen die Terrorzellen in Deutschland vorantreiben zu müssen.
Nehm: Solche Situationen sind ja kein Einzelfall. Es passiert immer, dass Interessen der Exekutive im Raum stehen und der Generalbundesanwalt nun gefordert ist etwas zu tun. Da könnte ich Ihnen viele Bespiele nennen, die nicht so spektakulär sind, wie der von Ihnen angesprochene Fall. Ich weiß nicht, wer die Informationen im Einzelnen gegeben hat. Ich will auch gar nicht dementieren oder bestätigen, wie das Gespräch verlaufen ist, aber die Grundsituation ist schon so, dass das Interesse der Exekutive sehr stark war, dass wir den Fall übernehmen sollten. Es war je ein konkreter Fall, der in der Obhut der Hessischen Justiz schon längst ermittelt wurde, auch durch das Bundeskriminalamt. Und wir haben den Fall zweimal bei uns auf dem Tisch gehabt und haben das in zwei Referaten sehr intensiv durchgeprüft.
Deutschlandradio Kultur: Das war der Fall Darkazanli…
Nehm: Ja. Zu der Zeit galt damals der Grundsatz, dass eine ausländische terroristische Vereinigung und die Mitgliedschaft und Unterstützung in Deutschland nicht strafbar ist, es sei denn, dass hier eine Teilorganisation besteht. Die Voraussetzungen haben eindeutig nicht vorgelegen und wir haben aus Rechtsgründen die Übernahme dieses Verfahrens verneint. Nach dem 11. September war nun eine Situation entstanden, in der natürlich der Staat schon sehen musste im außenpolitischen Interesse und auch innenpolitisch, dass hier alle Schritte zur Aufklärung vorgenommen werden sollten. Nur wir konnten ja an den rechtlichen Gegebenheiten nicht vorbei. Wir wären ja spätestens beim Ermittlungsrichter gescheitert, wenn wir mit einem Antrag auf exekutive Maßnahmen beim Ermittlungsrichter angetreten wären. Der hätte uns ja wahrscheinlich herausgeworfen. Da wären wir ja nie und nimmer zum Zuge gekommen. Das heißt, wir hatten ja gar keine andere Wahl.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben in solchen Fällen und gerade zu diesem Fall auch gesagt: Wenn man Sie kritisiert, dann könnte man Sie ja auch anweisen. Hätten Sie tatsächlich lieber eine Anweisung zu einem Verfahren, das Sie nicht für richtig halten?
Nehm: Wir prüfen nach unserem Rechtsverständnis einen Fall durch und sagen, wir handeln so oder wir handeln so. Und die Exekutive, sprich: unser Justizministerium, hat das so genannte externe Weisungsrecht. Das heißt, der Justizminister, die Justizministerin können sagen, Generalbundesanwalt, was du hier entschieden hast, gefällt mir nicht, mach das bitte so und so. Das hat nach unserem Verständnis in schriftlicher Form zu geschehen, weil ja auch die Verantwortlichkeit klar gelegt werden muss. Insofern geht es nicht darum, ob ich etwas lieber hätte. Wir hätten dann prüfen müssen, ob diese Anweisung rechtlich haltbar ist. Wenn die Anweisung rechtswidrig gewesen wäre, hätten wir sie nicht befolgen müssen und dürfen, wenn sie dann gekommen wäre. Aber sie ist nicht gekommen. Insofern stellt sich die Frage für mich nicht.
Deutschlandradio Kultur: Ist sie in anderen Fällen gekommen?
Nehm: Ich habe ganz zu Beginn meiner Laufbahn, als ich den Fluglotsenstreik bearbeitet hatte, da war ich noch im Assessorenstande, von Willy Brandt eine Weisung bekommen in diesem Fall nicht weiter zu ermitteln, weil die Dinge politisch geregelt werden sollten.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben auf die zumindest im Zeitpunkt September 2001, in Teilen mangelnde Rechtslage hingewiesen, die mangelnde Möglichkeit Mitglieder ausländischer Terrorgruppen zu verfolgen. Das ist ja dann sehr schnell geändert worden. Sie haben Prozesse gegen Mitglieder der Terrorzellen geführt. Das war in prominenten Fällen nicht von Erfolg gekrönt. Der Hamburger Mzoudi musste frei gesprochen werden. Da gab es Auseinandersetzungen mit den USA. Ist das eine Niederlage für Sie gewesen? Empfinden Sie das auch im Rückblick noch als eine möglicherweise schmerzhaft Schlappe in Ihrer Amtszeit.
Nehm: Also, die Ausgangsfrage ist nicht ganz richtig. Es gab ja europäische Rechtsgrundsätze, dass wir, die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet war, für den europäischen Raum diese Rechtsprechung durch ein neues Gesetz zu korrigieren in dem Sinne, dass terroristische Vereinigungen im europäischen Bereich auch von anderen Staaten verfolgt werden können. Insofern war der Gesetzgeber im Zugzwang. Dass das nicht so schnell umgesetzt werden konnte, auch im Wirkung für außereuropäische Vereinigungen, lag daran, dass es sehr schwer war, das hat sich im Gesetzgebungsverfahren auch gezeigt, zu unterscheiden, was ist eine Freiheitsbewegung und was ist eine terroristische Vereinigung? Der Prüfstein war ja immer der ANC in Südafrika. Und das ist manchmal eine sehr schwierige Entscheidung. Und bis sich der Gesetzgeber dann zu einer Lösung durchgerungen hat, die diese Entscheidung des Bundesjustizministeriums enthält, nämlich zu fragen, ist es politisch opportun, diese Verfolgung durchzuführen, hat es eine ganze Zeit gedauert. Die Fälle in Hamburg, die mit dem 11. September zusammenhängen, haben mit der ausländischen terroristischen Vereinigung überhaupt nichts zu tun. Denn wir haben ja da sofort, als es in der Nacht zum 13. September bekannt wurde, die Ermittlungen nach § 129a, inländische terroristische Vereinigung, übernommen. Nun zu der Frage, ob wir da Erfolg, Misserfolg oder sonst was hatten: Wir haben sehr sorgfältig mit dem Bundeskriminalamt und vielen unterstützenden Polizeidienststellen die Ermittlungen geführt. Unsere Kollegen waren pausenlos oben in Hamburg und auch in Meckenheim im Einsatz. Das Ermittlungsergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Ich habe immer gesagt: Wenn Sie die Urteile durchlesen, und zwar alle drei, dann ist das Ergebnis schon hervorragend ausgefallen. Es hat bei den Richtern etwas am letzten Anstoß gefehlt sich zu überwinden. Wir haben ja die merkwürdige Situation, dass in Haftentscheidungen, in der Eröffnung des Hauptverfahrens bis hin in Haftentscheidungen während der Hauptverhandlung eigentlich das Bild ziemlich klar war, dass es zu einer Verurteilung kommen müsste. Und dann ist das aus Gründen, die ich hier nicht erörtern möchte, plötzlich umgebrochen. Also, von Niederlagen kann man da überhaupt nicht reden. Ich muss als Staatsanwalt akzeptieren, dass ich bei einem Spruchkörper nicht das Ergebnis bekomme, was ich mir vorstelle. Ich war ja auch mal Richter und habe Niederlagen in einem Senat erlebt, weil ich überstimmt worden bin. Meistens war ich der Meinung, dass meine Auffassung die bessere war, aber das muss man in der Justiz einfach hinnehmen.
Deutschlandradio Kultur: Besonders schwierig war das in diesem Fall in der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten. Da haben Sie nicht die Informationen, nicht die Unterstützung bekommen, die Sie sich ja auch bei Besuchen in den USA dort selber gewünscht hätten. Nun fiel das alles in einer Zeit, in der das Verhältnis Deutschland - USA nicht gut, politisch gestört war. Können Sie sich eigentlich vorstellen, dass es Ihre Nachfolgerin in einer Zeit, in der sich die Großwetterlage zwischen Deutschland und USA erheblich verbessert hat, in einem ähnlichen Fall leichter haben würde?
Nehm: Ich habe in den USA nie den Eindruck gehabt, dass hier Abneigung gegen die deutsche Justiz oder gegen irgendjemand aus Deutschland besteht. Wir haben ja in der Zeit eine Mitarbeiterin in Washington gehabt als Verbindungsbeamtin. Die ist da ausgesprochen freundlich aufgenommen worden. Die war in dem Terrorismuszentrum des Ministeriums wie eine Mitarbeiterin etabliert. Also, da hat es überhaupt keine Probleme gegeben. Auch meine Gespräche beim FBI und bei den Kollegen, die dort den Terrorismus bearbeiten, waren sehr offen. Wir haben uns ausgetauscht. Das Problem war für die Amerikaner, dass die Nachrichtendienste die Befragung der betroffenen Personen in Händen hatten und dass dort andere Prioritäten gesetzt wurden. Es ging für die Amerikaner schlichtweg darum: Was hat die Al Kaida geplant? Mit welchen Maßnahmen und Anschlägen müssen wir noch rechnen? Das war das Ziel von sehr intensiven und sehr diffizilen Befragungen. Dass das Ganze mal in ein justizielles Verfahren in Deutschland oder auch in den USA einmünden würde, war – glaube ich – für die Geheimdienste völlig am Rande gelegen. Darin erklärt sich auch manche Problematik.
Deutschlandradio Kultur: Nun spielte dieses Argument der Beziehungen zu den USA in all den Verfahren oder Überlegungen zu Verfahren nach dem 11. September ja auch in der Form immer wieder eine Rolle, dass es hieß, eigentlich müssen wir jetzt hier etwas erbringen. Die Amerikaner erwarten das. Nun ist das sicherlich so kein rechtlich relevantes Argument. Aber wie weit spielt auch der Blick auf außenpolitische Interessen eine Rolle?
Nehm: Der hat hier im Grunde genommen überhaupt keine Rolle gespielt, im Gegenteil. Wir haben alle in einem Boot gesessen. Und amerikanische Verbindungsbeamte sind ja auch bei uns ein- und ausgegangen. Wir haben ausgetauscht und uns immer bemüht mit offenen Karten zu spielen. Das hat ja auch Erfolge gebracht, mit Ausnahme der Tatsache, dass wir die Personen, um die wir uns bemüht hatten, nicht bekamen. Diejenigen, die Amerikaner in Gewahrsam haben, waren ja die Drahtzieher des 11. September. Aber man darf ja nun nicht glauben, dass die überall und alles wahrheitsgemäß ausgesagt hätten. Es gibt ja ein Handbuch für entsprechende Fälle, wenn man in Gefangenschaft gerät, wie man sich zu verhalten hat. Das ist ja alles ziemlich klar festgelegt worden. Es ging eigentlich nur um die formale Seite, dass das Gericht den Zugang zu diesen Personen hat. Und mit diesen Konstellationen muss die Justiz fertig werden, dass Zeugen nicht zur Verfügung stehen. Wenn Herr Binalshib und Chalid Mohammed in Hamburg angetreten wären und hätten mit den Schultern gezuckt und gesagt, ich berufe mich auf § 55 der Strafprozessordnung, dann hätte sich der Richter bedankt und das Ganze wären in zehn Minuten zu Ende gewesen. Dann hätte es überhaupt kein Problem gegeben. Dann hätte das Urteil in der ersten Instanz in Hamburg, das ja immerhin mit 15 Jahren Freiheitsstrafe geendet hatte, Bestand gehabt und kein Mensch hätte sich darüber aufgeregt.
Deutschlandradio Kultur: Herr Generalbundesanwalt, jetzt waren Sie gut zwölf Jahre Leiter der Bundesanwaltschaft. Sie kennen die Behörde viel länger. Sie waren Hiwi, also Mitarbeiter. Sie waren Bundesanwalt. Sie haben schon 1973 die Anklage vertreten gegen die Attentäter auf die Bonner Botschaft in Stockholm. Sie haben eben gesagt, die Bundesanwaltschaft sei auch ein bisschen der Seismograph der Gesellschaft. Wie hat sich dieser Seismograph denn seit den RAF-Zeiten gewandelt?
Nehm: Also, Stockholm war 75. Das war ich Ermittlungsführer und habe auch als Vertreter in der Hauptverhandlung die Anklage vertreten. Das ist richtig. Also, die RAF-Zeit war ja ziemlich vorbei, als ich das Amt angetreten habe. Wir haben immer noch die offenen Morde, die wir noch nicht haben ausermitteln können. Aber es ging wie ein roter Faden durch die zwölf Jahre und drei Monate, dass ein ständiger Wandel zu verzeichnen war. Wir hatten noch in den 80er Jahren terroristische Vereinigungen, die – ähnlich wie die RAF – versucht hatten die Gesellschaft zu beeinflussen. Das war dann mit den 80er Jahren auch durch das Eingreifen der Bundesanwaltschaft zu Ende. Dann kamen die Übergriffe auf Asylbewerberheime, die immer so in einer Grauzone zwischen versuchtem Mord und Anstiftungsdelikten lagen. Das war ein Wandel, den man aufnehmen musste. Und dann kamen danach die Einzeltäter. Und so muss man sich immer einer Situation stellen, die man nicht beeinflussen kann.
Deutschlandradio Kultur: Herr Nehm, jetzt geht Ihre Amtszeit in Kürze zu Ende. In Ihrem Fall ist das auch eine Veränderung der persönlichen Lebensumstände, weil Sie als Generalbundesanwalt als hoch gefährdet gelten, ist das ein Freiheitsgewinn, dem Sie da entgegen blicken?
Nehm: Sicherheitsfragen sind ja keine Fragen, die die Bundesanwaltschaft entscheidet, sondern das sind polizeiliche Einschätzungen und Anordnungen. Ich denke, ich werde irgendwann in absehbarer Zeit meine volle Freiheit wiedergewinnen. Ich darf aber auch sagen, dass mich diese Beschränkungen, die für einen Außenstehenden natürlich schlimm ansehen, nie gehindert haben mein Leben zu führen. Ich habe kulturell vieles gemacht. Ich bin ins Theater gegangen, in Ausstellungen. Also, das hat mich nicht nennenswert beeinträchtigt. Man hat ja auch den einen oder anderen Vorteil, wenn man sich mit polizeilicher Begleitung durch die Republik bewegt. Da hält sich das also ungefähr die Waage.
Deutschlandradio Kultur: Was haben Sie jetzt vor?
Nehm: Jetzt werde ich erst mal meinen Schreibtisch aufräumen, das ist vordringlich, und werde mal Luft holen und tief nachdenken, wie das Leben für mich und meine Frau weitergeht.
Deutschlandradio Kultur: Viel Erfolg dabei, viel Glück und vielen Dank, Herr Nehm, für dieses Gespräch.
Kai Nehm: Ich hätte mir natürlich meinen Abgang aus dem Amt nach zwölf Jahren und drei Monaten etwas ruhiger vorgestellt. Man kann sich das nicht aussuchen. Die Fälle kommen so wie sie kommen. So ist es auch in diesem Fall gewesen. Es ist ja keine einsame Entscheidung des Generalbundesanwalts, wenn man sich entschließt einen Fall zu übernehmen, sondern das ist eine sehr sorgfältige Vorbereitung. Es fährt ein Kollege zur ermittelnden Polizei und informiert sich sehr intensiv darüber, wie der Staatsschutzhintergrund aussieht. Das haben wir in diesem Fall selbstverständlich auch getan. Dann haben wir im Kreise der zuständigen Kollegen darüber beraten und haben uns dann auch sehr schnell entschlossen, dass wir den Staatsschutzhintergrund aufklären. Es ist natürlich ein bisschen symptomatisch, weil in der Bevölkerung und auch in weiten Teilen der Presse, diese sehr komplizierten Zuständigkeitsregelungen nicht so gegenwärtig sind, dass man sich immer so in der Presse und in der Öffentlichkeit vertreten fühlt. Es ist schwer zu vermitteln. Wenn Sie heute sehen, wie viele Menschen Eingaben an die Behörde leisten und sagen: "Warum den Fall nicht übernommen und da gibt es auch den Fall"... Dass das alles in einem ganz strengen Korsett des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgezeichnet ist, wird der Bevölkerung weitgehend nicht erklärt. Und das ist unsere Schwierigkeit.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben sich ja gerade in dem Fall auch auf die Öffentlichkeit berufen. Sie haben gesagt, auch die öffentliche Aufmerksamkeit in diesem Fall war mit ein Argument dafür, diese Ermittlungen an sich zu ziehen.
Nehm: Es gibt ja ein rechtliches Korsett nicht nur durch das Gerichtsverfassungsgesetz, sondern auch durch die Vorgaben des Bundesgerichtshofs. Wir haben da einige Vorgängerentscheidungen gehabt. Ob es einem gefällt oder nicht, das Argument, ob eine Konstellation in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt hat, indem es in überregionalen Blättern erwähnt und kommentiert worden ist, ist ein Bestandteil der Zuständigkeitsregelung nach Meinung des Bundesgerichtshofs. Und das war für uns auch ein Maßstab. Wenn das nur in der Potsdamer Zeitung erwähnt worden wäre, hätten wir möglicherweise gar nicht einsteigen dürfen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Gefällt es Ihnen?
Nehm: Das ist sehr schwer zu beurteilen. Ich sehe das auch immer aus der Sicht eines Beschuldigten, der sich natürlich fragt: Warum kommt jetzt der Generalbundesanwalt, möglicherweise sogar mit dem Bundeskriminalamt. Der wird ja sagen, das hat doch mit der möglichen Tat, die mir zur Last gelegt wird, überhaupt nichts zu tun, ob die Süddeutsche oder eine andere Zeitung darüber berichtet. Der wird sich mit Recht fragen, was das mit der Kompetenz des Generalbundesanwalts zu tun hat. Aber so ist es nun mal. Der Gesetzgeber hat das mit den Ausdrücken bestimmt und geeignet vorgegeben und das musste die Rechtsprechung mit Leben ausfüllen.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt haben Sie gesagt, das war keine einsame Entscheidung. Es gibt ein Korsett, wann Sie zuständig sind. Andererseits ist es ja schon so, dass diese Ermittlungen gegen rechte Einzeltäter gerade Sie erstmals wahrgenommen haben, anders als Ihr Vorgänger. War das ein Versäumnis Ihres Vorgängers? Oder hatten wir da so eine neue Bedrohungslage, gerade als sie Generalbundesanwalt wurden?
Nehm: Ich werde natürlich meinen Vorgängern und den Kollegen, die früher im Hause gearbeitet haben, jetzt keine Zensuren ausstellen. Das Gesetz hat sich geändert. Das "bestimmt und geeignet" hat es ja früher in der Form nicht gegeben. Da war die Kompetenz weitgehend an den Organisationsdelikten festgemacht. Dann hat sich etwas geändert und wir haben festgestellt, dass Situationen gerade in den neuen Bundesländern entstanden sind, dass besonders brutale Übergriffe möglicherweise dazu führen, dass bestimmte Bevölkerungsteile in diesen Gegenden nicht mehr zu leben wagen. Ich meine, das ist nun wirklich ein Staatsschutzinteresse. Wir haben ja in der deutschen Geschichte nicht direkt vergleichbare Fälle, aber doch Ansätze dazu gehabt. Und ich sehe unsere Aufgabe auch immer ein bisschen als das seismographische Gewissen einer Gesellschaft. Wenn man merkt, hier ist eine Entwicklung, die läuft den staatlichen Interessen diametral entgegen, dann sind wir aufgerufen was zu tun. Und wir haben das Recht ausgelotet, haben dabei auch bis zu einer gewissen Grenze Erfolg gehabt. Der Bundesgerichtshof hat uns ja dann in einem Fall zurückgepfiffen. Aber ich denke, das ist unsere Aufgabe, auch wenn darin ein gewisses Risiko liegt.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben gesagt, Sie haben das Recht ausgelotet. Wie weit ist das ohnehin Ihre Aufgabe, auch noch mal zu gucken, ob man Anstöße geben kann für eine Veränderung der Rechtspraxis?
Nehm: Wir sind ja keine Rechtspolitiker, sondern wir versuchen den Wandel der Gesellschaft, den Wandel der Taten, den Wandel der Beschuldigten mit dem geltenden Recht aufzufangen. Das Recht ist ja nicht statisch, sondern das entwickelt sich immer an den Gegebenheiten. Und unsere Aufgabe, gerade im Staatsschutz, ist es nun auszuloten, wie weit das geschriebene Recht diese Fälle noch umfasst. Damit geht man ein Risiko ein. Der Bundesgerichtshof wird dann in unserem Fall darüber entscheiden müssen, ob dieses Risiko zu Recht eingegangen worden ist. Wenn nicht, ist der Gesetzgeber aufgerufen und die Rechtspolitik muss das bewerten, ob möglicherweise Änderungen vorgenommen werden sollen oder ob man mit dieser Rechtslage leben kann.
Deutschlandradio Kultur: Wie unabhängig sollten Staatsanwälte bei solchen Schritten sein oder wie unabhängig sind sie? Es geht mir um die Frage der politischen Beamten. Ist es richtig, dass das bei Generalstaatsanwälten der Fall ist?
Nehm: Es gibt noch einige Generalstaatsanwälte der Bundesrepublik Deutschland, die so genannte politische Beamte sind. Der Generalbundesanwalt ist auch ein politischer Beamter. Das hat aber – glaube ich - mit dem Thema, das Sie angesprochen haben, nicht direkt etwas zu tun. Politischer Beamter heißt ja nicht, dass man selber politische Entscheidungen trifft oder gegängelt wird von der Politik, sondern es ist ein Faktum, dass man sich unter Umständen voneinander trennen kann, wenn die Ansichten diametral entgegenstehen. Dann kann man gerade in diesem schwierigen Geschäft des Staatsschutzstrafrechts nicht miteinander arbeiten, wenn die Ansichten so diametral sind. Dann muss man die Konsequenzen ziehen. Und die werden gezogen, ob man nun politischer Beamter ist oder nicht. Dann wird man eben versetzt als normaler Beamter. Ich habe immer gesagt, dann ist es mir lieber, die Politik übernimmt die Verantwortung und sagt, den wollen wir jetzt nicht mehr. Dann muss sich die Politik mit dieser Entscheidung gegenüber der Öffentlichkeit auseinandersetzen. Aber mir ist es lieber, als dass ich irgendwo als Protokollchef in einem Ministerium lande. Da finde ich die Grenzen schon klarer gezogen.
Deutschlandradio Kultur: Deutschland Kultur "Tacheles", wir sprechen mit dem Generalbundesanwalt Kai Nehm, der Ende das Monats nach zwölf Jahren auf dem Amt scheidet. Herr Nehm, eine wichtige Zäsur in Ihrer Amtszeit und nicht nur für Sie in Ihrer Tätigkeit, sondern wirklich eine weltgeschichtliche Zäsur war der 11. September 2001, die Terrorangriffe in Amerika. Da konnte man plötzlich in der Zeitung den Satz von Ihnen lesen, ich weiß nicht, ob er so stimmt: Das sei – sinngemäß – nicht ganz überraschend gekommen. Wie muss man sich – mal ganz persönlich gefragt, diesen Tag, diesen 11. September 2001, im Leben des Generalbundesanwalts vorstellen? Wie haben Sie das erfahren und wie haben Sie reagiert? Anders als die meisten, die ja doch überrascht, entsetzt waren?
Nehm: Das Ganze hat natürlich auch hier eine Vorgeschichte. Ich sprach ja von der seismographischen Sorgfalt eines Generalbundesanwalts. Wir haben es schon grummeln gefühlt. Wir haben ja seit Mitte der 90er Jahre gegen Islamisten ermittelt. Wir hatten den sehr spektakulären Fall Ende 2000, den versuchten Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg. Das waren eigentlich deutliche Hinweise dafür, dass es in der Szene grummelt. Dass der 11. September dann in dieser wirklich grausamen Form über uns kam, hat in dem Ausmaß schon etwas überrascht. Aber dass es dazu kommen würde, daran konnte man nach Nairobi und Daressalam eigentlich keine großen Zweifel haben. Was die Ereignisse an diesem Tage anging: Ich kam vom Mittagessen und ging in mein Zimmer. Frau Scheuten, meine Pressesprecherin sagt, ich soll den Fernseher anmachen. Und ich sah den brennenden Turm Nr.1 und habe dann auch gesehen, wie das zweite Flugzeug in den zweiten Turm hinein flog. Da war mir schon klar, dass das natürlich nie und nimmer ein Unfall sein würde, dass das eine konzertierte Aktion sein würde. Was wir damals nicht ahnten, war natürlich der Grund, dass die Dinge von Hamburg aus ihren Ausgang genommen haben. Das hat uns schon ein wenig überrascht. Aber auch da gibt es Anzeichen im Verfassungsschutz. Der frühere Verfassungsschutzpräsident hat ja – ähnlich wie wir im Strafverfahren – immer schon vor einer Entwicklung gewarnt, die sich dann auch in der Tat gezeigt hat.
Deutschlandradio Kultur: Es gab kurz darauf noch einen weiteren entscheidenden Tag für Sie, den 3. Oktober, wo es auch – wieder Presseberichten zufolge – wieder relativ heftig und relativ laut gewesen sein soll. Können Sie das noch mal schildern?
Nehm: Ja, das war der Tag der Einheit, der 3. Oktober. Es ist eine grundlegende Schwierigkeit, dass in Fällen, in denen die Nachrichtendienste die Informationen einliefern, entschieden werden muss, wer nimmt sich der weiteren Bearbeitung dieser Fälle an? Die Nachrichtendienste unterliegen dem Trennungsgebot. Das heißt, sie dürfen exekutiv nicht tätig werden. Und jetzt versucht man dieses Defizit aufzufangen, indem man möglichst den Generalbundesanwalt einschaltet, weil der auf einer Basis eines sehr niedrigen Anfangsverdachts, der ist ja nach der Strafprozessordnung deshalb so niedrig, weil wir sowohl zugunsten als auch zulasten des Beschuldigten ermitteln sollen. Und hier entsteht immer eine gewisse Drucksituation, dass man möchte, dass der Generalbundesanwalt exekutiv in diesen Fällen tätig wird. Da hat es Differenzen in einem Fall gegeben, die in der Diskussion ausgetragen werden mussten. Ich denke, dass ich mich da in dieser Diskussion durchgesetzt habe. Dass wir nachher das Verfahren trotzdem eingeleitet haben, hat Gründe, die mit einer weiteren Information zusammenhängen, aber nicht mit diesem Grundstreit.
Deutschlandradio Kultur: Um diesen Tag noch mal zu illustrieren: Da ging es um eine Konferenz im Bundeskanzleramt mit Vertretern der Regierung, der Verfassungsschutzorgane und Ihnen als oberstem Chef der obersten Strafverfolgungsbehörde. Es wird geschildert, dies sei eine Situation gewesen, wo die Exekutive von Ihnen massiv verlangt habe, sich einer politischen Antiterrorstrategie unterzuordnen. Ohne noch mal zu insistieren und Sie nach Details einer vertraulichen Besprechung zu fragen: Aber wenn man die Geschichte, wie sie zum Beispiel der Stern geschrieben hat, liest, stehen Sie fast als ein Held der Rechtstaatlichkeit da, der – zugespitzt gesagt – außer Rand und Band geratenen Verfassungsschutzorganen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit entgegenhält. Ist das – allgemein gesagt – eine Rolle gewesen, die Sie da eingenommen haben und ist das ein Zwiespalt gewesen? Denn Sie waren ja in einer doppelten Rolle, einerseits Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit einzuhalten, andererseits aber auch sehr bald dann die Strafverfolgung gegen die deutschen Beteiligten, gegen die Terrorzellen in Deutschland vorantreiben zu müssen.
Nehm: Solche Situationen sind ja kein Einzelfall. Es passiert immer, dass Interessen der Exekutive im Raum stehen und der Generalbundesanwalt nun gefordert ist etwas zu tun. Da könnte ich Ihnen viele Bespiele nennen, die nicht so spektakulär sind, wie der von Ihnen angesprochene Fall. Ich weiß nicht, wer die Informationen im Einzelnen gegeben hat. Ich will auch gar nicht dementieren oder bestätigen, wie das Gespräch verlaufen ist, aber die Grundsituation ist schon so, dass das Interesse der Exekutive sehr stark war, dass wir den Fall übernehmen sollten. Es war je ein konkreter Fall, der in der Obhut der Hessischen Justiz schon längst ermittelt wurde, auch durch das Bundeskriminalamt. Und wir haben den Fall zweimal bei uns auf dem Tisch gehabt und haben das in zwei Referaten sehr intensiv durchgeprüft.
Deutschlandradio Kultur: Das war der Fall Darkazanli…
Nehm: Ja. Zu der Zeit galt damals der Grundsatz, dass eine ausländische terroristische Vereinigung und die Mitgliedschaft und Unterstützung in Deutschland nicht strafbar ist, es sei denn, dass hier eine Teilorganisation besteht. Die Voraussetzungen haben eindeutig nicht vorgelegen und wir haben aus Rechtsgründen die Übernahme dieses Verfahrens verneint. Nach dem 11. September war nun eine Situation entstanden, in der natürlich der Staat schon sehen musste im außenpolitischen Interesse und auch innenpolitisch, dass hier alle Schritte zur Aufklärung vorgenommen werden sollten. Nur wir konnten ja an den rechtlichen Gegebenheiten nicht vorbei. Wir wären ja spätestens beim Ermittlungsrichter gescheitert, wenn wir mit einem Antrag auf exekutive Maßnahmen beim Ermittlungsrichter angetreten wären. Der hätte uns ja wahrscheinlich herausgeworfen. Da wären wir ja nie und nimmer zum Zuge gekommen. Das heißt, wir hatten ja gar keine andere Wahl.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben in solchen Fällen und gerade zu diesem Fall auch gesagt: Wenn man Sie kritisiert, dann könnte man Sie ja auch anweisen. Hätten Sie tatsächlich lieber eine Anweisung zu einem Verfahren, das Sie nicht für richtig halten?
Nehm: Wir prüfen nach unserem Rechtsverständnis einen Fall durch und sagen, wir handeln so oder wir handeln so. Und die Exekutive, sprich: unser Justizministerium, hat das so genannte externe Weisungsrecht. Das heißt, der Justizminister, die Justizministerin können sagen, Generalbundesanwalt, was du hier entschieden hast, gefällt mir nicht, mach das bitte so und so. Das hat nach unserem Verständnis in schriftlicher Form zu geschehen, weil ja auch die Verantwortlichkeit klar gelegt werden muss. Insofern geht es nicht darum, ob ich etwas lieber hätte. Wir hätten dann prüfen müssen, ob diese Anweisung rechtlich haltbar ist. Wenn die Anweisung rechtswidrig gewesen wäre, hätten wir sie nicht befolgen müssen und dürfen, wenn sie dann gekommen wäre. Aber sie ist nicht gekommen. Insofern stellt sich die Frage für mich nicht.
Deutschlandradio Kultur: Ist sie in anderen Fällen gekommen?
Nehm: Ich habe ganz zu Beginn meiner Laufbahn, als ich den Fluglotsenstreik bearbeitet hatte, da war ich noch im Assessorenstande, von Willy Brandt eine Weisung bekommen in diesem Fall nicht weiter zu ermitteln, weil die Dinge politisch geregelt werden sollten.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben auf die zumindest im Zeitpunkt September 2001, in Teilen mangelnde Rechtslage hingewiesen, die mangelnde Möglichkeit Mitglieder ausländischer Terrorgruppen zu verfolgen. Das ist ja dann sehr schnell geändert worden. Sie haben Prozesse gegen Mitglieder der Terrorzellen geführt. Das war in prominenten Fällen nicht von Erfolg gekrönt. Der Hamburger Mzoudi musste frei gesprochen werden. Da gab es Auseinandersetzungen mit den USA. Ist das eine Niederlage für Sie gewesen? Empfinden Sie das auch im Rückblick noch als eine möglicherweise schmerzhaft Schlappe in Ihrer Amtszeit.
Nehm: Also, die Ausgangsfrage ist nicht ganz richtig. Es gab ja europäische Rechtsgrundsätze, dass wir, die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet war, für den europäischen Raum diese Rechtsprechung durch ein neues Gesetz zu korrigieren in dem Sinne, dass terroristische Vereinigungen im europäischen Bereich auch von anderen Staaten verfolgt werden können. Insofern war der Gesetzgeber im Zugzwang. Dass das nicht so schnell umgesetzt werden konnte, auch im Wirkung für außereuropäische Vereinigungen, lag daran, dass es sehr schwer war, das hat sich im Gesetzgebungsverfahren auch gezeigt, zu unterscheiden, was ist eine Freiheitsbewegung und was ist eine terroristische Vereinigung? Der Prüfstein war ja immer der ANC in Südafrika. Und das ist manchmal eine sehr schwierige Entscheidung. Und bis sich der Gesetzgeber dann zu einer Lösung durchgerungen hat, die diese Entscheidung des Bundesjustizministeriums enthält, nämlich zu fragen, ist es politisch opportun, diese Verfolgung durchzuführen, hat es eine ganze Zeit gedauert. Die Fälle in Hamburg, die mit dem 11. September zusammenhängen, haben mit der ausländischen terroristischen Vereinigung überhaupt nichts zu tun. Denn wir haben ja da sofort, als es in der Nacht zum 13. September bekannt wurde, die Ermittlungen nach § 129a, inländische terroristische Vereinigung, übernommen. Nun zu der Frage, ob wir da Erfolg, Misserfolg oder sonst was hatten: Wir haben sehr sorgfältig mit dem Bundeskriminalamt und vielen unterstützenden Polizeidienststellen die Ermittlungen geführt. Unsere Kollegen waren pausenlos oben in Hamburg und auch in Meckenheim im Einsatz. Das Ermittlungsergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Ich habe immer gesagt: Wenn Sie die Urteile durchlesen, und zwar alle drei, dann ist das Ergebnis schon hervorragend ausgefallen. Es hat bei den Richtern etwas am letzten Anstoß gefehlt sich zu überwinden. Wir haben ja die merkwürdige Situation, dass in Haftentscheidungen, in der Eröffnung des Hauptverfahrens bis hin in Haftentscheidungen während der Hauptverhandlung eigentlich das Bild ziemlich klar war, dass es zu einer Verurteilung kommen müsste. Und dann ist das aus Gründen, die ich hier nicht erörtern möchte, plötzlich umgebrochen. Also, von Niederlagen kann man da überhaupt nicht reden. Ich muss als Staatsanwalt akzeptieren, dass ich bei einem Spruchkörper nicht das Ergebnis bekomme, was ich mir vorstelle. Ich war ja auch mal Richter und habe Niederlagen in einem Senat erlebt, weil ich überstimmt worden bin. Meistens war ich der Meinung, dass meine Auffassung die bessere war, aber das muss man in der Justiz einfach hinnehmen.
Deutschlandradio Kultur: Besonders schwierig war das in diesem Fall in der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten. Da haben Sie nicht die Informationen, nicht die Unterstützung bekommen, die Sie sich ja auch bei Besuchen in den USA dort selber gewünscht hätten. Nun fiel das alles in einer Zeit, in der das Verhältnis Deutschland - USA nicht gut, politisch gestört war. Können Sie sich eigentlich vorstellen, dass es Ihre Nachfolgerin in einer Zeit, in der sich die Großwetterlage zwischen Deutschland und USA erheblich verbessert hat, in einem ähnlichen Fall leichter haben würde?
Nehm: Ich habe in den USA nie den Eindruck gehabt, dass hier Abneigung gegen die deutsche Justiz oder gegen irgendjemand aus Deutschland besteht. Wir haben ja in der Zeit eine Mitarbeiterin in Washington gehabt als Verbindungsbeamtin. Die ist da ausgesprochen freundlich aufgenommen worden. Die war in dem Terrorismuszentrum des Ministeriums wie eine Mitarbeiterin etabliert. Also, da hat es überhaupt keine Probleme gegeben. Auch meine Gespräche beim FBI und bei den Kollegen, die dort den Terrorismus bearbeiten, waren sehr offen. Wir haben uns ausgetauscht. Das Problem war für die Amerikaner, dass die Nachrichtendienste die Befragung der betroffenen Personen in Händen hatten und dass dort andere Prioritäten gesetzt wurden. Es ging für die Amerikaner schlichtweg darum: Was hat die Al Kaida geplant? Mit welchen Maßnahmen und Anschlägen müssen wir noch rechnen? Das war das Ziel von sehr intensiven und sehr diffizilen Befragungen. Dass das Ganze mal in ein justizielles Verfahren in Deutschland oder auch in den USA einmünden würde, war – glaube ich – für die Geheimdienste völlig am Rande gelegen. Darin erklärt sich auch manche Problematik.
Deutschlandradio Kultur: Nun spielte dieses Argument der Beziehungen zu den USA in all den Verfahren oder Überlegungen zu Verfahren nach dem 11. September ja auch in der Form immer wieder eine Rolle, dass es hieß, eigentlich müssen wir jetzt hier etwas erbringen. Die Amerikaner erwarten das. Nun ist das sicherlich so kein rechtlich relevantes Argument. Aber wie weit spielt auch der Blick auf außenpolitische Interessen eine Rolle?
Nehm: Der hat hier im Grunde genommen überhaupt keine Rolle gespielt, im Gegenteil. Wir haben alle in einem Boot gesessen. Und amerikanische Verbindungsbeamte sind ja auch bei uns ein- und ausgegangen. Wir haben ausgetauscht und uns immer bemüht mit offenen Karten zu spielen. Das hat ja auch Erfolge gebracht, mit Ausnahme der Tatsache, dass wir die Personen, um die wir uns bemüht hatten, nicht bekamen. Diejenigen, die Amerikaner in Gewahrsam haben, waren ja die Drahtzieher des 11. September. Aber man darf ja nun nicht glauben, dass die überall und alles wahrheitsgemäß ausgesagt hätten. Es gibt ja ein Handbuch für entsprechende Fälle, wenn man in Gefangenschaft gerät, wie man sich zu verhalten hat. Das ist ja alles ziemlich klar festgelegt worden. Es ging eigentlich nur um die formale Seite, dass das Gericht den Zugang zu diesen Personen hat. Und mit diesen Konstellationen muss die Justiz fertig werden, dass Zeugen nicht zur Verfügung stehen. Wenn Herr Binalshib und Chalid Mohammed in Hamburg angetreten wären und hätten mit den Schultern gezuckt und gesagt, ich berufe mich auf § 55 der Strafprozessordnung, dann hätte sich der Richter bedankt und das Ganze wären in zehn Minuten zu Ende gewesen. Dann hätte es überhaupt kein Problem gegeben. Dann hätte das Urteil in der ersten Instanz in Hamburg, das ja immerhin mit 15 Jahren Freiheitsstrafe geendet hatte, Bestand gehabt und kein Mensch hätte sich darüber aufgeregt.
Deutschlandradio Kultur: Herr Generalbundesanwalt, jetzt waren Sie gut zwölf Jahre Leiter der Bundesanwaltschaft. Sie kennen die Behörde viel länger. Sie waren Hiwi, also Mitarbeiter. Sie waren Bundesanwalt. Sie haben schon 1973 die Anklage vertreten gegen die Attentäter auf die Bonner Botschaft in Stockholm. Sie haben eben gesagt, die Bundesanwaltschaft sei auch ein bisschen der Seismograph der Gesellschaft. Wie hat sich dieser Seismograph denn seit den RAF-Zeiten gewandelt?
Nehm: Also, Stockholm war 75. Das war ich Ermittlungsführer und habe auch als Vertreter in der Hauptverhandlung die Anklage vertreten. Das ist richtig. Also, die RAF-Zeit war ja ziemlich vorbei, als ich das Amt angetreten habe. Wir haben immer noch die offenen Morde, die wir noch nicht haben ausermitteln können. Aber es ging wie ein roter Faden durch die zwölf Jahre und drei Monate, dass ein ständiger Wandel zu verzeichnen war. Wir hatten noch in den 80er Jahren terroristische Vereinigungen, die – ähnlich wie die RAF – versucht hatten die Gesellschaft zu beeinflussen. Das war dann mit den 80er Jahren auch durch das Eingreifen der Bundesanwaltschaft zu Ende. Dann kamen die Übergriffe auf Asylbewerberheime, die immer so in einer Grauzone zwischen versuchtem Mord und Anstiftungsdelikten lagen. Das war ein Wandel, den man aufnehmen musste. Und dann kamen danach die Einzeltäter. Und so muss man sich immer einer Situation stellen, die man nicht beeinflussen kann.
Deutschlandradio Kultur: Herr Nehm, jetzt geht Ihre Amtszeit in Kürze zu Ende. In Ihrem Fall ist das auch eine Veränderung der persönlichen Lebensumstände, weil Sie als Generalbundesanwalt als hoch gefährdet gelten, ist das ein Freiheitsgewinn, dem Sie da entgegen blicken?
Nehm: Sicherheitsfragen sind ja keine Fragen, die die Bundesanwaltschaft entscheidet, sondern das sind polizeiliche Einschätzungen und Anordnungen. Ich denke, ich werde irgendwann in absehbarer Zeit meine volle Freiheit wiedergewinnen. Ich darf aber auch sagen, dass mich diese Beschränkungen, die für einen Außenstehenden natürlich schlimm ansehen, nie gehindert haben mein Leben zu führen. Ich habe kulturell vieles gemacht. Ich bin ins Theater gegangen, in Ausstellungen. Also, das hat mich nicht nennenswert beeinträchtigt. Man hat ja auch den einen oder anderen Vorteil, wenn man sich mit polizeilicher Begleitung durch die Republik bewegt. Da hält sich das also ungefähr die Waage.
Deutschlandradio Kultur: Was haben Sie jetzt vor?
Nehm: Jetzt werde ich erst mal meinen Schreibtisch aufräumen, das ist vordringlich, und werde mal Luft holen und tief nachdenken, wie das Leben für mich und meine Frau weitergeht.
Deutschlandradio Kultur: Viel Erfolg dabei, viel Glück und vielen Dank, Herr Nehm, für dieses Gespräch.