General a. D. Reinhardt: Mehr Soldaten für schnelleren Abzug aus Afghanistan
Klaus Reinhardt, General a.D. der Bundeswehr, unterstützt den Ruf des US-Kommandeurs in Afghanistan, General Stanley McChrystal, nach mehr Soldaten - allerdings um die Truppen "möglichst bald, und nicht erst in zehn oder zwölf Jahren" aus dem Land abziehen zu können.
Birgit Kolkmann: In einem dramatischen Appell hat der US-Kommandeur in Afghanistan mehr Truppen für den Einsatz am Hindukusch gefordert. Am liebsten hätte er 45.000 Mann Verstärkung, jetzt befehligt er 100.000, und auch von Deutschland hätte er gerne mehr Soldaten, doch hier wird, wie in den anderen Ländern der NATO-Bündnispartner, eher über weniger als mehr gesprochen und im Augenblick ohnehin darüber, wie man möglichst ungeschoren wieder rauskommt aus dem Afghanistaneinsatz. Klaus Reinhardt, General a. D. und Ex-Oberbefehlshaber der Kfor-Truppen im Kosovo, wollen wir nun fragen. Einen schönen guten Morgen!
Klaus Reinhardt: Guten Morgen, Frau Kolkmann!
Kolkmann: Mir fällt da, Herr Reinhardt, immer spontan das Stichwort geordneter Rückzug ein. Ihnen auch? Was bedeutet das eigentlich?
Reinhardt: Ja, geordneter Rückzug ist eigentlich Ähnliches, was wir jetzt im Irak sehen. Man versucht, die örtlichen Sicherheitskräfte aufzubauen, nationale Polizei, nationale Streitkräfte, damit die die Ordnung im Lande übernehmen können. Man versucht, mehr zivile Helfer in das Land hineinzubringen, um die Lebensverhältnisse der Bevölkerung zu verbessern, um auch deren Unterstützung zu bekommen, und auf der Basis einer Stabilisierung, die man in die Verantwortung der dortigen Regierung schiebt - also in dem Fall jetzt in die Verantwortung der afghanischen Regierung -, dann zu sagen, das sind Rahmenbedingungen, dass wir unsere Sicherheitskräfte rausziehen können, uns nur noch auf den zivilen Stabilitätsauftrag beschränken können. Ob das gelingen wird, weiß ich nicht.
Kolkmann: Nun haben Sie das Beispiel Irak genannt. Dort war General McChrystal ja auch mit dabei. Heißt das dann, wenn man diese Strategie für Afghanistan wiederholen würde: erst mal mehr Soldaten rein, damit man besser rauskommt?
Reinhardt: Ja, das heißt es in der Tat, obwohl das ein bisschen paradox klingt, denn man braucht ja erhebliche Kräfte, um die afghanische Polizei und die afghanische Armee - an der man nun seit Jahren herumdoktert, aber sie nicht entsprechend hoch und einsatzfähig kriegt - auszubilden. Dafür braucht man Spezialkräfte, die man ins Land bringen muss.
Man braucht auch mehr Kräfte, um in der Fläche wirksam zu bleiben. Es genügt nicht, irgendwo Aufständische zu bekämpfen und dann diesen Raum wieder zu verlassen und am nächsten Tag sind die Taliban zurück. Das ist eigentlich die originäre Aufgabe der dortigen Polizei, die das noch nicht kann. Und bis sie das übernehmen kann, bis sie dazu in der Lage ist, muss man die eigenen Kräfte verstärken. Ob das nun 45.000 Mann oder weniger sind, vermag ich nicht zu sagen, aber es geht ja darum, kurzfristig zu verstärken, um dann möglichst bald - und nicht erst in 10 oder 15 Jahren - aus Afghanistan wieder rauszuziehen.
Kolkmann: Die Forderung zu stellen ist das eine, das umzusetzen das andere, und da ist die Politik dran und die hat ganz lange Zähne. Präsident Obama, der ja zunächst auch aufgestockt hat, will nun jetzt vorsichtig sein und sich auch einmal andere Meinungen anhören und hat schon gesagt: Es gibt aber auch die ganz andere Meinung, die sagt, man muss es nicht mit mehr Soldaten machen.
Reinhardt: Also, Obama selber hat ja die neue Strategie vorgegeben und der hat im Juni deutlich gemacht: Man muss wegkommen vom Bekämpfen der Aufständischen und viel stärker den zivilen Wiederaufbaucharakter forcieren. Und er hat den dortigen Kommandeur, den damaligen General McKiernan, abgelöst und McChrystal eingesetzt. Und McChrystal hat jetzt nichts anderes gemacht aus meiner Sicht, dass er den Auftrag des Präsidenten umgesetzt hat: Wie kann ich damit zurechtkommen? Das heißt, er tut meines Erachtens das, was der Präsident wollte. Der Präsident ist im Augenblick durch die Zahlen mit Sicherheit geschockt und ist etwas verhalten, aber ich gehe davon aus, dass er diesem Ansatz seines Oberbefehlshabers, den er dazu eingesetzt hat, auch umsetzen wird.
Kolkmann: McChrystal gilt ja als ein Haudegen, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Ist das nur ein böses Szenario, eine Drohkulisse, oder etwas, wo sich die einzelnen Mitgliedsstaaten der NATO nun wirklich bewegen müssten? Dann wird es aber doch problematisch innerhalb der NATO, oder?
Reinhardt: McChrystal ist es leid, dass jede Nation mit unterschiedlichen Vorstellungen ihre Operation vor Ort durchzieht. Das beschränkt sehr stark seine Handlungsfreiheit, weil er jede Nation fragen müsste im Einzelfall, musst du oder musst du nicht. Ich selber dies erlebt mit 39 Nationen im Kosovo, und ich kann Ihnen nur sagen: Sie fühlen sich im Einsatz, als ob Ihnen die Hände auf dem Rücken gebunden wären. Das möchte er aufheben und er möchte mehr Handlungsfreiheit haben und ich verstehe das. Wenn er schnell zu Ergebnissen kommen möchte und wenn das Ziel ist, in drei bis vier Jahren Afghanistan zu verlassen und die Verantwortung auf die afghanische Regierung zu übertragen, dann braucht der eine größere Handlungsfreiheit und muss nicht jedes Mal alles politisch im einzelnen bis in die untere Ebene durch den Präsident genehmigen lassen müssen.
Kolkmann: Wird das in Deutschland nach der Wahl eine ganz schwere Form der Willensbildung? Denn mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken, da macht die Öffentlichkeit doch nicht mehr mit, oder?
Reinhardt: Die Frage ist ja: Fordert man mehr Soldaten von Deutschland? Ich habe den Eindruck, im Moment geht es vielmehr darum, mehr zivile Kräfte zu schicken, mehr Kräfte zu schicken, die insbesondere im Polizeieinsatz, für den wir ja mal federführend als Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet haben im Londoner Protokoll, dass man dort den Schwerpunkt setzt und dass man den Schwerpunkt setzt, Kräfte freizumachen, um afghanische Streitkräfte auszubilden. Ich denke nicht, dass das unbedingt in großen, militärischen Zahlen von mehr Soldaten, sondern vielmehr in diesem anderen Bereich, den ich angesprochen habe, sich umsetzen lässt.
Kolkmann: Soweit die deutsche Position. Wie dürfte es im Bündnis aussehen, wenn tatsächlich 45.000 Soldaten mehr gefordert werden für Afghanistan? Eine neue Zerreißprobe?
Reinhardt: Es wird mit Sicherheit zu einer Zerreißprobe kommen, aber alle Bündnisstaaten sind interessiert, aus Afghanistan rauszukommen. Wir erinnern uns, dass die Bundeskanzlerin zusammen mit Gordon Brown und Sarkozy bis zum Ende des Jahres eine Exit Strategy erarbeiten wollen, die sie dann auch in die NATO einbringen wollen. Und eine Exit Strategy kann nicht sagen, weiter so wie bisher, sondern es müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Ziele nun endlich umzusetzen. Und entweder möchte man nicht raus aus dem Land und ein Desaster zurücklassen, sondern eine gewisse Stabilität dort sicherstellen, und dafür muss was getan werden.
Kolkmann: Das Stichwort geordneter Rückzug kommt da wieder ins Spiel. Danke schön, Klaus Reinhardt - General a. D. und ehemaliger Oberbefehlshaber der Kfor-Truppen im Kosovo - im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank!
Klaus Reinhardt: Guten Morgen, Frau Kolkmann!
Kolkmann: Mir fällt da, Herr Reinhardt, immer spontan das Stichwort geordneter Rückzug ein. Ihnen auch? Was bedeutet das eigentlich?
Reinhardt: Ja, geordneter Rückzug ist eigentlich Ähnliches, was wir jetzt im Irak sehen. Man versucht, die örtlichen Sicherheitskräfte aufzubauen, nationale Polizei, nationale Streitkräfte, damit die die Ordnung im Lande übernehmen können. Man versucht, mehr zivile Helfer in das Land hineinzubringen, um die Lebensverhältnisse der Bevölkerung zu verbessern, um auch deren Unterstützung zu bekommen, und auf der Basis einer Stabilisierung, die man in die Verantwortung der dortigen Regierung schiebt - also in dem Fall jetzt in die Verantwortung der afghanischen Regierung -, dann zu sagen, das sind Rahmenbedingungen, dass wir unsere Sicherheitskräfte rausziehen können, uns nur noch auf den zivilen Stabilitätsauftrag beschränken können. Ob das gelingen wird, weiß ich nicht.
Kolkmann: Nun haben Sie das Beispiel Irak genannt. Dort war General McChrystal ja auch mit dabei. Heißt das dann, wenn man diese Strategie für Afghanistan wiederholen würde: erst mal mehr Soldaten rein, damit man besser rauskommt?
Reinhardt: Ja, das heißt es in der Tat, obwohl das ein bisschen paradox klingt, denn man braucht ja erhebliche Kräfte, um die afghanische Polizei und die afghanische Armee - an der man nun seit Jahren herumdoktert, aber sie nicht entsprechend hoch und einsatzfähig kriegt - auszubilden. Dafür braucht man Spezialkräfte, die man ins Land bringen muss.
Man braucht auch mehr Kräfte, um in der Fläche wirksam zu bleiben. Es genügt nicht, irgendwo Aufständische zu bekämpfen und dann diesen Raum wieder zu verlassen und am nächsten Tag sind die Taliban zurück. Das ist eigentlich die originäre Aufgabe der dortigen Polizei, die das noch nicht kann. Und bis sie das übernehmen kann, bis sie dazu in der Lage ist, muss man die eigenen Kräfte verstärken. Ob das nun 45.000 Mann oder weniger sind, vermag ich nicht zu sagen, aber es geht ja darum, kurzfristig zu verstärken, um dann möglichst bald - und nicht erst in 10 oder 15 Jahren - aus Afghanistan wieder rauszuziehen.
Kolkmann: Die Forderung zu stellen ist das eine, das umzusetzen das andere, und da ist die Politik dran und die hat ganz lange Zähne. Präsident Obama, der ja zunächst auch aufgestockt hat, will nun jetzt vorsichtig sein und sich auch einmal andere Meinungen anhören und hat schon gesagt: Es gibt aber auch die ganz andere Meinung, die sagt, man muss es nicht mit mehr Soldaten machen.
Reinhardt: Also, Obama selber hat ja die neue Strategie vorgegeben und der hat im Juni deutlich gemacht: Man muss wegkommen vom Bekämpfen der Aufständischen und viel stärker den zivilen Wiederaufbaucharakter forcieren. Und er hat den dortigen Kommandeur, den damaligen General McKiernan, abgelöst und McChrystal eingesetzt. Und McChrystal hat jetzt nichts anderes gemacht aus meiner Sicht, dass er den Auftrag des Präsidenten umgesetzt hat: Wie kann ich damit zurechtkommen? Das heißt, er tut meines Erachtens das, was der Präsident wollte. Der Präsident ist im Augenblick durch die Zahlen mit Sicherheit geschockt und ist etwas verhalten, aber ich gehe davon aus, dass er diesem Ansatz seines Oberbefehlshabers, den er dazu eingesetzt hat, auch umsetzen wird.
Kolkmann: McChrystal gilt ja als ein Haudegen, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Ist das nur ein böses Szenario, eine Drohkulisse, oder etwas, wo sich die einzelnen Mitgliedsstaaten der NATO nun wirklich bewegen müssten? Dann wird es aber doch problematisch innerhalb der NATO, oder?
Reinhardt: McChrystal ist es leid, dass jede Nation mit unterschiedlichen Vorstellungen ihre Operation vor Ort durchzieht. Das beschränkt sehr stark seine Handlungsfreiheit, weil er jede Nation fragen müsste im Einzelfall, musst du oder musst du nicht. Ich selber dies erlebt mit 39 Nationen im Kosovo, und ich kann Ihnen nur sagen: Sie fühlen sich im Einsatz, als ob Ihnen die Hände auf dem Rücken gebunden wären. Das möchte er aufheben und er möchte mehr Handlungsfreiheit haben und ich verstehe das. Wenn er schnell zu Ergebnissen kommen möchte und wenn das Ziel ist, in drei bis vier Jahren Afghanistan zu verlassen und die Verantwortung auf die afghanische Regierung zu übertragen, dann braucht der eine größere Handlungsfreiheit und muss nicht jedes Mal alles politisch im einzelnen bis in die untere Ebene durch den Präsident genehmigen lassen müssen.
Kolkmann: Wird das in Deutschland nach der Wahl eine ganz schwere Form der Willensbildung? Denn mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken, da macht die Öffentlichkeit doch nicht mehr mit, oder?
Reinhardt: Die Frage ist ja: Fordert man mehr Soldaten von Deutschland? Ich habe den Eindruck, im Moment geht es vielmehr darum, mehr zivile Kräfte zu schicken, mehr Kräfte zu schicken, die insbesondere im Polizeieinsatz, für den wir ja mal federführend als Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet haben im Londoner Protokoll, dass man dort den Schwerpunkt setzt und dass man den Schwerpunkt setzt, Kräfte freizumachen, um afghanische Streitkräfte auszubilden. Ich denke nicht, dass das unbedingt in großen, militärischen Zahlen von mehr Soldaten, sondern vielmehr in diesem anderen Bereich, den ich angesprochen habe, sich umsetzen lässt.
Kolkmann: Soweit die deutsche Position. Wie dürfte es im Bündnis aussehen, wenn tatsächlich 45.000 Soldaten mehr gefordert werden für Afghanistan? Eine neue Zerreißprobe?
Reinhardt: Es wird mit Sicherheit zu einer Zerreißprobe kommen, aber alle Bündnisstaaten sind interessiert, aus Afghanistan rauszukommen. Wir erinnern uns, dass die Bundeskanzlerin zusammen mit Gordon Brown und Sarkozy bis zum Ende des Jahres eine Exit Strategy erarbeiten wollen, die sie dann auch in die NATO einbringen wollen. Und eine Exit Strategy kann nicht sagen, weiter so wie bisher, sondern es müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Ziele nun endlich umzusetzen. Und entweder möchte man nicht raus aus dem Land und ein Desaster zurücklassen, sondern eine gewisse Stabilität dort sicherstellen, und dafür muss was getan werden.
Kolkmann: Das Stichwort geordneter Rückzug kommt da wieder ins Spiel. Danke schön, Klaus Reinhardt - General a. D. und ehemaliger Oberbefehlshaber der Kfor-Truppen im Kosovo - im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank!