Gendermarketing

Die hellblaue und rosa Falle

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Wer tappt in die Rosa-Hellblau-Falle? (Deutschlandradio) © Deutschlandradio
Von Almut Schnerring und Sascha Verlan · 08.03.2016
Wer ein Geschenk für ein Kind kaufen möchte, kommt im Geschäft nicht an der Frage vorbei: Für einen Jungen oder für ein Mädchen? Die Trennung der Konsumenten nach Geschlecht nennt sich "Gendermarketing" - und funktioniert nicht nur bei Spielzeug.
Gendermarketing beginnt auf der Oberfläche: Schon an der Verpackung soll deutlich werden, ob sich ein Angebot an Männer oder an Frauen richtet. Die Verfechter und Theoretikerinnen des geschlechtsspezifischen Marketings gehen davon aus, dass es grundsätzliche Unterschiede gibt, wie Frauen und Männer Konsumwünsche artikulieren, Kaufentscheidungen treffen und Produkte bewerten.
Während zum Beispiel von Männern angenommen wird, dass ihnen schnelles und gezieltes Einkaufen wichtig sei, geht man davon aus, bei Frauen stünde der Spaß am Einkaufen selbst im Vordergrund. Geschäfte versuchen, das bei ihrer Einrichtung und im Sortiment zu berücksichtigen. Männer wird mehr Interesse für technische Details unterstellt, und Produkte für Frauen gibt es oft in kleinerer pinker Variante.
Das Konzept, das Angebot in zwei Welten zu trennen und nach Geschlecht zu ordnen, ist in den USA seit den 1990ern bekannt, in Deutschland wurde die rosa-hellblaue Einteilung vor rund 10 Jahren übernommen und findet heute in allen Bereichen Anwendung.
Anke Domscheit-Berg: "Spätestens im Kindergarten, draußen beim Spazieren, überall kriegt ein kleines Kind heute verklickert, was zu seinem Geschlecht gehört und was nicht."
Anke Domscheit-Berg hat als Unternehmensberaterin und IT-Expertin für McKinsey und Microsoft Deutschland gearbeitet. Als politische Aktivistin engagiert sie sich in der Open Government-Bewegung und erarbeitet Konzepte für mehr Gleichstellung von Männern und Frauen im Beruf und in Führungspositionen.
Domscheit-Berg: "Und Kinder wollen Erwartungen erfüllen. Das heißt, die wünschen sich auch tendenziell eher Dinge, von denen sie glauben, die passen zu ihnen und führen zu Akzeptanz in der Gruppe und nicht zur Ablehnung."
Ob Zahnbürsten, Laptops, Kaffeetassen oder Akkubohrer, das auffälligste Unterscheidungsmerkmal ist die Farbe Rosa. Sie wird als Kennzeichen für die weibliche Zielgruppe derart überbetont, dass ein Überschreiten der Farbgrenze für viele undenkbar geworden ist. Manchen Herstellern genügt das nicht, Aufschriften wie "Extra für Mädchen" oder "Boys only" ziehen die Grenze noch eins höher.

Kinder verinnerlichen Stereotype

Marcus: "Man merkt schon, dass die Kinder das ziemlich schnell verinnerlichen und sofort das kleine Rosa-Pünktchen auf den Überraschungseiern sehen und sagen: nein, das ist ja nur für Mädchen und das darf ich ja nicht essen. Oder sagen: es ist eher eklig. Eh Papa, das sind Überraschungseier für Mädchen, die kannst du mir nicht geben."
Katharina: "Ja, schon vorbei ne!"
Marcus und seine Ehefrau leben mit ihren zwei Söhnen in Bonn.
Marcus: "Als Vater habe ich dann das Gefühl, der Versuch, das in die andere Richtung ein bisschen zu steuern, der ist nahezu unmöglich."
Die Farbe Rosa, "das kleine Rot" war noch bis vor 100 Jahren kleinen Jungs vorbehalten. Aber zusammen mit Rot und Purpur, ursprünglich Farben der Könige und Herrscher, ist es im Marketing und im Kindergarten zur "Mädchenfarbe" mutiert. Rosa als weibliche Farbe ist für viele Jungs tabu, nur wenige Erwachsene stellen die Zuordnung infrage, sie kaufen dem kleinen Bruder lieber ein neues Fahrrad, anstatt ihm das Pink der großen Schwester zuzumuten.
Gendermarketing rechnet sich also. Zumindest für die Hersteller. Wie klischeehaft diese Art der Zuordnung ist und dass dadurch Unterschiede verfestigt und bei Kindern sogar neu geschaffen werden, bestreiten sie vehement. Dabei hat die Zweiteilung der Warenwelt ein stark reduziertes Angebot zur Folge.
Anke Domscheit-Berg: "Kinderschuhe: fast unmöglich, für Mädchen solide, funktionale, wetterfeste, leicht an- und ausziehbare Schuhe zu finden ohne irgendwelche komischen Schnörkel dran. Gibt’s praktisch nicht. Ich kann auch kaum Kleidung finden, die irgendwie neutral ist und nicht schickimicki Gedöns drauf hat und irgendwie nach Prinzessin aussehen will und Glitzer und so weiter. In der Spielzeugabteilung das gleiche. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, aber es ist mit einem bestimmt fünf- bis zehnfachen Aufwand verbunden, alternative Dinge zu kaufen. Und diese beiden Effekte, die sind wie so eine Klammer: das eine schafft die Nachfrage, das Andere ist das extrem einseitige Angebot mit Eltern, die wenig Zeit haben und es möglichst schnell hinter sich bringen wollen, und das ist ein sehr fataler Teufelskreislauf, der sich selbst verschärft."

Marketing ohne experimentierende Mädchen

Gendermarketing bleibt also nicht an der Oberfläche. Mit der geschlechtlichen Zuordnung von Produkten geht immer auch eine Zuordnung von Eigenschaften, Interessen und Fähigkeiten einher. "Pink stinks" sagt daher der gleichnamige Verein. Die Initiatorin Stevie Schmiedel aus Hamburg setzt sich dafür ein, Mädchen nicht auf Rosa und Spielzeug rund um Schönheit und Pflege zu reduzieren:
Stevie Schmiedel: "Früher war es mal eine Farbe für Widerstand, also für die feministische Bewegung. Heute steht rosa für niedlich, 50er-Jahre-Ideale wie Backen, Kochen, sich um Puppen kümmern und vor allen Dingen, sehr schön aussehen. Und das stinkt uns, und deshalb haben wir dagegen eine Kampagne gegründet."
Auch die Initiative 'Let Toys Be Toys' fordert dazu auf, Spielsachen wieder Spielsachen sein zu lassen. 'Let Toys Be Toys' hat im vergangenen Weihnachtsgeschäft einmal analysiert, mit welch unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Begriffen Produkte für Mädchen und für Jungen beworben werden.
Die Nürnberger Spielwarenmesse hat wieder gezeigt: Der Trend zu Pink und Glitzer gegenüber Schwarz und Orange in den Kinderabteilungen hält weiter an. Jungen, die sich für Puppenhäuser interessieren, Mädchen, die gerne naturwissenschaftlich experimentieren, ohne dass Feen und Makeup mit ins Spiel kommen - in den Strategien der Marketingabteilungen gibt es sie nicht. Wo es doch ein ausgesprochenes Ziel von Politik und Wirtschaft ist, mehr Mädchen für die mathematisch-technischen Fächer zu begeistern und mehr Jungen für den Pflegebereich.
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