Gemeinwohlökonomie

Nicht nur für den Profit wirtschaften

07:25 Minuten
Menschen laufen einem Lavendelfeld entlang.
Die Firma Taoasis bei Detmold pflanzt seit 2017 Bio-Lavendel an und will die gemeinwohlorientierte Wirtschaft mit voranbringen. © picture alliance/dpa/Jochen Tack
Von Robert B. Fishman · 24.08.2020
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Unser Wirtschaftssystem belohnt Unternehmen mit satten Gewinnen, auch wenn sie die Umwelt zerstören und das Arbeitsrecht verletzen. In der Region Höxter in Nordrhein-Westfalen kämpfen kleine Firmen dafür, das Gemeinwohl in den Mittelpunkt zu rücken.
"Jetzt sind wir hier auf dem Gelände der ehemaligen Steinheimer Möbelmanufaktur. Der Strukturwandel hat dazu geführt, dass diese Firmen alle nach und nach pleite gegangen sind. Ich war Mitbeteiligter der letzten Fabrik hier, und wir haben das dann in die Stiftung eingebracht, in die Stiftung Gemeinwohlökonomie Nordrhein-Westfalen. Das Gelände wird jetzt komplett saniert."
Apotheker Albrecht Binder führt durch die Alte Möbelfabrik in Steinheim, einer 12.000-Einwohner-Kleinstadt am ländlichen Ostrand Westfalens. Hier entsteht Deutschlands erstes Gewerbeobjekt für Unternehmen, die sich der – Gemeinwohlökonomie – verschrieben haben.


"Unsere Erwartung ist, dass die mindestens einen Nachhaltigkeitsbericht schreiben, idealerweise eine Gemeinwohlbilanz, weil die Gemeinwohlbilanz, die einzige Bilanzierungsform ist, wo man tatsächlich auch einen externen Auditor draufgucken lässt und einen wirklichen Spiegel vorgehalten bekommt, wie es um die ökologische und soziale Nachhaltigkeit des Betriebes steht."

Gerechtigkeit, Menschenwürde, ökologische Nachhaltigkeit

Die Idee der Gemeinwohlbilanz hat der österreichische Autor und Wirtschaftstheoretiker Christian Felber entwickelt: Unabhängige Auditoren untersuchen, was Unternehmen zum Gemeinwohl beitragen. Die Kriterien: Gerechtigkeit, Menschenwürde, ökologische Nachhaltigkeit und demokratische Mitbestimmung.
Dafür gibt es Punkte: zum Beispiel für geringen Ressourcenverbrauch, die Wiederverwendung von Rohstoffen, die Nutzung von Ökostrom, Dienstfahrräder, betriebliche Mitbestimmung und eine geringe Lohnspreizung. Bewertet werden außerdem die Lieferkette, die Verteilung der Gewinne, regionale Wirtschaftskreisläufe und das Finanzwesen. Wer etwa sein Geld bei einer nachhaltigen Bank anlegt, steht in der Gemeinwohlbilanz besser da.
Felber möchte, dass diese Unternehmen für ihr gesellschaftliches Engagement zum Beispiel Steuervorteile oder günstigere Kredite erhalten. Bisher haben sie große Nachteile. Wer dagegen die Kosten für Umweltschäden der Allgemeinheit überlässt oder seine Leute so schlecht bezahlt, dass sie zusätzlich Hartz IV beantragen müssen, senkt seine Ausgaben. Die Produkte sind scheinbar billiger. Die Zeche zahlen dann andere, zum Beispiel die Steuerzahler.

Märchenökonomie nennt Reinhard Raffenberg dieses System. In Detmold leitet er die 2017 gründete Stiftung Gemeinwohlökonomie Nordrhein-Westfalen, die die Alte Möbelfabrik in Steinheim umbaut.
"Die Gemeinwohlbilanzierung bereitet den Weg dazu, dass wir mal sagen können, ich investiere oder ich engagiere mich in faire Handelsbeziehungen in ordentliche Arbeitsverhältnisse, in ökologische Grundlagen, in CO2-positive Produktionsketten. Das wird irgendwann ein materieller Gewinn sein, auch in der Bilanz."
Wer sich nur an die gesetzlichen Vorgaben hält, bekommt in der Gemeinwohlbilanz null Punkte. Binders Apotheken haben unter anderem für Transparenz, faire Behandlung der Mitarbeiter und Beteiligung der Kunden 455 von 1000 Punkten erreicht. Für ihn hat sich der Aufwand gelohnt.
"Also für mich lohnt es sich vor allem deswegen, weil unser Antrieb, ethisch zu wirtschaften, jetzt über die Gemeinwohlbilanz nach außen sichtbar wird und auch nach innen. Es schafft für die Mitarbeitenden eine bessere Möglichkeit, sich mit dem Betrieb zu identifizieren."
Ein Mann steht an einem Rednerpult und hält einen Vortrag.
Christian Felber ist auch Gründungsmitglied von Attac.© imago images/Willi Schewski

Faire Arbeitsbedingungen und Gehälter

Ein weiterer Pluspunkt und Standortvorteil: Da die Unternehmen – wie überall – so auch im Kreis Höxter Fachkräfte suchen, helfen Transparenz, faire Arbeitsbedingungen und Gehälter, die Beschäftigten zu halten.
"Was wir messen konnten im Rahmen der Gemeinwohlbilanzierung, ist, dass unser Krankenstand deutlich niedriger ist als im Durchschnitt, und das macht sich eben dann auch wiederum in der Wirtschaftlichkeit bemerkbar."

Gut 20 Kilometer weiter westlich ist am Stadtrand von Detmold die Lavendelernte in vollem Gange. Das Unternehmen Taoasis baut Lavendel und weiter Kräuter an, die es zu Duftölen, Cremes und anderen Bio-Produkten verarbeitet.
Die Idee der Gemeinwohlökonomie begeistert auch Taoasis-Gründer Axel Meyer.
"Ich gehe da mit Christian Felber absolut d’accord, wenn er sagt, dass es doch nicht sein kann, dass Unternehmen und Menschen, die Wasser verunreinigen, Luft verpesten, dass die die dicken Gewinne machen und Unternehmen, die idealistisch mit zertifizierter Bio- und Demeter-Ware Produkte liebevoll nachhaltig herstellen, dass die zur Kasse gebeten werden und letztendlich, dass die die Gewinne der anderen mitfinanzieren."
Taoasis wirtschaftet nach den Richtlinien des ökologischen Landbaus.
Seine Produkte sind dadurch zwar teurer, aber eben auch besser für die Umwelt. Das zeigt sich auch in der Gemeinwohlbilanz: Der Duftöl- und Biokosmetikhersteller hat in der Gemeinwohlbilanz 642 von 1000 möglichen Punkten erreicht.
Meyer beklagt wie andere Unternehmen aber auch den großen Aufwand, den die Unternehmen für die Bilanzierung leisten müssen.
"Im Einkauf zum Beispiel geht es halt darum, dass wir ja weltweit unsere Anbaupartner haben. Das heißt, wir haben Projekte initiiert oder Anbaupartner von konventionell auf Bio oder von Bio auf Demeter-Anbauweise umgestellt, sie motiviert und das auch mit begleitet. Aber es bleibt ein kleiner Rest über den Großhandel, der dann vielleicht mal hier ein Kilo Zimt oder da ein Kilo Muskatnuss besorgt. Und diese Großhändler, die haben viele Information nicht."
Ein Mann sitzt an einem Tisch und lacht.
Es könne doch nicht sein, dass Unternehmen, die Wasser verunreinigen und die Luft verpesten, die dicken Gewinne machen, sagt Axel Meyer.© picture alliance/dpa/Robert B. Fishman

Deutschlands erste Gemeinwohlregion liegt in NRW

Dennoch ist Meyer von der Gemeinwohlökonomie nach wie vor überzeugt. Im benachbarten Städtchen Lage baut Taoasis auf dieser Grundlage auch einen neuen Unternehmenssitz.
"Ja, das Besondere ist – wie man schon sieht, riecht vor allen Dingen –, es ist alles aus Holz. Es ist also nachwachsend und weitestgehend ökologisch, also auch gedämmt, Holzdämmplatten usw."
Im Kreis Höxter erstellen inzwischen immer mehr Unternehmen und Gemeinden eine Gemeinwohlbilanz. Der Landkreis in Ostwestfalen ist damit auf dem besten Weg, Deutschlands erste Gemeinwohlregion zu werden. Und das wird wohl nicht nur junge Fachkräfte anlocken.
Für das Start-Up Center in der Alten Möbelfabrik in Steinheim haben sich schon erste Interessenten gemeldet.
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