Gemeinschaft gesucht und gefunden

Blick auf die Kuppeln des Berliner Doms
Blick auf die Kuppeln des Berliner Doms © picture alliance / Hans Joachim Rech
Von Ariane von Dewitz · 28.12.2012
Taizé ist eine christlich-ökumenische Bewegung aus Frankreich. Die Communauté de Taizé organisiert alljährlich ökumenische Jugendtreffen mit Tausenden von Besuchern. Bis zum 2. Januar findet derzeit das Europäische Jugendtreffen in Rom statt. - Besuch bei einer Taizéandacht im Berliner Dom.
"Wow, jetzt wird's langsam voll! Schön. Ist das allgemein gut so? I de-liiight! Sprechts mal nach. Alle: I de-liiiight! Ja, wenn der Mund weit offen ist, das strahlt aus auf die, die kein Englisch können. Damit sie merken: Das ist was Schönes. De-liiiiight and Re-joiiiice! Da ist Joy drin."

Sie werfen die Wintermäntel in die Ecke, schnappen sich noch eben ein Liedheft und eilen zu ihrer jeweiligen Stimmgruppe: Sopran, Alt, Tenor oder Bass. Denn die Chor-Probe für Taizé-Lieder hat längst begonnen.

"I delight and rejoice."

Es ist ein eiskalter Winterabend im Dezember. Während draußen die Schneeflocken rieseln, proben auf der Orgelempore des Berliner Doms bereits rund 20 Menschen, um bei der bald beginnenden Taizé-Andacht vierstimmig mitsingen zu können. Manche sind schon mehrmals hier gewesen, einige nehmen heute zum ersten Mal teil. Die Gruppe blickt zu Domkantor Peter-Michael Seifried, der zeigt, wie es geht:

" ... wait for the Lord, whose day is near, wait for the Lord, keep watch, take heart."

Einige Chormitglieder verziehen das Gesicht, weil sie das Gefühl haben, nicht den richtigen Ton zu treffen. Doch der Kantor findet das gar nicht so wichtig. Entscheidend ist für ihn vor allem eines:

"Bei all dem, was Ihr singt, müsst Ihr immer Freude an Eurer Stimme haben! Also nicht denken: 'Es wird deswegen schön, weil wir das gemeinsam vor uns hin singen', sondern: Eure Stimme! Ihr müsst rausgehen und sagen: Boah! Was hab ich für ein Glück, dass der Herr mir diese Stimme gegeben hat - und ich sie heute so schön einsetzen konnte!"

Und ermuntert sie, gleich das nächste Lied zu proben. Seifried lässt sich dabei alle möglichen Gedankenspiele einfallen.

"Denkt Euch mal, dass wir ein Kloster hinterm Ural wieder neu besiedeln. Und Ihr müsst in die Weite der russischen Landschaft singen. Singt: "Gospodi pomi lui". Versuchts!"

Die ansonsten hell leuchtenden Lampen im Berliner Dom sind mittlerweile erloschen. Nur ein paar Kerzen leuchten, die ein älterer Mann gerade anzündet. Vor dem Altar steht eine rot-goldene Ikone aufgebaut, die einen gekreuzigten Jesus zeigt, daneben sind drei Heiligenbilder aufgebaut.

Es ist Zeit, die Andacht beginnt in wenigen Minuten, Kantor Seifried klaubt seine Notenblätter zusammen, knipst noch schnell das Licht an der Orgel aus und verlässt mit der Gruppe die Empore, um zum Rest der Gemeinde hinunter zu gehen.

Dort sitzen bereits rund 500 Menschen jeden Alters ganz still in den Kirchenbänken, blicken auf Kerzen, warten auf den Beginn der Andacht. Der Kantor setzt sich ans Klavier, der Chor nimmt daneben Platz und verstärkt - nach einer kurzen geistlichen Einführung von Domprediger Thomas C. Müller - den Gesang der anderen Kirchenbesucher.

Einige Menschen singen mit, hören bloß zu, beten, manche haben Tränen in den Augen. Immer wieder steht jemand auf, um zum Altar zu laufen und selber eine Kerze anzuzünden. Zwischen den Liedern, die auf französisch, englisch und deutsch gesungen werden können, gibt es immer wieder Momente der Stille. Darauf hat Frère Roger, der die christlich-ökumenische Bewegung in den späten 70er Jahren in Frankreich gründete, viel Wert gelegt.

Nach dem Segen und einem letzten kontemplativen Moment erheben sich die Menschen im Dom, die Andacht ist zu Ende. Domprediger Thomas C. Müller ist selber noch ganz ergriffen von der Stimmung:

"Das ist wirklich ein Ort, an dem ich selber zur Ruhe kommen kann, ja. Sich der Gegenwart Gottes überlassen zu dürfen - und sich fallen lassen können ohne ständig im Kopf herum zu kreisen und den Affen, die im Baum herum tanzen folgen zu müssen, sondern da immer wieder raus zu gehen und sich diesen Worten überlassen und damit etwas von dieser Liebe Gottes zu schmecken."

Beseelt fühlen sich nach dem Gottesdienst auch die beiden Berliner Gabriele Hesse und Detlev Dahlmann - sie kommen regelmäßig zu den Taizéandachten im Dom und verstehen gut, dass immer mehr Menschen daran teilnehmen wollen. Und in diesen Tagen wieder Zehntausende zum Jugendtreffen nach Rom pilgern werden.

Detlev Dahlmann: "Man kann auch hier Leute mit rein nehmen, die vielleicht nicht so gläubig sind, also ich war vorhin mit zwei Freunden hier, die ich heute nach dem Weihnachtsmarkt mal mitgenommen habe, die nicht in die Kirche gehen - aber wo der eine auch gleich zu mir sagte: "Oh, das war aber schön."

Gabriele Hesse: "Ich gehe auch in die Kirche, aber am liebsten ist mir der Taizé-Gottesdienst, abgesehen von der Stille, ich bin ein ganz großer Fan von der Stille, was ja hier nur relativ kurz ist, Frère Roger hat gesagt, wir dürfen die Jugendlichen nicht erschrecken, und deswegen ist die Stille im Taizé-Gebet auch nur fünf bis sieben Minuten."

Dass mehr gesungen als geschwiegen wurde, hat auch der siebenjährigen Anna gut gefallen, eben ganz im Sinne des Taizé-Gründers Frère Roger, der vor allem die Jugend dachte.

Anna - langer, brauner Zopf und bunte Strickpulli - möchte am liebsten heute Nacht, gemeinsam mit einer Freundin, gleich weiter Taizé-Lieder singen. Allerdings, so denkt sie, wird ihr etwas Entscheidendes fehlen:

"Und Mama und Papa, die schlafen ganz oben, und dann hören die uns nicht - und dann können wir vor uns hin singen. Bloß: Da sind dann nicht so viele Leute, die dann mitsingen ..."

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