Gemeinschaft - ein verlorenes Paradies?

Nagelneue Häuser mit Mietwohnungen und Eigentumswohnungen sind in Berlin an der Grenze der Bezirke Mitte und Kreuzberg zu sehen.
Die Erfahrung anonymer Nachbarschaften in gesichtslosen Stadtvierteln und Vororten prägt das Leben vieler Menschen. © picture-alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Jochen Rack und Dieter Kassel · 02.08.2014
Gemeinschaft, so der Soziologe Zygmunt Bauman, ist immer weniger zu finden in der "liquiden Moderne", die durch einen Mangel an Verbindlichkeit, Vielfalt und Beliebigkeit gekennzeichnet ist. Das zeigt sich auch in unseren Siedlungen, in denen "nichts lange genug überdauert, um einem vertraut zu werden.
Und diesen Ort in jene behagliche und schützende Umgebung zu verwandeln, nach der die Gemeinschaft und Heimat entbehrenden Individuen inbrünstig suchen." Die Erfahrung anonymer Nachbarschaften in gesichtslosen Stadtvierteln und Vororten prägt das Leben vieler Menschen. Erzwungene Mobilität durch Jobwechsel und zunehmende Scheidungsraten bestimmen ihren Wohnalltag. In den großen Städten machen mittlerweile Einpersonenhaushalte 50 Prozent der Wohnungen aus. Gleichzeitig steigt durch die demografische Entwicklung die Zahl älterer Menschen, die ihr Lebensende in Alten- und Pflegeheimen verbringen müssen. Besserverdienende schotten sich in Gated Communties ab, steigende Mieten und Immobilienpreise führen zur Zerstörung von gewachsenen Hausgemeinschaften und der sozialen Entmischung ganzer Viertel im Zeichen der Gentrifizierung.
"Gemeinschaft“, schreibt Bauman, "das Wort ist für uns zum Synonym für ein verlorenes Paradies geworden." Doch aus dem Unbehagen über die Kultur des isolierten Wohnens wachsen auch Widerstand und eine Sehnsucht nach Gemeinschaft und nachbarschaftlicher Solidarität, die sich in neuen Formen des Zusammenwohnens ausdrückt. Die Wiener "Sargfabrik" gilt weltweit als Pilotprojekt gemeinschaftlichen Wohnens, in Gänserndorf entstand die erste Co-Housing Siedlung Österreichs. In Deutschland stehen der Freiburger Stadtteil Vauban, das französische Viertel in Tübingen und die Münchner Wohnprojekte von Wagnis e.V. für Musterbeispiele einer gemeinschaftsorientierten Quartiersentwicklung.

Baugemeinschaften und Baugenossenschaften spielten bei innovativen Wohnformen der Gegenwart eine große Rolle, Wohngemeinschaften sind nicht mehr nur für Studenten, sondern auch für Alte attraktiv. Die Kommunen fördern den Bau von Mehrgenerationenhäusern, Architekten und Stadtplaner stellen sich den veränderten Bedürfnissen und organisieren die Bebauung von Stadtvierteln im Geist einer neuer Nachbarschaftlichkeit. Eine Lange Nacht über eine Gesellschaft, die wieder mehr Nähe sucht.
Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk,
Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München.
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Alex Rühle,
Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, Buchautor und Mitgründer von "Goldgrund Immobilien Organisation" Mehr
Um die Auswüchse der Gentrifizierung anzuprangern, haben drei Münchner Bürger eine pfiffige Idee entwickelt - und damit Erfolg gehabt: der freche Kampf der Goldgrund Immobilien Organisation. Mehr

Auszug aus dem Manuskript:
Sabine Pour:
"Die Leute empfinden sich eher als "Wir sind ein Viertel", wenn man sich regelmäßig trifft. Wenn hier ein Wochenmarkt ist, ein Flohmarkt, ein Adventssingen oder gemeinsam Fußball gekuckt wird bei der WM, dann hat das was Verbindendes, Heimeliges. Es schafft mehr Vertrauen, mehr Sicherheit, wenn man in so einer Gemeinschaft lebt, die nicht sehr eng sein muss, aber in so einer dorfähnlichen Struktur."

Elisabeth Hollerbach:
"Wichtig ist die soziale Komponente, zu schauen, wie wir leben können entgegen der Vereinzelung, entgegen auch der Vereinsamung, weg von Konsum, mehr zu Glücksgefühlen, in dem, was man gemeinschaftlich tun kann."

Immer mehr Menschen suchen verstärkt engere nachbarschaftliche Bindungen, konstatiert die Studie "Wohntrends 2030" des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmer und sagt voraus:
Getrennt wohnen - auf Zeit oder dauerhaft - und dennoch intensiv miteinander verbunden sein, das wird für viele Gemeinschaften ein stabiler Lebensentwurf.
Tatsächlich experimentieren in letzter Zeit viele Baugemeinschaften und Baugenossenschaften mit neuen Formen des Zusammenlebens. Architekten und Stadtplaner stellen sich den veränderten Bedürfnissen und suchen im Zuschnitt neuer Hausformen und kommunikativ angelegter Viertel nach einer gemeinschaftsstiftenden Wohnkultur. Musterfälle dieser Form gemeinschaftlich orientierter und genossenschaftlich organisierter Wohnprojekte sind die Wohnanlagen des Vereins "Wagnis" in München, der aus dem gesellschaftskritischen Geist der Bürgerbewegungen hervorging, erklärt Elisabeth Hollerbach, eine der Gründerinnen und heutige Geschäftsführerin des Wagnis eG.
Elisabeth Hollerbach: "Wagnis bedeutet im übrigen Wohnen und Arbeiten in Gemeinschaft, nachbarschaftlich, innovativ und sozial, und das ist in etwa das Programm, das sich in verschiedenen Projekten widerspiegelt. Die 16 Wurzel des Ganzen liegt Anfang der 90er-Jahre und ist im Zusammenhang mit der Rio-Konferenz zu sehen, und sie haben eine Umweltkonvention unterschrieben und wir, die wir junge Familien waren, haben uns die Frage gestellt, was können wir tun, damit unsere Kinder überhaupt noch eine Zukunft haben ... Anstelle der Landflucht war unsere Vorstellung, in der Stadt siedeln zu wollen, dort nachhaltiges Leben möglich zu machen. Und die zweite Schiene war mehr die soziale Schiene hin zu mehr Verlässlichkeit, zu Nachbarschaft, mehr Gemeinschaft und damit auch gemeinsames Wachsen."

Die erste Wohnanlage der bisher vier realisierten Wohnprojekte der Wagnis-Baugenossenschaft entstand auf dem Münchner Erschließungsgelände am Ackermannbogen - südlich des Olympiageländes, und wurde 2005 bezogen. In 92 Wohnungen in vier um einen Platz gruppierten Häusern wohnen dort ca. 200 Menschen verschiedenen Alters in geförderten wie frei finanzierten Wohnungen.
Sabine Pour, die seit neun Jahren in der Wohnanlage Wagnis 1 wohnt und das als Begegnungszentrum zu verstehende Café Rigoletto betreibt, schildert eine typische Motivation der Gründer des Vereins, sich an dem Projekt zu beteiligen.
Sabine Pour: "Zunächst wurden wir angesprochen, weil Wagnis mit Autofreiheit geworben hat, dann fand ich die solidarische Finanzierung spannend ... und dann eben diese Gemeinsamkeit nicht im Eigentum, aber gemeinsam was aufzubauen. Wir hatten ja anfangs auch die Verpflichtung, 48 Stunden im Jahr zu arbeiten ... , was einen gemeinschaftsfördernden Anteil hatte. Und dieser Ideenkomplex war interessant für uns, weil wir vor der Frage standen: Kaufen wir uns ein Reihenhaus oder machen wir was anderes. Wir haben uns Reihenhäuser angesehen und gemerkt, dass das nicht zu uns passt, weil das zu abgeschmackt ist."

Die Wohnbaugenossenschaft Wagnis eG München: Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder vorrangig durch eine sozial und ökologische verantwortbare und sichere Wohnungsversorgung. Wohnbaugenossenschaften stellen einen "Dritten Weg” zwischen den traditionellen Lösungen Eigentum und Miete dar. Typisch ist ihr Doppelcharakter als Wirtschaftsunternehmen einerseits und bewohnerorientierter Selbsthilfeeinrichtung andererseits. Die Mitglieder einer Genossenschaft sind "Mieter im eigenen Haus”. Sie haben lebenslanges Wohnrecht, können ihrerseits die Wohnungen kündigen. Die Nutzungsgebühren sind wirtschaftlich angemessen und auf Dauer billiger als Mieten. Die Wohnungen sind keine Spekulationsobjekte, sondern bleiben langfristig und auch den Erben erhalten.

Auszug aus dem Manuskript:

Gemeinschaft ist in der Wiener Sargfabrik nicht exklusiv gedacht, sondern als offenes Konzept, das in die Nachbarschaft hineinwirkt und sich damit von anderen privatwirtschaftlich realisierten Wohnprojekten unterscheidet, die heute auch gern damit werben, dass sie Gemeinschaft für ihre Bewohner schaffen. Ein Beispiel dafür ist der Berliner Marthashof am Prenzlauer Berg, der von Kritikern als Gated Community bezeichnet wird. Es handelt sich um eine U-förmige, um einen Innenhof angeordnete Wohnanlage mit 3-6-geschossigen Apartmenthäusern in der viele Menschen in Eigentumswohnungen zusammenwohnen. Entworfen wurde die Anlage von der Architektin und Braunschweiger Architekturprofessorin Almut Grüntuch-Ernst.
Almut Grüntuch-Ernst: "Wir stehen jetzt hier auf der Schwedter Strasse vor dem Neubauprojekt Marthashof, das ist ein großes innerstädtisches Implantat kann man fast sagen, weil das keine normale Baulücke darstellt, sondern für 137 Wohneinheiten eine neue Gruppe von Leuten in die Stadt bringt. ... Es ist noch nicht lange her, dass die finanzielle Wahlfreiheit die Leute, sobald sie in die Nestbauphase gekommen sind, an den Stadtrand gedrängt haben. Das hat sich verschoben, da es mehr Leute gibt, die ihr Leben - das nicht mehr aus der Musterfamilie - zwei Kinder, Hausfrau, der Mann pendelt - besteht, sondern es sind vielfältigere.. Lebensmodelle, denen auch Raum geboten werden muss, Leute, die auch die Attraktivität der kommunikativen Verdichtung in der Innenstadt sehen. Gleichzeitig versucht man, die Naturnähe mit zu integrieren ... Sie sehen hier, dass alle Wohnungen großzügige Loggien oder Gartenbezüge haben ... zusätzlich ... und da ist das Besondere am Marthashof ... - dieser gemeinsame Spielplatz, dieser gemeinsame Bereich, den die Gruppen untereinander teilen und teilweise auch mit der Stadtgemeinschaft teilt."


Der Projektentwickler, die Immobiliengesellschaft Stofanel bemüht für das Konzept den zeitgeistigen Begriff des Urban Village.
Im Herzen von Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg um einen zentralen, grünen Innenhof gelegen, entstehen Garden Houses, Central Houses, Penthouses und Townhouses, die einen hohen Anspruch an Ausstattung und Lebensqualität vereinen. Dabei folgt der Marthashof der ganzheitlichen Philosophie eines "Urban Village", die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Harmonie von Freiraum und Geborgenheit, Sicherheit und gute Nachbarschaft, ökologischer Anspruch und Funktionalität sind Teil dieser Lebensart.

Almut Grüntuch-Ernst ist mit Begriff des Urban Village nicht glücklich, weil sie mit Dörflichkeit Beschränktheit assoziiert.
Almut Grüntuch-Ernst: "Sicherlich ist es richtig, dass man versucht, Leute aus der Anonymität rauszuholen, das ist das, was man mit Dörfern verbindet, aber wenn es mit eng und engstirnig verbunden wird, dann passt das nicht mehr zu urban ... / Wir haben versucht, das was die Leute als Einfamilienhausglück bezeichnen würden, Naturnähe, was wir bewusst versuchen in innerstädtische Gebiete zu bringen ... ist schon was dran ... auch wenn man den Begriff nicht akzeptieren würde."

Man kann beim Begriff "Urban Village" an die dörflichen Qualitäten denken, die Großstädter besonders vermissen: Ruhe und überschaubare Nachbarschaften, die im Fall des Marthashofs durch die hofartige Anlage rund um den Garten ermöglicht werden sollen. Doch anders als bei den Baugemeinschaften und Baugenossenschaften fanden sich die Bewohner zufällig in der Anlage zusammen, es gab keine gemeinschaftliche Planung oder Auswahl der Bewohner. Peter Hanstein, einer der Bewohner des Marthashofs, entschied sich aber gerade wegen der Gemeinschaftsqualität für den Kauf einer Wohnung.
Peter Hanstein: "Ich bin vor zweieinhalb Jahren hier eingezogen als einer der ersten Pioniere überhaupt ... Ich habe einen Freund in den Prenzlauer Gärten besucht, die mir gut gefallen hat. Eine geschlossene Anlage, wo eine sehr starke Gemeinschaft ist. Das Konzept hat mir gut gefallen. Dann dachte ich, wenn ich eine Wohnung suche, dann etwas, wo es Gemeinschaft gibt. 2007 bin ich dann auf den Marthashof gestoßen ... wo ich gesehen habe, dass man durch Architektur versucht, Gemeinschaft zu schaffen, wo Leute mehr miteinander wohnen als in einer Blockbebauung ... Inzwischen kann ich sagen, dass sich das bestätigt hat ... Ich kenne jeden hier, es ist ne enge Gemeinschaft ... es gibt Künstler, die machen Ausstellungen über drei Wohnungen, es gibt viele Events, die wir gemeinsam machen ... Meine Erwartung war Gemeinschaft, und so ne Wohnanlage zieht junge Familien an, weil für Kinder ist das ideal. Man wohnt in der Innenstadt und die Kinder gehen raus und sind geschützt und gesichert wie es sonst nur auf dem Land ist."

Lebensqualität ohne Kompromisse
Freiheit, Raum und Ruhe mitten in der Stadt - diesen Traum verwirklicht der Berliner Marthashof.

Almut Grüntuch-Ernst, Architektin und Professorin an der TU Braunschweig - Gemeinsam mit Almut Ernst gestaltete sie das "Urban Village" Marthashof.

Auszug aus dem Manuskript:
Als vorbildliches Konversionsprojekt, das gemeinschaftliche Wohnformen fördert, gilt das Quartier Vauban in Freiburg im Breisgau. Dabei handelt es sich um einen neuen Stadtteil, der etwa drei Kilometer entfernt vom Stadtzentrum auf einem ehemaligen Kasernengelände der französischen Armee entstanden ist. Über 4300 Menschen leben auf dem 41 Hektar großen Areal, das bemerkenswert ist wegen seiner ökologischen Struktur, den autofreien Räumen und der innovativen Architektur, vor allem aber deshalb, weil 60 Baugemeinschaften und Baugenossenschaften dort gebaut haben, erklärt Reinhold Prigge, der einen Dokumentarfilm über das Viertel gedreht hat.
Gerd Kuhn:
"Es gibt Baugemeinschaften, die haben Wohnungen gebaut, andere Reihenhäuser, aber der Unterschied liegt darin, wenn Leute sich zusammentun und bauen entsteht Gemeinschaft. Wenn Sie eine Wohnung kaufen, kennen Sie niemanden im Haus. Aber dadurch dass Leute zusammen bauen, kennen die sich alle, ist Basis, um mehr Gemeinschaft zu leben. Und der andere Punkt ist, was interessant ist bei Baugemeinschaften, dass die innovativsten Wohnhäuser sind nicht von freien Bauträgern entwickelt worden, sondern von Baugemeinschaften. Das ist das Besondere an Vauban, [...]dass Behinderte integriert werden und Studentenwohnungen und diese neuen Wohnformen in der Stadt werden durch Baugemeinschaften realisiert."

Für den Tübinger Wohnsoziologen Gerd Kuhn ist das Innovative an Vauban, dass die Initiative von den Bewohnern ausging.
"Das ist eine Stadtentwicklung, die nicht geplant war, die aus den Impulsen der Gruppe ausging, gegen Widerstand der Stadt durchgesetzt wurde: Wir machen uns die Welt, so wie sie uns gefällt, wir haben eine Vision, die wollen wir umsetzen, die hatten eine ökologische Vision. Die städtebauliche Grundstruktur, dass das Quartier für die Bevölkerung da ist und nicht fürs Auto führt zu einer ganz anderen Grundstruktur, die gerade am Siedlungseingang sichtbar ist, dass man nur mit dem Auto reinfährt zum Be- und Entladen. Der öffentliche Raum ist ein Aneignungsraum, ein Spielraum für die Bewohner, das hat eine grundlegend andere Struktur wie im sonstigen Städtebau, die nach älteren Planungsideen gebaut war, nämlich man wohnt in einer Siedlung und fährt zur Arbeit. Diese Trennung von Wohnen und Arbeiten, die nach Tagesablauf segregiert ist. Und in Vauban versuchte man Arbeiten und Wohnen zusammenzubringen und den Verkehr anders zu regeln. Das unterscheidet diese Form von Städtebau, der immer getrennt war von dem Privaten zum Öffentlichen als scheinbar getrennte Sphären, und das Öffentliche sehr überformt war mit Verkehr. Aber in dem Moment, wo das Private und Öffentliche anders oszillieren, da entstehen Optionen der Gemeinschaft."

Der Stadtteil "Vauban" ist ein neuer Stadtteil an der Südgrenze von Freiburg im Breisgau, Deutschland. Er entstand von etwa 1994 bis 2014 aus einer ehemaligen französischen Kaserne.

Auszug aus dem Manuskript:

Irmgard Kravogel: "Diese Siedlung Lebensraum ist ein Holzriegelbau, das heißt, eine Holzsiedlung, Rahmenbauweise und zur Tannegasse hin aus optischen Gründen sind sie mit Sichtziegeln verkleidet. Wir gehen am Müllplatz entlang, hier ist unser Fahrradschuppen, hier kommen wir jetzt zum Haupteingang der Siedlung Lebensraum mit einem kleinen Biotop im Vordergrund, am Dach sehen Sie diese Aufbauten, das sind Solaranlagen, das Warmwasser wird im Sommer mit Sonne hergestellt, der gesamte Gemeinschaftsraum ist mit Solarpaneelen bestückt. Das ist der Eingang zum Gemeinschaftsraum, das ist das Foyer mit dem Brunnen, das ist ein Gemeinschaftswerk der Bewohner, das ist ein gestalterisches Moment und das Wasser wird mit der Osmosenanlage gereinigt ... und gleichzeitig ist das ein Kontaktpunkt wie in alten Zeiten der Dorfbrunnen."

Neue Formen von Gemeinschaftlichkeit und Nachbarschaft realisiert die im Jahr 2005 fertiggestellte sog. Co-Housing-Siedlung "Der Lebensraum" im niederösterreichischen Gänserndorf, ca. 20 km von Wien entfernt. Die Vision der Gründer, die ihr Projekt neben einer schon bestehenden Ökosiedlung realisiert haben, war es, aktive Nachbarschaft und generationsübergreifendes Miteinander in einer ökologischen Wohnanlage zu ermöglichen. Irmgard Kravogel lebt seit neun Jahren in der Siedlung.
Irmgard Kravogel: "Die Siedlung ist von einer Genossenschaft gebaut, wir haben uns für eine Miet- Kauf-Lösung entschieden, als die Möglichkeit, die Wohnungen nach zehn Jahren als Eigentum zu erwerben. Noch verstehen wir uns als Mieter. Dann die Art, wie neue Nutzer ausgesucht werden: Wir haben ... Leute zum Essen eingeladen, um zu sehen, ob die zu uns passen ... Freunde am Umgang mit Menschen, an der Kommunikation, das ist der wesentliche Wert, und die Bereitschaft, sich einzusetzen für die Gemeinschaft, sprich Zeit und Energie aufzuwenden für die Instandhaltung. Wir kümmern uns selber um Schneeräumen und die Reinigung, das Engagement fürs Ganze ist Voraussetzung, um Genosse zu werden."

Der große Gemeinschaftsraum, um den die einstöckigen Häuser mit den 32 Genossenschaftswohnungen angeordnet sind, bietet die Möglichkeit, gemeinsam zu kochen und sich zu versammeln, dient als Spielraum für Kinder und ist als zentraler Ort eine Art kleiner Marktplatz, auf den die verschiedenen Wohntrakte zulaufen.

Irmgard Kravogel:
"Wir stehen jetzt mitten in unserem Essraum. Das Gemeinschaftshaus ist ein Multifunktionsraum, das nicht durch Wände getrennt ist. Das ist der Essbereich, das ist die Gemeinschaftsküche, ausgelegt für 100 Personen, was immer wieder der Fall ist, weil wir Feste, Veranstaltungen haben. In der Mitte des Raumes ist der Sitzbereich, der Wohnzimmerbereich, wo ein Ofen ist, der mit Holz geheizt wird ... dann ein Raum für Bewegung, Meditation, ein Tanzboden ... das ist unser Kinoraum, es wird versucht, alles vielfältig zu nutzen. Wir haben viermal die Woche, wir essen gemeinsam zu Abend, wer will, wird Teil einer Kochgruppe ... und dann wird’s sehr lebendig, man bleibt sitzen, tauscht sich aus."

Der Lebensraum ist ein innovatives Wohnprojekt in Gänserndorf Süd, 20 km nordöstlich von Wien. Die erste Co-Housing-Siedlung Österreichs verbindet ökologisches Wohnen im Grünen mit gelebter Nachbarschaft.

Auszug aus dem Manuskript:

"Da heroben sind wir auf einem ruhigen Platz, da ist im Sommer viel los, das ist ein Dachgarten, wo die Leute Beete haben. Es gibt auch Rückzugsorte, wo man die Ruhe genießen will. Es kennen sich alle, es ist ein Prozess der Nachbarschaft und Freundschaft, es ist schon sehr viel Aufmerksamkeit und Anteilnahme da."

Als urbanes Vorzeigeprojekt gemeinschaftsorientierten Wohnens gilt die Wiener Sargfabrik, eine Wohnanlage für 200 Menschen im Bezirk Wien Penzing, die von einem gemeinnützigen Verein gebaut wurde. Nicht die Neubebauung eines ganzes Viertels wie am Beispiel Ackermannbogen in München bietet den städtischen Rahmen des Projekts, es handelt sich vielmehr um die Integration einer Gemeinschaftswohnlage in ein bestehendes Häuser-Ensemble. Auf dem Gelände befand sich früher einmal eine Sargfabrik, erklärt Gerda Ehs, die Vorsitzende des Vereins für integrative Lebensgestaltung, der das Projekt ins Leben gerufen hat:
"Und 30-35 Personen haben das Gelände gekauft 1989. Und wir wollten ein Projekt machen nicht nur für uns selber mit Gemeinschaftsräumen, sondern für andere in der Umgebung, für die Stadt. Es war ein kompliziertes Planungs- und Bauverfahren, wir sind eingezogen 1996, das war ein romantischer Backsteinbau. Auf den Bauteilen der alten Fabrik wurde dieser Neubau errichtet."
Dabei wurde die stadtbauliche Tradition Wiens berücksichtigt, sagt der Wiener Stadtforscher Robert Temel:

"
Die Architektur der Sargfabrik ist stark von der Kultur des Wohnbaus in Wien bestimmt, dass sehr dicht, sehr hoch gebaut wird, das heißt: Betonbau, dass sehr urban gebaut wird, dass ist der Kontext dieser Architektur, und im Rahmen dessen wurde versucht, Innovationen auszuprobieren, was sich bei der Erschließung und den Grundrissen gezeigt hat."
Gerda Ehs: "Wir haben einen Verein gegründet, der heißt "Verein für integrative Lebensgestaltung", wir wollten Menschen von verschiedener sozialer Herkunft, Berufen und Lebenssituationen, die miteinander leben können. Wir haben sehr viel diskutiert, welche Gemeinschaftsflächen wir errichten wollen und welche Funktion die haben für das Viertel, in dem wir wohnen."

SargFabrik. Verein für integrative Lebensgestaltung
Robert Temel ist Forscher und Vermittler mit den Schwerpunkten Architektur, Stadt und Kultur

Auszug aus dem Manuskript:

Ein Wiener Wohnprojekt, wesentlich kleiner und anders organisiert als die Wiener Sargfabrik lässt sich in der Grundsteingasse 32 besichtigen, mitten im 16. Bezirk, in einem ethnisch gemischten Viertel mit vielen Migranten und Künstlern. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass es bewusst für eine Gemeinschaft verschiedener Generationen geschaffen wurde. Christine Stromberger ist eine der Gründerinnen des Vereins, die den Bau auf den Weg gebracht hat.
Christine Stromberger: "Einerseits ist es eine private Initiative, ausgehend von der Idee von zwei Menschen, die sich überlegt haben, wie sie leben wollen, wenn sie älter werden oder alt sind, und darum herum hat sich dieses Konzept von gemeinsam wohnen entwickelt, und zwar hat gemeinschaftlich geheißen, jung und alt, wir wollten auf keinen Fall ein reines Altersprojekt sein, das gibt es ja auch, sondern wir wollten explizit mit Menschen verschiedener Generationen und Lebensformen zusammenleben."

Eine andere Besonderheit des Projektes in der Grundsteingasse liegt darin, dass es nicht als Neubau, sondern als sanierter Altbau entwickelt wurde.
Christine Stromberger: "Jetzt stehen wir in unserem wunderschönen Hof, von der Größe her, es gibt 19 Wohnungen und 26 Bewohnerinnen und Bewohner , zum Teil ist das Haus zweistöckig, und ganz vorne wurden zwei schöne DG-Wohnungen draufgebaut, dann gibt es noch Maisonetten und noch die ebenerdigen Wohnungen. Das war alter Baubestand, nur hat das katastrophal verkommen ausgeschaut, aber wir haben den Charme dieses Hofes erkannt und darauf bestanden, dass er möglichst original bleibt, auch diese Steine hier ... auch die Mauer hinten wurde saniert, auch die Brücken vor allem, die einen speziellen Reiz hatten ... Das war ein normales Wohnhaus."

Eine Sockelsanierung wurde durch Fördergelder der Stadt Wien ermöglicht und mit einem Wiener Stadterneuerungspreis ausgezeichnet. Zwei Brücken, die über den schmalen Hof von einem Langhaus zum andern laufen, verleihen der Anlage eine besondere architektonische Note, wie die Raumplanerin Anne Lang erläutert, die im Stadtentwicklungsbüro Raum&Kommunikation an der Planung des Umbaus beteiligt war.
Anne Lang: "Was man sehr schön sieht, wie Architektur Gemeinschaftlichkeit ermöglichen kann, Begegnung, gemeinschaftliches Leben. Wenn man zur Tür reinkommt, ist man gleich im Hof, man sieht, wer im Garten ist, man sieht die Leute auf der Brücke, es ist ein Sehen und Gesehen-Werden, es passiert, dass man sich begegnet und ein Wort austauscht. Wenn man durch separate Türen käme, müsste man sich sehr anstrengen, und hier passiert es einfach, weil es möglich ist."

Christine Stromberger: "Da unten ist unser Gemeinschaftsraum, der sehr rege genutzt wird, nicht nur von Vereinsversammlungen, sondern von uns, es gibt ein Open-Haus, wo Künstler eingeladen werden oder einen Lesekreis oder ein Geburtstagsfest für Kinder."

Anders als die Wiener Sargfabrik oder die Wagnis-Projekte in München entstand die Wohnanlage Grundsteingasse nicht als genossenschaftliche Eigentumsform, sondern wurde von einem gemeinnützig orientierten Bauträger - der Privatstiftung zur Unterstützung und Bildung von Arbeitnehmerinnen/PUBA - realisiert, der die Wohnungen an die Mitglieder des Gründungsvereins vermietet. Innovativ ist die Wohnanlage Grundsteingasse auch, weil sie bewusst als Mehrgenerationenhaus geschaffen wurde. Anders als in den 70er- bis 90er-Jahren, sagt der Wiener Stadtforscher Robert Temel, sind die gemeinschaftlichen Wohnprojekte heute nicht mehr nur auf Familien mit Kindern zugeschnitten.
Robert Temel: "Natürlich sind weiterhin Familien mit Kindern eine wichtige Zielgruppe, aber als zweite wichtige Zielgruppe sind in der jüngsten Zeit die jungen Alten dazugekommen. Fast alle Projekte heute versuchen, ein Mehrgenerationenwohnen umzusetzen, die Generationen zu mischen, was bei den alten Projekten noch nicht so war. Und das Projekt Grundsteingasse ist genau eines, das das mit diesem Ansatz begonnen hat, Mehrgenerationenwohnen. Das wurde initiiert von Leuten, die in absehbarer Zeit ans Ende ihres Berufslebens kommen, die auch in ihrer Jugend schon gemeinschaftliche Wohnerfahrungen hatten, also die hatten alle in WGs gelebt und sich das hier vorstellen können als die Alten in den 70er Jahren und deshalb ein Projekt initiiert haben mit dem Gedanken, wie werde ich wohnen, wenn ich älter werde und nicht mehr so leicht allein leben kann. Und das betrieben haben in einem Alter, wo es noch möglich ist, so ein Projekt umzusetzen, denn wenn man mit 80 beginnt, wird es schwierig, das umzusetzen ... Das Projekt Grundsteingasse wollte von Anfang an Mehrgenerationenwohnen erreichen, wollte gebaut werden mit der Frage, wie wohne ich im Alter in Gemeinschaft."

Generationen-Wohnhaus in Ottakring: In der Grundsteingasse 32 wird erstmals in Wien eine Wohngruppe in einem sockelsanierten Gebäude umgesetzt. Durchgeführt vom Stadtentwicklungsbüro Raum&Kommunikation