Gemeinschaft

Ein Gefühl von Freiheit

Von Eva Wolk · 03.05.2014
In der Justizvollzugsanstalt Köln gibt es seit kurzem einen Chor. Singen helfe ihnen die Haft zu vergessen, heißt es von den Sängern.
Justizvollzugsanstalt Köln, Freitag Nachmittag im Kirchenraum. Organist und Chorleiter Heribert Kampelmann sitzt am Piano. Nach den Aufwärmübungen stimmt er das erste Lied der heutigen Probe an. Der Kirchenchor steht um das Klavier herum, Notenblätter in der Hand, und wartet auf den Einsatz. Heute sind zwar nur drei Mitglieder da, aber egal: Mit Unterstützung ihres Chorleiters singen die drei so kraftvoll wie andächtig:
"Es gibt insgesamt für Inhaftierte gar nicht so viele Angebote hier in Köln, an Freizeitmaßnahmen teilzunehmen. Es gibt Sport, es gibt auch schon mal Gesprächsgruppen - aber das ist gar nicht so viel."
Dorothee Wortelkamp-M´Baye gehört zum Seelsorger-Team in der JVA Köln. Vor einigen Jahren hatten Häftlinge, die aus einer JVA kamen, in der es einen Kirchenchor gab, angefragt, ob so ein Chor nicht auch in Köln möglich wäre. Drei Jahre lang hat es gedauert, bis alle Verwaltungs- und Genehmigungshürden überwunden waren.
Strikte Trennung - aber nicht nach Religionen
"Das ist eben 'ne zusätzliche Möglichkeit, auch 'ne sinnvolle Betätigung auszufüllen. Singen ist nicht Konsumieren zum Beispiel. Die sitzen dann nicht vorm Fernseher und lassen sich berieseln, sondern sie sind aktiv. Die sind völlig überrascht, was das mit ihnen innerlich macht. Wie tief eben auch in die Gefühlswelt Gesang eindringt, und zwar positiv. Und das führt dazu, dass die Menschen hier eben für 'ne bestimmte Zeit vergessen können, dass sie inhaftiert sind. Und das stabilisiert die dann auch wieder, um psychisch dann auch Haftsituationen durchzuhalten."
(Der Männerchor singt "Meine Hoffnung, meine Freude")
"Dieses Lied ist eines meiner Lieblingslieder. Einmal weil die Melodie so aufbauend ist. Und: Weil der Inhalt nicht nur für mich, sondern auch für die Menschen, die hier in Haft sind, so positiv ist. Weil: Viele erleben eben hier so eine Verlorenheit. Freunde wenden sich ab, die Familie wendet sich ab, man fühlt sich hier völlig allein gelassen. Und die Menschen, die eben gläubig sind, spüren - und das wird in dem Lied ausgedrückt -, dass sie eben nicht allein sind und sich nicht vor ihrem eigenen Leben fürchten müssen. Die gewinnen durch so ein Lied wieder Mut."
In den Haftanstalten herrscht strikte Trennung - zwischen Männern und Frauen, zwischen Strafgefangenen und Untersuchungs-Häftlingen. Auch der Kirchenchor ist nur für U-Häftlinge. Sie singen in mehreren Gottesdiensten, die nacheinander für die einzelnen Gruppen gefeiert werden. Nach Religionen wird dagegen nicht getrennt - weder im Chor, noch. im Gottesdienst.
Heribert Kampelmann: "Viele Leute werden zum ersten Mal in ihrem Leben mit Musik konfrontiert. Sie singen zum ersten Mal und sind natürlich dann sehr gespannt: Was kommt auf sie zu? Und wenn sie dann mal so eine Probe erlebt haben, sind die Leute anschließend wirklich sehr beglückt."
Der Organist Heribert Kampelmann leitet mehrere Chöre in verschiedenen Kirchengemeinden. Der in der JVA, sagt er, sei anders und auch wieder nicht.
"Zum Einen sind nur Männer gefragt hier, Frauen dürfen leider nicht mitsingen, das muss getrennt werden. Die Gruppe ist auch sehr klein, im Durchschnitt sind eben so maximal zehn Sänger anwesend, oftmals weniger. Wie heute! Deswegen lege ich auch nicht so viel Wert darauf, dass am Ende ein sauberer Gesang zustande kommt, denn die Leute sind ja viel zu kurz dabei, sondern ich will Freude bei den Menschen wecken, Freude beim Singen."
Verunsichert über die Wirkung
Dass der Chor so klein ist, liegt auch an der Zurückhaltung der meisten Inhaftierten. Seelsorgerin Dorothee Wortelkamp-M´Baye hat beobachtet:
"Inhaftierte, die eben gerade in den Männerhafthäusern sich als starke Kerle quasi darstellen möchten, die sagen: Nee, das ist ja Weiberkram oder Kinderkram. Aber im Prinzip sind sie verunsichert, welche Wirkung das auf andere hätte, wenn sie jetzt da mitsingen."
Ein Chormitglied: "Warum ich mitsinge? Es ist ne Freude. Weil: Draußen hab' ich nie gesungen. Ich wusste zwar, was Chor heißt, aber ich hab' da kein Interesse gehabt. Und hier ist es anders: Wenn man singt, dann ist man wie frei - als ob man nicht im Gefängnis ist, sondern irgendwo anders. Man fühlt sich frei, und es sind auch schöne Lieder dabei, da kann man sehr viel drüber nachdenken."
Ein weiteres Chormitglied: "Ich könnte mir ganz gut vorstellen, draußen in 'nem Chor zu singen - weil ich kenne ganz viele Lieder mittlerweile, und ich hab' mir schon oft drüber Gedanken gemacht, wenn ich rausgehe, dass ich dann auch im Chor singe."
Chorleiter Heribert Kampelmann: "Ich habe mal ein sehr schönes Erlebnis gehabt, davon möchte ich gerne berichten. Es können ja alle Leute mitsingen, die gerne singen möchten, die einen Antrag gestellt haben und bewilligt worden sind, egal, aus welcher Religion sie kommen, alle können mitsingen. Es ist Ihnen vielleicht bekannt das Lied 'Danke für diesen Morgen'. Und dieses Lied habe ich mal mit der Gruppe einstudiert. Und da war dann ein Mitglied gewesen, der sagte zu mir: Das singe ich nicht.
Da habe ich gefragt: 'Warum nicht?' Da sagte er mir: 'Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie Danke gesagt.' Das war ein junger Mann von 25 Jahren. Dann habe ich gesagt: 'Okay, dann schweigen Sie an der Stelle, dann können Sie ja anschließend mitsingen.' Erste Probe, zweite Probe, dritte Probe. Dann habe ich beobachten können, wie er die Lippen weiterhin bewegte. Und dann kommt er eines Tages auf mich zu, reicht mir die Hand und sagt: 'Danke.' - Das war sicherlich das eindrucksvollste Erlebnis, was ich je hatte in der Zeit."
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