Gemeinsam klasse werden

Von Katja Bigalke |
Spätestens seit PISA bekommt Deutschland immer wieder schlechte Noten für sein dreigliedriges Schulsystem. Die Kritik: die Aufteilung der Schüler kommt zu früh und Kinder aus sozial schwachem Umfeld oder mit Migrationshintergrund werden vernachlässigt. Berlin will nun mit der Gemeinschaftsschule dem Problem zu Leibe rücken. In Bayern hingegen wehrt sich die Politik noch gegen eine Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen.
Berlin
Von Katja Bigalke

Ethikunterricht in der Klasse 7.3 der Gemeinschaftsschule Campus Rütli. Es ist der erste Jahrgang der fusionierten Berliner Rütli- und Heinrich-Heine Schule.

22 Jugendliche - zur Hälfte Real-, zur Hälfte Hauptschüler – sitzen in Sechsergruppen an zusammengeschobenen Tischen, lesen im Wechsel einen Text zum Thema Freundschaft. Es geht um einen fiktiven Fall von Kleinkriminalität: Zwei Freunde besuchen die internationale Funkausstellung, einer klaut ein Handy, lässt den überraschten Freund zurück. Von Detektiven gestellt, muss sich dieser entscheiden: Soll er den Namen des anderen verraten? Die Schüler spielen die Situation nach:

Am Ende steht die Erkenntnis, dass Freundschaft auch heißt, den anderen nicht in Probleme hineinzuziehen, die man selber verbockt hat.

Die Lehrerin nickt zufrieden. Wenn sich die Schüler den Stoff selbst erarbeiten, ob individuell oder gemeinsam, funktioniert das Konzept der Gemeinschaftsschule.
Braun: "Man muss ja allen Ansprüchen gerecht werden. Der Unterricht muss in anderer Form stattfinden, um auf den einzelnen Schüler besser einzugehen. Der lehrerzentrierte Unterricht rückt dabei in den Hintergrund. Es gibt viel Gruppen und Partnerarbeit. Erst wenn Gruppen nicht weiterkommen, greift der Lehrer ein."

Seit die für ihre Probleme berühmt gewordene Rütli-Haupt-Schule und die Heinrich-Heine-Realschule zusammenarbeiten, gleicht die Arbeit von Jahrgangsleiterin Birgit Braun einem täglichen Spagat. Im sogenannten "binnendifferenzierten Unterricht" bleiben die Schüler bis zur zehnten Klasse im Unterricht zusammen. Das unterscheidet die Gemeinschafts- von der Gesamtschule. Gelernt wird meist selbständig, Bessere sollen Schlechteren helfen. Und mit individuell zugeschnittenem Lehrmaterial wird auf den unterschiedlichen Leistungsstand der Schüler eingegangen.

Für Birgit Braun und ihre Kolleginnen ist das eine völlig neue Arbeitsweise. Ständig sitzen die ehemaligen Haupt- und Realschullehrer, die sich früher nicht mal vom Namen kannten, jetzt zusammen, sprechen über einzelne Schüler und deren Entwicklung, erarbeiten neues Unterrichtsmaterial.
Neun ihrer Hauptschul-Kollegen war dieses Experiment nicht geheuer, sie haben die Rütli-Schule verlassen, sagt Braun. Sie selbst ist geblieben, weil sie glaubt, dass sich der Aufwand lohnt:

Braun: "Ich habe ja nun an der Hauptschule unterrichtet, und da diskutieren wir ja schon seit 20 Jahren, was da an Motivation rauskommen soll, wenn nur leistungsschwache Schüler zusammenkommen? Ich meine, es sind alles Neuköllner Schüler, aber wenn da zehn Schüler drin sind, die lernen wollen, dann fällt es den anderen schwer, sich zu verstecken dahinter."

Vor drei Jahren hatte die Linkspartei der SPD in den Berliner Koalitionsverhandlungen das Modellprojekt Gemeinschaftsschule abgetrotzt. 22 Millionen Euro wurden für Lehrerfortbildungen, den Ausbau zu Ganztagsschulen und die wissenschaftliche Betreuung der Pilotphase bereitgestellt. "Zusammenlernen von der Grundschule bis mindestens zur Klasse zehn" - Nach Sachsen, Schleswig-Holstein und Bremen sollte die Gemeinschaftsschule auch in Berlin als Ausweg aus der Pisa-Misere erprobt werden.
Bislang beteiligen sich elf Schulen an dem Modellversuch, im nächsten Schuljahr sollen sechs weitere hinzukommen.

Der runde Tisch "Gemeinschaftsschule", im Haus der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Hier treffen sich alle sechs Wochen die Sprecher der verschiedenen Unterstützergruppen. Sie besprechen aktuelle Entwicklungen, bereiten Podien zu Spezialthemen vor, versuchen für eine umfassende Umstellung des Schulsystems auf die Gemeinschaftsschule zu werben. Davon ist Berlin allerdings noch weit entfernt. Gerade erst hat Senator Jürgen Zöllner seine neue Schulstrukturreform vorgestellt. Und die sieht Zwei- statt Eingliedrigkeit vor: Real und Hauptschulen sollen zu Sekundarschulen fusionieren. Das Gymnasium bleibt erhalten. Welche Rolle die Gemeinschaftsschulen dann spielen sollen, ist noch unklar und wird heftig diskutiert:

Die Lehrerin Marliese Seiler Beck nickt nachdenklich. Die neuen Vorschläge des Senats nehmen der Gemeinschaftsschule den Wind aus den Segeln, meint sie. Vor einem halben Jahr hoffnungsvoll gestartet, jetzt schon wieder nur geduldeter Außenseiter. Dabei laufe die Pilotphase richtig gut. Es herrsche Aufbruchsstimmung wie schon lange nicht mehr, erzählt Seiler Beck, seit 36 Jahren im Schuldienst. Um bessere Schulabschlüsse zu erzielen, müsse man den einzelnen Schüler endlich in den Mittelpunkt stellen – daran gehe kein Weg vorbei. Für Seiler Beck sie die finnischen Gemeinschaftsschule dafür noch immer das beste Modell.

Seiler Beck: "Die sind erfolgreich mit dem Modell. Wir wissen ja, dass in Gymnasien auch nicht nur supergute Schüler sind. Ein Drittel schafft das Abitur nicht – und sie hatten eine Gymnasialempfehlung."

Die neuen Gemeinschaftsschulen müssen nun aus eigener Kraft die künftigen Sekundarschüler und Gymnasiasten überzeugen. Seiler Beck meint, dass sie das können: Mit qualifizierter Ganztagsbetreuung, der Möglichkeit, das Abitur in 13 statt in 12 Jahren zu machen oder der Abschaffung des Sitzenbleiben. Ein Hindernis bleibt trotzdem: Derzeit fusionieren nur Haupt- Real-, Grund- und Gesamtschulen zur Gemeinschaftsschule. Nicht ein einziges Gymnasium macht bisher mit.

Seiler Beck: "Ein Problem ist, dass es eine Wertigkeit gibt: eine höhere und eine niedrigere Schule. Wenn die wenigstens gleichwertig wären, dann könnte es vielleicht eine Übergangsmöglichkeit geben, aber solange die Gymnasien die Auslese machen können und der Drittligaverein das nehmen muss, was da ist, kann das nur schlecht funktionieren, dass beide Säulen gleichwertig sind. Die Gymnasien müssen endlich soziale Verantwortung übernehmen."

Von solchen Appellen halten die Kritiker der neuen Schulform gar nichts. Ihr Hauptargument gegen das neue Modell ist das überwiegende Scheitern der Gesamtschule.

Dietrich: "Wir haben ja schon mit den Gesamtschulen schlechte Erfahrungen gemacht: Die Gymnasiasten fehlen uns völlig, und wir haben wenig Realschüler. Dann gibt es die Schule, die aus Real und Hauptschule zusammengewachsen sind, die dann aber immer das Image der Hauptschule hatten - und die sind dann auch im Niveau gesunken."

Sagt Helge Dietrich, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung in Berlin. Schon im August 2007 stieg sein Verband gemeinsam mit CDU, FDP und dem Philologenverband aus dem Beirat Gemeinschaftsschule aus. Wenig später folgten die Grünen. Auch wenn die Motive unterschiedlich waren, einig waren sich alle Gegner, dass es dem neuen Modell an einer breiten gesellschaftlichen Basis fehle. Aber die braucht es, um erfolgreich zu sein. Und wie solle man an Gemeinschaftsschulen zum Abitur kommen, wenn sich die Gymnasiasten verweigern? Ebenso ungeklärt ist die künftige finanzielle Ausstattung.

Dietrich: "Ich glaube nicht, dass die Gemeinschaftsschulen die gute Ausstattung behalten. Ob sie danach vernünftig arbeiten können, kann ich mir auch nicht vorstellen. Wir müssen uns mal vorstellen, was für Schüler an die Hauptschule gehen. Die sind zum Teil verhaltenauffällig und die lösen sich nicht auf, wenn ich Hauptschule auflöse. Wir brauchen Erzieher, Psychologen und genügend Zeit für uns, damit wir uns vorbereiten können."

Dietrich schüttelt den Kopf. Ein Befürworter des alten dreigliedrigen Schulsystems ist er nicht. Aber die künftige Einteilung in Gemeinschaftsschulen ab der ersten Klasse, Sekundarschulen ab der siebenten und Gymnasien ab der vierten oder siebten Klasse findet er nicht unbedingt besser. Schulreformen gehören inzwischen in Berlin zur Tagesordnung, meint er. Das trage nicht gerade zur Übersichtlichkeit bei.

Dietrich: "Also ich würde mich zum derzeitigen Zeitpunkt nicht auf dieses schulpolitische Instrument einlassen. Ich würde mir überlegen, was könnte ich verbessern? Schulen müssen renoviert werden. Und man muss sie auch technisch so ausstatten, dass sie im Informationszeitalter arbeiten können."

Um solche Bedenken muss sich Schulleiterin Gabriele Anders-Neufang erst einmal nicht kümmern. Die Wilhelm von Humboldt-Gemeinschaftsschule in Pankow ist eine Neugründung. In dem vierstöckigen Gebäude im Bauhausstil sitzen bislang nur Erst- und Zweitklässler in den frisch gestrichenen Räumen. Füchse, Sonnenblumen, Ernies und Pusteblumen heißen die Gruppen. Insgesamt gehen 104 Kinder in die helle Schule am kleinen Park. Anders-Neufang kann hier mit sieben Lehrern und sechs Erzieherinnen Gemeinschaftsschule erfinden - von Anfang an. Deswegen ist sie von einer Grundschule hierher gewechselt. Grund war:

Anders-Neufang: "Als Schulleiterin musste ich immer diese Empfehlungen unterschreiben, wo man Kinder dann fürs Gymnasium freigegeben hat und andere dann für die Hauptschule. Dann merkte man schon, dass die keine Freude mehr am Lernen hatten. Die Realschüler waren auch traurig, weil sie nicht das Gymnasium geschafft haben. Und das hat mich am Schluss so gestört, dass ich das am Ende nicht mehr unterschreiben wollte. Ich finde, dass man den Kindern eine Chance geben muss, mit all den Problemen fertig zu werden. Man muss das gemeinsam lösen, um die zum Schulabschluss zu bringen und nicht die Loser ständig zu reproduzieren. Das wollen wir hinkriegen."

Zwar erkundigen sich auch schon an ihrer Schule die Eltern, wie das später aussieht mit dem Abitur und mit welchem Gymnasium man kooperieren wolle, aber erst einmal gehen die Eltern ja kein Risiko ein. Wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Kinder nicht gut genug gefördert werden, können sie in der siebten Klasse immer noch an eine andere Schule wechseln. Bis dahin hat Anders-Neufang Zeit zu überzeugen. Wie das geht?

An der Montessori-orientierten Schule gibt es keine Noten und keinen Frontalunterricht. Zwei Jahrgänge lernen in einem Klassenzimmer. Zusätzlich zu den normalen Unterrichtsfächern gibt es Wahlfächer wie Theater, Experimentieren und Forschen oder Klangorchester. Und einmal in der Woche macht die Klasse eine Exkursion zu einem Sachkundethema. Im Vergleich zu anderen reformpädagogischen Grundschulen ist aber der entscheidende Unterschied, dass hier der Klassenverband zehn Jahre bestehen bleiben soll. Auch dafür haben sich die Eltern entschieden.

Anders-Neufang: "Ich glaube, die Eltern und die Kinder sind ganz schön zufrieden. Wir haben schon 116 Fördervereinsmitglieder - mehr als Kinder. Das war ein toller Start."

Gabriele Anders-Neufang ist überzeugt, dass das System funktioniert. Studien wie etwa die des Max Planck Instituts für Bildungsforschung, die besagen, dass in heterogenen Klassen begabte Schüler im Vergleich zu Gymnasiasten stark abfallen und leistungsschwache zu sehr unter ihren Ergebnissen leiden, bringen sie nicht aus dem Konzept. Es gibt schließlich auch Studien, die besagen, dass eine Trennung im Alter von zwölf Jahren keinen Sinn macht, weil das Entwicklungsalter zu Beginn der Pubertät bis zu zwei Jahren schwanken kann. Wenn man diesen Entwicklungsunterschied durch eine mehrgliedrige Schulform zementiert, dann zerstöre man Leistungspotential, glaubt Anders-Neufang.

Zurück in Neukölln an der Gemeinschaftsschule Campus Rütli. Es ist Pause für Real- und Hauptschüler. Der Schulleiterin Cordula Heckmann ist es wichtig, das zu betonen. Das war schließlich ein wegweisender Schritt bei der Fusion beider Schulen zur Gemeinschaftsschule. Vor allem die Rütli-Schule hatte ja vor zwei Jahren noch einen sehr schlechten Ruf. Ein Neuanfang fühlt sich schon deshalb hier anders an als im bürgerlichen Pankow.

Heckmann: "Hier ist es so, dass die Hauptschüler so extrem stigmatisiert sind. Damit verliert man viele Kinder und Jugendliche und das wird nicht aufgefangen von den Eltern. Das wird an dieser Stelle aufgefangen, von der Schule. Und die Gemeinschaftsschule ist da ein guter Ort wie so etwas stattfinden kann wie Austausch, weil es offen ist nach oben. Das Berliner System war ja immer offen, es ist aber immer nur nach unten genutzt worden."

Mit "offen nach oben" meint Cordula Heckmann das Abitur. Auch wenn bislang erst ein einziger Schüler mit Gymnasialempfehlung an der Gemeinschaftsschule ist, sind die Räume für die Oberstufe in den Plänen für den kommenden Um- und Ausbau mitgedacht. Zuerst wird jetzt die neue Mensa eingeweiht, dann kommt die Umstellung auf Ganztagsschule mit einem Lehrplan, in dem Unterricht und Entspannung variieren, dann wächst irgendwann die benachbarte Grundsschule nach. Deren Musikschwerpunkt versucht man schon jetzt in den Stundenplan zu integrieren. Über Musik kann man viel bewegen, sagt Heckmann. Etwa im Trommelkurs.

Ganz oben unter dem Dach des Schulgebäudes sitzen die Trommler. 15 Schüler, die an einer Performance üben. Der Lehrer bittet einen Jungen, das Kommando zu übernehmen. Erst ziert der sich, sagt, er könne das nicht. Nach zwei Runden Proben sagt er dann plötzlich, er mache es doch. Er zählt mit den Fingern den Rhythmus. Konzentriert folgen die Gemeinschaftsschüler seinem Takt, trommeln mit. Und es klappt. Die Einsätze stimmen. Ein breites Lächeln huscht über die Gesichter der Schüler. Für einen Auenblick wirken sie richtig stolz.


Bayern
Von Barbara Roth

Und wie nun fallen die Zensuren in Bayern aus? Seit die CSU mit der FDP koalieren muss, wird dort rege über das Schulsystem im Freistaat diskutiert. Dabei geht es auch darum, ob Hauptschulen und Realschulen unter einem Dach zusammengeführt werden können – zu einer so genannten Regionalschule. Im Koalitionsvertrag, den CSU und FDP unterzeichnet haben, heißt es, dass versuchsweise Modelle einer Kooperation eingeführt werden sollen. Allerdings frühestens 2010. Der Vertrag ist unterzeichnet, aber mittlerweile wird zwischen den Regierungspartnern heftig gestritten. Barbara Roth fasst den Stand der Dinge zusammen.

Spaenle: "Ich kenne keine Regionalschule. Es gibt einen Auftrag im Koalitionsvertrag, die Kooperation zwischen Haupt- und Realschule in einem Kooperationsmodell zu erproben."


CSU-Kultusminister Ludwig Spaenle spricht gerne Klartext: Modellversuche ja, aber eine Vermischung der Schularten kommt in Bayern nicht in Frage. Seine CSU will vom herkömmlichen dreigliedrigen Schulsystem nicht lassen. Neben Gymnasium, Realschule und Hauptschule wird es keine neue, eigenständige Regionalschule geben. Vom Koalitionspartner kommt Widerspruch. Renate Will von der FDP.

Will: "Diese Schule wird es geben. Da kann auch ein Ministerium noch so dagegen sein. Denn man weiß, dass die Hauptschule nicht mehr von allen akzeptiert wird. So könnte man sagen, das ist modellhaft erprobt, wissenschaftlich begleitet und dann hat man eines Tages, wenn die Schülerzahlen zurückgehen, eine Schule, die zur Regelschule werden könnte."

Zukunftsmusik? Nein, sagt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband. Abnehmende Schülerzahlen sind fast überall im Freistaat prognostiziert. Vor allem auf dem Land droht ein dramatischer Rückgang, mancherorts werden die Schülerzahlen um ein Drittel einbrechen. In Bayern werden noch mehr Schulen schließen, warnt BLLV-Präsident Klaus Wenzel. In den letzten 15 Jahren mussten bereits 700 Hauptschulen dicht machen, etwa jede neunte.

Wenzel: "Eine Gemeinde, die die Schule verliert, verliert auch an kulturellen Angeboten, auch an wirtschaftlicher Attraktivität. Ich nehme ein konkretes Beispiel aus Niederbayern, dort hat eine Gemeinde gesagt: Wir haben noch relativ viele Grundschüler und geben am Ende der vierten Klasse jedes Jahr 20, 30 bis 40 Grundschüler in die benachbarte Kreisstadt ab. Warum können wir nicht selbst versuchen, an unserem Ort diesen Schülern ein Angebot zu machen, dass mindestens bis zum Realschulabschluss führt?"

Seit der Koalitionsvertrag unterzeichnet ist, bekommt das Kultusministerium viel Post. Rund 100 Gemeinden aus dem ganzen Freistaat – weit mehr als je gedacht - wollen am Modellversuch teilnehmen, schätzt der Lehrerverband. Die Kommunen versuchen, in ihrem Ort so eine Schulschließung zu verhindern. Und beantragen etwa die Einrichtung eines Realschulzweiges an ihrer bestehenden Hauptschule. Im Ministerium auf Granit hat bislang das oberbayerische Poing gebissen, wie Bürgermeister Albert Higerl verärgert erzählt.

Higerl: "Jedes Jahr laufen wir zum Kultusministerium wie Bittsteller, bringen die Zahlen mit der Einwohnerentwicklung, der Schülerentwicklung und fragen wieder: Könnt ihr uns die Schule genehmigen? Und jedes Jahr werden wir heimgeschickt. Das macht man solange mit uns, bis wir die Lust verlieren. Oder bis es tatsächlich so ist, dass die Gemeinde Poing vergreist ist, dass wir keine Schule mehr brauchen."

Die Eltern in seiner Kommune weiß der SPD-Bürgermeister hinter sich. Eine Bürgerinitiative hat jüngst rund 1500 Unterschriften gesammelt für eine Kooperationsschule, die Haupt- und Realschule zusammenführen soll.

"Man kommt mehr mit den Lehrern in Kontakt als in einer so großen Schule."
"Ich finde es auch gut, wenn die Stärkeren und Schwächeren zusammenbleiben. Dass die Schwächern sich dann an den Stärkeren messen."
"Man konnte den Hauptschülern anbieten, Du hast zwar Schwächen in Deutsch und Mathe, aber du bist in anderen Fächern sehr gut. Nimm doch noch Kurse in der Realschule. Man könnte also Kinder einfach noch fördern."

Doch der CSU-Kultusminister bleibt bei seinem Nein: eine Verschmelzung beider Schularten wird es nicht geben. Im Modellversuch sitzen Haupt- und Realschule zwar unter einem Dach, beide aber werden eigenständig bleiben.

Spaenle: ""Es geht darum, Schülerinnen und Schülern den Weg in die Realschule zu öffnen. Mit Brückenangeboten, mit Pluskursen, mit Maßnahmen, die in einem gemeinsamen Unternehmen eines Ganztagesprojektes organisiert werden. Durchlässigkeit organisieren, eine Rolltreppe zur richtigen Schulart zu bauen, dafür ist dieser Kooperationsmodellversuch, glaube ich, ein hoffnungsvoller Ansatz."

Das sei nicht die Antwort, die sich die Gemeinden auf das Schulsterben in Bayern wünschen, klagen bereits Kommunalpolitiker im ganzen Land. Der Koalitionsvertrag sei das Papier nicht wert, auf dem er steht, wenn CSU und FDP ihn so unterschiedlich interpretieren, schimpft Poings Bürgermeister Higerl.

Higerl: "Was steht denn dagegen, wenn es nach wie vor reinrassige Realschulen gibt und daneben dieses Modell, das jetzt im Aufbau ist? Es wird sich am Ende die bessere Schulart durchsetzen. Sollen doch beide Modelle darum kämpfen, dass sie zeigen, was das bessere Modell ist. Die Diskussion beginnt erst und die Eltern werden nachfragen, was ist und was ist nicht."