Gemeinsam alt werden
Mehr Unterschiede zwischen den Menschen auf so einem kleinen Fleck findet man selten: In einem Wohnprojekt in Bremen leben und arbeiten Jung und Alt, Deutsche und Migranten, Behinderte und Künstler zusammen. Integration wird hier in kleinen Schritten geübt. Bundespräsident Horst Köhler nannte das "Stiftungsdorf Gröpelingen" vorbildlich.
In Bremen sind derzeit rund 10.000 Migranten älter als 55 Jahre alt. Plätze in Altenheimen, die speziell auf diese Gruppe zugeschnitten sind, gibt es bislang nur selten in Deutschland. Einen Anfang macht das Stiftungsdorf Gröpelingen in Bremen. Dort sollen Einheimische und Einwanderer zusammen alt werden. Die Warteliste ist entsprechend groß. Nicht nur bei den Türken – sondern auch bei vielen Deutschen, sagt Ilse Hesse, eine der Haussprecherinnen. Sie würde nirgendwo anders mehr hinziehen wollen.
Hesse: "Das Vielseitige fand ich sehr interessant, ja eben multikulturell. Ich wollte nichts Einseitiges, wo nicht viel los ist. Wir sind begeistert von dem Haus. Wir haben es noch keinen Tag bereut, dass wir hier eingezogen sind. Und es ist eben alles gleich, ob es deutsche oder Ausländer sind."
Montags steht interkultureller Kaffeeklatsch auf dem Programm: Alt-Bremer und Migranten sitzen rund um den Tisch (alle zwischen 60 und 80). Nur: Das deutsche Traditionsgetränk hat in der Senioren-Runde längst ausgedient.
Münchmeier-Elisch: "In unserem Gesprächskreis haben wir am Anfang immer Kaffee gekocht. Dann haben wir aber einmal den Samowar mitgebracht, weil wir mal diesen schönen türkischen Tee kochen wollten und das zeigen wollten. Das hat den deutschen Frauen so gut gefallen, dass wir das jetzt immer machen. Wir tragen den also montags immer von dem einen Gemeinschaftsraum in den anderen, damit wir im interkulturellen Gesprächskreis auch türkischen Tee kochen können."
Erzählt Gudrun Münchmeier-Elisch vom Zentrum für Migranten und interkulturelle Studien. Das ZIS hat das Wohnprojekt von Anfang an begleitet und auch ein Büro im Stiftungsdorf Gröpelingen bezogen. Doch bis der Samowar dort zwischen den Senioren-Gruppen auf Reisen gehen konnte, war es ein langer Weg.
Auf dem Gelände einer alten Feuerwache ist so etwas wie ein mehrfach-kulturelles Zentrum entstanden, in dem über alle Altergrenzen, Nationen und Behinderungen hinweg gelebt und gearbeitet wird. Immer wieder eine Herausforderung, meint die Leiterin Sabine Schöbel.
Schöbel: "Na, so reibungslos ist das sicherlich nicht. Aber man muss ja immer sehen: Wir haben hier insgesamt 59 Wohnungen mit knapp über 60 Mietern. Das ist ja jetzt nicht so sehr viel. Wir können das ja nur im kleinen Rahmen machen. Wir können also nur gucken, dass die Menschen sich kennen lernen, die Akzeptanz der verschiedenen Kulturen – das können wir hier nur im kleinen Rahmen machen. Mehr Möglichkeiten haben wir gar nicht."
Das Experiment zwischen Alt und Jung, In –und Ausländern findet in der Tat auf engstem Raum statt. Die Wohnungen und Zimmer in den viergeschossigen Häusern sind klein – 30 bis 50 Quadratmeter. Der Blick geht meist auf weiße oder rote Klinkerwände, in der Mitte liegt ein kleines bisschen Innenhof. Grün gibt es nur ganz wenig – noch wird gebaut. In einer Ecke ist die Volkshochschule eingezogen, daneben kann man ein paar Künstlern durch die Fenster beim Zeichnen zusehen.
Ursprünglich waren hier so viele unterschiedliche Nutzer gar nicht geplant. Appartements mit ambulanter Pflege sollte es geben und eine Kindergruppe – ein bewährtes Prinzip der Bremer Heimstiftung, das gleich in mehreren Stiftungsdörfern in der Stadt umgesetzt wird. Doch an Einwanderer als mögliche Nutzer hatte damals noch niemand gedacht, erinnert sich die Münchmeier-Elisch vom ZIS.
Münchmeier-Elisch: "Wir haben quasi beobachtet, wie sich die Migration entwickelt hat. Und die Menschen sind älter geworden und auch die Schwerpunkte haben sich geändert. Und da hatten wir schon ganz lange überlegt, vielleicht ein Altenheim mal zu kontaktieren oder so. Und dann hab ich Frau Schöbel kennen gelernt und das war dann die Gelegenheit, das endlich in die Tat umzusetzen. Also das erste Haus war schon fertig, hier wohnten schon die deutschen Mieter und Mieterinnen."
Nun ist ein zweites Haus dazugekommen mit 14 Wohnungen für Ausländer – ein Großteil davon sind Türken. Die Alten-Wohnungen sind das Herz des Projekts. Inzwischen kommt regelmäßig Fachbesuch nach Bremen, der sich über das multikulturelle Senioren-Zentrum am Ort informieren will. Deutsche und Türken sollen hier möglichst selbstständig zusammen leben.
In den Wohnungen gibt es einen Notruf-Service. Außerdem ist ein ambulanter Pflegedienst angeschlossen. Das ist normaler Standard. Einmalig dagegen die interkulturelle Ausrichtung: Kontakt zu Jungen und Behinderten und zwischen den Senioren so viel Austausch wie möglich. Mehrmals pro Woche gibt es Veranstaltungen: Montags die Kaffee-Runde mit dem Samowar, mittwochs wird bei den Türken gekocht.
Kopkut Orrell kommt regelmäßig zu den Gemeinschaftsnachmittagen. Der 71-Jährige trägt Jackett und hat seine grauen Haare sorgsam gescheitelt. Der Ingenieur hat inzwischen mehr als die Hälfte seiner Jahre in Deutschland verbracht: 41 sind es. Sogar seine Aussprache klingt Norddeutsch. Aber dass er einmal seinen Lebensabend hier verbringen würde, dass hätte er sich damals nicht vorstellen können.
Orell: "Ich kam eigentlich nur für fünf Jahre. Dann hab ich verlängert. Noch mal verlängert. Und dann hab ich deutsch gelernt. Und bin in Deutschland geblieben. Bremen ist meine Heimat geworden."
Wie viele Gastarbeiter wollte auch er eigentlich mit der Rente zurück in die Türkei. Das war der Plan. Aber bei dem einen wollten am Ende die Kinder nicht weg aus Deutschland. Und beim anderen wurde die Heimat bei jedem Besuch ein bisschen fremder. So war es auch bei ihm, erzählt Kopkut Orrell.
Orell: "Istanbul war eigentlich meine richtige Heimat gewesen. Da waren weniger Einwohner als heute. Hatte etwa 500- bis 600.000 Einwohner. Aber heute etwa 15 Millionen Einwohner. Wenn ich dort bin: so viele Menschen. Und so viele Satellitenstädte entstanden – ich kann meinen Weg nicht mehr richtig finden. Und habe natürlich meine alten Freunde teilweise auch noch verloren."
Bremen sei in etwa so groß wie Istanbul damals, als er es verlassen hat. Eine übersichtliche Stadt, sagt Orrel. Hier in Bremen wechseln sich Kaffeehäuser, türkische Supermärkte und Gemüsehändler ab. Auch die nächste Moschee ist vom Stiftungsdorf nicht viel weiter weg als die evangelische Kirche. Kopkut Orrell gehört zur ersten Gastarbeiter-Generation, die hier alt wird – und die in Seniorenwohnungen und Altenheime zieht. Denn auch bei den deutschen Türken ist die Großfamilie, die sich um die Alten kümmert, ein Auslaufmodell – meint Hausleiterin Schöbel.
Schöbel: "Die Menschen, die hier alt geworden sind, das werden immer mehr. Und da war das ganz automatisch, dass türkische Menschen auch in den Moscheen nachfragten. Und überlegten, was für Möglichkeiten gibt es für sie."
Vor der Eingangstür tobt die Kindergruppe. Ilse Hesse hat sie von ihren Wohnzimmerfenster aus im Blick. Hier oben im dritten Stock hat sich die 81 Jährige zusammen mit ihrem Mann auf wenigen Quadratmetern eingerichtet. Das alte Sofa und ein paar Möbel kamen aus dem alten Zuhause mit ins Neue. Für viel mehr war kein Platz. Die Wohnungen sind auch ein Rückzugsort, wenn es da unten zu laut und zu bunt ist. Doch die Hesses sind an fremde Sprachen und Nationen längst gewöhnt. Das bringt schon der Stadtteil mit sich.
Der Bremer Westen gilt als klassisches Einwandererviertel, denn die Häfen und das Stahlwerk boten lange Jahre reichlich Arbeitsplätze. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Der Ausländeranteil liegt inzwischen bei 25 Prozent und ist damit einer der höchsten in der Stadt.
Hesse: "Die Meisten sind hier im Stadtteil groß geworden. Sie kennen das auch: die Nachbarschaft mit den türkischen Nachbarn. Was vielleicht durch uns und unserer Arbeit unterstützt (wird) ist, dass sie hier mehr ins Gespräch kommen. Vielleicht war das etwas, das man wenn man alleine im Stadtteil lebt, man kennt die Nachbarn vielleicht mehr oder weniger. Aber wir sind natürlich hier eine Einrichtung mit Schwerpunkt sozialer Arbeit mit Gruppenarbeiten und ich glaube, das ist etwas, dass die Mieter sicherlich neu kennen lernen."
Die Mischung im Stiftungsdorf spiegelt auch die Vielfalt im Stadtteil wieder, sagt Schöbel. Trotzdem wird das Zusammenleben hier auf dem Gelände in kleinen Schritten praktiziert. Wer keinen Kontakt will, muss auch nicht. Denn Einheimische und Einwanderer wohnen getrennt - in zwei verschiedenen Häusern. Eine bewusste Entscheidung:
"Die Sprachprobleme, die häufig vorhanden sind, da ist es für die Mieter auch schon eine Sicherheit zu wissen: Mein Nachbar spricht türkisch und wenn irgendwas ist, kann ich ihn unterstützen und helfen. Das ist für die Mieter der ersten Generation eine ganz wichtige Geschichte. Das heißt aber nicht, dass darüber hinaus nicht gerne Kontakte zu den deutschen Mietern gesucht werden und umgekehrt."
Das Haus für die türkischen Bewohner liegt vorne an der Straße. Wenn man die Fenster aufmacht, dröhnt Autolärm herein. Unten im Erdgeschoss des Hauses ist der Gemeinschaftsraum und gegenüber das Büro vom ZIS. Für die Trennung zwischen den Nationen gab es auch architektonische Gründe: Schließlich sind die Mieter fast alle Muslime.
"Bei der Planung kamen ja so verschiedene Ideen: zum Beispiel, dass die Toiletten nicht nach Osten ausgerichtet sein dürfen – also wenn man auf der Toilette sitzt nicht nach Osten, das ist immer so schwierig zu beschreiben. Dann gab es noch die Idee mit der Nassspülung, der Toiletten-Nassspülung. Die in der Türkei, so wie ich weiß, Standard ist. In Deutschland ja nicht."
Vor den 14 Haustüren ist außerdem Platz für Schuhe. Und der Gemeinschaftsraum lässt sich durch eine Schiebetür abteilen – so entsteht ein separater Raum zum Beten.
"Wobei dann natürlich in der Praxis alles ganz anders aussieht: Keiner von den Mietern hat sich eine Toiletten-Nassspülung zusätzlich eingebaut. Es interessiert auch die meisten Mieter nicht, eher als Gemeinschaftsraum genutzt: so zum Kochen, zum Kaffee-Trinken, zum Klönen – und weniger als Gebetsraum."
Auch heute wird hier nicht gebetet, sondern gekocht. Seit drei Stunden stehen die türkischen Frauen am Herd. Es gibt Spezialitäten aus der Heimat. Jede hat ein Rezept im Kopf. Auch der Samowar ist wieder zurück an Ort und Stelle und brodelt vor sich hin.
"Das ist Semet, kennen Sie bestimmt: Sesamring und Hähnchen-Suppe. Das ist mit Spinat: Blätterteig. Drei verschiedene Arten haben wir gemacht."
Bis in den späten Nachmittag wird zusammen gegessen – ein Gang nach dem anderen: Suppe, Salat, Blätterteig, das klebrig-süße Baklava und zum Schluss eingelegte Trockenfrüchte – angeblich ein Rezept aus biblischen Zeiten für die Arche Noah. Die Türken bleiben an diesem Nachmittag unter sich - keiner der deutschen Nachbarn ist gekommen. Auch das kommt vor im Stiftungsdorf. Die Hesses zum Beispiel haben von solchen Runden drüben im anderen Haus inzwischen genug, erzählen sie.
Hesse: "Ich hab auch schon teilgenommen. Es ist das Problem: wenn man sie deutsch anspricht, dann sind sie alle sehr nett und freundlich und antworten. Aber dann wird auch wieder türkisch gesprochen und dann sitzt man etwas hilflos dazwischen. Dann geht das mit Händen und Füßen manches Mal. Die Sprache ist bestimmt ein Hinderungsgrund, dass man nicht so viel zusammenkommt."
Vor allem die türkischen Frauen können die deutsche Sprache nicht. Und so mag es zwar wie erhofft viele Gemeinsamkeiten mit den deutschen Frauen im Haus nebenan geben - bloß reden können sie nicht darüber. Denn viele der türkischen Frauen wurden im Rahmen der Familienzusammenführung nachgeholt. Und hatten in Deutschland nicht unbedingt viel mit Deutschen zu tun. Sie tragen Kopftuch, und nach außen hin ist immer der Mann aufgetreten. Aber wenn der stirbt oder sich scheiden lässt, fangen für viele die Probleme an. Auch Aishe Babaoglu wurde vor einem Jahr geschieden und suchte dann händeringend eine Wohnung – im Stiftungsdorf.
Babaoglu: "Ich hatte Geschäft, Änderungsgeschäft, Bismarck-Straße. Kenn’ ich viele Leute. Und immer zufrieden mit deutsche Leute – freundlich sein. Ich komm aus Istanbul, große Stadt. Wir sind anders erwachsen (geworden). Aber Leute kommen aus Anatolien. Und jeder ist anders."
Wenn die Unterschiede zu groß werden, hört die Toleranz schnell auf. Beim Kopftuch zum Beispiel. Als die neue Sekretärin von Sabine Schöbel mit Kopftuch erschien, war das für manche der deutschen Senioren ein Problem. Prompt hatte auch das Stiftungsdorf den ersten kleinen Kopftuchskandal. Überall wurde darüber geredet, sagt Ilse Hesse, die Haussprecherin. Und als wollte sie die Wogen glätten, streicht sie mit der Hand das Tischtuch gerade.
Hesse: "Einige Ältere haben natürlich Probleme mit Ausländern. Das ist aber glaube ich überall. Das ist noch so eine Einstellung von vor Jahren: die andere Lebensart. Da hat einige das Kopftuch doch gestört, wobei andere wieder sagen: überhaupt nicht. Aber das gibt es überall, nich?"
Trotzdem: auf der letzten Mieterversammlung war das Kopftuch Thema Nummer eins. Der neuen Sekretärin wurden sofort Löcher in den Bauch gefragt, erzählt die Leiterin Sabine Schöbel.
Schöbel: "Und das ist ja immer das Interessante, wenn sie dann tatsächlich ins Gespräch kommen: 'Ach, ach so ist, ja'. Ich glaube, dass ist das, was wichtig ist, dass man darüber redet. Und dass die Mieter auch die Möglichkeit haben zu fragen. Das haben sie auch gemacht. Und dann hatte ich den Eindruck, war es auch OK. Und wir machen das hier tagtäglich - und müssen viel drüber reden."
Zwischen deutschen und türkischen Senioren klappt das am Ende ganz gut. Anders sieht es zum Beispiel mit den körperlich Behinderten in der Wohngruppe aus – zu denen lässt sich kaum ein Kontakt aufbauen, sagt Ilse Hesse. Ein bisschen Bedauern schwingt mit – über die engen Grenzen des Miteinanders. Schließlich hat sie sich mehr Vielfalt vom Projekt gewünscht.
Hesse: "Die Behinderten sind ganz für sich. Die sind auch Mieter. Aber da haben wir wenig Kontakt – fast nur im Fahrstuhl. Und mit den Kindern: da waren wir schon mal frühstücken, die zum Basteln bei uns. Aber die sind noch sehr klein. Die Ältesten sind drei Jahre."
Die Kinder kommen immerhin zu den großen Festen im Jahr rüber ins Haus: Zu Ostern werden Eier gesucht, im Advent wird gebacken und im Herbst gab es ein Laternenfest. Dann werden gemeinsame Lieder gesungen, und die Senioren schmettern ein paar Stücke aus ihrer Kindheit. Inzwischen winken und rufen die Kinder, wenn sie die Omas und Opas aus den Seniorenwohnungen erkennen. Bei den Behinderten dagegen haben viele der Mieter Berührungsängste. Da gibt noch keine Kooperation. Aber das könne vielleicht noch anders werden, hoffen die Betreuer.
Getrennt und doch zusammen – so etwa lässt sich das Stiftungsdorf Gröpelingen beschreiben. Und manchmal kann aus den Begegnungen mehr werden. Ilse Hesse beispielsweise will bei Volkshochschule auf dem Gelände jetzt einen Sprachkurs belegen: Türkisch für Anfänger.
Hesse: "Das Vielseitige fand ich sehr interessant, ja eben multikulturell. Ich wollte nichts Einseitiges, wo nicht viel los ist. Wir sind begeistert von dem Haus. Wir haben es noch keinen Tag bereut, dass wir hier eingezogen sind. Und es ist eben alles gleich, ob es deutsche oder Ausländer sind."
Montags steht interkultureller Kaffeeklatsch auf dem Programm: Alt-Bremer und Migranten sitzen rund um den Tisch (alle zwischen 60 und 80). Nur: Das deutsche Traditionsgetränk hat in der Senioren-Runde längst ausgedient.
Münchmeier-Elisch: "In unserem Gesprächskreis haben wir am Anfang immer Kaffee gekocht. Dann haben wir aber einmal den Samowar mitgebracht, weil wir mal diesen schönen türkischen Tee kochen wollten und das zeigen wollten. Das hat den deutschen Frauen so gut gefallen, dass wir das jetzt immer machen. Wir tragen den also montags immer von dem einen Gemeinschaftsraum in den anderen, damit wir im interkulturellen Gesprächskreis auch türkischen Tee kochen können."
Erzählt Gudrun Münchmeier-Elisch vom Zentrum für Migranten und interkulturelle Studien. Das ZIS hat das Wohnprojekt von Anfang an begleitet und auch ein Büro im Stiftungsdorf Gröpelingen bezogen. Doch bis der Samowar dort zwischen den Senioren-Gruppen auf Reisen gehen konnte, war es ein langer Weg.
Auf dem Gelände einer alten Feuerwache ist so etwas wie ein mehrfach-kulturelles Zentrum entstanden, in dem über alle Altergrenzen, Nationen und Behinderungen hinweg gelebt und gearbeitet wird. Immer wieder eine Herausforderung, meint die Leiterin Sabine Schöbel.
Schöbel: "Na, so reibungslos ist das sicherlich nicht. Aber man muss ja immer sehen: Wir haben hier insgesamt 59 Wohnungen mit knapp über 60 Mietern. Das ist ja jetzt nicht so sehr viel. Wir können das ja nur im kleinen Rahmen machen. Wir können also nur gucken, dass die Menschen sich kennen lernen, die Akzeptanz der verschiedenen Kulturen – das können wir hier nur im kleinen Rahmen machen. Mehr Möglichkeiten haben wir gar nicht."
Das Experiment zwischen Alt und Jung, In –und Ausländern findet in der Tat auf engstem Raum statt. Die Wohnungen und Zimmer in den viergeschossigen Häusern sind klein – 30 bis 50 Quadratmeter. Der Blick geht meist auf weiße oder rote Klinkerwände, in der Mitte liegt ein kleines bisschen Innenhof. Grün gibt es nur ganz wenig – noch wird gebaut. In einer Ecke ist die Volkshochschule eingezogen, daneben kann man ein paar Künstlern durch die Fenster beim Zeichnen zusehen.
Ursprünglich waren hier so viele unterschiedliche Nutzer gar nicht geplant. Appartements mit ambulanter Pflege sollte es geben und eine Kindergruppe – ein bewährtes Prinzip der Bremer Heimstiftung, das gleich in mehreren Stiftungsdörfern in der Stadt umgesetzt wird. Doch an Einwanderer als mögliche Nutzer hatte damals noch niemand gedacht, erinnert sich die Münchmeier-Elisch vom ZIS.
Münchmeier-Elisch: "Wir haben quasi beobachtet, wie sich die Migration entwickelt hat. Und die Menschen sind älter geworden und auch die Schwerpunkte haben sich geändert. Und da hatten wir schon ganz lange überlegt, vielleicht ein Altenheim mal zu kontaktieren oder so. Und dann hab ich Frau Schöbel kennen gelernt und das war dann die Gelegenheit, das endlich in die Tat umzusetzen. Also das erste Haus war schon fertig, hier wohnten schon die deutschen Mieter und Mieterinnen."
Nun ist ein zweites Haus dazugekommen mit 14 Wohnungen für Ausländer – ein Großteil davon sind Türken. Die Alten-Wohnungen sind das Herz des Projekts. Inzwischen kommt regelmäßig Fachbesuch nach Bremen, der sich über das multikulturelle Senioren-Zentrum am Ort informieren will. Deutsche und Türken sollen hier möglichst selbstständig zusammen leben.
In den Wohnungen gibt es einen Notruf-Service. Außerdem ist ein ambulanter Pflegedienst angeschlossen. Das ist normaler Standard. Einmalig dagegen die interkulturelle Ausrichtung: Kontakt zu Jungen und Behinderten und zwischen den Senioren so viel Austausch wie möglich. Mehrmals pro Woche gibt es Veranstaltungen: Montags die Kaffee-Runde mit dem Samowar, mittwochs wird bei den Türken gekocht.
Kopkut Orrell kommt regelmäßig zu den Gemeinschaftsnachmittagen. Der 71-Jährige trägt Jackett und hat seine grauen Haare sorgsam gescheitelt. Der Ingenieur hat inzwischen mehr als die Hälfte seiner Jahre in Deutschland verbracht: 41 sind es. Sogar seine Aussprache klingt Norddeutsch. Aber dass er einmal seinen Lebensabend hier verbringen würde, dass hätte er sich damals nicht vorstellen können.
Orell: "Ich kam eigentlich nur für fünf Jahre. Dann hab ich verlängert. Noch mal verlängert. Und dann hab ich deutsch gelernt. Und bin in Deutschland geblieben. Bremen ist meine Heimat geworden."
Wie viele Gastarbeiter wollte auch er eigentlich mit der Rente zurück in die Türkei. Das war der Plan. Aber bei dem einen wollten am Ende die Kinder nicht weg aus Deutschland. Und beim anderen wurde die Heimat bei jedem Besuch ein bisschen fremder. So war es auch bei ihm, erzählt Kopkut Orrell.
Orell: "Istanbul war eigentlich meine richtige Heimat gewesen. Da waren weniger Einwohner als heute. Hatte etwa 500- bis 600.000 Einwohner. Aber heute etwa 15 Millionen Einwohner. Wenn ich dort bin: so viele Menschen. Und so viele Satellitenstädte entstanden – ich kann meinen Weg nicht mehr richtig finden. Und habe natürlich meine alten Freunde teilweise auch noch verloren."
Bremen sei in etwa so groß wie Istanbul damals, als er es verlassen hat. Eine übersichtliche Stadt, sagt Orrel. Hier in Bremen wechseln sich Kaffeehäuser, türkische Supermärkte und Gemüsehändler ab. Auch die nächste Moschee ist vom Stiftungsdorf nicht viel weiter weg als die evangelische Kirche. Kopkut Orrell gehört zur ersten Gastarbeiter-Generation, die hier alt wird – und die in Seniorenwohnungen und Altenheime zieht. Denn auch bei den deutschen Türken ist die Großfamilie, die sich um die Alten kümmert, ein Auslaufmodell – meint Hausleiterin Schöbel.
Schöbel: "Die Menschen, die hier alt geworden sind, das werden immer mehr. Und da war das ganz automatisch, dass türkische Menschen auch in den Moscheen nachfragten. Und überlegten, was für Möglichkeiten gibt es für sie."
Vor der Eingangstür tobt die Kindergruppe. Ilse Hesse hat sie von ihren Wohnzimmerfenster aus im Blick. Hier oben im dritten Stock hat sich die 81 Jährige zusammen mit ihrem Mann auf wenigen Quadratmetern eingerichtet. Das alte Sofa und ein paar Möbel kamen aus dem alten Zuhause mit ins Neue. Für viel mehr war kein Platz. Die Wohnungen sind auch ein Rückzugsort, wenn es da unten zu laut und zu bunt ist. Doch die Hesses sind an fremde Sprachen und Nationen längst gewöhnt. Das bringt schon der Stadtteil mit sich.
Der Bremer Westen gilt als klassisches Einwandererviertel, denn die Häfen und das Stahlwerk boten lange Jahre reichlich Arbeitsplätze. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Der Ausländeranteil liegt inzwischen bei 25 Prozent und ist damit einer der höchsten in der Stadt.
Hesse: "Die Meisten sind hier im Stadtteil groß geworden. Sie kennen das auch: die Nachbarschaft mit den türkischen Nachbarn. Was vielleicht durch uns und unserer Arbeit unterstützt (wird) ist, dass sie hier mehr ins Gespräch kommen. Vielleicht war das etwas, das man wenn man alleine im Stadtteil lebt, man kennt die Nachbarn vielleicht mehr oder weniger. Aber wir sind natürlich hier eine Einrichtung mit Schwerpunkt sozialer Arbeit mit Gruppenarbeiten und ich glaube, das ist etwas, dass die Mieter sicherlich neu kennen lernen."
Die Mischung im Stiftungsdorf spiegelt auch die Vielfalt im Stadtteil wieder, sagt Schöbel. Trotzdem wird das Zusammenleben hier auf dem Gelände in kleinen Schritten praktiziert. Wer keinen Kontakt will, muss auch nicht. Denn Einheimische und Einwanderer wohnen getrennt - in zwei verschiedenen Häusern. Eine bewusste Entscheidung:
"Die Sprachprobleme, die häufig vorhanden sind, da ist es für die Mieter auch schon eine Sicherheit zu wissen: Mein Nachbar spricht türkisch und wenn irgendwas ist, kann ich ihn unterstützen und helfen. Das ist für die Mieter der ersten Generation eine ganz wichtige Geschichte. Das heißt aber nicht, dass darüber hinaus nicht gerne Kontakte zu den deutschen Mietern gesucht werden und umgekehrt."
Das Haus für die türkischen Bewohner liegt vorne an der Straße. Wenn man die Fenster aufmacht, dröhnt Autolärm herein. Unten im Erdgeschoss des Hauses ist der Gemeinschaftsraum und gegenüber das Büro vom ZIS. Für die Trennung zwischen den Nationen gab es auch architektonische Gründe: Schließlich sind die Mieter fast alle Muslime.
"Bei der Planung kamen ja so verschiedene Ideen: zum Beispiel, dass die Toiletten nicht nach Osten ausgerichtet sein dürfen – also wenn man auf der Toilette sitzt nicht nach Osten, das ist immer so schwierig zu beschreiben. Dann gab es noch die Idee mit der Nassspülung, der Toiletten-Nassspülung. Die in der Türkei, so wie ich weiß, Standard ist. In Deutschland ja nicht."
Vor den 14 Haustüren ist außerdem Platz für Schuhe. Und der Gemeinschaftsraum lässt sich durch eine Schiebetür abteilen – so entsteht ein separater Raum zum Beten.
"Wobei dann natürlich in der Praxis alles ganz anders aussieht: Keiner von den Mietern hat sich eine Toiletten-Nassspülung zusätzlich eingebaut. Es interessiert auch die meisten Mieter nicht, eher als Gemeinschaftsraum genutzt: so zum Kochen, zum Kaffee-Trinken, zum Klönen – und weniger als Gebetsraum."
Auch heute wird hier nicht gebetet, sondern gekocht. Seit drei Stunden stehen die türkischen Frauen am Herd. Es gibt Spezialitäten aus der Heimat. Jede hat ein Rezept im Kopf. Auch der Samowar ist wieder zurück an Ort und Stelle und brodelt vor sich hin.
"Das ist Semet, kennen Sie bestimmt: Sesamring und Hähnchen-Suppe. Das ist mit Spinat: Blätterteig. Drei verschiedene Arten haben wir gemacht."
Bis in den späten Nachmittag wird zusammen gegessen – ein Gang nach dem anderen: Suppe, Salat, Blätterteig, das klebrig-süße Baklava und zum Schluss eingelegte Trockenfrüchte – angeblich ein Rezept aus biblischen Zeiten für die Arche Noah. Die Türken bleiben an diesem Nachmittag unter sich - keiner der deutschen Nachbarn ist gekommen. Auch das kommt vor im Stiftungsdorf. Die Hesses zum Beispiel haben von solchen Runden drüben im anderen Haus inzwischen genug, erzählen sie.
Hesse: "Ich hab auch schon teilgenommen. Es ist das Problem: wenn man sie deutsch anspricht, dann sind sie alle sehr nett und freundlich und antworten. Aber dann wird auch wieder türkisch gesprochen und dann sitzt man etwas hilflos dazwischen. Dann geht das mit Händen und Füßen manches Mal. Die Sprache ist bestimmt ein Hinderungsgrund, dass man nicht so viel zusammenkommt."
Vor allem die türkischen Frauen können die deutsche Sprache nicht. Und so mag es zwar wie erhofft viele Gemeinsamkeiten mit den deutschen Frauen im Haus nebenan geben - bloß reden können sie nicht darüber. Denn viele der türkischen Frauen wurden im Rahmen der Familienzusammenführung nachgeholt. Und hatten in Deutschland nicht unbedingt viel mit Deutschen zu tun. Sie tragen Kopftuch, und nach außen hin ist immer der Mann aufgetreten. Aber wenn der stirbt oder sich scheiden lässt, fangen für viele die Probleme an. Auch Aishe Babaoglu wurde vor einem Jahr geschieden und suchte dann händeringend eine Wohnung – im Stiftungsdorf.
Babaoglu: "Ich hatte Geschäft, Änderungsgeschäft, Bismarck-Straße. Kenn’ ich viele Leute. Und immer zufrieden mit deutsche Leute – freundlich sein. Ich komm aus Istanbul, große Stadt. Wir sind anders erwachsen (geworden). Aber Leute kommen aus Anatolien. Und jeder ist anders."
Wenn die Unterschiede zu groß werden, hört die Toleranz schnell auf. Beim Kopftuch zum Beispiel. Als die neue Sekretärin von Sabine Schöbel mit Kopftuch erschien, war das für manche der deutschen Senioren ein Problem. Prompt hatte auch das Stiftungsdorf den ersten kleinen Kopftuchskandal. Überall wurde darüber geredet, sagt Ilse Hesse, die Haussprecherin. Und als wollte sie die Wogen glätten, streicht sie mit der Hand das Tischtuch gerade.
Hesse: "Einige Ältere haben natürlich Probleme mit Ausländern. Das ist aber glaube ich überall. Das ist noch so eine Einstellung von vor Jahren: die andere Lebensart. Da hat einige das Kopftuch doch gestört, wobei andere wieder sagen: überhaupt nicht. Aber das gibt es überall, nich?"
Trotzdem: auf der letzten Mieterversammlung war das Kopftuch Thema Nummer eins. Der neuen Sekretärin wurden sofort Löcher in den Bauch gefragt, erzählt die Leiterin Sabine Schöbel.
Schöbel: "Und das ist ja immer das Interessante, wenn sie dann tatsächlich ins Gespräch kommen: 'Ach, ach so ist, ja'. Ich glaube, dass ist das, was wichtig ist, dass man darüber redet. Und dass die Mieter auch die Möglichkeit haben zu fragen. Das haben sie auch gemacht. Und dann hatte ich den Eindruck, war es auch OK. Und wir machen das hier tagtäglich - und müssen viel drüber reden."
Zwischen deutschen und türkischen Senioren klappt das am Ende ganz gut. Anders sieht es zum Beispiel mit den körperlich Behinderten in der Wohngruppe aus – zu denen lässt sich kaum ein Kontakt aufbauen, sagt Ilse Hesse. Ein bisschen Bedauern schwingt mit – über die engen Grenzen des Miteinanders. Schließlich hat sie sich mehr Vielfalt vom Projekt gewünscht.
Hesse: "Die Behinderten sind ganz für sich. Die sind auch Mieter. Aber da haben wir wenig Kontakt – fast nur im Fahrstuhl. Und mit den Kindern: da waren wir schon mal frühstücken, die zum Basteln bei uns. Aber die sind noch sehr klein. Die Ältesten sind drei Jahre."
Die Kinder kommen immerhin zu den großen Festen im Jahr rüber ins Haus: Zu Ostern werden Eier gesucht, im Advent wird gebacken und im Herbst gab es ein Laternenfest. Dann werden gemeinsame Lieder gesungen, und die Senioren schmettern ein paar Stücke aus ihrer Kindheit. Inzwischen winken und rufen die Kinder, wenn sie die Omas und Opas aus den Seniorenwohnungen erkennen. Bei den Behinderten dagegen haben viele der Mieter Berührungsängste. Da gibt noch keine Kooperation. Aber das könne vielleicht noch anders werden, hoffen die Betreuer.
Getrennt und doch zusammen – so etwa lässt sich das Stiftungsdorf Gröpelingen beschreiben. Und manchmal kann aus den Begegnungen mehr werden. Ilse Hesse beispielsweise will bei Volkshochschule auf dem Gelände jetzt einen Sprachkurs belegen: Türkisch für Anfänger.