Gemaltes Heil

Von Vera Block · 14.04.2012
Zu den Osterfeierlichkeiten werden die Ikonen in den orthodoxen Kirchen besonders mit Blumen geschmückt. Doch man kann Ikonen nicht nur verehren, schmücken und küssen, man kann sie auch malen. Es gibt Kurse, in denen Interessenten diese Kunst erlernen können.
Petra holt kleine rechteckige Päckchen aus einer Tasche. Jedes ist mit einem Küchentuch umwickelt. Sie packt taschenbuchgroße, bunt bemalte Holztafeln aus, stellt sie an der Wand nebeneinander auf und lächelt verlegen.

"Ich bin unheimlich stolz, dass man als normaler Mensch so eine Ikone malen kann…und gebe die Ikonen nicht gerne aus der Hand, die gehören zu meinem Leben."

Sieben Ikonen hat Petra in den letzten Monaten gemalt, nach jahrhundertealten Vorlagen. Moses vor dem brennenden Busch, der heilige Bonifatius, die Muttergottes mit Sohn. Ernste Gesichter, geneigte Köpfe. Gewänder in Grün und Rot sind mit Ornamenten verziert, der Hintergrund schimmert golden. Mit orthodoxen Heiligendarstellungen hatte Petra noch bis vor kurzem gar nichts zu tun. Sie ist Mitte Fünfzig, evangelisch, Buchhalterin und hat erwachsene Kinder.

"Angefangen habe ich mit der anthroposophischen Maltherapie, wo ja viele Frauen, die zum Beispiel Brustkrebs haben, diese Maltherapie benutzen, um mit den Farben ihr Inneres zu bewegen, dann bin ich ein bisschen in die Heilebene gegangen. Irgendwie bin ich dann zu Margarita gekommen. Das Malen ist auch was Meditatives. Und ich erhoffte mir da noch größere Tiefe zu bekommen in meinem Wissen."

Jeden Samstag fährt Petra wie etwa fünf weitere Kursteilnehmerinnen nach Alt-Kladow am Berliner Stadtrand. Der Ikonenmalkurs findet in den Räumen der katholischen Mariä Himmelfahrt-Gemeinde statt.

"Die Frauen, die bei uns sind, die sind überwiegend tätig im Medizinbereich, arbeiten viel mit Menschen… Und ich muss sagen – keiner von denen ist so groß religiös. Aber sie sind alle gläubig,"

erzählt Margarita Budini. Die Kursleiterin ist diplomierte Ikonen-Restauratorin und stammt aus Litauen. Ikonenmalkurse, die in Heilbronn, Hamburg, Koblenz oder Köln angeboten werden, ziehen immer mehr Menschen an. In der Auseinandersetzung mit der orthodoxen sakralen Malerei versprechen sie sich ein spirituelles Erlebnis, das Seele und Geist gut tut.

"Jetzt bin ich gerade im ein bisschen schwachen Zustand und diese Ikonen stärken mich – das Malen oder sich damit beschäftigen. Es stärkt mich in meiner Schwäche,"

sagt Silvia. Seit sechs Tagen besucht sie einen Kompaktkurs, den die esoterische archeosophische Gesellschaft regelmäßig in Köln und Berlin organisiert. Die archeosophische Schule, Ende der 60er-Jahre in Italien gegründet, sieht in dem Prozess der Ikonenfertigung ein Weg zur Selbsterforschung und Entwicklung. In Berlin sollen nun die Kursteilnehmerinnen innerhalb von zwei Wochen die Ikone des Christus Pantokrator herstellen. Die Kursleiterin Antonia Bohnenkämper hält sich genau an die orthodoxe Tradition– selbst Ei-Tempera aus Mineralien und Eigelb mischen, das Brett schleifen – jeder Schritt erfolgt nach den traditionellen Regeln.

"Der erste Arbeitsschritt ist, dass man die Holztafel vorbereitet – man schleift sie, und dann stellt man ein Leim her und bespannt diese vorbereitete Tafel mit reinem weißem Leinen. Und diese Symbolik, die darin steckt, ist die Einkleidung für einen bestimmten Zweck, wie wir das aus der Tradition kennen bei der Taufe, wie wir das aus der Tradition kennen bei der Hochzeit. Als Nächstes wird diese Tafel in vier Schichten mit Leim und Alabaster beschichtet, so dass man zum Schluss eine dichte Alabasterschicht hat. Danach wird sie geschliffen und dann haben wir eine Oberfläche, die ähnlich wie Porzellan ist."

Antonia Bohnenkämper läuft um den Tisch, an dem ein halbes Dutzend Frauen mit den dünnen Pinseln die vorgezeichneten Linien auf den Holztafeln nachzeichnen und mit grünlich-brauner Farbe die Flächen ausmalen.

"Es ist tatsächlich so, dass alle immer wieder berichten, dass es einen wohltuenden Effekt hat. Dieses 'sich Auseinandersetzen mit der Malerei', mit dem Objekt und mit den Materialien, die dazu verwendet werden, die alle natürlicher Basis sind und nicht synthetisch, dass das dazu führt, eine innere Harmonie herzustellen."
Orthodoxe Gläubige seien allerdings unter den Kursteilnehmern selten zu finden, sagt Margarita Budini.

"Meine Kursbesucherinnen sind Deutsche überwiegend…Die richtig gläubigen orthodoxen Russen, die hier leben, die leben mehr von theologischer Seite mit ihrer Orthodoxie und es gibt nicht so großes Interesse zu malen."

Der Grund dafür liegt möglicherweise darin, dass orthodoxe Gläubige eine Ikone einzig als eine Art Fenster zur Welt des Göttlichen betrachten. Die Herstellung eines Heiligenbildes ist für sie nicht mit kreativer Schaffensfreude verbunden.

"Es ist interessant, dass in Klöstern nie eine Ikone nur von einem Mönch oder einer Nonne gemalt wird,"

erklärt der griechisch-orthodoxe Pfarrer Emmanuel Sfiatkos.

"Einer oder eine der Nonnen oder der Mönche bereitet die Grundlage vor, das Holz, der andere macht die erste Schicht, dann kommt jemand, der sich um das Gesicht kümmert, ein anderer kommt und verfeinert die Kleidung. Und so ist das ein Gemeinschaftswerk. Keiner kann sich brüsten, etwas geschaffen zu haben."

"Wenn die Ikonenmaler eine künstlerische, also weltliche Ausbildung haben und nur rein äußerlich die Ikonen kopieren, dann geht oft etwas verloren,"

meint Xenia, die zur russisch-orthodoxen Gemeinde des Heiligen Isidor gehört. Sie hat viele Jahre in Russland gelebt und dort auch an einem Kloster die Ikonenmalerei gelernt. Auch Pfarrer Emmanuel ist eher skeptisch, ob die Heiligenbilder, die in den profanen Malkursen gemalt werden, tatsächlich als Ikonen gelten können.

"Es kann sein, dass ein Mensch, der nicht an Gott glaubt, eine Ikone malt und in ihr ein Schmuckstück sieht, einen Dekorationsgegenstand für sein Haus und an ihr Freude hat. Für einen orthodoxen Christen ist eine Ikone, die auf Holz gemalt ist und mit Gold verziert ist, nicht wichtiger als eine kleine Papierikone in seiner Tasche, die ihm Schutz und Trost gibt."

Für die Hobby-Ikonenmalerinnen haben ihre selbst hergestellten Ikonen sehr wohl einen besonderen persönlichen Wert. Und doch wollen sie ihre Werke nicht ganz außerhalb der theologischen Tradition sehen. So plant Margarita Budini gemeinsam mit Petra und anderen Schülerinnen eine Mariä Himmelfahrt-Ikone zu gestalten als Geschenk an die katholische Kirche, in der der Malkurs stattfindet. Die Gemeindemitglieder sollen mitmachen können, den einen oder anderen Pinselstrich setzen. Und so verändert die Ikone ein wenig ihre Funktion – aus einem Fenster zur himmlischen Welt wird sie zur Brücke zwischen verschiedenen Welten und Konfessionen.
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