Gelungenes spätes Debüt

Ulf Erdmann Ziegler hat sich in über viele Jahre hinweg einen ausgezeichneten Ruf als Kulturkritiker erworben, der seinen Leser mit sprachlichen Bonmots Vergnügen bereitete. Nun ist sein erster Roman erschienen, der seinen Essays von der Sprachmächtigkeit in nichts nachsteht und zugleich ein privates Porträt der 70er und 80er Jahre bietet.
Der Dichter Stefan George pflegte, auf Rainer Maria Rilke angesprochen, kühl zu bemerken, dass dieser viel zu früh zu publizieren begonnen habe. Damals wurde und heute wird die Gier des Literaturbetriebs auf das frühe Debüt jedes Mal mit der Hoffnung auf ein neues Genie verbunden. Respekt also vor den späten Debüts, vor Georg Klein, der als ausgewachsener Schriftsteller die Literaturwelt eroberte, oder eben Ulf Erdmann Ziegler, Jahrgang 1959, der sich über viele Jahre einen ausgezeichneten Ruf als Fotografiekritiker erworben hat - mit Ausflügen in die Musik-, Architektur- und Literatur.

Seine journalistischen Arbeiten sind ausnahmslos, das ist fast ein Wunder, so sorgfältig durchgearbeitet, so präzise in der Beschreibung, so prägnant in der Metaphernwahl und so luzide in der Reflexion, dass man seinem Autor jederzeit auch diese Qualitäten in erzählender Prosa zu verwirklichen zutraute. Aber dass diese Qualitäten auch über 330 Romanseiten tragen würden, wobei ganz bewusst auf Spannung im herkömmlichen Sinne verzichtet wird - das ist ebenso erstaunlich wie erfreulich.

Manche Vergleiche leuchten nicht nur ein, sondern sind so absurd auf eine dezente Art, dass man sie lange im Lesekopf nachklingen lassen möchte: Bei der Beschreibung eines Freundes der Hauptfigur heißt es etwa:

"Ein Fremder hätte denken können, dass er zu den grauen, schweren Gestalten des Flachlands gehörte, denen selbst unter günstigen Umständen das Naheliegende nicht einfällt."

Die Geschichte: Zeitgeschichte 1980 bis heute als Hintergrund und Impulsgenerator für die private Entwicklung von Thomas Schwarz, der mit seinem Autor die Beobachtungs- und Beschreibungsgabe aufs Produktivste teilt. Er reist mit seiner Frau, der Bildhauerin Elise Katz, die eine Gastprofessur im amerikanischen St. Louis wahrnimmt, in die USA und beginnt dort zu schreiben.

Die Teile des Textes, die in der Gegenwart spielen, sind in der dritten Person erzählt, die, die in die Vorgeschichte zurückblenden, in der Ichform. Das ausgesprochen Elegante an der unaufdringlich durchrhythmisierten und austarierten Prosa ist, dass die Zeitläufte gleichsam mit abgedunkelten Scheinwerfern ausgeleuchtet werden und die Helligkeit sich aufs Private fokussiert. Und dennoch lernt man sehr viel über diese merkwürdige Generation, die für die 68er zu jung war und für die Achtziger einen Tick zu alt.

Thomas Schwarz kauft sich also einen großen Tapeziertisch, setzt sich hin und beginnt zu schreiben. Im Falle Ulf Erdmann Zieglers ausgereiftem Debüt muss man dennoch zögern, den Autor nun ganz in die Literatur hineinzuwünschen. Vielmehr ist ihm, beziehungsweise uns Lesern seiner immer auf Hochglanz polierten Texte eine produktive Partnerschaft zwischen erzählender Literatur und journalistischer Essayistik zu wünschen.

Rezensiert von Marius Meller

Ulf Erdmann Ziegler: Hamburger Hochbahn
Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2007.
329 Seiten, 19 Euro 90.