Gelungene Darstellung einer filmischen Heldenfigur

Moderation: Matthias Hanselmann · 07.03.2007
Der polnische Publizist Adam Krzeminski hat den Film "Strajk" von Volker Schlöndorff gegen scharfe Kritik aus seinem Land verteidigt. Die Geschichte über die Kranführerin Anna Walentynowicz sei in einer Zeit in Polen angelaufen, in der der Mythos der Gewerkschaft Solidarnosc tiefe Risse bekommen habe, sagte Krzeminski.
Hanselmann: Schönen guten Tag, Herr Krzeminski, schön, dass Sie gekommen sind! Sie haben einen doch nachdenklichen Gesichtsausdruck gehabt, während Sie das gehört haben, was wir eben gespielt haben. Der Film stößt in Polen offenbar auf wenig Begeisterung, eher sogar auf Ablehnung. Wie erklären Sie sich das?

Krzeminski: Volker Schlöndorff hat dieses Unglück gehabt, dass er einen Film und ein Denkmal, ein Zelluloiddenkmal uns Polen, der Solidarnosc gesetzt hat, in einem Zeitpunkt, in dem der Solidarnosc-Mythos tiefe Risse in Polen hat. Das ist das eine. Das andere: Wir haben in allen Ländern mit Filmen, die irgendwelche historischen Tatsachen darstellen, große Probleme. Ich erinnere hier an die Debatten in Deutschland um "Das Leben der Anderen", da kamen auch Leute und sagten, nein, das stimmt nicht, auch wenn das nach meinem Lebenslauf nachgemacht werden sollte, vorne und hinten stimme das nicht. Und dasselbe ist hier. Kein Vorwurf von Anna Walentynowicz ist stichhaltig, kein einziger Vorwurf. Sie hat den Film nicht gesehen. Sie wollte den Film nicht sehen. Sie hört das alles aus der dritten, vierten Hand. Ich finde den Film sehr schön. Es ist ein deutscher Film, das heißt in der deutschen Tradition der Filme der Arbeitswelt, das, was man in den fünfziger, sechziger Jahren drehen wollte. Es ist ein Film, der auch in die deutschen Debatten über die Revolution und über den Kommunismus sehr mächtig einsteigt. Ich erinnere mich, ich war im Sommer '81 bei Peter Weiss in Stockholm, sagte ihm, wissen Sie, Sie suchen nach Revolution überall, schreiben den Vietnam-Diskurs, Sie schreiben über die angolanische Befreiungsbewegung, Trotzki im Exil und und und, und Sie haben hier auf der anderen Seite diese Pfütze, eine Revolution im Gang, und Sie schweigen. Er sagte, Arbeiter, die beten, sind keine Revolutionäre, das heißt, in ein linkes Denkmuster von Revolution passte das nicht. Und Schlöndorff sagte, gerade das ist die Revolution, die Revolutionäre sind nicht diejenigen, die in diesen blauen Bänden von Marx irgendeinen Fahrplan haben für die Revolution aus dem Kopf heraus, sondern diejenigen, die sich auflehnen gegen unzumutbare Lebensverhältnisse, und das ist der Beitrag auch zu der Debatte um die deutschen Achtundsechziger. Auch ist es ein Gegenstück zu diesem schönen Stasi-Märchen – gut, Oscar hin, Oscar her –, natürlich ich gönne dem "Leben der Anderen" den Oscar-Preis, aber es ist eine sehr verschönerte Geschichte, im Gegensatz zu dieser Streik-Geschichte und zu dieser authentischen Heldin.

Hanselmann: Also Sie halten die Heldin, so wie sie dargestellt wird, im Gegensatz zur wahren Figur, die, wie Sie gesagt haben, den Film nicht gesehen hat, für authentisch?

Krzeminski: Ich halte die Anna Walentynowicz, die authentische Anna Walentynowicz für eine Heldin der Arbeit, das ist der Titel der kommunistischen Preise, die man jedes Jahr bekam, aber eine authentische Heldin auch des Streik und der Streik-Welle, und ich halte die Agnieszka Kowalska, die Filmfigur von Volker Schlöndorff, gespielt von Katharina Thalbach, für eine gelungene Darstellung nicht dieses Lebenslaufes, sondern einer filmischen Heldenfigur.

Hanselmann: Also eher eine symbolische Figur?

Krzeminski: Eine symbolische Figur. Es gibt viele Elemente, die entlehnt worden sind vom authentischen Leben, aber es gibt Menschen, die einfach nicht wissen, dass die Kunst und die Wirklichkeit nie deckungsgleich ist. Auch das Neue Testament in vierfacher Ausführung ist nicht deckungsgleich mit dem Leben Christi, also insofern völlig unberechtigt.

Hanselmann: Das ist ja auch kein Dokumentarfilm, es ist ein Spielfilm.

Krzeminski: Es ist Kunst. Es ist ein Spielfilm, und es ist wirklich ein Denkmal für die Leistung der Danziger Arbeiter und für einen Lebenslauf einer einfachen Frau, die mit Charakterstärke etwas ins Rollen gebracht hat, ohne dass sie eine Revolution im Sinne hatte, und dennoch hat sie eine verursacht.

Hanselmann: Herr Krzeminski, wir haben gesagt, es ist kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm. Der Regisseur kann fantasievoll rangehen, er kann auch sozusagen fabulieren. Trotzdem: Wie realistisch wird in dem Film "Strajk" gezeigt, was damals Anfang der achtziger Jahre in der Danziger Leninwerft los war, wie das entstand, was dann später Solidarnosc wurde?

Krzeminski: Also zuerst, sehr realistisch ist das ganze Ambiente, und Volker Schlöndorff sagte, dass es für ihn entscheidend war, gerade vor Ort, wo alles noch da steht, man kann diese europäische Begebenheit der Streikwelle, die in Danzig ausbrach im Sommer '80 noch verfilmen. In fünf, in zehn Jahren wird es nichts mehr davon geben, das ist das eine. Also insofern Realismus ist im Bilde. Wichtig ist, dass die Stimmung, dass die Mentalität, dass die Reaktionen authentisch sind, und es ist wie in einem Spielfilm ganz kurz, aber auch prägnant die polnische Geschichte der sechziger, siebziger Jahre dargestellt. Ich glaube schon, dass der Film nachwirken wird in der polnischen Öffentlichkeit. Es ist etwas Einmaliges, dass ein deutscher Regisseur irgendeine Episode aus der polnischen Geschichte sich herauspickt und sagt, Leute, seinen Landsleuten, ihr müsst sie kennen lernen, weil es auch eure Geschichte ist. Das heißt, das, was damals in Danzig anfing, hatte Folgen auch für die Deutschen im Sinne der Vereinigung.

Hanselmann: Sie haben eben gesagt, ein Deutscher nimmt eine polnische Geschichte. Polens Starregisseur und Oscar-Preisträger Andrzej Wajda sagt über den Film, einen solchen Film kann kein polnischer Regisseur machen. Hat er Recht?

Krzeminski: Es gibt auch polnische Pressestimmen zum "Strajk", die sagen, verdammt, warum drehen wir nicht diese Filme, warum fliehen wir weg von unserer eigenen Geschichte?

Hanselmann: Vielleicht ist man sich in Polen zu uneins über die Rolle von Solidarnosc?

Krzeminski: Das ist das eine. Wenn Sie eine Gewerkschaft haben, die 13 Millionen, 12, 13 Millionen Mitglieder hatte, das heißt, in dieser Gewerkschaft war alles. Das waren Postkommunisten und Liberale, das waren Christdemokraten und Nationalkatholiken, alles Mögliche, und natürlich, diese Solidarnosc musste zerfallen, und das ist dieser Prozess der letzten 15 Jahre. Zweitens, sie hat das erreicht, was sie wollte, und natürlich die Realität ist wiederum anders als die Utopien, und insofern ist es schwer, in einem Land wie Polen heute einen Mythos des Solidarnosc zu verfilmen. Ich glaube auch nicht, dass Volker Schlöndorff einen Mythos darstellt. Er zeigt eine Person. Er zeigt eine geradlinige einfache Frau, die mit diesem Flügelschlag eines Schmetterlings ein Tornado nicht in Nordamerika, aber im Sowjetreich verursacht hatte, nach der Theorie des Chaos, und das ist gut so. Schade, dass wir das nicht goutieren können heute, aber ich bin mir sicher, dass dieser Film in der polnischen Wahrnehmung nachwirken wird.

Hanselmann: Vielen Dank. Der Journalist und Publizist Adam Krzeminski über Volker Schlöndorffs Film "Strajk" im Radiofeuilleton von Deutschlandradio Kultur.
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