Gelenkschonend, entspannend, sinnlich

Menschen gehören nicht ins Wasser. Sie besitzen weder Kiemen noch Flossen, und doch sind viele vom Schwimmen bezaubert. So auch die amerikanische Journalistin Lynn Sherr, die ein wundervolles, detailreiches Buch über das Schwimmen und die Faszination des Wassers vorgelegt hat. Eines, das in jede Strandtasche gehört.
Lynn Sherrs Liebeserklärung ans Wasser beginnt mit einer Liebesgeschichte aus der griechischen Mythologie. Hero, eine Priesterin der Aphrodite, liebt Leander, doch beide sind durch den Hellespont getrennt, die Meerenge, die die Ägäis mit dem Marmarameer verbindet und somit den europäischen vom asiatischen Teil der Türkei abspaltet. Dem Mythos zufolge durchschwamm Leander jede Nacht das Meer, um sich mit seiner Geliebten zu treffen. Doch eines Nachts verlöschte die Flamme, die als Wegmarkierung diente. Leander ertrank. Als Hero dies erfuhr, ertränkte sie sich ebenfalls.

Im Sommer 2011 durchschwamm Lynn Sherr mit mehreren hundert Gleichgesinnten ebenfalls den Hellespont – und die Schilderung dieses Erlebnisses bildet den Rahmen und den durchgehenden Spannungsbogen für eine im schönen Plauderton geschriebene und anekdotenreiche Kulturgeschichte des Schwimmens. Sherr berichtet von antiken ägyptischen Kosmetiklöffeln, die Schwimmer zeigen, von der Schwimmkunst des Odysseus, von assyrischen und chinesischen Kampfschwimmern aus dem ersten Jahrtausend vor Christus und von Julius Caesar, der sich flüchtend angeblich mit Schwert und wichtigen Papieren ins Meer stürzte.

Das Mittelalter scheute das Wasser, in der Renaissance finden sich aber erste Schwimmlehrbücher, und dann folgen Anekdoten aus dem 19. Jahrhundert, so die unbewiesene vom amerikanischen Präsidenten John Quincy Adams: Er soll jeden Morgen nackt in den Potomac gesprungen sein – bis eine Journalistin seine Kleidung stahl und erst zurückgab, nachdem er ihr im Wasser stehend ein Interview gegeben hatte.

Sherr berichtet von Schwimmrekorden und –stilen: Das Brustschwimmen stammt aus Europa, das Kraulen ist die Weiterentwicklung des Stils nordamerikanischer Indianer. Sie besucht das niederländische Olympiateam im Trainingslager und hört US-amerikanischen Schwimmtrainern zu, die über Strömungsdynamik von Körpern im Wasser dozieren und mit Computermodellen Bruchteile von Sekunden herausholen. Sie berichtet über Bademoden und Swimming-Pools, von Filmkarrieren wie der Johnny Weissmüllers – der Schwimmer, der zum Tarzan wurde – und von den gesundheitlichen Vorteilen des Schwimmens: Es ist gelenkschonend, entspannend und gleichzeitig konzentrationsfördernd. Zudem sinnlich.

Mitunter stört in dem schön gestalteten Buch der rein angloamerikanische Blick: Ein Kapitel behandelt den fehlenden Schwimmunterricht in den USA und fast alle Beispiele aus der Literatur stammen aus dem englischen Sprachraum: Lynn Sherr zitiert Byrons Gedicht über Hero und Leander; Friedrich Schillers Ballade kennt sie nicht. Doch das sind Petitessen, auch angesichts der ansteckenden Begeisterung, mit der die Autorin ihre Hauptthese vertritt: Wasser heilt. Ein Tag ohne Schwimmen ist ein verlorener Tag.

Besprochen von Günther Wessel

Lynn Sherr: Swim - Über unsere Liebe zum Wasser
Aus dem Englischen von Andreas Simon dos Santos
Verlag Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2013
254 Seiten, zahlreiche Abbildungen 19,99 Euro
Mehr zum Thema