Gelbe Karte für den Ilisu-Staudamm

Von Susanne Güsten |
Es ist ein Mammutprojekt, dem Menschen weichen müssen und unter dem Kulturgüter und Umwelt leiden werden. Die Türkei will trotz aller Kritik auf den Ilisu-Staudamm in Südostanatolien nicht verzichten. Nun aber drohen die europäischen Kreditversicherer damit, den Geldhahn zuzudrehen.
Informationsveranstaltung im Hasankeyf, dem historischen Städtchen am Ufer des Tigris, das in den Fluten des Ilisu-Stausees versinken soll. Im Pausenhof der örtlichen Schule versammeln sich Bauern, Handwerker und Händler, um die aus Ankara angereisten Bürokraten anzuhören. Dass ihre Stadt auf den Raman-Berg am gegenüberliegenden Tigris-Ufer umgesiedelt werden soll, wird den Bewohnern von Hasankeyf auf dieser Veranstaltung verkündet. Überrascht und empört begehren die Einwohner auf gegen diese Nachricht, ein Bürger ergreift das Mikrofon:

"Diesen neuen Siedlungsort, diesen Platz da am Berg auf dem anderen Ufer, den wollen wir nicht. Ohne einen einzigen Menschen in Hasankeyf zu fragen, wollt ihr die Stadt einfach auf den Berg umsiedeln. Was ist denn das für eine Art? Ohne uns auch nur zu fragen, so etwas zu beschließen!"

Der Bürokrat am Rednerpult winkt aber nur ab.

"Das ist ein anderes Thema. Ich befasse mich nur mit den Enteignungen. Für die Umsiedlung ist ein anderer zuständig."

So geht es schon von Anfang an beim Ilisu-Projekt. Die Behörden handeln über die Köpfe der Betroffenen hinweg, verweigern der Bevölkerung das Mitspracherecht und schieben jede Verantwortung ab. Das war eigentlich anders geplant. Mit konkreten Auflagen wollten die europäischen Kreditgeber sicherstellen, dass die Umsiedlung der Bevölkerung im Flutungsgebiet höchsten internationalen Standards gerecht wird, dass die Bewohner fair behandelt und kompensiert werden.

Bis Ende letzten Jahres sollten diese Auflagen eigentlich erfüllt sein, doch an den meisten hat die Arbeit noch gar nicht begonnen. Nicht einmal eine Broschüre über die Umsiedlung gibt es für die Bevölkerung im Flutungsgebiet, von Beschwerdeinstanzen oder Umschulungen für die vertriebenen Bauern ganz zu schweigen. Nur eines ist bisher geschehen: Die Bewohner der ersten Dörfer sind bereits enteignet worden – ohne jede Rücksicht auf die Auflagen, wie die Bäuerin Leyla aus dem Dorf Ilisu berichtet:

"Unser Besitz ist schon verstaatlicht, aber wir haben keine Ahnung, wann wir raus müssen. Wir wissen auch nicht, wohin wir dann gehen sollen und was aus uns werden soll. Hier haben wir Vieh, Felder und Obstgärten, von denen leben wir. Wovon wir woanders leben sollen, das hat uns noch niemand gesagt."

Ebenso traurig ist die Bilanz bei den Auflagen zum Schutz der Umwelt im Tigristal und der Kulturgüter in dieser Wiege der Menschheit: Fast keines ihrer Versprechen hat die Türkei gehalten. Das liegt nicht am bösen Willen der türkischen Behörden, sondern an ihrer Inkompetenz, wie eine von den Kreditgebern entsandte Expertenkommission im Sommer feststellte: Die meisten Behörden und Bürokraten, die an dem Projekt beteiligt sind, wüssten nicht einmal von den internationalen Standards, denen sie da genügen sollen. Die europäischen Kreditversicherer haben der Türkei nun die Gelbe Karte gezeigt und eine letzte Frist gesetzt. Kann Ankara in den nächsten acht Wochen nicht glaubhaft darlegen, wann und wie die Auflagen doch noch erfüllt werden, dann können die Kreditgeber die Verträge zunächst suspendieren und dann sogar aufheben.