Gelbe Karte für Cottbus
11, 9 Millionen Euro ließ sich Cottbus vor drei Jahren den Ausbau seines "Stadions der Freundschaft" kosten. 75 Prozent zahlte die Europäische Union dafür aus ihrem Interreg III Programm. Denn das Stadion sollte, so die Auflage, auch für grenzüberschreitende Großveranstaltungen genutzt werden. Jetzt fordert die EU-Kommission einen Großteil der Fördergelder zurück.
Begründung: Es hätten nicht genug grenzüberschreitende Großveranstaltungen stattgefunden. Die Bürgermeisterin von Cottbus weist die Verantwortung für etwaige Rückzahlungen schon einmal von sich: "Das Land ist zuständig". Der Fußballverein Energie Cottbus zeigt sich ebenfalls unbeeindruckt: "Wir organisieren nur Fußballspiele", so ein Sprecher, "alles andere macht die Stadt."
"Und wir fahren jetzt links an der so genannten Zentralturnhalle vorbei, die über hundert Jahre alt ist. Und jetzt denkmalgerecht wieder saniert wurde…"
Jürgen Peter deutet nach links. Rot leuchtet der Backsteinbau in der Wintersonne. Davor liegen die Sportplätze. "Außensportanlagen", sagt Peter.
"... da ist also die älteste Turnhalle der Stadt Cottbus, die jetzt mit Hilfe des Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung und mit Hilfe des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport auch wieder mit Fördermitteln vollkommen neu saniert wurde. "
Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Fördermittel – Peter nimmt die Wort-Ungetüme mit einem Satz. Der Diplom-Sportlehrer trainiert täglich an den bürokratischen Hürden. Ist zuständig für 40 Schulen in Cottbus. Nebst Turnhallen. Und Sportstätten. Da müssen Dächer repariert. Und Löcher gestopft werden. Cottbus aber ist pleite. Und Peter daher immer auf der Suche nach Fördermitteln. In Brandenburg. Und in Brüssel.
"Die EU-Mittel sind immer gebunden an bestimmte Vorraussetzungen. … Wenn wir zum Beispiel die Sporthalle jetzt ausschließlich nutzen würden für deutsch-polnische Kontakte, für Vereine, die deutsch-polnische Kontakte haben und hier ihre Sportveranstaltungen durchführen, dann wäre es eine Möglichkeit gewesen das Interreg-Programm anzuwenden. "
Das Interreg Programm. Einer der größten europäischen Fördertöpfe. Der Traum vieler Kommunalpolitiker.. Gesamtbudget: Knapp fünf Milliarden Euro – europaweit, verteilt auf sechs Jahre. Reserviert für Deutschland: 580 Millionen. Für die "grenzüberschreitende Zusammenarbeit". Mehr als ein Viertel des Geldes geht nach Brandenburg. Eines der größten Förderprojekte steht in Cottbus. Die Osttribüne. Im Stadion der Freundschaft:
"Man sieht hier die Parklandschaft. Und in diese Parklandschaft passt sich die Stadiontribüne wunderbar ein ..., man kommt nah heran, man hat soweit wie möglich die alten Eichen erhalten, die alte Tribüne, die Beleuchtungsanlage und die Spree gibt dem ganzen hier ein ordentliches Fluidum."
Das Fluidum, die Förderung der Freundschaft, der Aufbau Ost im Stadion – eine Erfolgsstory. Für Jürgen Peter. Bis vor einigen Monaten. Da kam eine Nachricht aus Brüssel. Und die war wenig freundschaftlich. Die EU-Kommission möchte einen Großteil der Stadion-Millionen wiederhaben. Doch dazu will Jürgen Peter nichts sagen. Das ist Sache des Dezernenten.
Im Rathaus wartet Bernd Weisse. Amtierender Dezernent der Abteilung III. Zimmernummer 112. "112 – wie der Notruf", sagen einige Kollegen. Weisse ist Zuständig für Jugend, Kultur und Soziales. Und den Stadion-Streit. Zwischen Brüssel und Cottbus:
"Die haben ja gute Karten. Wir haben damals ein Konzept vorgelegt und haben gesagt: Das und das machen wir. Gebt uns das Geld dafür, wir machen das. Und wir haben es nicht geschafft. In den aufgeschriebenen Zahlen von damals. Und jetzt stehen wir in der Pflicht denn jetzt geht es wohl um 20 Prozent Anerkennung der Fördermittel im Vergleich zur bewilligten Summe. Und das noch durchgestanden werden. Und ich denke, dass ist Aufgabe der Politik. "
Schwarze Jeans, schwarzes Hemd, dunkle Krawatte. Randlose Brille. Ein Hauch von Existenzialismus umweht den Dezernenten. Doch auf der Krawatte leuchten einige bunte Punkte. Und an der Wand hängen Gemälde, die Cottbus in warmen Farben zeigen.
"Das ist eine Sicht über Cottbus aus guten Zeiten, das hier ist die Fußgängerbrücke die demnächst abgerissen wird, weil sie nicht sanierungsfähig ist, das ist also ein Blick über die Stadtpromenade mit Blick über die Altstadt. "
"Ich mag Kunst in die der Betrachter etwas hineindeuten kann", sagt Weisse. Viel Deutungsspielraum bleibt ihm in Cottbus zurzeit nicht. Zumindest nicht in Haushaltsfragen.
"Ohne Förderung wäre das Licht schon aus, ohne Förderung wäre diese Region sehr arm dran. Und es würde auch im ganz normalen Leben einer Stadt wie Cottbus vieles nicht mehr funktionieren. "
20 Prozent Arbeitslosigkeit, eine schrumpfende Bevölkerung – bis heute hat der Aufschwung Cottbus nicht erreicht. Wachstumsimpulse sind Mangelware. Da wurde das alte Stadion zum neuen Hoffnungsträger:
"Sport ist ein Wirtschaftsfaktor, das kann man mal so stehen lassen. Insofern haben Stadien in Orten eine ganz besondere Bedeutung. Und wenn man ein Stadion hat, das den Bedingungen nicht genügt, dann versucht man das zu ändern. Das haben wir in Cottbus probiert…"
Auf das Stadion gesetzt. Und die Freundschaft. Die Völkerfreundschaft. Denn nur für die fließt Fördergeld. Aus dem EU-Interreg-Programm.
"Das ist Bürokratie in höchster Kultur, die Euro-Region hat den Startschuss, die Grundlagen, die Begründung geliefert, die Landesregierung hat uns den Rücken gestärkt mit entsprechenden Befürworten und Beglaubigern und was sonst noch alles dazu gehört, ist also der Antrag so gefeilt und geschmückt war, dass man sagen konnte, er geht zur EU. "
Schmücken und Feilen. Für die Förderung der Freundschaft. 90.0000 polnische Gäste werden pro Jahr ins umgebaute Stadion der Freundschaft kommen, bekamen die Brüsseler Beamten zu lesen. Als Freundschaftsbeweis.
"Ja, also es gibt schon ein paar, Blätter, … "
Bernd Weisse blättert. Im "Sachstandsbericht". Ein Protokoll der Freundschaft. Zwischen Erwartung. Und Ernüchterung. Links die Prognose, rechts die Realität. Weisses Finger gleitet die rechte Spalte hinunter.
"Und es sind allein im Jahr 2005 27 Fußballspiele des FC Energie, wo wir eine Größenordung von 215.000 Zuschauern haben. Davon denken wir, dass 13.500 Polen dabei sind. Das ist deutlich weniger als wir prognostiziert haben. "
Mehr als fünfmal weniger. Statt 90.000 kamen nur 16.000 Polen ins Stadion. Festival- und Sportfestbesucher mitgerechnet. Und auch das Freundschaftstreffen mit polnischen Sportlern mitgezählt. Da kamen 15 Teilnehmer. Davon fünf aus Polen.
Freitagabend. Vor dem Stadion der Freundschaft. Heimspiel für den FC Energie. Schlangen stehen vor den Kassenhäuschen der Osttribüne. Die billigste Sitzplatzkarte kostet 13, der Stehplatz neun Euro.
"Über den Sinn und Unsinn dieser Osttribüne darf man nicht streiten, weil der Fußball hier in Cottbus, der FC Energie Cottbus für die Region das einzige ist, was überregional strahlt. Was deutschlandweit die Region überhaupt ins Gespräch bringt. Und darum glaube ich schon ist das Geld damals hier sehr gut angelegt gewesen, weil man kann nicht immer alles nur in Geld rechnen, man muss auch die ideellen Dinge sehen... "
Ronny Gersch steht vor der Osttribüne. Der Sprecher des FC Energie ist zufrieden. Die Cottbusser Kicker stehen auf einem oberen Tabellenplatz in der zweiten Liga, zu den Heimspielen kommen bis zu 15.000 Zuschauer. Pro Besucher zahlt der Verein einen Obolus an die Stadt. Schließlich gehört ihr das Stadion der Freundschaft.
"Man kann sicherlich darüber sprechen, ob die Fördermittel, die man hierher gegeben hat, ob die aus Sicht der EU hier richtig eingesetzt wurden, ob das den Unterlagen entspricht, die man eingereicht hat. "
Die Unterlagen zur Völkerfreundschaft. Die Stadien der Förderung. Der Weg vom Antrag zum Auftrag.
"Da fragen wir uns ja auch, welche Bedingungen die EU in Brüssel damit ja eigentlich verknüpft hat und ob man das nicht etwas besser hätte definieren sollen im vorneherein, also eben zu sagen, es müssen im Jahr 20 deutsch-polnische Veranstaltungen sein, dann ist das okay. "
Jürgen Peter steuert seinen silbernen Van Richtung Amtsgebäude. Durch einen Park. Für den zahlt auch die EU.
"Dieser Park hier vor unserem Amtsgebäude, der wurde auch mit EU-Mitteln gefördert und zwar dieses Programm Zukunft in Stadtteil ist auch EU gestützt. "
Peters Büro liegt im ersten Stock. SGL – steht auf dem Türschild. SGL das steht für Sachgebietsleiter.
"Ja, der ursprüngliche Antrag ist da, er befindet sich hier in diesem Ordner, brauche ich bloß rausziehen und raussuchen. "
Der Antrag. In Sachen Freundschaftsstadion.
"Der Antrag wurde ja damals noch in DM-Mark ausgestellt, wir hatten damals Projektkosten angesteuert mit ... 23 Millionen 448 tausend DM. Das ganze ist ja dann umgerechnet worden. Also wir liegen bei etwas über zwölf Millionen Euro insgesamt. "
Am Ende stiegen die Kosten lediglich um 0,7 Prozent. Eine Seltenheit bei öffentlichen Bauvorhaben. Auf das Projektmanagment ist Peter daher heute noch stolz.
"Also das sind hier mal so locker 16 Ordner, die hier stehen, im Bauamt, im Hochbaubereich steht mindestens genauso viel, das sind also der so genannte allgemeine Schriftverkehr, den es gibt. "
Und dann sind da noch die Zeitungsausschnitte. Rund um das Stadion-Projekt. Dass der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe den Gegner der Stadionerweiterung drohte, ihnen die Ohren abzuschneiden, ist da nachzulesen.
"... man sieht hier an der Aufschrift auf den Ordnern, dass das Ministerium ne Rolle spielt, das das Ministerium ne Rolle spielt, die Investitionsbank ne Rolle spielen, dass die Architekten ne Rolle spielen, das es Beratungsprotokolle gibt, Fördermittelanträge. "
Und ein 60-seitiges Gesamtkonzept. "Wissenschaftlich erarbeitet", betont man im Potsdamer Wirtschaftsministerium. Dass den Förderantrag maßgeblich mitgestaltete. Gisela Mehlmann, Leiterin des Referats EU-Angelogenheiten:
"Es wurde ein Gutachten erstellt, so wie das üblich ist bei wissenschaftlichen Einrichtungen wurde also auch dieses Konzept entsprechend erstellt. "
Dass der Stadion-Bau die Wettbewerbsfähigkeit der Region stärkt, ist da zu lesen. Tourismus und Gastronomie fördert. Die oberzentrale Funktion stärkt. Die deutsch-polnischen Kontakte festigt und intensiviert. Und das im Jahr 2004 92.316 Polen ins Stadion der Freundschaft kommen werden.
"Diese Zahlen sind eigentlich mehr oder weniger hochgerechnet worden, also geschätzt worden, wir haben ja Parkplätze, wir haben ja Ordner, die die Leute kontrollieren und aufgrund dieser Befragung und der Rücksprache mit den Ordnungskräften und den Stadionverantwortlichen haben wir also eine Zahl ermittelt, die für uns realistisch erschien. "
Erklärt Peter die Schätzung der Freundschaft. Eine Fehlkalkulation. Da gibt es nichts zu beschönigen. Weiß Gisemal Mehlmann. Und daher auch nichts zu verhandeln. Mit Brüssel.
"Deshalb kann nach heutigen Kenntnisstand die Landesregierung auch nur die Position vertreten, dass der Zuwendungszweck nicht erreicht wurde und gegenwärtig auch nicht glaubhaft gemacht werden kann, dass die prognostizierten Besucherzahlen überhaupt noch erreicht werden können. "
Im Stadion der Freundschaft laufen die Cottbusser Kicker auf. Stadionsprecher Ronny Gersch lässt seinen Blick über die Osttribüne schweifen. Rund 11.000 Zuschauer sind heute hier.
"Ich wüsste gerne selbst, wie viel polnische Zuschauer hier regelmäßig zu uns kommen, bzw. zu den anderen Veranstaltungen, weil es natürlich auch für uns für die Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Zahl wäre. "
Nur leider gibt es die nicht. Wie die Zahl der 90.000 polnischen Besucher in das Konzept für Brüssel kam, kann Gersch sich nicht erklären...
"Keine Ahnung. Und da liegt vielleicht auch n Versäumnis der Verwaltung, dass man da sicherlich hätte Erhebungen hätte machen sollen, einfach um da sicher zu gehen. Ich kenne da keine solche Erhebung. Ich denke, da liegt vielleicht ein Versäumnis, das hätte man tun sollen. Und dann hätte man Brüssel, in den Punkt auch den Wind aus den Segeln nehmen können. "
Klassische Musik kommt jetzt aus den neuen Boxen. Auf der Osttribüne. Zwei Rentner, die wärmenden Sitzkissen unterm Arm, das Bier in der Hand, lauschen.
"Ich hab schon zu DDR-Zeiten Energie-Cottbus verfolgt hier, ich habe am Stadion auch mitgebaut, auf der anderen Seite. "
Die Westtribüne hat er mitgebaut. Drüben auf der anderen Seite. Damals in den 80ern.
"Ich war Oberbauleiter und mit polnischen Baubetrieben haben wir das gemacht. "
Polnische Baubetriebe unter einem Cottbusser Oberbauleiter. So entstand die erste Tribüne. Im Stadion der Freundschaft. Zu sozialistischen Zeiten. Heute ist der Oberbauleiter pensioniert. Und sitzt auf der anderen Seite.
"Ich bin hier auf der Osttribüne und die Heimspiele zu 90 Prozent bin ich dabei, … die ist super, das ist ein herrliches Bauwerk, man hat eine herrliche Übersicht, solange man noch nen Mittelplatz kriegt ist alles bestens…"
Von den polnischen Kollegen aber hat er lange keine mehr gesehen. Im Freundschafts-Stadion. Hier geben die Cottbusser den Ton an. Nur selten hört man polnische Stimmen.
"Es gibt schon Polen hier, ich denke so 100, 200, die kommen schon an, … da kommen so zwei, drei PKW zusammen, die kommen ja von der anderen Seite von Gubin. "
Ein paar hundert pro Spiel. Wenn überhaupt. Und daran können auch die Kicker aus Cottbus nichts ändern, weiß Ronny Gersch.
"Man kann nicht erwarten, dass wir hier eine Tribüne bauen. Und auf einmal sind zehntausend Polen hier. "
Auch wenn es so im EU-Förderantrag steht. Die Mittel sind verbaut. Die Ost-Tribüne steht. Das ist die Cottbusser Realität. Und irgendjemand wird für die mehr als sieben Millionen Euro, die Brüssel zurückfordert, aufkommen müssen. Gisela Mehlmann vom Wirtschaftsministerium
"Die Bearbeitung des Verwaltungsvorganges ist noch nicht abgeschlossen. So dass zum heutigen Tage diese Frage nicht beantwortet werden kann. Es gibt ja eigentlich nur zwei in dem Zusammensiel, zum einen ist das die Landesregierung. Und der Zuwendungsempfänger wird auch ins Kalkül gezogen, dass ist die Stadt Cottbus. "
Eine endgültige Entscheidung soll im neuen Jahr fallen. Bernd Weisse, der Cottbusser Dezernent, stellt aber schon jetzt klar, dass seine Stadt keinen finanziellen Spielraum habe. Ansonsten aber gibt er sich selbstkritisch.
"Wir haben natürlich einen Optimismus zu Schau getragen, der vielleicht nicht politisch ausreichend abgesichert war. Wir haben die Risiken nicht ausreichend beschrieben, die Brüssel ja zur Kenntnis nehmen muss. Und die uns heute auf die Füße fallen. "
Doch nun steht die Tribüne. Und das Land soll zahlen. Für das Stadion in Cottbus, den Preis der Freundschaft.
"Der Hintergrund sind eigentlich die Menschen. Und nicht der Zwang Brüssel etwas vorzumachen. Wir wollen es ja für unsere Region haben. Das Leben wir ja eigentlich vor. Und deswegen haben wir gar kein schlechtes Gewissen, dass wir unrechtmäßige Fördermittel verwendet haben. "
"Und wir fahren jetzt links an der so genannten Zentralturnhalle vorbei, die über hundert Jahre alt ist. Und jetzt denkmalgerecht wieder saniert wurde…"
Jürgen Peter deutet nach links. Rot leuchtet der Backsteinbau in der Wintersonne. Davor liegen die Sportplätze. "Außensportanlagen", sagt Peter.
"... da ist also die älteste Turnhalle der Stadt Cottbus, die jetzt mit Hilfe des Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung und mit Hilfe des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport auch wieder mit Fördermitteln vollkommen neu saniert wurde. "
Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Fördermittel – Peter nimmt die Wort-Ungetüme mit einem Satz. Der Diplom-Sportlehrer trainiert täglich an den bürokratischen Hürden. Ist zuständig für 40 Schulen in Cottbus. Nebst Turnhallen. Und Sportstätten. Da müssen Dächer repariert. Und Löcher gestopft werden. Cottbus aber ist pleite. Und Peter daher immer auf der Suche nach Fördermitteln. In Brandenburg. Und in Brüssel.
"Die EU-Mittel sind immer gebunden an bestimmte Vorraussetzungen. … Wenn wir zum Beispiel die Sporthalle jetzt ausschließlich nutzen würden für deutsch-polnische Kontakte, für Vereine, die deutsch-polnische Kontakte haben und hier ihre Sportveranstaltungen durchführen, dann wäre es eine Möglichkeit gewesen das Interreg-Programm anzuwenden. "
Das Interreg Programm. Einer der größten europäischen Fördertöpfe. Der Traum vieler Kommunalpolitiker.. Gesamtbudget: Knapp fünf Milliarden Euro – europaweit, verteilt auf sechs Jahre. Reserviert für Deutschland: 580 Millionen. Für die "grenzüberschreitende Zusammenarbeit". Mehr als ein Viertel des Geldes geht nach Brandenburg. Eines der größten Förderprojekte steht in Cottbus. Die Osttribüne. Im Stadion der Freundschaft:
"Man sieht hier die Parklandschaft. Und in diese Parklandschaft passt sich die Stadiontribüne wunderbar ein ..., man kommt nah heran, man hat soweit wie möglich die alten Eichen erhalten, die alte Tribüne, die Beleuchtungsanlage und die Spree gibt dem ganzen hier ein ordentliches Fluidum."
Das Fluidum, die Förderung der Freundschaft, der Aufbau Ost im Stadion – eine Erfolgsstory. Für Jürgen Peter. Bis vor einigen Monaten. Da kam eine Nachricht aus Brüssel. Und die war wenig freundschaftlich. Die EU-Kommission möchte einen Großteil der Stadion-Millionen wiederhaben. Doch dazu will Jürgen Peter nichts sagen. Das ist Sache des Dezernenten.
Im Rathaus wartet Bernd Weisse. Amtierender Dezernent der Abteilung III. Zimmernummer 112. "112 – wie der Notruf", sagen einige Kollegen. Weisse ist Zuständig für Jugend, Kultur und Soziales. Und den Stadion-Streit. Zwischen Brüssel und Cottbus:
"Die haben ja gute Karten. Wir haben damals ein Konzept vorgelegt und haben gesagt: Das und das machen wir. Gebt uns das Geld dafür, wir machen das. Und wir haben es nicht geschafft. In den aufgeschriebenen Zahlen von damals. Und jetzt stehen wir in der Pflicht denn jetzt geht es wohl um 20 Prozent Anerkennung der Fördermittel im Vergleich zur bewilligten Summe. Und das noch durchgestanden werden. Und ich denke, dass ist Aufgabe der Politik. "
Schwarze Jeans, schwarzes Hemd, dunkle Krawatte. Randlose Brille. Ein Hauch von Existenzialismus umweht den Dezernenten. Doch auf der Krawatte leuchten einige bunte Punkte. Und an der Wand hängen Gemälde, die Cottbus in warmen Farben zeigen.
"Das ist eine Sicht über Cottbus aus guten Zeiten, das hier ist die Fußgängerbrücke die demnächst abgerissen wird, weil sie nicht sanierungsfähig ist, das ist also ein Blick über die Stadtpromenade mit Blick über die Altstadt. "
"Ich mag Kunst in die der Betrachter etwas hineindeuten kann", sagt Weisse. Viel Deutungsspielraum bleibt ihm in Cottbus zurzeit nicht. Zumindest nicht in Haushaltsfragen.
"Ohne Förderung wäre das Licht schon aus, ohne Förderung wäre diese Region sehr arm dran. Und es würde auch im ganz normalen Leben einer Stadt wie Cottbus vieles nicht mehr funktionieren. "
20 Prozent Arbeitslosigkeit, eine schrumpfende Bevölkerung – bis heute hat der Aufschwung Cottbus nicht erreicht. Wachstumsimpulse sind Mangelware. Da wurde das alte Stadion zum neuen Hoffnungsträger:
"Sport ist ein Wirtschaftsfaktor, das kann man mal so stehen lassen. Insofern haben Stadien in Orten eine ganz besondere Bedeutung. Und wenn man ein Stadion hat, das den Bedingungen nicht genügt, dann versucht man das zu ändern. Das haben wir in Cottbus probiert…"
Auf das Stadion gesetzt. Und die Freundschaft. Die Völkerfreundschaft. Denn nur für die fließt Fördergeld. Aus dem EU-Interreg-Programm.
"Das ist Bürokratie in höchster Kultur, die Euro-Region hat den Startschuss, die Grundlagen, die Begründung geliefert, die Landesregierung hat uns den Rücken gestärkt mit entsprechenden Befürworten und Beglaubigern und was sonst noch alles dazu gehört, ist also der Antrag so gefeilt und geschmückt war, dass man sagen konnte, er geht zur EU. "
Schmücken und Feilen. Für die Förderung der Freundschaft. 90.0000 polnische Gäste werden pro Jahr ins umgebaute Stadion der Freundschaft kommen, bekamen die Brüsseler Beamten zu lesen. Als Freundschaftsbeweis.
"Ja, also es gibt schon ein paar, Blätter, … "
Bernd Weisse blättert. Im "Sachstandsbericht". Ein Protokoll der Freundschaft. Zwischen Erwartung. Und Ernüchterung. Links die Prognose, rechts die Realität. Weisses Finger gleitet die rechte Spalte hinunter.
"Und es sind allein im Jahr 2005 27 Fußballspiele des FC Energie, wo wir eine Größenordung von 215.000 Zuschauern haben. Davon denken wir, dass 13.500 Polen dabei sind. Das ist deutlich weniger als wir prognostiziert haben. "
Mehr als fünfmal weniger. Statt 90.000 kamen nur 16.000 Polen ins Stadion. Festival- und Sportfestbesucher mitgerechnet. Und auch das Freundschaftstreffen mit polnischen Sportlern mitgezählt. Da kamen 15 Teilnehmer. Davon fünf aus Polen.
Freitagabend. Vor dem Stadion der Freundschaft. Heimspiel für den FC Energie. Schlangen stehen vor den Kassenhäuschen der Osttribüne. Die billigste Sitzplatzkarte kostet 13, der Stehplatz neun Euro.
"Über den Sinn und Unsinn dieser Osttribüne darf man nicht streiten, weil der Fußball hier in Cottbus, der FC Energie Cottbus für die Region das einzige ist, was überregional strahlt. Was deutschlandweit die Region überhaupt ins Gespräch bringt. Und darum glaube ich schon ist das Geld damals hier sehr gut angelegt gewesen, weil man kann nicht immer alles nur in Geld rechnen, man muss auch die ideellen Dinge sehen... "
Ronny Gersch steht vor der Osttribüne. Der Sprecher des FC Energie ist zufrieden. Die Cottbusser Kicker stehen auf einem oberen Tabellenplatz in der zweiten Liga, zu den Heimspielen kommen bis zu 15.000 Zuschauer. Pro Besucher zahlt der Verein einen Obolus an die Stadt. Schließlich gehört ihr das Stadion der Freundschaft.
"Man kann sicherlich darüber sprechen, ob die Fördermittel, die man hierher gegeben hat, ob die aus Sicht der EU hier richtig eingesetzt wurden, ob das den Unterlagen entspricht, die man eingereicht hat. "
Die Unterlagen zur Völkerfreundschaft. Die Stadien der Förderung. Der Weg vom Antrag zum Auftrag.
"Da fragen wir uns ja auch, welche Bedingungen die EU in Brüssel damit ja eigentlich verknüpft hat und ob man das nicht etwas besser hätte definieren sollen im vorneherein, also eben zu sagen, es müssen im Jahr 20 deutsch-polnische Veranstaltungen sein, dann ist das okay. "
Jürgen Peter steuert seinen silbernen Van Richtung Amtsgebäude. Durch einen Park. Für den zahlt auch die EU.
"Dieser Park hier vor unserem Amtsgebäude, der wurde auch mit EU-Mitteln gefördert und zwar dieses Programm Zukunft in Stadtteil ist auch EU gestützt. "
Peters Büro liegt im ersten Stock. SGL – steht auf dem Türschild. SGL das steht für Sachgebietsleiter.
"Ja, der ursprüngliche Antrag ist da, er befindet sich hier in diesem Ordner, brauche ich bloß rausziehen und raussuchen. "
Der Antrag. In Sachen Freundschaftsstadion.
"Der Antrag wurde ja damals noch in DM-Mark ausgestellt, wir hatten damals Projektkosten angesteuert mit ... 23 Millionen 448 tausend DM. Das ganze ist ja dann umgerechnet worden. Also wir liegen bei etwas über zwölf Millionen Euro insgesamt. "
Am Ende stiegen die Kosten lediglich um 0,7 Prozent. Eine Seltenheit bei öffentlichen Bauvorhaben. Auf das Projektmanagment ist Peter daher heute noch stolz.
"Also das sind hier mal so locker 16 Ordner, die hier stehen, im Bauamt, im Hochbaubereich steht mindestens genauso viel, das sind also der so genannte allgemeine Schriftverkehr, den es gibt. "
Und dann sind da noch die Zeitungsausschnitte. Rund um das Stadion-Projekt. Dass der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe den Gegner der Stadionerweiterung drohte, ihnen die Ohren abzuschneiden, ist da nachzulesen.
"... man sieht hier an der Aufschrift auf den Ordnern, dass das Ministerium ne Rolle spielt, das das Ministerium ne Rolle spielt, die Investitionsbank ne Rolle spielen, dass die Architekten ne Rolle spielen, das es Beratungsprotokolle gibt, Fördermittelanträge. "
Und ein 60-seitiges Gesamtkonzept. "Wissenschaftlich erarbeitet", betont man im Potsdamer Wirtschaftsministerium. Dass den Förderantrag maßgeblich mitgestaltete. Gisela Mehlmann, Leiterin des Referats EU-Angelogenheiten:
"Es wurde ein Gutachten erstellt, so wie das üblich ist bei wissenschaftlichen Einrichtungen wurde also auch dieses Konzept entsprechend erstellt. "
Dass der Stadion-Bau die Wettbewerbsfähigkeit der Region stärkt, ist da zu lesen. Tourismus und Gastronomie fördert. Die oberzentrale Funktion stärkt. Die deutsch-polnischen Kontakte festigt und intensiviert. Und das im Jahr 2004 92.316 Polen ins Stadion der Freundschaft kommen werden.
"Diese Zahlen sind eigentlich mehr oder weniger hochgerechnet worden, also geschätzt worden, wir haben ja Parkplätze, wir haben ja Ordner, die die Leute kontrollieren und aufgrund dieser Befragung und der Rücksprache mit den Ordnungskräften und den Stadionverantwortlichen haben wir also eine Zahl ermittelt, die für uns realistisch erschien. "
Erklärt Peter die Schätzung der Freundschaft. Eine Fehlkalkulation. Da gibt es nichts zu beschönigen. Weiß Gisemal Mehlmann. Und daher auch nichts zu verhandeln. Mit Brüssel.
"Deshalb kann nach heutigen Kenntnisstand die Landesregierung auch nur die Position vertreten, dass der Zuwendungszweck nicht erreicht wurde und gegenwärtig auch nicht glaubhaft gemacht werden kann, dass die prognostizierten Besucherzahlen überhaupt noch erreicht werden können. "
Im Stadion der Freundschaft laufen die Cottbusser Kicker auf. Stadionsprecher Ronny Gersch lässt seinen Blick über die Osttribüne schweifen. Rund 11.000 Zuschauer sind heute hier.
"Ich wüsste gerne selbst, wie viel polnische Zuschauer hier regelmäßig zu uns kommen, bzw. zu den anderen Veranstaltungen, weil es natürlich auch für uns für die Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Zahl wäre. "
Nur leider gibt es die nicht. Wie die Zahl der 90.000 polnischen Besucher in das Konzept für Brüssel kam, kann Gersch sich nicht erklären...
"Keine Ahnung. Und da liegt vielleicht auch n Versäumnis der Verwaltung, dass man da sicherlich hätte Erhebungen hätte machen sollen, einfach um da sicher zu gehen. Ich kenne da keine solche Erhebung. Ich denke, da liegt vielleicht ein Versäumnis, das hätte man tun sollen. Und dann hätte man Brüssel, in den Punkt auch den Wind aus den Segeln nehmen können. "
Klassische Musik kommt jetzt aus den neuen Boxen. Auf der Osttribüne. Zwei Rentner, die wärmenden Sitzkissen unterm Arm, das Bier in der Hand, lauschen.
"Ich hab schon zu DDR-Zeiten Energie-Cottbus verfolgt hier, ich habe am Stadion auch mitgebaut, auf der anderen Seite. "
Die Westtribüne hat er mitgebaut. Drüben auf der anderen Seite. Damals in den 80ern.
"Ich war Oberbauleiter und mit polnischen Baubetrieben haben wir das gemacht. "
Polnische Baubetriebe unter einem Cottbusser Oberbauleiter. So entstand die erste Tribüne. Im Stadion der Freundschaft. Zu sozialistischen Zeiten. Heute ist der Oberbauleiter pensioniert. Und sitzt auf der anderen Seite.
"Ich bin hier auf der Osttribüne und die Heimspiele zu 90 Prozent bin ich dabei, … die ist super, das ist ein herrliches Bauwerk, man hat eine herrliche Übersicht, solange man noch nen Mittelplatz kriegt ist alles bestens…"
Von den polnischen Kollegen aber hat er lange keine mehr gesehen. Im Freundschafts-Stadion. Hier geben die Cottbusser den Ton an. Nur selten hört man polnische Stimmen.
"Es gibt schon Polen hier, ich denke so 100, 200, die kommen schon an, … da kommen so zwei, drei PKW zusammen, die kommen ja von der anderen Seite von Gubin. "
Ein paar hundert pro Spiel. Wenn überhaupt. Und daran können auch die Kicker aus Cottbus nichts ändern, weiß Ronny Gersch.
"Man kann nicht erwarten, dass wir hier eine Tribüne bauen. Und auf einmal sind zehntausend Polen hier. "
Auch wenn es so im EU-Förderantrag steht. Die Mittel sind verbaut. Die Ost-Tribüne steht. Das ist die Cottbusser Realität. Und irgendjemand wird für die mehr als sieben Millionen Euro, die Brüssel zurückfordert, aufkommen müssen. Gisela Mehlmann vom Wirtschaftsministerium
"Die Bearbeitung des Verwaltungsvorganges ist noch nicht abgeschlossen. So dass zum heutigen Tage diese Frage nicht beantwortet werden kann. Es gibt ja eigentlich nur zwei in dem Zusammensiel, zum einen ist das die Landesregierung. Und der Zuwendungsempfänger wird auch ins Kalkül gezogen, dass ist die Stadt Cottbus. "
Eine endgültige Entscheidung soll im neuen Jahr fallen. Bernd Weisse, der Cottbusser Dezernent, stellt aber schon jetzt klar, dass seine Stadt keinen finanziellen Spielraum habe. Ansonsten aber gibt er sich selbstkritisch.
"Wir haben natürlich einen Optimismus zu Schau getragen, der vielleicht nicht politisch ausreichend abgesichert war. Wir haben die Risiken nicht ausreichend beschrieben, die Brüssel ja zur Kenntnis nehmen muss. Und die uns heute auf die Füße fallen. "
Doch nun steht die Tribüne. Und das Land soll zahlen. Für das Stadion in Cottbus, den Preis der Freundschaft.
"Der Hintergrund sind eigentlich die Menschen. Und nicht der Zwang Brüssel etwas vorzumachen. Wir wollen es ja für unsere Region haben. Das Leben wir ja eigentlich vor. Und deswegen haben wir gar kein schlechtes Gewissen, dass wir unrechtmäßige Fördermittel verwendet haben. "