Gekochte Umwelt-Katastrophen
Vulkane aus Brot oder Klänge vom ewigen Eis - das Theater Bremerhaven hat bei seinem Festival "Odyssee. Klima" viel zu bieten. Ein Bus lädt ein zum "Klima-Parcours". Die Passagiere besuchen Offshore-Windparks, Forschertempel und Stammtischredner.
Zugegeben, der Untertitel vom "transdisziplinären Festival" beunruhigt auch ein bisschen. Was ist das denn? Und wie kommt das Klima ins Theater? Nur in klugen Vorträgen und filigranen Schaubildern? Zum Glück nicht - nach der ersten Ausgabe dieser neuen Form grenzüberschreitender Festivals, die "Odyssee. Heimat" überschrieben war und im vorigen Jahr von allen Formen der Migration erzählte, ist dem kleinen Stadttheater in Bremerhaven schon zum zweiten Mal ein Themenschwerpunkt von außerordentlicher Intensität gelungen.
Natürlich gibt’s das auch: Vorträge, Schaubilder, einen kleinen Eisberg vor dem Theater und zwei Infozelte. Drinnen aber im Theater zaubern am ersten Festivalwochenende zum Beispiel einige Drei-Sterne-Köche gekochte Umwelt-Katastrophen – sie formen Flutwellen nach (mit Gurkensuppe), gestalten Erdbeben aus wackeligem Lakritz-Pudding und formen Vulkane aus Brot. Alles selbstverständlich klimaneutral und umweltverträglich – und (was Gurkensuppe und Butter aus Heu betrifft) sogar ziemlich lecker. Der Fantasie sind in Bremerhaven für zwei Wochenenden keine Grenzen gesetzt; Klima ist ja überall.
Kern des Festivals ist der "Klima-Parcours" – mit 30 Mitreisenden begibt sich der Bus auf die Reise; und macht erste Station an der einstigen Groß-Werft der Seestadt: Schichau/Seebeck. Deutlich zeigt sich der industrielle Strukturwandel – in den riesigen Hallen lagern nicht mehr Teile für den Schiffbau, sondern Stahlröhren aus Tschechien: für den Bau von Offshore-Windparks. Das ist das Zukunftsthema des Hafens, den monströsen Bauteilen wird die Reisegruppe noch öfter begegnen.
Wo aber ist das Theater?
Zwischen den Röhren – hier stimmt ein Mitglied des Opern-Ensembles den Sirenen-Gesang von der Schlacht zwischen Göttern und Titanen an, an deren Ende der mythische Atlas angesichts des abgeschlagenen Hauptes der Gorgo zu Fels erstarrte und seither den Himmel trägt, auf dass der und die Welt nie mehr aneinandergeraten. Bilder von diesem gewaltigen Stein- und Muskel-Mann sehen übrigens oft so aus, als trüge der starke Mann nicht den Himmel, sondern die Welt selber – wenn er ermattet eines Tages, wird sie stürzen.
Von dieser Angst vor finaler Vernichtung handelt die Klima-Debatte, die ebenfalls zwischen tschechischen Röhren ein Schauspiel-Trio anstimmt – Auswege oder nicht, Chancen oder Aussichtslosigkeit; die Extreme der Debatte werden in den Texten von Nora Mansmann gesetzt. Ach ja - dass die Stahlröhren aus Tschechien stammen, taugt als Zusatzpointe; immerhin hatte Bremen, ein paar Kilometer Weser aufwärts, mal eine blühende Stahlindustrie. Jetzt nehmen die Röhren sehr lange Wege – auch das nutzt dem Klima eher nicht.
Die Welt hat schon ganz andere Katastrophen überstanden
Aber weiter – auf dem Fußweg zum nächsten "Spielort" begegnet die Gruppe einem Radfahrer, der mal eben sämtliche Argumente referiert, den der Stammtisch so vorzubringen hat im Streit ums Klima: alles kein Problem, sagt er, die Welt hat schon ganz andere Katastrophen überstanden. Wenige Meter weiter berechnet dann zum Glück (und zum erfrischenden Eistee) ein Mitarbeiter des örtlichen Alfred-Wegener-Instituts (der weltweit wichtigsten Adresse in der Meeres-, Polar- und Klimaforschung; Sitz: Bremerhaven!), was sich klimatisch tatsächlich abspielt seit Millionen von Jahren. Die Menschenwelt macht auf dem Zeitpfeil der Erdgeschichten etwa zwei Sekunden aus.
Das Eis hören
Im Bremerhavener Eiswerk sehen und hören wir das Eis, das die Wegener-Leute in der Antarktis als Klima-Archiv der Erde erforschen – eine Klang-Collage. Und Atlas selbst (eine Schauspielerin) erzählt von der untragbaren Last auf den Schultern – bald wird sie sie nicht mehr halten können.
Per Ausflugsdampfer geht’s zum Tauchbecken der Sicherheitsstrategien von Falck – hier sehen wir ein kleines Rettungs-U-Boot und Taucher im Einsatz. Sie retten eine Tänzerin mit Fischschwanz – aber zu spät. Der Rest ist Seebestattung ... Letzte Station ist ein Hangar vom Regionalflughafen – und eine Choreographie zu apokalyptischem Text. Auf der Rückfahrt zum Theater passiert der Bus noch einmal unendliche Mengen der kolossalen Offshore-Bauteile: Titanen auch sie.
Titanen, Götter, dazwischen Menschen wie wir – die freundliche Robot-Reiseführerin "Dolly", die uns begleitet, lässt ahnen, wie fremdbestimmt wir uns bewegen im Drama des Klimawandels. Diese "Odyssee: Klima" ist nichts weniger als ein Ereignis – und die nächste ist schon gebucht: die "Odyssee: Erinnern"; Ende der nächsten Saison. In Bremerhaven.
Stadttheater Bremerhaven: "Odyssee: Klima"
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Natürlich gibt’s das auch: Vorträge, Schaubilder, einen kleinen Eisberg vor dem Theater und zwei Infozelte. Drinnen aber im Theater zaubern am ersten Festivalwochenende zum Beispiel einige Drei-Sterne-Köche gekochte Umwelt-Katastrophen – sie formen Flutwellen nach (mit Gurkensuppe), gestalten Erdbeben aus wackeligem Lakritz-Pudding und formen Vulkane aus Brot. Alles selbstverständlich klimaneutral und umweltverträglich – und (was Gurkensuppe und Butter aus Heu betrifft) sogar ziemlich lecker. Der Fantasie sind in Bremerhaven für zwei Wochenenden keine Grenzen gesetzt; Klima ist ja überall.
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Wo aber ist das Theater?
Zwischen den Röhren – hier stimmt ein Mitglied des Opern-Ensembles den Sirenen-Gesang von der Schlacht zwischen Göttern und Titanen an, an deren Ende der mythische Atlas angesichts des abgeschlagenen Hauptes der Gorgo zu Fels erstarrte und seither den Himmel trägt, auf dass der und die Welt nie mehr aneinandergeraten. Bilder von diesem gewaltigen Stein- und Muskel-Mann sehen übrigens oft so aus, als trüge der starke Mann nicht den Himmel, sondern die Welt selber – wenn er ermattet eines Tages, wird sie stürzen.
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Aber weiter – auf dem Fußweg zum nächsten "Spielort" begegnet die Gruppe einem Radfahrer, der mal eben sämtliche Argumente referiert, den der Stammtisch so vorzubringen hat im Streit ums Klima: alles kein Problem, sagt er, die Welt hat schon ganz andere Katastrophen überstanden. Wenige Meter weiter berechnet dann zum Glück (und zum erfrischenden Eistee) ein Mitarbeiter des örtlichen Alfred-Wegener-Instituts (der weltweit wichtigsten Adresse in der Meeres-, Polar- und Klimaforschung; Sitz: Bremerhaven!), was sich klimatisch tatsächlich abspielt seit Millionen von Jahren. Die Menschenwelt macht auf dem Zeitpfeil der Erdgeschichten etwa zwei Sekunden aus.
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Im Bremerhavener Eiswerk sehen und hören wir das Eis, das die Wegener-Leute in der Antarktis als Klima-Archiv der Erde erforschen – eine Klang-Collage. Und Atlas selbst (eine Schauspielerin) erzählt von der untragbaren Last auf den Schultern – bald wird sie sie nicht mehr halten können.
Per Ausflugsdampfer geht’s zum Tauchbecken der Sicherheitsstrategien von Falck – hier sehen wir ein kleines Rettungs-U-Boot und Taucher im Einsatz. Sie retten eine Tänzerin mit Fischschwanz – aber zu spät. Der Rest ist Seebestattung ... Letzte Station ist ein Hangar vom Regionalflughafen – und eine Choreographie zu apokalyptischem Text. Auf der Rückfahrt zum Theater passiert der Bus noch einmal unendliche Mengen der kolossalen Offshore-Bauteile: Titanen auch sie.
Titanen, Götter, dazwischen Menschen wie wir – die freundliche Robot-Reiseführerin "Dolly", die uns begleitet, lässt ahnen, wie fremdbestimmt wir uns bewegen im Drama des Klimawandels. Diese "Odyssee: Klima" ist nichts weniger als ein Ereignis – und die nächste ist schon gebucht: die "Odyssee: Erinnern"; Ende der nächsten Saison. In Bremerhaven.
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