Gekaufte Doktortitel

25.08.2009
Der Kultusminister von Sachsen-Anhalt, Jan-Hendrik Olbertz (parteilos), hat sich betroffen über den Skandal um angeblich erkaufte Doktortitel gezeigt. Nötig seien Präzedenzfälle, um aufzuzeigen, dass ein solches Geschäft schlicht unredlich sei. Die akademische Welt müsse sich wehren, sagte Olbertz.
Ulrike Timm: Böse Doktorspiele machen Schlagzeilen: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen rund 100 Uniprofessoren wegen des Verdachts, Doktoranden gegen Geld angenommen zu haben. Ein Institut für Wissenschaftsberatung soll den Hochschullehrern Schmiergelder gezahlt haben dafür, dass sie eigentlich ungeeigneten Kandidaten den Weg zu einer dekorativen Promotion doch sehr erleichtert haben. Eine rechtskräftige Verurteilung eines Professors, die gibt es bereits.

Fragt man sich doch angesichts des Doktorbetrugs: Was ist denn eine Promotion noch wert, wenn man sie kaufen kann, statt viel Zeit und Hirn darauf aufwenden zu müssen? Am Telefon ist Jan-Hendrik Olbertz, parteiloser Kultusminister von Sachsen-Anhalt, und seine akademischen Titel als Erziehungswissenschaftler, die hat er in langjähriger Arbeit an der Universität erworben – muss man ja heute Morgen dazusagen. Herr Olbertz, ich grüße Sie!

Jan-Hendrik Olbertz: Ich grüße Sie auch, Frau Timm!

Timm: Es könnten rund zwei Prozent aller Promotionen betroffen sein, und selbst wenn vieles noch nicht geklärt ist – da liegt deutlich mehr als Rumoren in der Luft. Wie groß ist denn der Ansehensverlust der Universitäten jetzt schon?

Olbertz: Der wäre schon erheblich, wenn sich diese Annahme bestätigt, was ich im Moment noch gar nicht recht glauben will. Aber es ist natürlich eine beträchtliche Schädigung der Reputation der akademischen Welt, wenn wir hören, dass akademische Würden nicht mehr vergeben werden gegen eine wissenschaftliche Leistung, die selbstständig erbracht worden ist, sondern womöglich gegen Geld. Also, das wäre eine Geschichte, die uns allergrößte Sorgen machen müsste, abgesehen davon, dass die auf diese Weise erworbenen Titel keinen Wert haben, im Übrigen die redlich erworbenen allerdings mit herunterziehen. Mich beunruhigt diese Geschichte schon, muss ich sagen, und ich bin sehr dafür, dass die lückenlos aufgeklärt wird.

Timm: Nun kommt natürlich schnell der Ruf an die Politik, die muss da handeln, die muss die Aufsichtspflicht wahrnehmen. Zugleich ist ein deutscher Professor sehr autonom. Was kann die Politik denn leisten?

Olbertz: Das muss er auch sein, das ist ein hohes Gut, diese Autonomie, die im Übrigen ja auch in der Verfassung, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert ist, übrigens auf die Paulskirchenverfassung von 1848 zurückgeht, dieser wirklich wichtige Grundsatz der akademischen Freiheit. Das heißt aber nicht, Entlastung und Freiheit von Verantwortung, sondern eigentlich Freiheit zu Verantwortung, und insofern kann die Politik durchaus über das Appellieren und Mahnen hinaus zum Beispiel über gesetzliche Regelungen in den Hochschulgesetzen bestimmte Kontrollmechanismen einbauen.

Ich habe noch mal nachgeguckt: In meinem Bundesland, in Sachsen-Anhalt, gibt es einen Paragraphen im Hochschulgesetz, der auch den Entzug eines akademischen Titels ermöglicht, wenn der Nachweis im Raume steht, dass dieser Titel auf unredliche Weise erworben worden ist. Und wir brauchen dann auch wirklich mal Präzedenzfälle, wo dies Praxis wird, wenn man nachweisen kann, dass der Titel gekauft oder auf irgendeine andere unredliche Weise zustande gekommen ist. Da brauchen wir auch wirklich mal ein Exempel, um aufzuzeigen, dass dies schlicht unzulässig ist und dass sich die akademische Welt dann auch wehren muss.

Timm: Nun gilt es ja schon als löblich, dass Nordrhein-Westfalen als einziges Bundesland in seinem Hochschulgesetz eine Selbstverständlichkeit vermerkt hat, nämlich, Zitat: "Akademische Grade dürfen nicht gegen Entgelt vermittelt werden". Ja, sollen die anderen Bundesländer da nachziehen? Papier ist geduldig.

Olbertz: Na ja, ich kenne diese Passage, ich bin mir allerdings selber nicht ganz sicher, wie die in der Praxis wirken soll dort, wo es diese Grauzonen gibt. Eine Vermittlungsleistung hin zu einem seriösen Professor, der sich der Betreuung einer Arbeit annimmt, müsste an sich ja noch erlaubt sein. Die Grauzone beginnt dort, wo es über die Vermittlung, also die Herstellung von Kontakten und die Leistung einer Beratung hinausgeht und zum Beispiel Autorenschaften illegitim übernommen werden. Dort ist ja genau die Schwelle, über die dann gegangen wird. Das ist übrigens auch eine Sorge, die ich habe, dass genau dieser Umstand die Ermittlung jetzt, auch die staatsanwaltliche, so schwierig macht. Was ist Grauzone, wo man lange streiten kann? Was ist in meinen Augen absolut verboten und sitten- und regelwidrig und was ist das Herstellen von Netzwerken und Kontakten, die ja notwendig sind, die man sich sogar wünscht zwischen Universität und der außeruniversitären Welt?

Also, ich finde es einfach viel wichtiger, dass man wirklich über die Fakultäten in den Promotionsordnungen auch Selbstbindungen formuliert, die tatsächlich ethischer Natur sind. Eine solche Selbstbindung, kann man zwar philosophieren, sei nicht verbindlich genug und so weiter, aber sie hält das Bewusstsein dafür hoch, dass wir höchste akademische Würden verleihen – und nicht ohne Grund reden wir von Würde. Und wer die verletzt, finde ich, muss dann auch von der Inanspruchnahme akademischer Titel ausgeschlossen sein.

Timm: Aber das ganze System scheint ja doch ziemlich unterminiert zu sein. Der Deutsche Hochschulverband hat immer mal wieder pflichtschuldigst auf das Übel der Doktorfabriken, der inflationären Doktorarbeiten hingewiesen, aber das Echo war gering. Ulrike Beisiegel vom Wissenschaftsrat und selber Hochschulprofessorin, die hat der Skandal gar nicht so sehr überrascht und sie hat uns gestern Folgendes gesagt:

"Ich denke es ist möglich deswegen weil erstens sowohl die Professoren als auch die Studierenden beziehungsweise jungen Nachwuchswissenschaftler unter extremem Zeitdruck stehen und es wird immer mehr die Wissenschaft zur Ware, das heißt, wir beobachten eine ganz starke Ökonomisierung der Akademie. Und beides sind sicher Punkte, die dazu verführen, dann unredliche Dinge zu tun. Und dazu gehört sicher das, was wir hier beobachten."

Timm: Ulrike Beisiegel, die Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission beim Wissenschaftsrat. Was meinen Sie, Herr Olbertz, hat sie recht?

Olbertz: Na ja, sie hat schon recht, ich bin mir nur nicht sicher, in welchen Relationen dieses Problem auftritt. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass ganz gewiss die allerallergrößte Mehrzahl der in Deutschland erfolgreich absolvierten Promotionsverfahren auf einer redlichen Grundlage verlaufen ist. Wir reden jetzt hier von schwarzen Schafen. Das will ich gar nicht runterspielen, ganz im Gegenteil, ich möchte nur den Fokus nicht so verallgemeinern, dass am Ende hinter jedem Doktortitel, den ein junger Nachwuchswissenschaftler oder eine -wissenschaftlerin erwirbt, gleich die Frage steht: Hast du den auch wirklich redlich und fair und sittsam erworben?

Ich finde es sehr wichtig, dass auch bei der Nachwuchsausbildung und -sozialisation, um es mal so zu formulieren, so etwas wie ein Ehrbegriff mit aufgeworfen und erörtert wird, denn wir müssen diese Aufmerksamkeit, diese Wachheit der akademischen Öffentlichkeit, die müssen wir wirklich erzeugen, dass man auch Skrupel weiterhin hat, wenn man mit solchen Geschichten konfrontiert ist und solchen Versuchungen auch selbst nicht erliegt, denn am Ende, sage ich Ihnen, wird die Politik nicht so viel richten können. Es ist eine Frage der Selbstkontrolle und der Sensibilität und natürlich des Aufstellens von Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, da sind die Fachgesellschaften, die Fakultätentage, die akademischen Senate, die Hochschulen gefragt, und von denen erwarte ich das. Und das ist durchaus eine ernstzunehmende Erwartung aus der Politik.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton im Gespräch mit Jan-Hendrik Olbertz, dem Kultusminister von Sachsen-Anhalt. Herr Olbertz, mit diesem O-Ton von Frau Beisiegel möchte ich aber noch auf einen anderen Aspekt kommen, denn mit dem Vorwurf der Kommerzialisierung der Wissenschaft wird der Ball ja in gewisser Weise schon an die Politik zurückgespielt. Die sieht ja inzwischen die Anzahl der Dissertationen an einer Universität als Leistungskriterium. Klar, schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" heute, dass inzwischen die Hochschulen manchmal mehr Graduiertenbeförderung betreiben, als es brauchbare Kandidaten gibt. Da hängen ja auch Fördergelder dran. Und mit dem Moment, wo da Geld dranhängt, ist es ja auch wieder eine Sache der Politik, wenn sie Masse statt Klasse fördert.

Olbertz: Da haben Sie vollkommen recht, da würde ich Ihnen nie widersprechen. Wenn wir solche quantitativen Kriterien weit über die qualitativen stellen, dann können wir uns nicht wundern, dass es so Fertigungshallen für Promotionsverfahren gibt. Das hat übrigens noch weitere Folgen, die tief in die wissenschaftliche Praxis hinein gehen, das geht ja schon los dort, wo ich ein Thema aussuche nach Maßgabe seiner Dissertabilität, also der Frage, ob es sich für eine Promotion eignet, nicht mehr, ob es eine wichtige Erkundung, eine wichtige Erkenntnisfrage, ein wichtiges, wissenschaftliches Problem ist, sondern ob es taugt, daran zu promovieren. Da geht es ja schon los. Dasselbe galt früher für die Habilitation, in einem weiten Umfang das Thema auszusuchen, ob es sich zurechtbiegen lässt für den Zweck. Das hat schon mit Wissenschaft nur noch begrenzt zu tun.

Timm: Aber auch mit Geld, wenn die Fördergelder daran hängen, wie viele Dissertationen die Unis produzieren, dann ist die Politik ja letztlich doch wieder gefordert.

Olbertz: Natürlich. Ja, ich kann Ihnen nicht widersprechen. Diese Kommerzialisierung freier und unabhängiger Wissenschaft kann ganz schnell paradox werden. Andererseits wissen wir, dass die Modernisierung auch damit einhergeht, dass es einen Wissenschaftsmarkt gibt, einen Markt für Wissenschaftler selbstverständlich auch, dass die Verwertungsinteressen an wissenschaftlichen Leistungen enorm zugenommen haben, was ja auch erklärlich ist, denn Wissenschaft ist teuer. Aber wir wissen eben auch, dass es einen Titelzauber gibt, bei dem es um mehr oder weniger peinliche Geltungsränge geht und um Eitelkeit, und ich finde, davon muss das Wissenschaftssystem sich ganz klar abgrenzen.

Timm: Es gibt rund 25.000 Doktortitel in jedem Jahr und die meisten, sagten Sie eben selber sinngemäß, dienen als Karriereturbo. Sind die Deutschen vielleicht einfach ein allzu titelsüchtiges Volk?

Olbertz: Ich weiß es nicht. Darüber könnte man allerdings eine sehr interessante Philosophie aufstellen, das würde mir fast Spaß machen. Wir haben keine Monarchie mehr, es gibt keine Adelstitel mehr, vor allem auch keine mehr, die man noch vererben könnte. Möglicherweise ist es auch ein bürgerlicher Wunsch, sich hervorzuheben und ein, wie soll man sagen, also, sich ein bisschen zu schmücken und zu illuminieren. Ich kenne Leute, die verlieren den Verstand, wenn ein Professorentitel winkt, und dann wird eben auch, ich sage mal, die Schwelle stark heruntergesetzt der Rechtfertigung, der Art und Weise, in der man in den Genuss eines solchen Titels kommt. Und wenn dann noch Geld umgekehrt eine Rolle spielt, weil ein niedergelassener Arzt mit Doktortitel schlicht mehr Geld verdient, dann können Sie daraus ersehen, wie subtil die Einschränkungen dieses wichtigen Prinzips der Wissenschaftsfreiheit in unserer modernen Welt schon geworden sind.

Timm: Wir können auch mal ganz schlicht in den Wahlkampf schauen, Dr. Angela Merkel, Dr. Frank-Walter Steinmeier, Dr. Guido Westerwelle, Dr. Gregor Gysi. Bloß Jürgen Trittin ist nur Jürgen Trittin.

Olbertz: Ja, das ist merkwürdig, das spricht jetzt fast nur noch für ihn. Aber das ist, glaube ich, ein bisschen unfair, denn ich glaube, alle diese Kollegen aus der Politik haben ihre Doktortitel sehr redlich in einem wissenschaftlichen Prüfungsverfahren erworben. Da wäre ich jetzt vorsichtig, dass am Ende nur noch diejenigen die wirklich Guten und Vorbildlichen sind, die keinen Doktortitel führen.

Timm: Wollte ich auch nicht sagen, aber nicht jeder Doktor landet, wie wir merken, an der Universität und das Thema wird uns noch lange erhalten bleiben.

Olbertz: Ja, das fürchte ich auch.

Timm: Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister von Sachsen-Anhalt, im Gespräch mit dem Radiofeuilleton von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!

Olbertz: Ich danke Ihnen auch. Einen schönen Tag noch!