Geistiges Feuerwerk

Von Peter B. Schumann |
Mit einem Lob des Romans hat der Autor Carlos Fuentes das 5. Internationale Literaturfestival in Berlin eröffnet. Neben dem Mexikaner präsentieren auf dem Mammut-Fest 150 Schriftsteller aktuelle Prosa und Lyrik aus aller Welt.
Carlos Fuentes: "Fiktion ist eine Methode der Aneignung der Welt, indem sie der Welt die Farbe, den Geschmack, die Empfindung, die Träume, die durchwachten Nächte, die Beharrlichkeit und sogar die träge Ruhe gibt, die sie verlangt, um im Sein fortzufahren. Dringe in dein eigenes Selbst ein und entdecke die Welt, das sagt uns der Romancier. Aber er sagt auch, gehe hinaus in die Welt und entdecke dich selbst. In den dunklen Stunden, die dem Zweiten Weltkrieg vorausgingen, überquerte Thomas Mann den Atlantik mit Don Quixote als der sichersten Rettungsleine zu einem Europa im Todeskampf. "

Mit einem Lob des Romans begann das 5. Internationale Literaturfestival in Berlin. Oder besser gesagt mit einem geistigen Feuerwerk. Erstmals eröffnete ein Lateinamerikaner das Ereignis und kein Geringerer als Carlos Fuentes, einer der brillantesten Intellektuellen der beiden Amerikas. Natürlich ist für ihn Don Quixote, das vor 400 Jahren erschienene Meisterwerk von Miguel de Cervantes, der Urpfeiler des modernen Romans. Aber er vermag ihn mit Goethe, William Faulkner, Franz Kafka und Thomas Mann zu verbinden und sich damit zugleich in die – wie er sagt – "unausgegorenen Vorstellungen vom Ende der Geschichte und dem Zusammenbruch der Kulturen" einzumischen.

Fuentes: "Wenn ich den vollbrachten Leistungen, aber vor allem den Zielsetzungen und den Möglichkeiten meiner eigenen Kultur getreu bin, kann ich nicht gelten lassen, dass wir in einem Zusammenstoß der Kulturen leben, weil all diejenigen, die ich heraufbeschworen habe, die meinigen sind und nicht zusammenstoßen, sondern reden, miteinander sprechen, disputieren, um zu verstehen ... und um den Versammlungsort von ihnen allen zu feiern, den Ort des Sprechens und Denkens und des Gedächtnisses und der Einbildungskraft, den jeder von uns mit sich trägt und der uns bittet, an einem Dialog der Zivilisationen teilzuhaben und das Ende der Geschichte abzustreiten. Denn wie kann Geschichte enden, solange wir nicht unser letztes Wort gesprochen haben?"

Es war ein Auftakt für dieses Literatur-Festival, das innerhalb weniger Jahre eines der größten der Welt geworden ist: mit 149 Autoren aus 46 Ländern, die in 42 Sprachen lesen werden – ein Mammut-Fest, das 30.000 Besucher erwartet. Es ist eigentlich viel zu groß. Jana Thiele, die Programm-Verantwortliche:

"Das könnte man meinen, vor allem für die wenigen Organisatoren. Aber es ist schwierig zurückzugehen, wenn man einmal auf einem bestimmten Level angekommen ist. Es ist vielleicht ein bisschen unübersichtlich für die Zuschauer, aber das Spannende ist, dass es einen neuen zentralen Ort gibt in diesem Jahr: das Haus der Berliner Festspiele. "

Ein gelungener Ortswechsel von der neuen Mitte in den alten Westen, weg von überhitzten, muffigen Sälen in das grüne Umfeld der ehemaligen Freien Volksbühne und nunmehr eingebunden in den offiziellen Festspiel-Reigen Berlins. Was für Vorteile bringt die neue Konstruktion? Ulrich Schreiber, der Initiator und Leiter der Literatur-Aktion:

"Zunächst mal einen Gewinn an inhaltlicher Kompetenz durch die Kompetenz von Herrn Sartorius. Zweitens ein Gewinn an Kommunikation, weil die Festspiele uns ganz erheblich helfen, das Festival bekannt zu machen. Drittens auch das Gefühl, etwas mehr zu Hause zu sein als an den anderen Orten. Das ist ja hier langfristig angelegt die Kooperation und ich fühl mich hier sehr wohl. "

Finanziell bedeutet die neue Einbindung noch keinen Gewinn für das ständig unterfinanzierte Festival. Das muss sich jedoch in Zukunft dringend ändern, wenn sich die Stadt schon mit diesem literarischen Riesenereignis auf Dauer schmücken will. Es ist ja kein Poetentreffen, wenn auch die Poesie eine zentrale Rolle spielt, und auch kein Vorlesemarathon, sondern ein Ort vielfältiger literarischer Kommunikation – und politischer Auseinandersetzung.

Jana Thiele: "Wir haben eine Reihe kreiert, die heißt "Reflections", die wird sich in diesem Jahr fokussieren auf das "System Putin". Es werden sehr viele russische Politiker, Historiker, Politologen dabei sein. Andererseits gibt es sehr viele Gespräche mit Autoren aus anderen Sparten. Ko Un wird Stellung nehmen zur Situation in seinem Land. Er bemüht sich sehr um die Annäherung zwischen Nord- und Südkorea. Wir haben auch ein Gespräch angesetzt über Strategien der Versöhnung mit Mia Couto, dem mosambikanischen Romancier, und Arturo Fontaine, einem chilenischen Autor. "

Neben der Kinder- und Jugendliteratur, kurzen und längen Nächten der Poesie, Lesungen in Gefängnissen, Krankenhäusern und Schulen richtet das Festival sein besonderes Augenmerk diesmal auf Kalifornien.

Jana Thiele: " Wir haben durch Besuche und Recherchen erfahren, dass es an der Westküste der USA eine sehr lebendige Szene gibt, sowohl von alteingesessenen Beat-Poeten wie von neuerer Literatur, z.B. von jungen Leuten, die in der zweiten Generation Immigranten sind. Es gibt sehr viele unbekannte Leute. Nur ein einziger dieser kalifornischen Autoren ist bisher ins Deutsche übersetzt. "

Die Mehrzahl der Texte und der Autoren, die hier zwölf Tage lang vorgestellt werden, ist in Deutschland unbekannt. Oder man kennt sie nur als Dissidenten, obwohl sie große Poeten sind wie beispielsweise der Kubaner Raúl Rivero. In Berlin hat es begonnen: das Fest der literarischen Entdeckungen.