Geistige Standortbestimmung
Dass er ein moderner Klassiker ist, konnte dem deutschen Leser bisher kaum bewusst werden: Andrej Bitows grandioser Roman "Das Puschkinhaus" ist - vergleichbar mit Günter Grass` Roman "Die Blechtrommel" - so etwas wie der Ursprung eines enormen literarischen Renomees. Alles andere (dieses Autors) sind gleichsam Fußnoten, Ergänzungen zu einem Werk, das in wesentlicher Weise eine Epoche eingefangen hat.
Insofern war es höchste Zeit, das Hauptwerk eines Autors zu präsentieren, der wie kein anderer in der russisch-sowjetischen Literatur einen Befreiungsschlag zur Moderne hin unternommen hat.
Die Geschichte eines Leningrader Literaturwissenschaftlers, dessen Erwachsenwerden in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts beschrieben wird, ist natürlich zunächst ein unattraktiver Stoff. Aber Bitow versteht es, so etwas wie eine (politisch unterlegte) Geistesgeschichte in diesen Entwicklungsroman einzuschreiben. Es ist die Geschichte seiner Generation: ein Moment, in dem alle kommunistische Ideologie, Literaturtheorie und gesellschaftliche Prophetie ihre Legitimation verloren hatten. Ein Moment auch, in dem die Frage im Raum stand, wie eine Literatur beschaffen sein müsste, die sich von politischen Vorgaben und ästhetischen Gängelungen frei machen könnte.
Bitows Antwort fiel radikal aus (und konnte folglich lange Zeit nicht veröffentlicht werden). Weg von allen Vorgaben, weg von allen Rücksichten, hin zu einem Schreiben, das sich einzig nach den Maßgaben der Literatur richtet. Und so sucht dieser Roman eine Art Klima einzufangen und wird zu einer geistigen Standortbestimmung, die politisch-historisch zwischen dem Tod Stalins (1953) und den späten 70er Jahren frei schwebend pendelt.
Ästhetisch orientient sich dieses Schreiben an James Joyce und Franz Kafka, vor allem aber an Puschkin (und vielen anderen Klassikern der russischen Literatur). In welchem Sinn? Vor allem in dem Sinn, dass es um die Freiheit des Denkens geht. Um die praktisch grenzenlose Interpretationsmöglichkeit, die ein jeweiliges Geschehen - und das kann auch ein literarisches Geschehen sein - bereithält.
Bitow erzählt scheinbar nur die banale Lebens- und Liebesgeschichte seines Helden - Ljowa Odojewzew -, aber zugleich blendet er die großen Fragen ein: Wozu sind wir in der Welt? Gibt es eine Bestimmung? Wie könnte die formuliert werden? Dass die Antworten aphoristisch-ironisch ausfallen, ist natürlich ein wichtiger Bestandteil dieses Romans.
Bitows Text verweigert sich einem linearen Erzählen. Sein Wesen ist der Zwischenraum, die Episode, all das, was ein Klima, eine Atmosphäre ausmacht. Und natürlich die undogmatische Freiheit, mit den Tatsachen und der Literatur nach freiem - aber kundigem - Belieben umzugehen.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Andrej Bitow: Das Puschkinhaus
Aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Rosemarie Tietze.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 590 Seiten, 29,80 Euro
Die Geschichte eines Leningrader Literaturwissenschaftlers, dessen Erwachsenwerden in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts beschrieben wird, ist natürlich zunächst ein unattraktiver Stoff. Aber Bitow versteht es, so etwas wie eine (politisch unterlegte) Geistesgeschichte in diesen Entwicklungsroman einzuschreiben. Es ist die Geschichte seiner Generation: ein Moment, in dem alle kommunistische Ideologie, Literaturtheorie und gesellschaftliche Prophetie ihre Legitimation verloren hatten. Ein Moment auch, in dem die Frage im Raum stand, wie eine Literatur beschaffen sein müsste, die sich von politischen Vorgaben und ästhetischen Gängelungen frei machen könnte.
Bitows Antwort fiel radikal aus (und konnte folglich lange Zeit nicht veröffentlicht werden). Weg von allen Vorgaben, weg von allen Rücksichten, hin zu einem Schreiben, das sich einzig nach den Maßgaben der Literatur richtet. Und so sucht dieser Roman eine Art Klima einzufangen und wird zu einer geistigen Standortbestimmung, die politisch-historisch zwischen dem Tod Stalins (1953) und den späten 70er Jahren frei schwebend pendelt.
Ästhetisch orientient sich dieses Schreiben an James Joyce und Franz Kafka, vor allem aber an Puschkin (und vielen anderen Klassikern der russischen Literatur). In welchem Sinn? Vor allem in dem Sinn, dass es um die Freiheit des Denkens geht. Um die praktisch grenzenlose Interpretationsmöglichkeit, die ein jeweiliges Geschehen - und das kann auch ein literarisches Geschehen sein - bereithält.
Bitow erzählt scheinbar nur die banale Lebens- und Liebesgeschichte seines Helden - Ljowa Odojewzew -, aber zugleich blendet er die großen Fragen ein: Wozu sind wir in der Welt? Gibt es eine Bestimmung? Wie könnte die formuliert werden? Dass die Antworten aphoristisch-ironisch ausfallen, ist natürlich ein wichtiger Bestandteil dieses Romans.
Bitows Text verweigert sich einem linearen Erzählen. Sein Wesen ist der Zwischenraum, die Episode, all das, was ein Klima, eine Atmosphäre ausmacht. Und natürlich die undogmatische Freiheit, mit den Tatsachen und der Literatur nach freiem - aber kundigem - Belieben umzugehen.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Andrej Bitow: Das Puschkinhaus
Aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Rosemarie Tietze.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 590 Seiten, 29,80 Euro