"Geisteswissenschaften werden geschwächt"

Moderation: Liane von Billerbeck |
Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken erwartet infolge der Exzellenzinitiative tief greifende Veränderungen in den Geisteswissenschaften. Allein an ihrer Hochschule, der Ludwig-Maximilian-Universität in München, an der Physik, Nanophysik und Chemie als Cluster gefördert werden, sei mit einem Abbau von rund 400 Stellen zu rechnen.
Billerbeck: Am Telefon ist jetzt die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken. Sie ist Romanistin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Guten Tag!

Barbara Vinken: Guten Morgen!

Billerbeck: Gratulation erst mal! Ihre, die LMU, ist Eliteuniversität und hat nun auch noch drei geförderte Cluster, allerdings in Physik, Nanophysik und Chemie. Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf die Geisteswissenschaften?

Vinken: Zuerst mal wird diese Exzellenzinitiative dazu führen, dass es zu einer Umstrukturierung innerhalb einer Universität kommt. Es ist so, dass das Geld zuerst vom Bund zugeschossen wird, und dass aber dann die Universitäten und die Länder diese Last, wenn Sie so wollen, der Exzellenz übernehmen werden. Das heißt, dass es zum Stellenumbau kommen wird und dass zum Beispiel in München ungefähr 400 Stellen in diese Bereiche, die Sie eben genannt haben, Physik, Nanophysik und Chemie, gehen werden. Diese Stellen müssen irgendwo herkommen. Wenn man Glück hat, übernimmt das Land einen gewissen Teil. Die anderen müssen dann aus den anderen Fakultäten herausgeschnitten werden. Das heißt, zunächst mal führt diese Initiative zu einer langfristigen Umstrukturierung innerhalb der Unis. Wenn die, wie die Geisteswissenschaften in München, jetzt kein Cluster gekriegt haben, dann heißt das, dass das vermutlich zu einer Schwächung dieser Bereiche führen wird und zu einer Verstärkung, der in dem Fall, der Naturwissenschaften oder im Normalfall der Naturwissenschaften. Jetzt können wir in München hoffen, dass das durch die dritte Förderlinie irgendwie aufgefangen wird, weil das eine Volluniversität ist. Das wird auch immer wieder betont. Sodass man in München hoffen kann, dass da irgendwas mit dieser dritten Förderlinie passiert, wo aber in Universitäten, die zum Beispiel ein Exzellenzcluster für die Naturwissenschaften bekommen haben, aber in den Geisteswissenschaften nichts, und die dann auch nicht Eliteuniversität sind, da gibt es noch nicht einmal diese Möglichkeit oder dieses Denken eines Ausgleiches. Das hat vor allen Dingen eine tief greifende Umstrukturierung der Unilandschaft zur Folge.

Billerbeck: Sie haben es geschrieben, dass da die Geisteswissenschaften zwangsläufig geschwächt werden. Haben Sie denn schon mal als Literaturwissenschaftlerin überlegt, von Bayern an die Berliner FU zu wechseln? Ich sage das gar nicht polemisch. Denn ausgehend von Ihrer Promotion über gefährliche Liebschaften würden Sie doch prima in das dortige emotionswissenschaftliche Cluster passen über Sprache, Gefühle und Leidenschaften.

Vinken: Sie haben natürlich völlig Recht. Die Arbeitsbedingungen für Geisteswissenschaftler, das heißt die Stellen, die sie bekommen werden, die Forschungsmittel, die sie bekommen werden, oder auch die Freistellung für Forschung, das wird an den Universitäten, wo es diese Cluster gibt, also in Berlin auf jeden Fall, sicherlich besser sein, als das an Universitäten ist, wo man diese Cluster nicht bekommen hat. Das ist ganz klar. Ich selbst bin aber erst kurz in München und werde erst einmal gucken.

Billerbeck: Eines der an der FU Berlin geförderten Graduiertenkollegs befasst sich mit muslimischen Kulturen und ihrer Rolle in den modernen Gesellschaften und an der nun ebenfalls Elite-Uni Konstanz, da gab es schon in der ersten Runde den Forschungsverbund "Kulturelle Grundlagen der Integration". Müssen wir also aus solchen Themen schließen, je tagesaktueller die Geisteswissenschaften ihre Forschung ausrichten, desto leichter ist es, gefördert zu werden?

Vinken: Ja, daran kann, glaube ich, jetzt nach dieser Auswahl kein Zweifel bestehen. Die Cluster, die privilegiert worden sind, sind die Cluster, die jedenfalls, sagen wir es vorsichtig, zumindest einen tagespolitischen Anschluss haben. Auf jeden Fall, ja.

Billerbeck: Annette Schavan, Bundesforschungsministerin, hat einmal auf einer Tagung der Zeit-Stiftung gesagt, zehn Physiker würden sich auf gemeinsames Arbeiten schneller einigen als zehn Geisteswissenschaftler. Warum tun sich Geisteswissenschaftler doch eher schwer, sich so zu Haufen zusammenzuballen und ein Cluster zu bilden?

Vinken: Man kann sagen, dass die Struktur der Antragstellung, was die Exzellenzcluster angeht, was aber auch andere Formate der DFG, wie zum Beispiel die SFBs, angeht …

Billerbeck: Was heißt die Abkürzung?

Vinken: … Sonderforschungsbereiche … dass es im Prinzip auf einem Modell des naturwissenschaftlichen Forschens aufruht, das heißt, dass die Norm die des naturwissenschaftlichen Forschens ist, die sehr viel stärker abhängig sind von Zusammenarbeit. Das ist eine sehr viel kleinteiligere Forschung. Während die Geisteswissenschaften immer das große Ganze, wenn Sie so wollen, im Kopf haben und eigentlich auf ein Buch, auf eine Monografie abzielen. Während die Naturwissenschaften auch viel stärker Experimente, die langzeitig sind, die aber natürlich nur von einer Gruppe durchgeführt werden kann, brauchen. Insofern gab es von vornherein eine ganz verschiedene Ausgangslage, die die Naturwissenschaften in sich privilegiert hat. Was die Naturwissenschaften aber noch privilegiert, sind die Gutachter.

Billerbeck: ...die bei den Geisteswissenschaften vielleicht die eigenen Kollegen härter drangenommen haben?

Vinken: Ja, das ist auch auf jeden Fall gar keine Frage. Das liegt aber nicht daran, dass die Geisteswissenschaftler sadistischer sind oder so etwas, sondern das liegt daran, dass die Naturwissenschaftler eine Expertenkultur haben und die Geisteswissenschaftler nicht. Das heißt, der oder die geisteswissenschaftliche Gutachterin oder Gutachter muss sich erst mal positionieren zu diesem Vorhaben. Er positioniert sich über Kritik. Das heißt, dass auch hier eine Fachkultur der Geisteswissenschaften, die eigentlich schön ist, in diesem Verfahren sich wirklich verheerend ausgewirkt hat.

Billerbeck: Nun sind alle Projekte bisher, so hat das die Kollegin Heike Schmoll von der "FAZ" geschrieben, bisher nichts weiter als Antragsexzellenz. Man weiß gar nicht, wie vielversprechend oder nur viel versprechend diese Projekte sind. Wann und wie muss denn eigentlich geprüft werden, ob sich die Förderung gelohnt hat? Wie soll das bei den nicht abrechenbaren Geisteswissenschaften geschehen?

Vinken: Es gibt immer wieder neue Evaluationsverfahren. Dahin geht schon mal eine enorme Energie. Aber alle drei oder vier Jahre, glaube ich, wird das noch mal evaluiert und dann wird festgestellt, wie weit man da gekommen ist. Es ist richtig, dass das bei den Geisteswissenschaften vielleicht auch etwas schwieriger ist, weil wir hier an einer Standardisierung arbeiten müssen oder weil im Prinzip die Standardisierung hier die Möglichkeit zu einer Evaluation überhaupt erst gibt.

Billerbeck: Zurück noch mal zum Anfang unseres Gespräches, als Sie von der völligen Umstrukturierung der Unis sprachen. Was wird nun aus den geisteswissenschaftlichen Forschungen, die in der Exzellenzinitiative jetzt nicht gefördert wurden? Fallen die einfach unter den Tisch oder suchen die einfach nach neuen Mitteln und müssen sich schöpferisch umtun?

Vinken: Das kommt auf die Universität an. Ich denke, an den Eliteuniversitäten gibt es die Möglichkeit, die ich schon am Anfang erwähnt hatte, dass da ein stärkeres Eingreifen durch die dritte Förderlinie denkbar und möglich ist. Die anderen geisteswissenschaftlichen Projekte, in die irre viel Energie geflossen ist, ich weiß nicht, wie viel Tagungen und Sitzungen sie da haben, wie viel redigiert wird, das ist unheimlich arbeitsaufwendig, die können sich natürlich bei anderen Stiftungen bewerben. Da werden sich jetzt ziemlich viele bewerben, Thyssen, VW. Es gibt auch andere Strukturen bei der DFG. Man kann nur hoffen, dass da einige zum Zuge kommen.

Billerbeck: Über die Auswirkungen der Exzellenzinitiative auf die Geisteswissenschaften sprachen wir mit der Münchener Romanistin Barbara Vinken von der Eliteuni LMU. Ich danken Ihnen!

Vinken: Danke!