Geisteskrank oder Lichtgestalt

Der Versuch, aus einer unglücklichen Ehe auszubrechen, führt eine junge Frau in den Selbstmord. Wider besseres Wissen hat sie Hoffnung in einen anderen Mann gesetzt, der zu schwach ist, sich mit ihr gegen die tradierten, strengen Moralvorstellungen zu behaupten. Als sie mit dem Geständnis ihrer Untreue Klarheit schaffen will, steht sie allein da und bestraft sich selbst für ihr Aufbegehren.
Schon vor der Premiere von "Katja Kabanova" an der Wiener Staatsoper am 17. Juni haben Statements von Regisseur und Dirigent gezeigt, wie unterschiedlich die Sichtweise auf die Titelfigur sein kann. Für André Engel steht Katja mit ihrer Besessenheit, bestraft zu werden, am Rande einer Geisteskrankheit. Franz Welser-Möst sieht sie so, wie sie sich selbst in ihren religiösen Visionen seit ihrer Kindheit gesehen hat, als eine Lichtgestalt, deren Wurzeln im Märchenhaften liegen.

Beides zu verbinden, versucht diese Neuproduktion, in der die Handlung aus einem Wolga-Städtchen des 19. Jahrhunderts in das New York der 1950er Jahre verlegt wurde. Little Odessa heißt das Russen-Ghetto, wo noch Bigotterie an der Tagesordnung ist. Die jungen Leute vegetieren mürrisch dahin und sehnen sich nach draußen; die Alten führen das Regiment. Diese räumliche und geistige Enge macht glaubwürdig, dass hier ein Ehebruch noch als zu sühnendes Verbrechen gilt, dass mit dem eisernen Festhalten an der Tradition auch ein Stück Heimat hinübergerettet werden soll. Für fortschrittlichere Menschen ist da kein Platz.

65 Jahre war Leoš Janáček alt, als er "Katja Kabanowa" nach Alexander Ostrowskis "Das Gewitter" komponierte. Eine stürmische Leidenschaft zu der 25-jährigen Kamila Stösslová hatte ihn übermannt. Seine Sehnsucht zu dieser fernen Geliebten schreibt er in dieser Oper nieder. Die ganze Zeit habe er dabei ihr Bild vor Augen gehabt, bekannte der Komponist. Die unerreichbare Ehefrau und Mutter blieb bis zu Janáčeks Tod 1928 seine Muse.



Wiener Staatsoper
Aufzeichnung vom 17.6.11

Leoš Janáček
"Katja Kabanova"
Oper in drei Akten
Libretto: Vincenc Cervinka
nach Alexander Nikolajewitsch Ostrowskij

Dikoj – Wolfgang Bankl, Bass
Boris – Klaus Florian Vogt, Tenor
Kabanicha – Deborah Polaski, Alt
Tichon – Marian Talaba, Tenor
Katja – Janice Watson, Sopran
Kudrjas – Norbert Ernst, Tenor
Varvara – Stephanie Houtzeel, Mezzosopran
Kuligin – Marcus Pelz, Bariton
Glasa – Juliette Mars, Mezzosopran
Feklusa – Donna Ellen, Mezzosopran
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Leitung: Franz Welser-Möst

nach Opernende ca. 20:50 Uhr Nachrichten