Geistesgrößen in der Heilanstalt

Franz Kafka, Heinrich Mann oder Karl May - sie alle besuchten das Sanatorium in Riva am Gardasee. Mit Dampfbädern und Gymnastik wurde dort die Modekrankheit Neurasthenie behandelt - das Burn-Out-Syndrom der Jahrhundertwende. Willi Jasper beschreibt das bunte Kur-Leben nun unterhaltsam und kenntnisreich.
Manche kamen nervlich völlig zerrüttet im Sanatorium in Riva an. Franz Kafka etwa oder Heinrich Mann. Andere wie Magnus Hirschfeld hielten dort Vorträge, und wieder andere wie Karl May und seine Gattin Emma Pollner erhofften sich von einer Therapie am Gardasee die Rettung ihrer Ehe. Es sind nicht wenige Biografien von bedeutenden Wissenschaftlern, Malern, Literaten, Diplomaten und Aristokraten der Jahrhundertwende, in denen das Sanatorium in Riva eine Rolle spielt. Selbst in der Weltliteratur hat es seinen Platz: im Zauberberg von Thomas Mann – allerdings getarnt und nur für Kenner identifizierbar. Nun hat Willi Jasper diesem Legenden umwobenen Ort ein eigenes Buch gewidmet.

1888 hatte Christoph Hartung von Hartungen sein Sanatorium in Riva del Garda gegründet; "als erste deutsche Pension für naturgemäßes Leben und naturgemäße Krankenpflege", die durch ihre Lage am Gardasee "eine Art oceanisches Klima" bot. Der Enkel Christoph Hartungs, der wiederum ein Schüler des Homöopathen Samuel Hahnemanns war, setzte dabei sowohl auf die damals aktuelle Reformbewegung wie auf die heilende Wirkung der Versprechungen des Südens. Immerhin hatten schon Vergil und Dante vom Gardasee geschwärmt. Sie sind die ersten Zeugen, die Jasper zitiert, um die Anziehungskraft Rivas als Konglomerat von südlichem Naturerlebnis, Heilklima und humanistischer Kulturtradition zu erklären.

In Lufthütten am Strand, mit Sonnen-, Warm- und Dampfbädern, durch kalte Güsse, Heilgymnastik und Ruderkuren versuchte der charismatische Arzt Hartung von Hartungen die Zivilisationskrankheit der Epoche zu bekämpfen: die Neurasthenie. Wer nach Riva kam, war aus dem Tritt geraten, konnte mit der rasenden Moderne nicht Schritt halten. Es sind nur wenige einleitende Seiten, die Jasper dem Burn-Out-Syndrom der Jahrhundertwende widmet, aber er skizziert dabei sehr anschaulich dieses Phänomen und mit ihm Tempo und Zeitenwandel.

Wie die illustren Kurgäste macht Willi Jasper schließlich Station in Riva und unternimmt analog zu deren Tagestouren Ausflüge in die Kultur- und Ideengeschichte einer von Umbrüchen geprägten Zeit. Er geht dem Bruderzwist Heinrich und Thomas Manns nach, die sich im Ruderboot auf dem Gardasee ihre unterschiedlichen Weltanschauungen vor Zeugen um die Ohren gehauen haben. Er begleitet die leise Liebschaft Kafkas und einer jungen Schweizerin. Er folgt dem Schriftstellerpaar Hermann und Clara Sudermann in die - im Gegensatz zu den Mays – gelungene Ehepaartherapie.

Große Kennerschaft tritt hier zu Tage und wer mag, kann sich in den Exkursionen Jaspers aufs Schönste verlieren. Eben noch in Riva bei Leben und Werk Heinrich Manns, findet man sich unversehens in Berlin Lichtenrade wieder in der Villa seiner Bewunderin Hermione von Preuschen, und nur wenige Seiten später tritt einem eben diese als Thomas Mann'sche Romanfigur Madame Chauchat entgegen. So geht es im Plauderton auf höchstem Niveau durch Biografien und Bücher, die sich ebenso von der Neurasthenie geplagten Epoche prägen ließen, wie sie selbst diese prägten.

Besprochen von Eva Hepper

Willi Jasper: Zauberberg Riva
Matthes & Seitz 2011
271 Seiten, 19,90 Euro