Geisterstunde im Wilden Westen

Von Sabine Müller |
Bannack im US-Bundesstaat Montana war während des Goldrauschs um 1865 ein blühender Ort. Aber als der Schatz gehoben war, zogen die Goldgräber ab. Heute ist Bannack eine unbewohnte Stadt mit beeindruckender Western-Kulisse. Doch einmal im Jahr ist richtig was los.
Wenn auf der knochentrockenen Hauptstraße von Bannack Steine und Sand unter den Schuhen knirschen und Staub vor den verwitterten Gebäudefassaden aufwirbelt, dann kann man sie förmlich hören, die Musik aus den alten Westernstreifen.

Die ehemalige Goldgräberstadt Bannack im Südwesten des Bundesstaats Montana sieht aus wie ein Filmset, aber hier liefern sich keine Schauspieler in Cowboy-Kostümen Schießereien, hier buhlen im Saloon keine Bardamen um das Geld reicher Trinker. Wenn nicht gerade eine Schulklasse über das Gelände tobt, dann liegt der kleine Ort ganz still da.

Leise plätschert der Grasshopper Creek vor sich hin. In diesem Bach wurde das erste Gold in Bannack gefunden - das war im Juli des Jahres 1862.

Fünf Männer machten die Entdeckung, erzählt Arlis Vannett, die Besuchergruppen durch Bannack führt. Ein paar Monate später, im Herbst 1862, lebten hier schon 200 Menschen, im darauffolgenden Sommer mehr als 2.000. Bannack wurde die erste Hauptstadt des sogenannten Montana-Territoriums, dem Vorläufer des heutigen Bundesstaates Montana.

Straßenräuber und Schießereien
Quietschend schwingt die Tür zum Saloon auf – die Kneipe war eins der ersten öffentlichen Gebäude im Ort, wurde schon im Frühjahr 1863 eröffnet. Durch große Sprossenfenster fällt helles Sonnenlicht auf die rohbehauenen Holzwände, eine lange Holztheke mit Schnitzereien und einen abgewetzten Friseurstuhl. Denn diesen Service gab es hier, wenn man wollte: Einen Haarschnitt und eine Rasur. Aber die meisten Besucher kamen zum Trinken.

Arlis beschreibt den Saloon als schlimmen Ort, wo Straßenräuber an der Theke herumhingen und ehrenwerte Gentlemen sich nicht blicken ließen. Wer als Frau etwas auf sich hielt, machte sowieso einen großen Bogen um die Kneipe. Immer wieder war sie der Ausgangspunkt für Schießereien, weil Betrunkene grundlos Streit anfingen oder jemand beim Pokern betrog.

Wer sich richtig daneben benahm, landete dann hier, im Gefängnis von Bannack, angekettet an im Boden eingelassene Eisenringe. Der Knast ist ein kleiner grauer Holzbau etwas abseits der Hauptstraße. Die Decken sind unangenehm niedrig, auf dem Flachdach wächst Gras und die vergitterten Fenster waren so ausgerichtet, dass die Häftlinge geradewegs auf ihren schlimmsten Alptraum blickten, sagt Fremdenführerin Arlis:

"Den Galgen des Ortes am Hang gegenüber. Insgesamt wurden aber in Bannacks gut 150-jähriger Geschichte nur fünf Menschen dort aufgehängt."
In vielen der etwa 100 erhaltenen Gebäude in der Geisterstadt Bannack stehen die Türen für Besucher offen, man kann sich ungehindert umsehen.

Diese knarzenden Holzdielen haben viele Bewohner gesehen, der dünne weiße Stoff, mit dem Pioniersfrauen die rohen Holzwände verkleideten, ist staubig. Erst später gab es Blümchentapeten und für den Boden bunt gemustertes Linoleum. Viele der Häuser sind von außen ziemlich gut in Schuss, innen aber dringend renovierungsbedürftig: Tapeten hängen in Fetzen von der Wand, Deckenverkleidungen kommen herunter.

Das Haus des Doktors ist noch original möbliert
In einem Küchenregal finde ich eine einzelne, verrostete Konservendose, in der irgendetwas klimpert. Keine Ahnung, was das sein kann – die Dose ist noch zu. Bannacks Häuser sind alle fast komplett leer, nur eins ist vollständig eingerichtet mit originalen Möbeln aus der Goldgräberzeit: Das Haus, in dem der Doktor des Ortes wohnte.

Das Harmonium in der guten Stube funktioniert noch einwandfrei, nebenan im kleinen Schlafzimmer liegen bunte Steppdecken über dem Elternbett, an einem kleinen Stubenwagen hängt eine weiße Babymütze.
In der kleinen Methodisten-Kirche 50 Meter weiter die Hauptstraße runter sind die dunkelbraunen Klappbänke aus Holz und Metall etwas eingerostet – hier sitzen nur noch Touristen, eine Kirchengemeinde gibt es schon lange nicht mehr. Bis 1877, 15 Jahre nach der Gründung von Bannack, hatte die Goldgräbersiedlung gar kein Kirchengebäude – wenn ein reisender Pastor in den Ort kam, predigte er schon mal im Saloon.

Dass Bannack dann eine Kirche bekam, ist indirekt den amerikanischen Ureinwohnern zu verdanken. Die Nez Perce-Indianer lieferten sich unweit des Ortes eine blutige Schlacht mit US-Soldaten und man erzählte sich, danach wollten sie Richtung Bannack ziehen.

Die 3000 Menschen, die zu diesem Zeitpunkt im Ort lebten, waren panisch vor Angst, weiß Arlis zu berichten, sie verbarrikadierten sich, so gut sie konnten, und warteten. Als klar war, dass die Indianer nicht angreifen würden, nutzte ein Pastor namens Bruder Van die Gunst der Stunde und rief zum Bau einer Kirche auf. In nur drei Tagen wurde das Gebäude mit der rotbraunen Holzlatten-Verkleidung und den zwei Ziegelschornsteinen hochgezogen, am nächsten Wochenende wurde die erste Messe gefeiert.
Bis nach dem Zweiten Weltkrieg war Bannack ein recht lebendiger Ort, dann zogen immer mehr Einwohner weg und seit den 1970er-Jahren ist das Städtchen unbewohnt – oder etwa nicht?

Das ertrunkene Mädchen spukt im Hotel
Zu einer ordentlichen Geisterstadt gehören natürlich auch Geistergeschichten, und da kann Arlis einige erzählen. Vom ertrunkenen Mädchen Dorothy Dunn zum Beispiel, das angeblich als Geist im Hotel des Ortes lebt. Da ist das Haus, in dem Besucher und auch Parkangestellte Babyweinen zu hören meinen, oder das kleine Holzkarussell vor der Schule, das sich laut Augenzeugenberichten manchmal klappernd dreht, obwohl es niemand anschiebt und kein Wind geht.

Arlis selbst ist noch keinem Geist begegnet, aber sie sagt, einige der Berichte hätten sich ziemlich glaubwürdige angehört. Im Besucherzentrum des Ortes zeigt sie mir Fotos, die Touristen geschickt haben. Auf einem sieht man im Schulhaus einen großen, verschwommenen Lichtfleck, in dem man die Umrisse einer Lehrerin mit langem Rock und Zeigestock erkennen kann – wenn man will.

Einmal im Jahr füllt sich der verlassene Ort richtig mit Leben – dann finden die "Bannack Days" statt, eine Art Goldgräber-Volksfest. Tausende Besucher kommen und lauschen der Banjo-Musik, machen Planwagentouren und versuchen, ein bisschen Gold aus dem Bachwasser zu waschen. Arlis und ihre Kollegen vom Besucherservice sagen: Besonders dann, aber auch an allen anderen Tagen im Jahr sehe man, dass Bannack keine tote Geisterstadt sei, sondern ein lebendiges Klassenzimmer, das heutigen Generationen die Vergangenheit ganz nahe bringe.