Geißler fordert Demokratisierung der Weltbank

Moderation: Hanns Ostermann |
Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler hat sich für eine Reform der Weltbank ausgesprochen. Angesichts der Korruption in den Empfängerländern müsse die Vergabepraxis für Kredite geändert werden, sagte Geißler. "Von zehn Millionen, die die Weltbank verleiht oder sogar schenkt, kommen unten 2,5 Millionen an."
Hanns Ostermann: Wo kaufen Sie ein? Im kleinen Laden um die Ecke oder im Supermarkt? Bevorzugen Sie das gute Fachgeschäft oder gehen Sie zu einem der großen billigen Anbieter? "Geiz ist geil" hieß es noch vor kurzem. Überhaupt nicht lustig finden das diejenigen, die die Produkte herstellen. Sie bekommen einen Hungerlohn für ihre Arbeit, in China zum Beispiel. Und wir im reichen Westen profitieren davon.

Die Welt rückt zusammen; die Ungleichheit der Lebensbedingungen allerdings bleibt. Um hier weiter zu kommen, empfängt heute Angela Merkel am Ende der deutschen G8-Ratspräsidentschaft prominente Gäste. Der Weltbankchef kommt nach Berlin und viele andere, die Verantwortung tragen. Über die Erwartungen an das Treffen möchte ich im Deutschlandradio Kultur mit Heiner Geißler reden. Der ehemalige CDU-Generalsekretär engagiert sich heute unter anderem beim globalisierungskritischen Netzwerk "attac". Guten Morgen Herr Geißler!

Heiner Geißler: Guten Morgen.

Ostermann: Sie fordern eine Harmonisierung der Globalisierung. Mit allem Respekt: sind Sie ein Träumer?

Geißler: Nein. Ich meine vor zehn Jahren hätte man noch gesagt "die träumen", aber heute ist es fast Allgemeingut. Es hat sich eben durchgesetzt, dass das wichtigste politische Ziel überhaupt darin besteht, die Globalisierung, die ja nicht zu verhindern ist und die auch notwendig ist und die riesige Chancen bietet, zu humanisieren. Im neuen Grundsatzprogramm der CDU steht dieser Satz drin, den ich nun schon seit zehn Jahren auch meiner eigenen Partei empfehle, und zwar dadurch, dass man die Wirtschaft wieder in Ordnung bringt. Das Weltwirtschaftssystem ist nicht in Ordnung. Man braucht, um das wieder in Ordnung zu bringen, ein Konzept einer internationalen ökosozialen Marktwirtschaft.

Ostermann: Herr Geißler, nun rechnen Globalisierungsbefürworter vor, heute leben Menschen länger und besser als jemals zuvor. In Afrika stieg die Lebenserwartung von 38 auf 52 Jahre, um nur ein Beispiel zu nennen. Es geschieht doch also etwas. Warum nicht genug?

Geißler: Es geschieht einiges, das ist wahr, aber in Wirklichkeit geht es natürlich rückwärts. Selbst wenn man davon ausgeht, dass in den nächsten 20, 25 Jahren noch einmal eine Milliarde wohl genährte, gut angezogene, ordentlich gestylter Mitbürgerinnen und Mitbürger auf der Welt existieren, also statt einer Milliarde dann zwei Milliarden, dann kommen aber in derselben Zeit noch einmal drei oder vier Milliarden Menschen zusätzlich auf die Erde, sodass die Zahl der Armen, die also nicht zu diesen Wohlstandsbürgern gehören, gleichzeitig immer größer wird. Außerdem geht die Kluft zwischen arm und reich immer weiter auseinander. Wenn laut Weltbank 300 Leute ein Vermögen haben von einer Billion, dann muss uns das nicht unbedingt unglücklich machen, aber was nicht akzeptabel ist, dass es dieselbe Summe ist, die die Hälfte der Menschheit, nämlich drei Milliarden, an jährlichem Einkommen haben. Wir wissen ja genau, dass der Terrorismus seine Schubkraft aus dieser sozialen massiven Ungerechtigkeit bezieht, und wenn das so weiter geht, dann werden uns eines Tages die Brocken um die Ohren fliegen.

Ostermann: Mir ist aber noch nicht ganz klar, was genau läuft schief, denn die Weltbank zum Beispiel sammelt ja jede Menge Geld. Fließen die Mittel möglicherweise nicht zielgerichtet?

Geißler: Die Weltbank muss demokratisiert werden. Die Weltbank gibt ihre Gelder ja nur den Regierungen und da bleibt zunächst mal 50 Prozent von Korruptionswegen hängen. Die andere Hälfte geht dann runter zu den lokalen Autoritäten; da bleibt dann noch mal die Hälfte hängen. Von sagen wir mal zehn Millionen, die die Weltbank gibt, verleiht oder sogar schenkt, kommen unten dann 2,5 Millionen an, dort wo sie hinkommen sollen. Das sind alles Entwicklungen und Tatbestände, die nicht sein müssen. Die Hauptaufgabe, die jetzt von den Industriestaaten geleistet werden müsste, ist eine Demokratisierung dieser Weltinstitution IWF, WTO und Weltbank, aber vor allem die Einführung einer Börsenumsatzsteuer, der Tobin-Steuer. Bei einem täglichen Börsenumsatz von zwei Billionen Dollar, bei einem Finanzvolumen von 120 Billionen Dollar, dem aber nur eine reale ökonomische Wertschöpfung von 50 Billionen gegenübersteht und alles andere ist spekulative Blase, bei einer solchen Situation ist die Einführung dieser weltweiten Börsenumsatzsteuer das wichtigste, was die Industrienationen machen müssen.

Ostermann: Wir reden ja über ungeheuere, eigentlich unvorstellbare Summen. Aber noch einmal gefragt: glauben Sie, dass die Bereitschaft bei den Politikern oder auch bei den Bänkern, bei der Wirtschaft überhaupt dazu da ist?

Geißler: Ich glaube, bei den Politikern wächst die Einsicht. Das kann man auch von der deutschen Bundesregierung sagen. Angela Merkel hat ja einige Fragen bei dem G8-Gipfel auf die Tagesordnung gebracht. Der Klimaschutz ist auch weiter vorangekommen. Die Finanzfragen sind stecken geblieben wegen des Widerstandes der Briten und der Amerikaner, aber es war wenigstens mal auf der Tagesordnung, dass man die internationalen Finanztransaktionen besser kontrollieren muss. Da muss eben nun weiter gearbeitet werden!