"Geht wählen, beteiligt euch an der Wahl!"
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, hat die Bürger eindringlich dazu aufgerufen, an der Europa-Wahl teilzunehmen. Das EU-Parlament sei - im Vergleich zu früher - inzwischen einflussreich und mächtig, sagte Pöttering. Deswegen sei es so wichtig, dass die Bürger auch wählen gingen.
Marcus Pindur: Am Sonntag ist es so weit, dann können die Bürger in Deutschland und den meisten anderen EU-Ländern das Europaparlament in Straßburg wählen. Wir sortieren deshalb in dieser Woche Urteile, Vorurteile und Fehlurteile über Europa und heute stellen wir auf den Prüfstand den gängigen Satz, "das Europaparlament hat sowieso nichts zu melden". Ich habe vor der Sendung mit Hans-Gert Pöttering gesprochen. Er ist der Präsident des Europaparlamentes, seit 1979 im Parlament. Ich habe mit ihm über Macht und Einfluss des Europaparlamentes gesprochen und ich habe ihn zunächst gefragt, was sich dort in den letzten 30 Jahren am meisten verändert hat.
Hans-Gert Pöttering: Es waren, Herr Pindur, zwei Entwicklungen. Die eine ist die große Entwicklung in Europa, die Überwindung der Teilung Deutschlands, die Überwindung der Teilung Europas, und wenn jemand 1979 bei der ersten Europawahl gesagt hätte, am 1. Mai 2004 werden die Polen, die Esten, die Letten, die Litauer, die Tschechen, die Slowaken, die Ungarn und die Slowenen dem Europäischen Parlament, der Europäischen Union angehören, unserer Wertegemeinschaft, der Europäischen Union, wenn das jemand 1979 gesagt hätte, meine Antwort wäre gewesen, das ist eine Vision, das ist ein schöner Traum, eine große Hoffnung, was wohl in unserer Lebenszeit nicht in Erfüllung geht. Und doch war es möglich und das zeigt, wie Dinge sich entwickeln können, sich ändern können. Deswegen ist dieses, glaube ich, der größte Erfolg der europäischen Einigungspolitik, dass wir heute in der Europäischen Union mit 500 Millionen Menschen in 27 Ländern auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte vereinigt sind. Das ist der große historische Wandel.
Das Zweite ist die Entwicklung des Europäischen Parlaments ist sehr, sehr positiv. 1979 hatte das Europäische Parlament keinerlei Gesetzgebungsbefugnis und ich bin oft gefragt worden, warum sollen wir dich wählen, du hast doch nichts zu sagen. Das stimmte damals schon nicht so, weil Politiker ja auch überzeugen wollen und müssen durch das, woran sie glauben, aber es war richtig: Wir hatten keine Gesetzgebungskompetenz. Heute ist das Europäische Parlament in etwa 75 Prozent europäischer Gesetzgebung gleichberechtigt mit dem Ministerrat. Wir sind Gesetzgeber. Die Klimaschutzgesetzgebung beispielsweise oder jetzt die bessere Kontrolle der Banken, all das sind Fragen, die vom Europäischen Parlament entschieden werden. Das Parlament ist heute einflussreich und mächtig und deswegen ist es so wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger auch ihre Abgeordneten wählen.
Pindur: Das EU-Parlament hat auch Kompetenzen an sich gezogen, wo es entdeckt hat, dass es Lücken gibt – zum Beispiel in der Verbrauchergesetzgebung.
Pöttering: Ja, selbstverständlich. Wir sind ja ein großer Binnenmarkt mit einem völlig freien Austausch von Produkten und da ist es eben erforderlich, dass wir Lebensmittel haben, die einen hohen Standard haben, die zur Gesundheit der Menschen beitragen, die keine schädlichen Stoffe enthalten. Diese Gesetzgebung im Verbraucherschutz geschieht in dem entsprechenden Ausschuss im Europäischen Parlament und die Kolleginnen und Kollegen tun dort viel Gutes im Interesse der Menschen.
Pindur: Jetzt ist es aber so, dass oftmals von dieser Verbraucherschutzgesetzgebung, so gut die auch von den Bürgern geheißen wird, gar nicht gewusst wird, dass sie im EU-Parlament gemacht wird und nicht im nationalen Parlament.
Pöttering: Ja, da haben Sie völlig Recht. Ich habe einer Sendung entnommen, dass die Leute in Deutschland zum Beispiel auch gar nicht wissen, dass sie Geld erstattet bekommen, wenn die Züge, also die Bahn über ein bestimmtes Maß hinaus verspätet ist, und die Leute wurden gefragt, wem habt ihr das zu verdanken, und die Antwort war, irgendeinem Direktor oder dem Präsidenten bei der Bahn oder so. Es war aber nicht bekannt, dass das Europäische Parlament dieses beschlossen hat im Interesse der Bürger. – Oder auch die Reduzierung, die Senkung der Handy-Gebühren. Das ist ja auch etwas, was auf das Europäische Parlament und die europäischen Institutionen zurückzuführen ist. Da die Menschen das nicht hinreichend wissen, ist es umso notwendiger, dass es den Menschen bekannt gemacht wird, und unser Gespräch, Herr Pindur, ist ja ein Mittel auch dazu. Wir bräuchten aber sehr viel mehr von dieser Übermittlung von Informationen.
Pindur: Ein verbreitetes Vorurteil über die Arbeit des Europäischen Parlamentes ist es, dass es eine Art Überregulierung gibt: Die Gurke darf nicht krumm sein, die Bananen müssen eine bestimmte Größe haben. Können Sie das aus Ihrer Praxis bestätigen, dass die Parlamentarier in ihrem Bestreben, was verändern zu wollen, vielleicht oftmals übers Ziel hinausschießen?
Pöttering: Oftmals ist es ja so, dass von den nationalen Regierungen gewisse Forderungen kommen. Das Beispiel mit dieser Gurke, was ja immer wieder auftaucht, das ist jetzt weg, dafür hat das Parlament sich eingesetzt, dass es diese Vorschrift nicht gibt. Übrigens haben sich nationale Regierungen dagegen gewehrt, dass das verschwindet, und haben dann auch den Verbraucherschutz ins Feld geführt.
Wir als Abgeordnete sind bemüht, dass wir keine Überregulierung machen und dass wir das aufnehmen, was die Menschen uns sagen. Aber sie brauchen auf der anderen Seite auch Regulierung, wenn Sie an den Bankensektor denken. Da erwartet man von uns, dass wir eine Gesetzgebung machen, dass die Banken in Zukunft einer stärkeren Kontrolle unterliegen, damit die Sparguthaben der Bürgerinnen und Bürger nicht verloren gehen durch unverantwortliches Handeln, sondern gesichert sind.
Pindur: Herr Pöttering, was sagen Sie jemandem, einem Wahlbürger, der gerade überlegt, ob er am Sonntag hier in Deutschland zur Wahl gehen soll?
Pöttering: Beteilige dich an der Wahl. Das Wahlrecht ist etwas, worum wir in der Welt beneidet werden. In vielen Ländern der Welt, selbst heute im 21. Jahrhundert, können Menschen nicht wählen. Es ist keine große Anstrengung, den Wahlzettel, nachdem man ihn ausgefüllt hat, in die Wahlurne zu werfen. Wir wollen im 21. Jahrhundert als Europäer eine Rolle spielen in der Welt beim Klimaschutz, wir wollen unseren Beitrag leisten für die soziale Marktwirtschaft in Europa und in der Welt, wir sind nicht für den Kapitalismus, sondern wir sind für die soziale Marktwirtschaft, und all diese Fragen werden im Europäischen Parlament entschieden und sie werden friedlich entschieden. In der Vergangenheit, in allen Jahrhunderten und Generationen vor uns, haben die Europäer sich bekämpft; heute entscheiden wir friedlich über unsere Zukunft und das braucht das Engagement auch der Bürgerinnen und Bürger. Geht wählen, beteiligt euch an der Wahl!
Pindur: Herr Pöttering, vielen Dank für das Gespräch.
Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Pindur.
Pindur: Hans-Gert Pöttering (CDU), Präsident des Europaparlamentes, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
Hans-Gert Pöttering: Es waren, Herr Pindur, zwei Entwicklungen. Die eine ist die große Entwicklung in Europa, die Überwindung der Teilung Deutschlands, die Überwindung der Teilung Europas, und wenn jemand 1979 bei der ersten Europawahl gesagt hätte, am 1. Mai 2004 werden die Polen, die Esten, die Letten, die Litauer, die Tschechen, die Slowaken, die Ungarn und die Slowenen dem Europäischen Parlament, der Europäischen Union angehören, unserer Wertegemeinschaft, der Europäischen Union, wenn das jemand 1979 gesagt hätte, meine Antwort wäre gewesen, das ist eine Vision, das ist ein schöner Traum, eine große Hoffnung, was wohl in unserer Lebenszeit nicht in Erfüllung geht. Und doch war es möglich und das zeigt, wie Dinge sich entwickeln können, sich ändern können. Deswegen ist dieses, glaube ich, der größte Erfolg der europäischen Einigungspolitik, dass wir heute in der Europäischen Union mit 500 Millionen Menschen in 27 Ländern auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte vereinigt sind. Das ist der große historische Wandel.
Das Zweite ist die Entwicklung des Europäischen Parlaments ist sehr, sehr positiv. 1979 hatte das Europäische Parlament keinerlei Gesetzgebungsbefugnis und ich bin oft gefragt worden, warum sollen wir dich wählen, du hast doch nichts zu sagen. Das stimmte damals schon nicht so, weil Politiker ja auch überzeugen wollen und müssen durch das, woran sie glauben, aber es war richtig: Wir hatten keine Gesetzgebungskompetenz. Heute ist das Europäische Parlament in etwa 75 Prozent europäischer Gesetzgebung gleichberechtigt mit dem Ministerrat. Wir sind Gesetzgeber. Die Klimaschutzgesetzgebung beispielsweise oder jetzt die bessere Kontrolle der Banken, all das sind Fragen, die vom Europäischen Parlament entschieden werden. Das Parlament ist heute einflussreich und mächtig und deswegen ist es so wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger auch ihre Abgeordneten wählen.
Pindur: Das EU-Parlament hat auch Kompetenzen an sich gezogen, wo es entdeckt hat, dass es Lücken gibt – zum Beispiel in der Verbrauchergesetzgebung.
Pöttering: Ja, selbstverständlich. Wir sind ja ein großer Binnenmarkt mit einem völlig freien Austausch von Produkten und da ist es eben erforderlich, dass wir Lebensmittel haben, die einen hohen Standard haben, die zur Gesundheit der Menschen beitragen, die keine schädlichen Stoffe enthalten. Diese Gesetzgebung im Verbraucherschutz geschieht in dem entsprechenden Ausschuss im Europäischen Parlament und die Kolleginnen und Kollegen tun dort viel Gutes im Interesse der Menschen.
Pindur: Jetzt ist es aber so, dass oftmals von dieser Verbraucherschutzgesetzgebung, so gut die auch von den Bürgern geheißen wird, gar nicht gewusst wird, dass sie im EU-Parlament gemacht wird und nicht im nationalen Parlament.
Pöttering: Ja, da haben Sie völlig Recht. Ich habe einer Sendung entnommen, dass die Leute in Deutschland zum Beispiel auch gar nicht wissen, dass sie Geld erstattet bekommen, wenn die Züge, also die Bahn über ein bestimmtes Maß hinaus verspätet ist, und die Leute wurden gefragt, wem habt ihr das zu verdanken, und die Antwort war, irgendeinem Direktor oder dem Präsidenten bei der Bahn oder so. Es war aber nicht bekannt, dass das Europäische Parlament dieses beschlossen hat im Interesse der Bürger. – Oder auch die Reduzierung, die Senkung der Handy-Gebühren. Das ist ja auch etwas, was auf das Europäische Parlament und die europäischen Institutionen zurückzuführen ist. Da die Menschen das nicht hinreichend wissen, ist es umso notwendiger, dass es den Menschen bekannt gemacht wird, und unser Gespräch, Herr Pindur, ist ja ein Mittel auch dazu. Wir bräuchten aber sehr viel mehr von dieser Übermittlung von Informationen.
Pindur: Ein verbreitetes Vorurteil über die Arbeit des Europäischen Parlamentes ist es, dass es eine Art Überregulierung gibt: Die Gurke darf nicht krumm sein, die Bananen müssen eine bestimmte Größe haben. Können Sie das aus Ihrer Praxis bestätigen, dass die Parlamentarier in ihrem Bestreben, was verändern zu wollen, vielleicht oftmals übers Ziel hinausschießen?
Pöttering: Oftmals ist es ja so, dass von den nationalen Regierungen gewisse Forderungen kommen. Das Beispiel mit dieser Gurke, was ja immer wieder auftaucht, das ist jetzt weg, dafür hat das Parlament sich eingesetzt, dass es diese Vorschrift nicht gibt. Übrigens haben sich nationale Regierungen dagegen gewehrt, dass das verschwindet, und haben dann auch den Verbraucherschutz ins Feld geführt.
Wir als Abgeordnete sind bemüht, dass wir keine Überregulierung machen und dass wir das aufnehmen, was die Menschen uns sagen. Aber sie brauchen auf der anderen Seite auch Regulierung, wenn Sie an den Bankensektor denken. Da erwartet man von uns, dass wir eine Gesetzgebung machen, dass die Banken in Zukunft einer stärkeren Kontrolle unterliegen, damit die Sparguthaben der Bürgerinnen und Bürger nicht verloren gehen durch unverantwortliches Handeln, sondern gesichert sind.
Pindur: Herr Pöttering, was sagen Sie jemandem, einem Wahlbürger, der gerade überlegt, ob er am Sonntag hier in Deutschland zur Wahl gehen soll?
Pöttering: Beteilige dich an der Wahl. Das Wahlrecht ist etwas, worum wir in der Welt beneidet werden. In vielen Ländern der Welt, selbst heute im 21. Jahrhundert, können Menschen nicht wählen. Es ist keine große Anstrengung, den Wahlzettel, nachdem man ihn ausgefüllt hat, in die Wahlurne zu werfen. Wir wollen im 21. Jahrhundert als Europäer eine Rolle spielen in der Welt beim Klimaschutz, wir wollen unseren Beitrag leisten für die soziale Marktwirtschaft in Europa und in der Welt, wir sind nicht für den Kapitalismus, sondern wir sind für die soziale Marktwirtschaft, und all diese Fragen werden im Europäischen Parlament entschieden und sie werden friedlich entschieden. In der Vergangenheit, in allen Jahrhunderten und Generationen vor uns, haben die Europäer sich bekämpft; heute entscheiden wir friedlich über unsere Zukunft und das braucht das Engagement auch der Bürgerinnen und Bürger. Geht wählen, beteiligt euch an der Wahl!
Pindur: Herr Pöttering, vielen Dank für das Gespräch.
Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Pindur.
Pindur: Hans-Gert Pöttering (CDU), Präsident des Europaparlamentes, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.