Geheimtipp Ohrid in Mazedonien

Malerisch, heilig, kyrillisch

Die Kirche des Heiligen Johannes von Kaneo am Ohrid-See.
Die Kirche des Heiligen Johannes von Kaneo am Ohrid-See. © Oliver Soos
Von Oliver Soos · 03.01.2018
Der Lonely Planet hat Ohrid im vergangenen Jahr zum fünftschönsten Reiseziel der Welt gekürt. Es lockt der älteste See Europas, dazu gilt die mazedonische Kleinstadt als frühes Zentrum des Christentums und Entstehungsort der kyrillischen Schrift.
Wow - das ist das erste, was mir einfällt, als ich an der Uferpromenade von Ohrid entlanglaufe.

Im Weltzeit-Podcast hören Sie regelmäßig, wie sich andere Länder entwickeln: Konflikte, Fortschritte, Besonderheiten abseits der hiesigen Schlagzeilen.

Wow - aus drei Gründen. Erstens, weil Ohrid aussieht, wie ein malerisches Fischerdorf am Mittelmeer - kleine, weiße Häuser, vom Hafen bis hinauf auf einen Hügel und der Spitze des Hügels thront eine kleine Festung.
Wow - auch wegen der grün bewachsenen Bergkette hinter mir. Die Berge sind bis zu 2200 Meter hoch.
Und das dritte Wow - für den See. Ein sattes blau, eine tolle Farbe. Der Ohridsee ist über zwei Millionen Jahre alt und gilt als der älteste See Europas. Er ist etwa 30 Kilometer lang und 15 Kilometer breit. Am Horizont sieht man Albanien.
Quelle des Ohridsees bei Sveti Naum.
Quelle des Ohridsees bei Sveti Naum.© Oliver Soos

20 Prozent mehr Touristen

In Ohrid ist eine Menge los, viele Touristen unterwegs. Die mazedonische Regierung spricht 2017 von einem Anstieg der Übernachtungszahlen um etwa 20 Prozent. Auch Zoran Angelovski merkt das. Er ist in Ohrid geboren und war viele Jahre in der Welt unterwegs, als Kapitän auf Luxusjachten. Jetzt lebt er wieder am Ohridsee und macht hier Bootsausflüge. Und die sind gerade sehr gefragt bei den Touristen.
"2017 kommen vor allem polnische und türkische Touristen und standardmäßig kommen die Holländer. Die haben ihre günstigen Charterflüge. In Mazedonien gibt es zwei Flughäfen, einen in Skopje und einen hier in Ohrid. Naja - und dann haben sie ja mitbekommen, dass es Terroranschläge in der Türkei und in Barcelona gab und Gott sei dank ist Ohrid friedlich."
Die Uferpromenade ist von Palmen und Nadelbäumen gesäumt. Ältere Männer auf Fahrrädern überholen mich, zwischen den Bäumen flitzen Kinder herum.
Ich bin mit meinen mazedonischen Reporter-Kollegen Sasko Golov und Shaban Bajrami unterwegs. Sie kommen aus der Hauptstadt Skopje und haben selbst oft Urlaub am Ohridsee gemacht. Sie führen mich herum und dolmetschen für mich.
Je näher wir an die Altstadt kommen, desto voller wird die Uferpromenade. Wir lauschen ein bisschen, welche Sprachen die Touristen sprechen und erkennen vor allem mazedonisch und türkisch.

Ohrid war geistiges Zentrum des Christentums

Wir steigen hoch auf den Hügel, zu einem der bekanntesten Postkartenmotive des Balkans: die "Kirche des heiligen Johannes von Kaneo". Sie wurde im 13. Jahrhundert erbaut und steht auf einer Felsspitze, die in den See hinausragt. Eine wunderschöne Lage: die steinerne byzantinisch-orthodoxe Kirche mit ihrem achteckigen Turm, flankiert von Nadelbäumen, im Hintergrund die Berge und davor der tiefblaue See.
Ohrid war im Mittelalter eines der wichtigsten geistigen Zentren des Christentums.
Wir stehen vor der neugebauten Klosterkirche des heiligen Kliment von Ohrid. Davor ist ein großer Platz mit Ausgrabungen - überall Säulen und Mauerreste. Wir treffen Pero Ardzanliev. Er ist in einem Haus hier direkt neben der Anlage aufgewachsen. Irgendwie klar, dass er Archäologe werden musste. Er promoviert gerade an der Universität Ljubljana und ist an seinen Heimatort zurückgekehrt, um bei den Ausgrabungen mitzumachen.
"Das hier ist eine der komplexesten Ausgrabungsstätten der Welt, denn Ohrid war im Laufe der Geschichte kontinuierlich besiedelt. Das hat man nicht so oft. Wir haben hier auf dem Hügel Fundstücke aus der Bronzezeit, aus der Eisenzeit, aus der griechischen Antike."

"In der Antike hieß Ohrid 'Lychnidos'. Aus dieser Zeit stammen z.B. die Terrassen, die sie hier sehen. Sie sind Richtung Süden gebaut, Richtung Sonne. Nach den Griechen kamen die Römer und plötzlich standen hier auf dem Berg nur noch Luxusvillen für die Allerreichsten. Die einfachen Bürger wurden unten in der Ebene angesiedelt. Aus der Römerzeit habe wir hier Thermalbäder gefunden, mit Massageräumen und Mosaikböden."
Klosterkirche St. Kliment mit Ausgrabungsstätte.
Klosterkirche St. Kliment mit Ausgrabungsstätte.© Oliver Soos
Die größte Bedeutung hatte Ohrid im Mittelalter, zur Zeit des Christentums. Vor allem dank eines Mannes: Bischof Kliment von Ohrid. Er war ein Schüler der berühmten Missionars-Brüder, Kyrill und Method. Sie werden auch die Slawen-Apostel genannt.

Kyrillische Schrift soll aus Ohrid stammen

Kliment von Ohrid soll die Missionierung weiter vorangetrieben haben, mit einer ganz besonderen Erfindung. Einer eigenen Schrift: kyrillisch. Das Kyrillische soll von Ohrid aus in die slawische Welt verbreitet worden sein. Doch viele Bulgaren rollen mit den Augen, wenn sie das hören. Bulgarien beansprucht nämlich auch für sich, das Ursprungsland der slawischen Schrift zu sein.
"Kliment soll zumindest einer von denjenigen gewesen sein, die die kyrillische Schrift aus der glagolischen - also aus der ältesten slawischen Schrift - entwickelt haben. Das hier ist jedenfalls der heiligste Ort in ganz Mazedonien. Und wir sind stolz, dass hier das Grab so eines Heiligen steht, hier in der Kirche hinter uns."

Ein altes Dorf auf dem See

Mit dem Auto geht es weiter, etwa 15 Kilometer Richtung Süden zur "Bay of Bones" - der Bucht der Knochen. Dort gibt es ein sehr ungewöhnliches Museum. Mitten im See ist ein prähistorischen Dorf nachgebaut worden, in etwa so, wie es vor rund 3000 Jahren ausgesehen haben muss. 24 Lehmhäuser mit Schilfdach stehen auf einer Holzplattform im See. Die Plattform steht auf 6000 Holzpflöcken, die in den Grund Sees gerammt wurden. Touristenguide Blazhe Popov führt eine Gruppe von Touristen über eine Holzbrücke in das Dorf im See.
"Um ehrlich zu sein, das hier wurde per Zufall entdeckt, durch Mitscho, einen Taucher aus dieser Gegend. Er hat 1995 auf dem Grund des Sees eine Menge Dinge entdeckt: vor allem Tierknochen und Tongefäße. Dann hat das mazedonische Nationalmuseum Unterwasser-Ausgrabungen durchgeführt und dabei wurden die Reste von etwa 8000 Holzstelen gefunden, auf denen die Plattform stand."
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Dorf im 12. Jahrhundert vor Christus erbaut wurde und aus bis zu 100 Häusern bestand.
1995 hat ein Taucher per Zufall Überreste von tausenden Holzpfählen entdeckt - hier ein Unterwasserfoto.
Unterwasserbilder der Überreste von tausenden Holzpfählen im Ohridsee.© Oliver Soos
Doch warum wollten die Menschen damals auf dem Wasser leben?
"In dieser Zeit war es nicht ungewöhnlich, dass manche Stämme auf Plattformen im Sumpf oder im See gelebt haben. Sie sind natürlich auch an Land gegangen, in die Berge, zum jagen. Aber auf den Plattformen hatten sie Schutz vor wilden Tieren und vor anderen Stämmen. Die Stämme haben sich ja gegenseitig angegriffen, z.B. um Frauen zu erbeuten."
Ob die Menschen damals wohl wussten, dass ihr Dorf im See auch ein wunderbares Postkartenmotive abgibt?

In Albanien gibt es weniger Touristen am See

Wieder im Auto fahren wir weiter Richtung Süden, über die Grenze, nach Albanien. Etwa ein Drittel des Sees gehört zu Albanien.
Hier fällt sofort auf, dass der Tourismus deutlich weniger entwickelt ist als in Mazedonien. Auf der mazedonischen Seite gibt es gepflegte Sandstrände. In Albanien ist der Sand meist übersät mit Algen, Ästen und Felsbrocken und zum Teil auch mit Müll. Das lädt nicht gerade zum Baden ein. Für die albanische Regierung hat der Ohrid-See offenbar weniger Priorität. Man ist mehr damit beschäftigt, neue Hotels an der Adria-Küste zu bauen.
Wir fahren vorbei an Fabrikruinen, aus der Zeit des Kommunistenführers Enver Hoxtha.
Wir halten wenige Kilometer hinter der Stadt Podradec. Direkt am Ufer, unterhalb einer neu gebauten Landstraße gibt es einen Campingplatz mit Restaurant und eigener Forellenzucht. Meine Kollegen Sasko und Schaban waren vor einigen Jahren hier, das Restaurant soll sehr gut sein.
Das Campingplatz-Restaurant "Peschku" hat seine eigene Zucht und leitet dazu Seewasser in ein kleines langgezogenes Becken am Ufer. Hier tummeln sich hunderte Forellen. Ein Mann fängt drei Fische mit einem Kescher ein und wirft sie auf die Wiese. Ein anderer Mann schnappt sich die zappelnden Forellen und tötet sie, indem er ihnen gekonnt, mit der blanken Faust, auf den Kopf schlägt. Eine halbe Stunde später bekommen wir die gegrillten Forellen von Restaurantbesitzerin Tina serviert. Sie bringt und dazu selbst gemachte Pommes und in Öl gebratenen Paprikas, mit Schafskäse gefüllt. Es schmeckt vorzüglich.
Tina will ihren vollen Namen lieber nicht sagen, denn sie erzählt uns eine heikle Geschichte. Wie ihr Restaurant von der Regierung abgerissen wurde, einfach so ohne Begründung.
In der Tat ist mir aufgefallen, dass Tina im Feien kocht, unter einer Zeltplane. Am Boden sieht man Reste von abgerissenen Wänden.
"Was genau passiert ist, das kann nur Präsident Edi Rama erklären. Unser Restaurant gab es seit 1976, es war im Familienbesitz, wir hatten immer alle Dokumente dafür. Dann waren mein Mann und ich als Gastarbeiter in Italien und als wir vor zwei Jahren zurückkehren wollten, um das Restaurant weiterzuführen, wurde es abgerissen - wie über 20 weitere Restaurants am Ufer. Man hat uns nicht gesagt, warum. Wir haben gehört, dass hier eine Touristenzone entstehen soll. Für uns war das eine Katastrophe, aber wir haben jetzt immerhin wieder die Lizenz, hier im Sommer Fisch verkaufen zu dürfen und wir dürfen hier unter dem provisorischen Zelt kochen. Wir hoffen, dass wir hier irgendwann wieder etwas hinbauen können. Was sollen wir machen? Wir müssen Kinder großziehen, wir haben eine Familie zu ernähren."

Tagesausklang mit Fleisch und Folklore

Am Abend sind wir wieder zurück in Mazedonien, in der Stadt Ohrid. Wir lassen den Abend in Tinas Restaurant ausklingen, denn dort spielt eine Liveband mazedonische Folklore.
Mein Kollege Sasko Golov erweist sich dabei als sehr textsicher, er kennt so gut wie jedes Lied und singt immer wieder mit.
Der Abend wird immer ausgelassener, Berge von gegrilltem Fleisch machen die Runde, dazu gibt es mazedonischen Rotwein und Traubenschnaps. Am Nebentisch gibt es immer wieder Gelächter und Gejohle, eine große Gruppe junger Mazedonierinnen, ein Junggesellinnenabschied.
Hinter uns feiert eine Männerrunde Geburtstag. Die Band geht von Tisch zu Tisch. Die Gäste singen lauthals mit und klemmen dem Akkordeonspieler immer mehr Geldscheine an sein Instrument.
Wenn ich den Trip rund um den Ohrid-See Revue passieren lasse, muss ich sagen: Der See ist in der Tat eine tolle Alternative für einen Urlaub am Mittelmeer. Die Landschaften, die Atmosphäre und das Essen können da durchaus mithalten. Und vielleicht ist es auch nicht übertrieben, dass der Lonely Planet Ohrid 2017 zur fünftschönsten Reisestadt der Welt gekürt hat.
Mehr zum Thema