Gottesvorstellungen

Die Kraft, die man spürt, aber nicht greifen kann

08:31 Minuten
Wolken am Himmel die aussehen wir eine menschliche Hand.
Kinder stellen sich Gott oft in einer Wolke am Himmel vor. © Getty Images / Blend Images / John Lund
Von Brigitte Jünger · 20.02.2022
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Es gibt viele Vorstellungen von Gott, doch keine vermag ihn wirklich einzufangen. Gott bleibt ein Geheimnis, egal wie sehr sich die Menschen anstrengen, ihn zu erklären. Allerdings: Es gibt ein paar Hinweise, denen man folgen kann.
„Eigentlich hätte ich jetzt erst mal gesagt, dass er kein Geheimnis ist", sagt Cordula. "Ich meine, wir wissen ja alle, dass es Gott gibt oder zumindest glauben es viele, deswegen wäre es kein Geheimnis für mich. Aber auf der anderen Seite schon, weil man ja doch nicht zu hundert Prozent weiß: Gibt es diesen Gott? Es gibt keine klaren Vorstellungen, die wir alle zu hundert Prozent miteinander teilen.“

Alle haben Erfahrungen mit dem Geheimnis Gott

Morgens beim Frühstück im Notel, der Notschlafstelle für obdachlose Junkies in Köln. Es ist nicht schwer, mit der Mitarbeiterin Cordula, ihrer Kollegin Lotte und der Leiterin Bärbel Ackerschott über das „Geheimnis Gott“ ins Gespräch zu kommen. Für sie alle spielt dieses Geheimnis eine Rolle und sie haben ihre Erfahrungen damit gemacht.
 „Die erste Erfahrung mit Gott habe ich auf jeden Fall im Kindergarten gemacht und in der Schule. Und ich war als Kind auch immer viel mit meinen Eltern in der Kirche. Der weiße Mann mit dem langen Bart auf der Wolke – ich glaube, das ist so die gängigste Vorstellung, die einem im jungen Kindesalter vermittelt wird.“  
Lotte hat ähnliche Erinnerungen: „Dargestellt wurde er mir meistens bildlich, eher als Mann oder als Licht. Aber jetzt würde ich nicht mehr unbedingt sagen, dass Gott ein Mann ist. Man weiß es nicht. Auf jeden Fall kein Geschlecht.“

Gefühl und Verstand

Gefühl und Verstand sagen zweierlei: Ich spüre eine höhere Macht und doch ist sie nicht greifbar, immer nur annäherungsweise beschreibbar. Glaube lebt in dieser Spannung, die den Glaubenden gleichzeitig ehrfürchtig erschauern lässt und erschreckt. Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief (11,33):

O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen und unerforschlich seine Wege!

Auch Bärbel Ackerschott, Leiterin des Notels, sucht nach Worten für das, was sie als Gott erfährt: „Ich glaube, es gibt eine Größe und eine Kraft, die die Erde im Innersten zusammenhält. Wie die aussieht, ob das ein Mann ist, da habe ich große Zweifel. Ob der auf einer Wolke sitzt und einen weißen Bart hat, da bin ich mir auch sehr unsicher. Aber ich glaube, es gibt eine Kraft, die es gut mit uns meint.“

Zwischen Bildernot und Bilderverbot

Auch Pfarrer Matthias Schnegg tut sich schwer damit, „Gott nur personal zu denken, weil das Personale schon wieder eine gewisse Form der Einschränkung ist. Trotzdem kommen wir an anthropomorphen Bildern von Gott nicht vorbei, weil wir sonst überhaupt nicht sprachfähig wären. Die neueren Überlegungen sagen, wenn man nach einer Analogie Gottes sucht, dann wird man am besten auf die Unendlichkeit der Galaxien, also auf die Astrophysik, verwiesen, weil man dann das Geheimnis da genauso verorten kann wie mit dem Begriff Gott.“
Ohne eine „Übersetzungshilfe“ in bildlicher oder begrifflicher Form ist es kaum möglich, mit dem Geheimnis Gott umzugehen. Wer an Gott glaubt, macht sich auch eine Vorstellung davon, egal wie konkret die am Ende aussieht.
Da das Konkrete aber immer die Gefahr beinhaltet, für das eigentlich Gemeinte gehalten zu werden, wurde im Judentum schon sehr früh ein Bilderverbot festgelegt: „Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“

Jesus als Vermittler

An die Stelle von Götterbildern trat das Wort, mit dem in den Texten der Tora von den Erfahrungen des Volkes Israel mit Gott erzählt wird. Diese Tradition führt das Christentum im Neuen Testament fort und stellt einen neuen Vermittler in den Mittelpunkt.
Für Bärbel Ackerschott ist das sehr nachvollziehbar: „Gott ist ein Geheimnis und ich kriege einen Zipfel in die Hand, wenn ich auf das Leben dieses Jesus von Nazareth gucke", sagt sie.
"Wir haben durch die Schriften ganz klare Beispiele, wer er war, das ist ein anderer Zugang. Ich kann mich da wirklich nur konkret an Jesus halten, der ja ganz klar gesagt hat: Ich zeige euch den Vater.“  
Schließlich heißt es bereits im Brief an die Kolosser, Kapitel 2:

… um die tiefe und reiche Einsicht zu erlangen und das Geheimnis Gottes zu erkennen, das Christus ist. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen.

„Eine konkrete Form der Nachfolge“

„Für mich hat sich dieser Gott in Jesus von Nazareth offenbart“, erklärt Ackerschott. „Und der hat gesagt: Ich zeige euch den Vater und da muss ich mir keinen Kopf drüber machen. Ich finde es entscheidend, sich in der Nachfolge an diesen Jesus von Nazareth zu halten und alles andere geht seinen Weg. Für mich ist das eine konkrete Form der Nachfolge, hier mit den Drogenabhängigen zusammen zu sein. Das sind für mich die Privilegierten des Jesus von Nazareth. Und ich darf im Notel meine Berufung leben.“
Fehlt nur noch der Heilige Geist, der im Christentum Schöpfer und Mensch gewordenen Sohn vermittelt und erfahrbar macht. Für den hat Pfarrer Matthias Schnegg seine ganz eigene Erklärung gefunden.
„Für mich selber gibt es die saloppe Formulierung: Von Gott verstehe ich gar nichts, aber auf den Heiligen Geist vertraue ich mit großer Kind-Gewissheit", sagt er.
"Das drückt für mich etwas aus, dass die Realität Gott unfassbar und deswegen auch Geheimnis ist. Gleichzeitig habe ich das Vertrauen, dass diese Wirklichkeit, die wir unbeschreibbar finden, eine für mein Leben relevante Wirkmacht ist.“

In der Eucharistie wird das Geheimnis benannt

Schnegg, Pfarrer in St. Maria Lyskirchen in Köln, der auch im Notel Dienst tut, vergegenwärtigt sich das Geheimnis des menschgewordenen Gottes in jeder Eucharistie.
Schließlich gebe es diese eine Stelle im Gottesdienst, sagt Bärbel Ackerschott, wo die Gläubigen nach dem Hochgebet das „Geheimnis des Glaubens“ sprechen: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, deine Auferstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit.“
Sie fährt fort: "Das ist ein gutes Beispiel, finde ich. Wir versuchen, das immer wieder zu deuten und zu fassen. Der Weg wäre eigentlich, das Geheimnis stehen zu lassen und als solches zu akzeptieren.“
Für Matthias Schnegg ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Geheimnis des Glaubens erst mit der Liturgiereform in die Liturgie gekommen ist. Es „war so einer der ersten zaghaften Ansätze zu begreifen, dass die Trägerin der Liturgie die Gemeinde ist und nicht irgendein priesterlicher Zelebrant. Und diese Akklamation bekräftigt, das ist das, was man nur im Glauben geheimnisvoll erfassen kann: Dass es eine Zusage des göttlichen Lebens gibt, die Tod und Auferweckung, also Vollendung des Lebens, in eins nimmt. Und dass sich das den Glaubenden an der Person des Jesus von Nazareth gezeigt hat.“
Gott bleibt Geheimnis, auch das Ritual vermag ihn nicht zu enthüllen. Es kann immer nur sehr individuelle Annäherungen geben, wie die Mitarbeiter im Notel finden.
„Gerade weil der Glaube an Gott uns viele christliche Werte übergibt, finde ich, dass auch Gott eine Motivation für mich ist, hier zu arbeiten", sagt Mitarbeiterin Cordula. "Weil ich es wichtig finde, auch diese Nächstenliebe zu zeigen – sei es, dass ich mir das jetzt als Sozialarbeiterin zum Beruf gemacht habe oder irgendeine andere Form, wie man den Menschen näherkommen kann – gerade denen, die es brauchen, wie Obdachlose oder Menschen, die eine Suchtproblematik haben.“

Gotteserfahrungen in der Musik

Bärbel Ackerschott hat ihren eigenen Weg, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen: „Durch Kennenlernen, aufeinander Einlassen, auch im menschlichen Bereich, wird das Geheimnis ja immer greifbarer. In dem Maße, wie die Beziehung wächst, schwindet das Geheimnis. Und bei Gott bleibt es aber – weil ich den nicht packen kann.“
Pfarrer Matthias Schnegg kommt dem Geheimnis am ehesten in der Musik auf die Spur. Da, so sagt er, kriege er „Gottesahnungen“: „Dieser Schlusschor der Johannes-Passion von Bach, wo die Dramatik der Passion beschrieben ist, wo der am Ende aber singen lassen kann: ‚Dich will ich preisen ewiglich.‘ Da habe ich so eine Ahnung. Es gibt Leute, die sagen, dann kriegen sie eine Gänsehaut. Vielleicht ist diese Gänsehaut auch eine der Analogien Gottes.“

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